Upgrade zur Broteinheitentabelle & modernes Schulungstool

Die neue Kohlenhydrattabelle – Broteinheiten vs. Kohlenhydrateinheiten

Das Wissen über den Kohlenhydratgehalt von Speisen und Getränken und das Beachten individueller Portionsgrößen sind essenzielle Faktoren für eine zufriedenstellende Therapieeinstellung bei Diabetes. Als Teil der ernährungsmedizinischen Schulung durch Diaetolog*innen hat sich vor allem für Menschen mit prandialer Insulintherapie die Broteinheit (BE) als Schätzhilfe in Österreich etabliert. In den gängigen BE-Tabellen bleibt jedoch die Qualität der Kohlenhydratauswahl unberücksichtigt.

Keypoints

  • Zur Abschätzung der Kohlenhydratzufuhr ist die Broteinheit (BE) im deutschsprachigen Raum langjährig etabliert, inzwischen jedoch historisch. International wird die Kohlenhydrateinheit (KE) verwendet.

  • 1 KE entspricht der Menge eines kohlenhydrathaltigen Nahrungsmittels oder Getränks, das 10g Kohlenhydrate enthält.

  • Die neue Kohlenhydrattabelle beinhaltet erstmals Informationen zur Qualität der Kohlenhydrate durch die Angabe des glykämischen Index und der Kohlenhydrat-zu-Ballaststoff-Ratio (KH:Bst-Ratio).

  • Das neue Schulungstool ist für Personen gedacht, für die die Kohlenhydratzufuhr in Qualität und Quantität ein wesentlicher Faktor der Ernährungstherapie ist. Dazu zählen Menschen mit Diabetes, mit „metabolic associated fatty liver disease“, mit „incretin-induced postprandial hypersinulinemia after bariatric surgery“ und sportlich Aktive.

Eine zunehmende länderübergreifende Betreuung von Menschen mit Diabetes und moderne Diabetestechnologien zeigten in den letzten Jahren den Bedarf an einer Adaptierung an die international übliche Kohlenhydrateinheit (KE). Die Aktualisierung der Broteinheitentabelle entsprechend aktuellen Ernährungsempfehlungen und das Upgrade zur Kohlenhydrattabelle wurden zum Anlass genommen, neben dem Kohlenhydratgehalt von Lebensmitteln auch Kriterien zur Blutzuckerwirksamkeit und die Qualität von Kohlenhydratquellen zu berücksichtigen.

BE – einst als „Normalweißbrötcheneinheit“ entwickelt

Die Kohlenhydrataustauscheinheit wurde erstmals von Dr. Carl Harko von Noorden als Weißbrötcheneinheit bzw. Normalweißbrötcheneinheit als 20g Weißbrot bzw. 12g Kohlenhydrate (KH) definiert. Die ersten Austauschtabellen erschienen 1895 bzw. 1904 und sind in ihrem Grundprinzip bis heute unverändert. Anlass für die Erstellung einer Kohlenhydrattabelle war es, den Kohlenhydratgehalt von Lebensmitteln ermitteln zu können und kohlenhydrathaltige Speisen gegeneinander austauschen zu können,um somit eine größere Variabilität der Nahrungsmittelauswahl zu ermöglichen. Dieses Prinzip ist bis heute gültig. Die Empfehlung für die erlaubte Kohlenhydratzufuhr lag in dieser Vorinsulinära bei 3 bis 6BE pro Tag. Die Umbenennung in „Broteinheit“ erfolgte auf Vorschlag von Dr. Gerhardt Katsch aus didaktischen Gründen, um in der damaligen „Diabetesdiät“ die Bezeichnung Weißbrot zu vermeiden. Dr. Erich Grafe und Dr. Georg R. Constam änderten zur Vereinfachung der Berechnung die zu berechnende Kohlenhydratmenge auf 10g Kohlenhydrate und prägten die „Kohlenhydrateinheit“.1 Bemängelt wurde an all den Broteinheiten- bzw. Kohlenhydrateinheitentabellen, dass sie lediglich Auskunft über den Kohlenhydratgehalt geben, ohne der Kohlenhydratqualität und der postprandialen Blutzuckerreaktion Beachtung zu schenken.

Der Arbeitskreis „Ernährung & Diabetes“ vom Verband der Diaetologen Österreichs publizierte nun ein neues Schulungstool (Abb. 1), das neben dem Kohlenhydratgehalt eines Lebensmittels auch die Qualität berücksichtigt (Tab.1). Als Kriterien für die Kohlenhydratqualität werden der glykämische Index (GI) und die Kohlenhydrat-zu-Ballaststoff-Ratio (KH:Bst-Ratio) in didaktisch ansprechender Form mit Ampelfarben und Smileys angeführt.

