4Gamechangers Health Talks

Kranke Bundesländer – wo wir am besten versorgt sind

Die Diabetes Initiative Österreich (DIÖ) wechselt mit ihren Diskussionsrunden von „Diabetes im Zentrum“ auf die Bühne des landesweiten Fernsehens. Im Rahmen der 4Gamechangers Health Talks auf PULS 24 ging es um die weiterhin zersplitterte Versorgungslandschaft zwei Jahre nach Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse – eine Nachlese.

Mit den 4Gamechangers Health Talks nutzt die DIÖ ein neues Forum, um ihre Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen. Den Auftakt macht ein Themenkomplex, der die Diabetes-Community seit vielen Jahren beschäftigt, mit der Fusion der Gebietskrankenkassen und einiger Betriebskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) aber evident geworden ist: dass nämlich trotz gleicher gesetzlicher Regelungen und Beitragssätze die Gesundheitsleistungen regional zum Teil weiterhin stark variieren. Von den versprochenen Vorteilen der Kassenfusion ist oft wenig zu spüren, teilweise wurden durch wechselnde Zuständigkeiten sogar bestehende pragmatische Lösungen außer Kraft gesetzt.

Als chronische Erkrankung, die cirka zehn Prozent der Bevölkerung betrifft und vielfältige Ressourcen des Gesundheitssystem beansprucht, bietet sich Diabetes mellitus an, unterschiedliche Versorgungsangebote zu thematisieren. Als Ausgangspunkt der Diskussion diente beispielhaft die unterschiedliche Erstattungspraxis bei Pen-Nadeln, Wundverbänden und Messgeräten bzw. Sensoren.

Woran liegt es?

ÖGK-Chefarzt Andreas Krauter wies darauf hin, dass vielerorts in der Sozialversicherung, nicht nur in der ÖGK, an der Vereinheitlichung der Genehmigungspraktiken gearbeitet werde, allerdings: „Wir haben unterschiedliche Strukturen, die wir auf der Ebene der Vertragslandschaft erst schrittweise zusammenführen müssen. Vieles müssen wir mit unseren Partnern – den Kliniken, den Fachgesellschaften, den PatientInnenanwaltschaften etc. – auch erst analysieren.“

<< Wir sind beispielsweise bei den Blutzuckermessgeräten auf dem Weg, dass es österreichweit einen einheitlichen Genehmigungsweg gibt, auch bei Spritzennadeln und Lanzetten. Aber da gibt es so unterschiedliche Lösungen […], dass wir uns erst schrittweise heranarbeiten können. Das wird ganz einfach noch eine gewisse Zeit dauern.>>
Dr. Andreas Krauter, Österreichische Gesundheitskasse

Gerald Gschlössl, Vertreter der in Österreich tätigen Medizintechnikunternehmen, dazu: „Ich sehe die Schwierigkeiten, die so ein großer Apparat mit sich bringt, aber das wird der Patient nicht verstehen. Wir müssen schneller werden.“ Weitere Forderungen des Branchenverbandes: Leistungsharmonisierung, denn es sei „nicht nachvollziehbar, warum Menschen, die das gleiche einzahlen, unterschiedlich versorgt werden“, und Zugang zu technischen Innovationen für alle Menschen mit Diabetes.

<< Wir haben in der Corona-Pandemie gesehen, dass viele schwerfällige Prozesse, die unser System mit sich bringt – Rezept und Verordnung, Chefarztpflicht, Einreichen … – mit einem Mal sehr unbürokratisch gehandhabt wurden, weil wir gezwungen waren, schnell praktikable Lösungen zu finden.>>
Gerald Gschlössl, Austromed

Für Sigrid Pilz, PatientInnenanwältin in Wien, ist der „Kantönligeist, der auch im Gesundheitswesen spürbar ist“, eine Ursache vieler Probleme. Auch gebe es keine aussagekräftige Versorgungsforschung: „Wir haben kein Diabetesregister, wir wissen nicht einmal, wie viele Amputationen als Spätfolgen von Diabetes durchgeführt werden – wir wissen nur, dass wir sehr hoch liegen.“

Für die Nationalratsabgeordnete Fiona Fiedler, NEOS, fehlen durch die getrennte Finanzierung von Kassen und Gesundheitsfonds Anreize für ein gezieltes Vorgehen in der Diabetesversorgung, nicht zuletzt bei der uneinheitlichen Umsetzung und Weiterentwicklung des „Therapie-Aktiv“-Programms.

