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Österreichische Adipositas Gesellschaft (ÖAG)

Neu erschienen: Konsensuspapier zur Diagnose und Behandlung von Menschen mit Adipositas

Am 12. 10. 2023 wurden im Rahmen der Tagung der Österreichischen Adipositas Gesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für Adipositas und Metabolische Chirurgie erstmals Behandlungsempfehlungen der Österreichischen Adipositas Gellschaft für Menschen mit Adipositas präsentiert und publiziert.

Keypoints

  • Kernpunkt der Behandlungsleitlinien ist das 5-A-Modell: Ask – ansprechen Assess – feststellen Advise – beraten Agree – vereinbaren Assist – unterstützen

  • Grundlegend ist eine Ernährungs- und Bewegungstherapie mit den Zielen negative Kalorienbilanz, mehr Aktivität im Alltag sowie Aufbau von Muskelkraft und Ausdauer.

  • Gewichtsreduzierende Interventionen sollen nach 3 bis 6 Monaten evaluiert und wenn notwendig angepasst werden.

  • Eine Indikation für einen bariatrischen/metabolischen Eingriff ist ab einem BMI ≥35kg/m2 gegeben.

  • Bei Menschen mit metabolischer Erkrankung und BMI zwischen 30 und 34,9kg/m2 sollte eine metabolische Operation in Erwägung gezogen werden, wenn konservative Methoden für Gewichtsverlust negativ waren.

Die Behandlungsempfehlungen für Menschen mit Adipositas gelten nur für erwachsene, nicht schwangere Personen. Sie gliedern sich zunächst in 4 unterschiedliche Kapitel, sollen aber in weiterer Folge noch erweitert werden:

  • Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen: allgemeine Behandlungsgrundsätze und konservatives Management

  • Indikation und präoperative Planung zur bariatrischen Operation

  • Postoperatives Management

  • Prävention und Management von postinterventioneller Gewichtszunahme

Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen: allgemeine Behandlungsgrundsätze und konservatives Management

Im ersten Kapitel werden allgemeine Behandlungsgrundsätze beschrieben und vor allem wird das konservative Management in den Fokus gesetzt. Eine Kernaussage ist, dass Adipositas eine eigenständige und komplexe chronische Erkrankung ist und entsprechend multidisziplinär durch qualifizierte Fachkräfte zu behandeln ist. Gerade auch die Bedeutung der Betreuung durch ein multidisziplinäres Team soll hierbei hervorgehoben werden. Weiters wird näher auf die Diagnose der Adipositas eingegangen, auf die Bedeutung der Messung des Bauchumfanges sowie auch eine Annäherungsformel für die Berechnung des Grundumsatzes auch als Hilfestellung zur Arbeit mit den Patient:innen.

Der Kernpunkt des 1. Kapitels ist die Abbildung 1. Diese zeigt das von vielen Fachgesellschaften und eben auch von der ÖAG übernommene 5-A-Modell. Dieses Modell wurde ursprünglich als verhaltenstherapeutisches Therapiekonzept zur Raucherentwöhnung entwickelt, findet nun aber auch in der Adipositastherapie eine immer größer werdende Zustimmung.

© aus Itariu B-K et al 2023, CreativeCommons 4.0

Abb. 1: Schematischer Leitfaden für das Management von Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Anlehnung an rezente Praxisempfehlungen2, 3 (aus Itariu B-K et al. 2023)1

  1. Ask – ansprechen: Zu Beginn muss geklärt werden, ob der/die Patient:in bereit ist, sich mit der eigenen Gewichtssituation auseinanderzusetzen. Dies ist eine Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Gewichtsmanagement. Patient:innen, die derzeit nicht dazu bereit sind, sollten darauf hingewiesen werden, dass Beratungen und Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

  2. Assess – feststellen: In diesem Schritt sollte eine ausführliche Anamnese der Patientin/des Patienten erfolgen, insbesondere eine ausführliche Gewichtsanamnese (inkl. bisheriger Gewichtsverluststrategien). Parallel dazu sollte die Erwartungshaltung der Patientin/des Patienten in Bezug auf den geplanten jetzigen Gewichtsverlust erfragt und auch in Kontext gesetzt werden.

  3. Advise – beraten: In diesem Schritt sollten die betroffenen Personen über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten aufgeklärt werden. Weiters sollte hier besprochen werden, dass die Grundlage jeder erfolgreichen Therapie eine Lebensstilmodifikation darstellt. Personen mit Übergewicht oder Adipositas sollen über ihr persönliches Gesundheitsrisiko aufgeklärt und dahingehend informiert werden, dass bereits moderater Gewichtsverlust den Gesundheitszustand spürbar verbessern kann (Abb. 2).

  4. Agree – vereinbaren: In dieser Stufe werden nun Ziele festgelegt, wobei diese immer gemeinsam im Sinne eines „shared decision making“ gemacht werden sollten. Ein wichtiger Aspekt und zumeist Aufgabe der Behandlerin/des Behandlers ist, dass diese Ziele realistisch sind.

  5. Assist – unterstützen: Das Überwinden etablierter Verhaltensmuster und die Integration neuer Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten in den Alltag erfordern die Unterstützung aller involvierten Fachkräfte. Außerdem soll hier erarbeitet werden, wie Angehörige in diesen Prozess miteingebunden werden können.