Tab. 1: Schulungstool des Verbands der Diaetologen Österreichs für Brot und Gebäck

Abb. 1: Neues Schulungstool des Arbeitskreises „Ernährung & Diabetes“ vom Verband der Diaetologen Österreichs

Die Einteilung des GI erfolgt in niedrigen GI (<55; in Grün dargestellt), mittleren GI (56–69, in Orange) und hohen GI (>70; in Rot) bzw. für die KH:Bst-Ratio (mind. 1g Ballaststoffe pro 10g KH) in hohen Ballastoffgehalt (<10; grüner Smiley), mittleren Ballaststoffgehalt (11–19; oranger Smiley) und niedrigen Ballaststoffgehalt (>20; roter Smiley).

Ist durch die Qualitätskriterien GI und KH:Bst-Ratio alles geklärt?

Für jede Lebensmittelgruppe werden zusätzliche Faktoren mit Einfluss auf den Blutzuckerverlauf, die durch GI und KH:Bst-Ratio nicht zur Gänze ausgewiesen sind, als Expert*innentipp in einer Infobox ergänzt.

So wird beispielsweise auf den Einfluss des Protein- und Fettgehalts in einem Lebensmittel bzw. einer Mahlzeit eingegangen. Für verarbeitete Lebensmittel wie Brot, Gebäck, Müslimischungen und Süßigkeiten ist der GI schwer bestimmbar und als alleiniger Prädiktor für die postprandiale Reaktion zu wenig aussagekräftig.

Die zusätzliche Angabe des Ballaststoffgehalts lässt eine genauere Qualitätseinschätzung des Lebensmittels zu. Dabei ist der Vermahlungsgrad des Korns entscheidend. Grobkörniges Vollkornbrot lässt den Blutzucker langsamer ansteigen als Produkte aus fein vermahlenem Vollkornmehl oder als mit Kleie versetzte Weißmehlprodukte, wie Vollkorntoastbrot oder Vollkornteigwaren.

Mangels valider Daten wird der GI bei einigen traditionellen österreichischen Lebensmitteln nicht angegeben. Mithilfe von Infoboxen und dem Ballaststoffgehalt kann dennoch die Qualität des Lebensmittels mit anderen verglichen werden.

Milch und Milchprodukte haben einen niedrigen GI, sofern es sich um Produkte ohne Zuckerzusatz handelt. Sie enthalten keine Ballaststoffe, wodurch keine Angabe der KH:Bst-Ratio möglich ist. Durch ihren Gehalt an Eiweiß, Kalzium,VitaminD und Milchsäurebakterien zählen sie zu den Lebensmitteln mit hohem Nährstoffgehalt und wirken sich in naturbelassener Form sogar günstig auf den Blutzucker aus. In Kombination mit Obst gegessen, reduzieren Milchprodukte den glykämischen Anstieg, der durch die Früchte verursacht wird.

Fruchtsäfte haben aufgrund ihrer raschen, aber kurz andauernden Blutzuckerauswirkung einen niedrigen GI, was zu Fehlinterpretationen führen kann und die Bewertung von Lebensmitteln nach dem GI limitiert. Um dies zu vermeiden, wurde bei Fruchtsäften und Süßungsmitteln auf die Angabe des GI und der KH:Bst-Ratio verzichtet.

Benefits der KE im Vergleich zur traditionellen BE für Patient*innen und das Diabetesteam

Die Ermittlung von Kohlenhydratportionen wird durch die Berechnung von Kohlenhydrateinheiten mit 10g, ausgehend von Nährwertangaben auf Lebensmitteln, im Vergleich zur Broteinheit mit 12g Kohlenhydraten deutlich erleichtert. Zudem bieten moderne Pumpen- und Blutzuckermesssysteme bereits in ihrer Grundeinstellung die Möglichkeit, die gegessenen Mahlzeiten nicht mehr in Einheiten, sondern vereinfacht in Gramm an Kohlenhydraten einzugeben. Damit ersparen sich sowohl betreuende Ärzt*innen als auch Patient*innen einen Rechenschritt.

Zudem bietet die Kohlenhydrateinheit die Möglichkeit, über die Ländergrenzen hinaus Patient*innen mit Diabetes zu betreuen, die in ihren ursprünglichen Heimatländern auf das dort meist übliche System mit 10g Kohlenhydraten geschult wurden. Dadurch kann leichter auf fremdsprachige Kohlenhydratlisten und Schulungsmaterialien zurückgegriffen werden. Vorhandene strukturierte Schulungsprogramme (z.B. PRIMASaus Deutschland), deren Einsatz auch in den Leitlinien empfohlen werden, können mit den Kohlenhydrateinheiten 1:1 auch in Österreich eingesetzt werden.2 Angaben von Broteinheiten auf Lebensmittelverpackungen sind erfahrungsgemäß nicht immer richtig berechnet und irreführend für Konsument*innen. Kohlenhydrateinheiten können mithilfe der Kohlenhydratangabe in Gramm auf Verpackungen rasch und meist ohne Taschenrechner berechnet werden.

