
Medikamentenverordnungen: Was hat Covid-19 verändert, was bleibt?
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Die Zeit des Covid-19-bedingten Lockdowns war für uns alle eine große Herausforderung. Neben den vielen Einschränkungen und Negativeffekten, besonders im Bereich des Gesundheitssystems, gab es aber auch einige aus der Not geborene, sehr pragmatische Lösungen, um die Patientenversorgung, vor allem im Bereich der Medikamentenverordnung, so kontaktlos und damit mit einem so geringen Infektionsrisiko wie möglich sicherzustellen.
Eine dieser Lösungen waren der Verzicht auf Vorabbewilligung von RE1-Präparaten und die Möglichkeit, RE1- und RE2- Präparate auch als Wahlarzt (ohne Vorabbewilligung) zu verschreiben. Zudem gab es die Möglichkeit, Rezepte völlig unbürokratisch an die zuständige Apotheke elektronisch via e-Medikation zu übermitteln, zu faxen oder zu mailen, wo der Patient sich das Medikament einfach abholen bzw abholen lassen konnte (Abb. 1).

Abb. 1:Patienten konnten sich ihre Medikamente einfach in der Apotheke abholen, da die Rezepte zum Teil elektronisch via e-Medikation, per E-Mail oder per Fax an diese übermittelt wurden.
Wir haben die zuständige Stelle des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger befragt, ob aus dieser „Lockerung“ heraus Missbrauch, im Sinne von Mehrverschreibungen, entstanden sind, oder auch Restriktion, weil die Angst, wegen nicht vorab bewilligter Medikamente im Nachhinein zur Rechenschaft gezogen zu werden, zu groß war. Wir haben auch um einen Ausblick in die Zukunft gebeten, was die vereinfachte Abwicklung der Medikamentenverschreibung betrifft. Zu diesem Thema hat uns freundlicherweise MMag. Jutta Lichtenecker, Leiterin der Abteilung Vertragspartner Medikamente im Dachverband der Sozialversicherungsträger (DVSV), ein Interview gegeben.
Generell möchte ich mich an dieser Stelle für die freundliche und entgegenkommende Abwicklung des Informationsaustausches bei Frau Mag. Nakhai (Pressesprecherin des DVSV) bedanken. Möglicherweise – und das legen die Zahlen auch nahe – könnte dies der Auftakt für einen vertrauensvolleren Umgang zwischen Ärzteschaft und DVSV sein. Das Wissen, dass verringerte Kontrolle nicht zwingend zu unqualifizierter Mehrverschreibung führt, würde möglicherweise auch die Tür zur schnelleren und unbürokratischeren Erstattung neuer innovativer Medikamente öffnen – zum Wohle unserer Patienten.
Dazu möchte der DVSV vorab festhalten, dass die Möglichkeit der kontaktlosen Verordnung eine sinnvolle Maßnahme im Rahmen einer Pandemie darstellt, aber aufgrund gewisser Limitationen im Bereich der Nutzerfreundlichkeit, der Datenqualität sowie hinsichtlich der Effizienz des Rezeptierungs- und Abgabeprozesses keine dauerhafte Lösung darstellen kann.
Aus der Wahrnehmung der Ärzte und Patienten ist die Verschreibung, sowohl was den Bewilligungsaufwand betrifft als auch die Rezeptübermittlung direkt an die Apotheke,zum Teil elektronisch via e-Medikation, per E-Mail oder per Fax – also ganz unbürokratisch –, wesentlich vereinfacht und angenehmer geworden. Hat die Vereinfachung zu einer unproportional höheren Verschreibung bzw. Hamsterkäufen der Patienten geführt?
J. Lichtenecker:Zu Beginn der Pandemie haben wir insgesamt eine noch nie dagewesene, überproportional hohe Steigerung der Arzneimittelabgaben verzeichnet, die sich naturgemäß auch in den Kosten bemerkbar gemacht hat. Im März hatten wir eine Kostensteigerung von rund 25% (rund 69 Mio. EUR) im Vergleich zum März im Vorjahr. In den Folgemonaten stabilisierte sich die Lage, es gab gewisse Rückgängean Arzneimittelkosten im Vergleich zu 2019 – z.B. im April von ca. 9,4% und im Mai von ca. 8,1%. Auf Halbjahressicht sind wir bei einer vorläufigen Steigerung von ca. 4,7% gelandet. Warum es diese Schwankungen gab? Eine den Monatsbedarf überschreitende Medikamentenmenge könnte beispielsweise verschrieben worden sein, um persönliche Kontakte zu vermeiden, unter anderem in öffentlichen Apotheken – oder aber auch aufgrund der Vorratshaltung für unbedingt notwendige Medikamente, z.B. für chronisch Kranke. Die anfänglichen Gründe für die Steigerung der Abgabezahlen stehen unserer Meinung nach aber vor allem im Zusammenhang mit der Pandemie – nicht vorwiegend mit dem zeitlich begrenzten Entfall der Bewilligungen und der kontaktlosen Rezeptübermittlung.


Hat sich vor allem der niedergelassene Bereich aus der Verantwortung genommen und weniger bis nichts auf Eigeninitiative verschrieben?
