
Kognitive Einschränkungen und Demenzerkrankung bei Diabetes mellitus
Autorin:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner
Fachärztin für Innere Medizin Landeskrankenhaus Hochzirl
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Sowohl Typ-2-Diabetes (T2D) wie auch Demenzerkrankung zeigen eine deutliche Zunahme der Prävalenz im höheren Lebensalter.1 Entspre-chend den Ergebnissen großer epidemiologischer Untersuchungen besteht bei älteren Menschen mit T2D ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung kognitiver Defizite bzw. einer Demenzerkrankung.
Keypoints
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Für die Therapieplanung ist die diagnostische Erfassung kognitiver Einschränkungen wichtig zur Festlegung der Therapieziele, des Behandlungsregimes und um das Risiko für diabetische Komplikationen zu verringern.
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Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes fand sich in Langzeitauswertungen von Studien kein Hinweis auf ein Auftreten kognitiver Defizite.
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Bei Typ-2-Diabetes besteht ein bis zu 4-fach erhöhtes Risiko für eine vaskuläre Demenz, das Risiko für eine Alzheimerdemenz ist um das 1,5- bis 2-Fache erhöht.
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Ein Screening auf das Vorliegen kognitiver Einschränkungen ist für das Diabetesbehandlungskonzept wichtig.
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Zu strikte glykämische Zielwerte sind wegen des Hypoglykämierisikos zu vermeiden.
Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten bedeuten für Menschen mit Diabetes mellitus eine gravierende Erschwernis im Management ihrer Erkrankung. Für die Therapieplanung ist die diagnostische Erfassung kognitiver Einschränkungen wichtig im Hinblick auf die Festlegung der Therapieziele und des Behandlungsregimes, auch um das Risiko für diabetische Komplikationen, wie Hypoglykämien, zu verringern. In der folgenden Übersicht werden epidemiologische Daten, die möglichen pathophysiologischen Einflussfaktoren sowie die Empfehlungen bezüglich der Diabetestherapie zusammengefasst.
Epidemiologie
Studiendaten zeigen auf, dass bei Diabetes mellitus das Risiko für die Entwicklung einer vaskulären und auch einer Alzheimerdemenz erhöht ist.1,2 Dabei unterscheidet sich jedoch die Datenlage bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes wesentlich.
Für Patienten mit Typ-1-Diabetes fand sich in den Langzeitauswertungen der DCCT- bzw. EDIC-Studie über einen Beobachtungszeitraum von 18 Jahren kein Hinweis auf ein Auftreten kognitiver Defizite.3 Hohe HbA1c-Werte waren allerdings mit einer Neigung zu psychomotorischer Verlangsamung assoziiert.
Bei T2D besteht ein bis zu 4-fach erhöhtes Risiko für eine vaskuläre Demenz, das Risiko für eine Alzheimerdemenz ist um das 1,5- bis 2-Fache erhöht. Frauen mit Diabetes weisen ein 2,3-fach erhöhtes Risiko für eine vaskuläre Demenz auf, Männer mit Diabetes ein 1,7-fach erhöhtes Risiko.4 Als mögliche Ursache für das erhöhte Demenzrisiko bei T2D werden die beiden Erkrankungen zugrunde liegenden pathophysiologischen Faktoren wie die Insulinresistenz, aber auch das erhöhte Atheroskleroserisiko infolge der Hyperglykämie, Dyslipidämie und Hypertonie angeführt.1
In der ACCORD-MIND(Memory in Diabetes)-Studie korrelierten bei Patienten mit T2D höhere HbA1c-Werte mit einem schlechteren Outcome in den neuropsychologischen Tests zur Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit.5
Die Ergebnisse aus Langzeitstudien, wie der Australian Diabetes Obesity and Lifestyle Study, weisen darauf hin, dass bereits eine prädiabetische Stoffwechsellage zu einer Verschlechterung der kognitiven Funktion im höheren Lebensalter führen kann.6
Pathophysiologische Faktoren
PraXiStiPP
Häufig ist die Einbeziehung der Familie bzw. des Betreuungsumfelds notwendig. Zu strikte glykämische Zielwerte sind wegen des Risikos für Hypoglykämien zu vermeiden.Eine Reihe von pathophysiologischen Faktoren wird als ursächlich für das erhöhte Demenzrisiko bei Diabetes diskutiert. Vor allem für die vaskuläre Demenz sind die Risikofaktoren Hypertonie, Dyslipidämie und Hyperglykämie von Bedeutung.1 Makro- und mikroangiopathische Schäden führen in der Folge zu ischämischen intrazerebralen Veränderungen.