Einfluss der Berechnung von KE auf die Therapieeinstellung

Praxistipp
Angaben von Broteinheiten auf Lebensmittelverpackungen sind nicht immer richtig. Kohlenhydrateinheiten können mithilfe der Kohlenhydratangabe in Gramm auf Verpackungen rasch und einfach berechnet werden.

Die Entscheidung, welche Therapieform und in weiterer Folge welche Berechnungsweise für Patient*innen optimal ist, obliegt dem betreuenden Diabetesteam und sollte individuell getroffen werden. Es gilt zu berücksichtigen, dass bestehende Insulin-zu- Kohlenhydratfaktoren (z.B. Gramm KH/IE bzw. IE pro KE oder BE) entsprechend ärztlich adaptiert werden müssen, wenn eine Umstellung von einer bereits bestehenden Rechenweise mit 12g Kohlenhydraten auf 10g erfolgt. Bei Patient*innen mit Insulinpumpen der modernen Generation kann dieser Schritt übersprungen werden. Dabeibietet sich die Eingabe in „Gramm Kohlenhydrate“ in die Pumpe an ohne einen weiteren Umrechnungsschritt zur KE oder BE. Die Schulung und Therapieeinstellung auf die Kohlenhydrateinheiten werden in den kommenden Jahren voraussichtlich parallel zum gewohnten System der Broteinheiten verlaufen und für Patient*innen individuell entschieden werden. Sinnvoll erscheint die Schulung auf Kohlenhydrateinheiten v.a. bei Neumanifestation und Ersteinstellung. Eckpunkte für eine erfolgreiche Behandlung sind die Individualisierung und Flexibilisierung der medizinischen Ernährungstherapie. Diese sollen die Diabetesform, pharmakologische und technologische Therapieformen, Begleit- und Folgeerkrankungen des Einzelnen sowie persönliche und soziale Aspekte berücksichtigen. Dieses Konzept ist bereits in der ÖDG-Leitlinie 2019 mit der Forderung, „keine One-size-fits-all-Lösungen“ anzudenken, verankert.3

Fazit

Die Kohlenhydrattabelle ist ein innovatives Schulungstool für:

  • Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1, Typ 2, anderen spezifischen Diabetesformen, Gestationsdiabetes und prandialer Insulintherapie,

  • Menschen,bei denen eine ernährungstherapeutische Relevanz der Kohlenhydratzufuhr besteht, wie Personen mit einer metabolisch assoziierten Fettleber (MAFLD) oder einer inkretininduzierten Hyperinsulinämie,

  • sportlich aktive Personen in Phasen, in denen die Qualität und Quantität der Kohlenhydratzufuhr von besonderer Relevanz sind, z.B. in der Vorbereitung auf Wettkämpfe oder im Ausdauersport.

Die Kohlenhydrattabelle ist als Bestandteil des Gesamtkonzepts der diätologischen Schulung im Sinne des DSME/S4 zu sehen. Sie gibt Auskunft über Quantität und Qualität der Kohlenhydrate und ist eine wertvolle Grundlage zur Evaluierung der Kohlenhydratmenge in der individuellen Portion. Sie unterstützt Betroffene in deren Autonomie, indem dadurch postprandiale Reaktionen auf konsumierte kohlenhydrathaltige Gerichte und erforderliche Therapieintervention(en), wie die quantitative und zeitliche Planung der Insulinapplikation, gezielter abgeschätzt werden können.


Die neue Kohlenhydrattabelle ist über den Verband der Diaetologen bestellbar: www.diaetologen.at ; office@diaetologen.at

1 Oyen D et al.: Zur Geschichte der Diabetesdiät. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag, 1985. 197-202 2 Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim: PRIMAS. https://www.primas-schulungsprogramm.de/PRIMAS ; zuletzt aufgerufen am 19.5.2022 3 Kautzky-Willer A et al.: Diabetes mellitus – Anleitungen für die Praxis. Überarbeitete und erweiterte Fassung 2019. www.oedg.at/pdf/Diabetes-mellitus-Anleitungen-fuer-die-Praxis-2019.PDF ; zuletzt aufgerufen am 19.5.2022 4 Powers MA et al.: Diabetes self-management education and support in type 2 diabetes: A joint position statement of the American Diabetes Association, the American Association of Diabetes Educators and the Academy of Nutrition and Dietetics. J Acad Nutr Diet 2015; 115(8): 1323-34

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