J. Lichtenecker: Vertragsärzte spielen eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung und haben auch während der Pandemie ihr wichtiges Leistungsangebot aufrechterhalten. Um sie in der Ausnahmesituation zu unterstützen, haben wir zu Beginn der Pandemie zielgerichtete Maßnahmen zur Erleichterung des Alltags gesetzt, wie beispielsweise die Ermöglichung der telemedizinischen Krankenbehandlungen oder der telefonischen Verschreibung von Medikamenten.
Aus meiner Sicht funktioniert die Zusammenarbeit mit den Apotheken sehr gut. Wie haben sich die Mitarbeiter in den Apotheken aus Ihrer Sicht in diesem Setting gefühlt – gibt es Rückmeldungen dazu?
J. Lichtenecker:Die Sozialversicherung hat auch für Apotheken zu Beginn der Pandemie erleichternde Maßnahmen gesetzt. Die in der Pandemie für Patienten so wichtige Möglichkeit der kontaktlosen Verordnung und Abgabe via e-Medikation wurde seitens der Apothekerschaft unterstützt. Aus Gesprächen mit den Standesvertretungen ist uns aber auch bekannt, dass durch die teilweise Übermittlung von „Rezepten“ per E-Mail oder Fax zusätzlicher Arbeitsaufwand bei den Apotheken anfällt – aber auch geringfügige Verzögerungen, je nach Übermittlungsform, auftreten. Eine nachhaltige und technische ausgereifte Dauerlösung kann langfristig mit der Einführung des e-Rezepts erreicht werden, wofür diesen Herbst ein Pilotbetrieb geplant ist.
Da bei diesem Ablauf der Weg zum Arzt ausschließlich wegen Rezeptverordnung wegfiele, müssten es nicht eine Kostenersparnis und freiwerdende Valenzen bei den Kolleginnen und Kollegen geben?
J. Lichtenecker:Auch wenn Patienten im Rahmen der Pandemie nicht selbst den Arzt aufsuchen mussten, hat die Verordnung von Arzneispezialitäten noch immer durch den behandelnden Arzt und die Abrechnung der ärztlichen Leistungen im Einklang mit den bestehenden Hornorarordnungen zu erfolgen. Ob Valenzen bei Ärzten freigeworden sind, kann nur durch die Ärzteschaft selbst beantwortet werden und hängt auch sicherlich stark vom Fachgebiet und von der konkreten Organisation der einzelnen Ordination ab. Zu berücksichtigen sind auch etwaige Mehrbelastungen, die im Rahmen der Pandemie für die Ärzteschaft aufgetreten sind.
Und bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem chefärztlichem Dienst?
J. Lichtenecker: Im chef- und kontrollärztlichen Dienst kam es aufgrund der Mehrbelastungen im Rahmen der Pandemie nicht zumFreiwerden von Kapazitäten. So bestand für Arzneispezialitäten außerhalb des Erstattungskodex weiterhin die Bewilligungspflicht und auch bei der Verschreibung größerer Mengen an Arzneispezialitäten musste und muss eine chef- oder kontrollärztliche Bewilligung eingeholt werden. Weiters wurden trotz der Erleichterungen für die Vertragspartner laufend Arzneimittelbewilligungsservice-Anträge beim chefärztlichen Dienst eingebracht.
Wie steht der Dachverband zu einer generellen Verlängerung dieses Systems auch über die Covid-Zeit hinweg? Welche Änderungen des derzeitigen Ablaufs wären notwendig?
J. Lichtenecker:Wir arbeiten gemeinsam mit den Krankenversicherungsträgern, der ÖAK und ÖÄK intensiv an einer Umsetzung des e-Rezepts, um den Versicherten und den Vertragspartnern ein noch besseres System zur Verfügung zu stellen. Das e-Rezept wird weitere Verbesserungen im Vergleich zurpandemiebedingten Sonderregelung der Abgabe über e-Medikation bzw. E-Mail und Fax mit sich bringen und im Vergleich zur aktuellen Situation deutliche Erleichterungen in den Prozessen bedeuten. Grundsätzlich werden derzeit auch weitere e-health-Anwendungsmöglichkeiten geprüft, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu fördern. Ungeachtet dessen erachten wir den chef- und kontrollärztlichen Dienst als unerlässlichen Systempartner, wie auch in Zeiten der Pandemie erneut unter Beweis gestellt worden ist.
Gibt es Pläne, die Frist, die imOktober abläuft, ob der drohenden Wiederverschärfung der Covid-Situation erneut zu verlängern?
J. Lichtenecker: Die Regelungen zur Rezeptübermittlung und zur Abgabe via e-Medikation wurden auch im Gesundheitstelematikgesetz festgeschrieben und gelten zumindest bis 31.12.2020. Da wir aber auch darüber hinausgehend mit der Pandemie konfrontiert sein werden, werden wir weiterhin auf sinnvolle Erleichterungen für die Versicherten und Vertragspartner hinarbeiten, um diese Krise gemeinsam zu meistern.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte
Prim. Dr. Claudia Francesconi
SKA-RZ Alland
für Stoffwechselerkrankungen
E-Mai: c.francesconi@gmx.at
Unsere Gesprächspartnerin:
MMag. Jutta Lichtenecker
Leiterin der Abteilung
Vertragspartner Medikamente im
Dachverband der Sozialversicherungsträger
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