© aus Itariu B-K et al 2023, CreativeCommons 4.0

Abb. 2: Erforderliche Gewichtsreduktion, um positive Effekte auf Begleiterkrankungen von Übergewicht und Adipositas zu erreichen (aus Itariu B-K et al. 2023)1

Wie schon erwähnt sind die Grundlage jeder Behandlung eine Ernährungs- und Bewegungstherapie mit dem Ziel einer negativen Kalorienbilanz sowie Erzielen von mehr Aktivität im Alltag und ein Aufbau von Muskelkraft und Ausdauer. Sowohl bei Ernährung als auch bei Bewegungstherapie ist es für einen Erfolg besonders relevant, auf die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen zu achten. Selbstverständlich ist bei der Ernährungstherapie die Behandlung durch ausgebildete Fachkräfte besonders wichtig. Vor Therapiebeginn müssen die bisherigen Ernährungsgewohnheiten erfasst und allfällige Essstörungen, die bei Menschen mit Adipositas signifikant häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung, abgeklärt werden.

In weiterer Folge erfolgt zumeist eine Bestandesaufnahme durch ein Ernährungsprotokoll, welches auch für die Bewusstseinsbildung und für die Förderung der Gesundheitskompetenz der Betroffenen wichtig ist. Voraussetzung für die Gewichtsreduktion ist eine negative Energiebilanz bezogen auf den aktuellen Energiebedarf. Bei der Bewegungstherapie ist zu unterscheiden zwischen vermehrter Aktivität im Alltag und Ausdauer- bzw. Krafttraining. Vermehrte Alltagsaktivität wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl aus. Ausdauertraining verbessert nachgewiesenerweise unabhängig vom Effekt auf das Körpergewicht den Glukose- und Lipidstoffwechsel und reduziert das kardiovaskuläre Risiko. Krafttraining erhöht durch Zunahme der Muskelmasse den Grundumsatz, welcher oft bei Patient:innen mit Adipositas deutlich reduziert ist. Patient:innen, die nicht bereit sind für eine Lebensstilmodifikation kommen auch für eine weitere Therapie nicht infrage.

Welche der 3 weiteren Therapiesäulen gewählt wird, wird gemeinsam erneut im Sinne des „shared decision making“ entschieden:

  • Verhaltenstherapie: Diese ist vor allem wichtig, um langfristig eine Lebensstilmodifikation, umzusetzen und Ziele auf lange Sicht zu erreichen.

  • Medikamentöse Therapie

  • Bariatrische/metabolische Chirurgie

Gewichtsreduzierende Interventionen sollen grundsätzlich nach 3 bis 6 Monaten evaluiert und, sofern die angestrebten Therapieziele nicht erreicht wurden, angepasst werden. Neben dem Verlauf von BMI und Taillenumfang sind hier aber vor allem auch die Veränderungen der klinischen Situation (Risikofaktoren, Begleiterkrankungen) in die Evaluation miteinzubeziehen. Außerdem soll evaluiert werden, inwieweit Lebensstilmaßnahmen umgesetzt wurden und welche Barrieren eventuell vorliegen, um diese Ziele zu erreichen.

Indikation für eine bariatrische/metabolische Operation

Tab. 1: Notwendige Untersuchungen und Gutachten vor einem bariatrischen/metabolischen Eingriff

Bezüglich der Frage der Indikation für eine bariatrische/metabolische Operation schließt sich die Österreichische Adipositas Gesellschaft den 2022 durchgeführten Änderungen der Internationalen Leitlinien der ASMBS/IFSO (American Society for Metabolic and Bariatric Surgery/International Federation for the Surgery of Obesity and Metabolic Disorders) an. Diese besagt, dass ein bariatrischer/metabolischer Eingriff bei Begleiterkrankungen ab einem BMI ≥35kg/m2 durchgeführt werden kann. Bei Menschen mit metabolischer Erkrankung und einem BMI zwischen 30kg/m2 und 34,9kg/m2 sollte eine metabolische Operation in Erwägung gezogen werden. Diese Indikation besteht allerdings erst dann, wenn ein nachhaltiger Gewichtsverlust durch konservative Methoden nicht erzielt werden kann. Kontraindikationen zu Adipositas-chirurgischen Eingriffen sind einerseits mangelnde Compliance zur lebenslangen täglichen Vitamineinnahme und zur lebenslangen Nachsorge sowie bestehende Schwangerschaft, aktiver Alkohol- und Drogenabusus, Karzinomanamnese in den vorangegangenen 5 Jahren und mehrere schwere psychiatrische Erkrankungen.

Weitere Kernpunkte des Kapitels behandeln die notwendigen präoperativen Abklärungen, die bei jeder Patientin/jedem Patienten erfolgen sollen, damit diese Operation sicher durchgeführt bzw. die passende OP-Methode für jede Patientin/jeden Patienten gefunden werden kann. Punkte, die vor jedem bariatrischen/metabolischen Eingriff abgeklärt bzw. durchgeführt werden müssen, zeigt Tabelle 1.

1 Bianca-Karla Itariu et al.: Konsensuspapier der Österreichischen Adipositasgesellschaft zur Diagnose und Behandlung von Menschen mit Adipositas. Wien Klin Wochenschr 2023: https://doi.org/10.1007/s00508-023-02276-3 2 Wharton S et al.: Obesity in adults: a clinical practice guideline. Can Med Assoc J 2020; 192: E875-E91 3 Durrer Schutz D et al.: European practical and patientcentred guidelines for adult obesity management in primary care. Obes Facts 2019; 12(1): 40-66

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