Die Demenzerkrankung erhöht bei älteren Diabetikern das Hypoglykämierisiko, umgekehrt führt das Auftreten von Hypoglykämien zu einem erhöhten Demenzrisiko.7 Auch die subklinische Inflammation infolge einer Hyperglykämie wird als pathophysiologischer Faktor diskutiert.1 In Studien dokumentiert ist die Assoziation eines ApoE4-Genotyps mit dem Demenzrisiko bei T2D.8
Die Insulinresistenz zählt neben der beeinträchtigten Insulinsekretion zu den grundlegenden pathophysiologischen Faktoren für den T2D. Diskutiert wird auch der Stellenwert einer gestörten Insulinwirkung im Zentralnervensystem (zerebrale Insulinresistenz) in der Entwicklung einer Demenzerkrankung.9 Insulin weist zahlreiche intrazerebrale Effekte auf (Abb. 1). Bei einer Wirkbeeinträchtigung von Insulin im Rahmen einer Insulinresistenz sind komplexe metabolische Effekte, aber auch eine Reduktion der Insulin-unterstützten neuronalen Aktivitäten möglich. Bei Patienten mit T2D und kognitiven Einschränkungen führte eine intranasale Insulingabe zu einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten.10
Als weiterer wichtiger Risikofaktor für eine Demenzerkrankung gilt eine depressive Störung, wobei Menschen mit Diabetes per se ein erhöhtes Depressionsrisiko aufweisen.11 In der rezent publizierten Edinburgh Type 2 Diabetes Study war bei Auftreten einer Depression das Demenzrisiko bei Typ-2-Diabetikern im Alter zwischen 60 und 75 Jahren während eines Beobachtungszeitraums von 10 Jahren um das 2,5-Fache erhöht.12
Bedeutung für die klinische Praxis
Eine gesteigerte Awareness für die Problematik der Demenzerkrankung bei älteren Menschen mit Diabetes wie auch die Einbeziehung von Screening auf das Vorliegen kognitiver Einschränkungen sind wichtige Punkte im Diabetesbehandlungskonzept. Die weiterführende Diagnostik und Therapie der Demenzerkrankung erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Diabetologen und Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie.
Im Rahmen des sogenannten umfassenden geriatrischen Assessments erfolgt die Erhebung der kognitiven Fähigkeiten meist anhand des MMSE („mini-mental state examination“) und des Uhrentests. Ein Screening auf das Vorliegen einer Depression ist auch zum Ausschluss einer Pseudodemenz empfehlenswert.13
Therapie
Grundsätzlich zu berücksichtigen sind die Auswirkungen einer kognitiven Einschränkung auf das Selbstmanagement des Diabetes wie die Blutzuckerselbstkontrollen und die Umsetzung der medikamentösen Therapieempfehlung. Therapieschemata, vor allem die Insulintherapie betreffend, müssen einfach und im Alltag umsetzbar sein.13 Häufig ist dabei die Einbeziehung der Familie bzw. des Betreuungsumfelds (Hauskrankenpflege) notwendig. Die strukturierte Diabetikerschulung sollte den Patienten zentrale Inhalte in einer gut verständlichen Form übermitteln.14
Die Therapieziele werden entsprechend den Leitlinienempfehlungen internationaler und nationaler Fachgesellschaften bei älteren Patienten an die individuellen Bedürfnisse angepasst. Dies betrifft vor allem auch das Vorliegen kognitiver Einschränkungen. Zu strikte glykämische Zielwerte sind wegen des Risikos für Hypoglykämien zu vermeiden.
Hinsichtlich präventiver Maßnahmen sind für den T2D wie auch die Demenzerkrankung Empfehlungen zum gesunden Lebensstil grundlegend. Bewegungs- und Sportprogramme haben sowohl günstige Effekte auf die metabolische Kontrolle bei Diabetes mellitus wie auch auf die kognitive Leistungsfähigkeit.15 In Bezug auf den Einfluss von Ernährungsfaktoren konnten Studien Vorteile einer mediterranen Ernährung auf die kognitive Leistungsfähigkeit aufzeigen.16
Ob einzelne antidiabetische Medikamente neben der Verbesserung der glykämischen Kontrolle auch spezifische Effekte auf die Entwicklung einer Demenzerkrankung haben, bleibt Gegenstand von Diskussionen. Für Metformin weisen Studien und Metaanalysen auf einen möglichen präventiven Effekt auf kognitive Einschränkungen hin.17
Literatur:
1 Biessels GJ et al.: Nat Rev Endocrinol 2018; 14: 591-604 2 Ott A et al.: Neurology 1999; 53: 1937-42 3 Diabetes Control and Complications trial/Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications Study Research Group: N Engl J Med 2007; 356: 1842-52 4 Chatterjee S et al.: Diabetes Care 2016; 39: 300-7 5 Cuckierman-Yaffe T et al.: Diabetes Care 2009, 32: 221-6 6 Abstey KJ et al.: Alzheimer Res Ther 2015; 7: 48-59 7 Kim YG et al.: Diabetes Metab J 2020; 44: 125-33 8 Hsiung GY et al.: Can Med Assoc J 2004; 171: 863-7 9 Arnold SE et al.: Nat Rev Neurol 2018; 14: 168-81 10 Novak V et al.: Diabetes Care 2014; 37: 751-9 11 Anderson RJ et al.: Diabetes Care 2001; 24: 1069-78 12 Carr AL et al.: Diabetologia 2021; 64: 448-57 13 Abrahamian H et al.: Wien Klin Wochenschr 2019; 131 (Suppl 1): S186-S195 14 Biessels GJ et al.: Diabetologia 2010; 63: 3-9 15 Callisaya M et al.: J Alzheimers Dis 2017; 59: 503-13 16 Roman GC et al.: Rev Neurol 2019; 175: 724-41 17 Campbell JM et al.: J Alzheimers Dis 2018; 65: 1225-36