Für Fredric Debong, Cofounder & CPO hi.health sind die Kassen noch nicht in der modernen Welt der digitalen Dienstleistungen angekommen. Zwar sei es wichtig, dass Veränderung in der Gesundheitsversorgung gut überlegt vonstatten gehe. Allerdings könnten die überkommenen Strukturen der Sozialversicherung mit der Dynamik der technischen Entwicklung und mit den Erwartungen der Versicherten nicht Schritt halten.

<< Es fehlt in unserer Gesellschaft die Möglichkeit, jedem Patienten zuzuhören, das ist unmöglich. Wenn wir als Patienten zusammen auftreten, können wir helfen, dass sich die Gesellschaft in die richtige Richtung bewegt. Deshalb ist es enorm wichtig, dass wir aktiv werden.>>
Fredric Debong, hi.health

Was ist zu tun?

ÖGK-Chefarzt Andreas Krauter warb um Verständnis und Geduld angesichts der Komplexität der Aufgaben und versicherte den Partnern im Gesundheitssystem die Bereitschaft der Sozialversicherung zu Dialog und Kooperation. PatientInnenanwältin Sigrid Pilz sah in der Öffnung des arztzentrierten Systems des Diabetesmanagements durch verstärkte Einbindung weiterer Berufsgruppen in Primärversorgungseinheiten eine Voraussetzung für die Verbesserung der Versorgungsqualität.

Die Vertreter von Ärzteschaft (Thomas C. Wascher) und Medizintechnik (Fredric Debong, Gerald Gschlössl) waren sich einig, dass die strukturellen Probleme des heimischen Gesundheitswesens den Anspruch der Versicherten auf eine österreichweit einheitliche und zeitgemäße medizinische Versorgung nicht schmälern dürfen. Ebenso wie die öffentliche Verwaltung muss sich auch die Sozialversicherung hinsichtlich Service-Qualität und -Geschwindigkeit mit den Standards der großen digitalen Dienstleister messen, um die Akzeptanz vonseiten der Versicherten auf Dauer sicherzustellen. Konsens gab es schließlich in dem Punkt, dass der Diabetes-Community, insbesondere einer organisierten und selbstbewusst auftretenden Patientenvertretung, bei der Beschleunigung des Umbaus des Versorgungssystem hin zu mehr Transparenz, Fairness und Service-Orientierung eine entscheidende Rolle zukommen wird.

<< Wir als behandelnde Ärztinnen und Ärzte müssen die betroffenen Patientinnen und Patienten dazu bringen, aktiv zu werden. Nur wenn die Versicherten ihre Anliegen an die Versicherungen herantragen, und zwar so häufig und so vehement, dass es nicht überhörbar ist, werden die Versicherungen beginnen, sich schneller zu bewegen.>>
Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher, Diabetes Initiative Österreich

4Gamechangers Health Talks „Kranke Bundesländer – wo wir am besten versorgt sind“ am 20. Oktober 2021. Es diskutierten: Fredric Debong, Cofounder & CPO hi.health; Mag. Fiona Fiedler, Abgeordnete zum Nationalrat, NEOS; Gerald Gschlössl, Präsident Austromed, Dr. Andreas Krauter, Ärztlicher Leiter, Österreichische Gesundheitskasse; Dr. Sigrid Pilz, Patienten- und Pflegeanwältin, Wien; Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher, Präsident der Diabetes Initiative Österreich. Moderation: Martin Rümmele, Gesundheitsjournalist

Eine detaillierte Nachlese und eine Aufzeichnung der Diskussion in voller Länge (56 Minuten) sind auf den Internetseiten der Diabetes Initiative Österreich ( www.diabetesinitiative.at/aktuelles ) abrufbar. Dort sind auch die Ergebnisse der Diskussionsrunden „Diabetes im Zentrum“ dokumentiert.

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