
Internationale klinische Top-Forschung im kardiometabolischen Bereich
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Alexander Vonbank, PhD MBA
Innere Medizin I mit Kardiologie, Angiologie,
Endokrinologie, Diabetologie & Intensivmedizin
Akademisches Lehrkrankenhaus, Feldkirch
E-Mail: alexander.vonbank@lkhf.at
Auf dem ÖDG-Kongress 2024 vom 14. bis 16.11.2024 in Salzburg wurden im Rahmen der „Science“-Sitzung wichtige Studien im Bereich Diabetes, kardiovaskuläres Risiko und metabolische Funktionsstörungen präsentiert. Das kardiovaskuläre Risiko bleibt auch im Jahr 2025 von großer Bedeutung, da Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiterhin eine der führenden Ursachen für höhere Morbidität und Mortalität weltweit sind.
Keypoints
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Niedrigere Blutdruckzielwerte (120–129 mmHg systolisch) sind für die Prävention kardiovaskulärer Ereignisse sinnvoll und in den ESC-Hypertonie-Leitlinien von 2024 verankert.
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Kann der Zielwert nicht erreicht werden, gilt das pragmatische ALARA-Prinzip: Der Blutdruck sollte so niedrig wie vernünftig erreichbar eingestellt werden.
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hsCRP, LDL-C und Lp(a) sind wichtige unabhängige kardiovaskuläre Risikoparameter.
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Bereits durch eine einmalige Bestimmung der Parameter kann es zu einer signifikanten Verbesserung der Beurteilung des kardiovaskulären Risikos kommen.
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Neue medikamentöse Therapieoptionen wie Lp(a)-Senker sind teilweise in Studien bereits in Erprobung.
Die große Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird durch kontinuierliche Forschung und prominente Studien unterstrichen, die darauf abzielen, neue Erkenntnisse und Therapien zur Prävention und Behandlung dieser Erkrankungen zu entwickeln.
Niedrige Blutdruckzielwerte sinnvoll?
Die Blutdrucksenkung ist eine der effektivsten Methoden, kardiovaskuläre Ereignisse zu vermeiden. Die Reduktion des systolischen Blutdrucks auf <140mmHg war bereits seit Längerem ein etabliertes Ziel. Unklar war bisher, ob eine Senkung auf <120mmHg systolisch zusätzliche Vorteile bringt. Studien wie der Systolic Blood Pressure Intervention Trial (SPRINT) haben gezeigt, dass eine intensivere Blutdrucksenkung zu einer signifikanten Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen führen kann. Dies gilt sowohl für Patienten mit als auch solche ohne Diabetes oder vorhergegangenen Schlaganfall. Hingegen zeigten die ACCORD-Studie und die RESPECT-Studie keinen klaren Vorteil hinsichtlich Diabetes bzw. Schlaganfall.
In einer 2024 von Liu J et al. publizierten Studie wurde die Senkung des systolischen Blutdrucks unter 120mmHg im Vergleich zu unter 140mmHg bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko mit bzw. ohne Diabetes oder vorhergegangenen Schlaganfall untersucht. Es wurden dabei 11255 Probanden über 50 Jahre mit einem systolischen Blutdruck von 130–180mmHg und einem hohen kardiovaskulären Risiko (Alter >60, Diabetes mellitus, Dyslipidämie oder Rauchen) in zwei Gruppen randomisiert; eine mit angestrebter Senkung des systolischen Blutdrucks auf unter 120mmHg und eine mit Senkung auf unter 140mmHg. Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus Myokardinfarkt, Revaskularisation, Hospitalisation aufgrund von Herzinsuffizienz oder Schlaganfall und kardiovaskulärem Tod.
Das durchschnittliche Alter lag bei 65 Jahren, knapp 41% waren Frauen und 39% hatten einen Diabetes mellitus. Die Prävalenz einer koronaren Herzerkrankung (KHK) oder eines Schlaganfalls lag bei rund 30%. Insgesamt zeigten sich weniger kardiovaskuläre Ereignisse in der Gruppe mit dem Blutdruckziel unter 120mmHg, unabhängig vom Status bezüglich Diabetes mellitus oder Schlaganfall (Abb. 1). Diesbezüglich wurden am ESC-Kongress 2024 auch neue Hypertonie-Leitlinien präsentiert.
Der neue Zielwert von 120–129mmHg für den systolischen Blutdruck sollte bei (fast) allen Personen innerhalb von 3 Monaten mit nichtmedikamentösen oder medikamentösen Maßnahmen erreicht werden. Kann der Zielwert nicht erreicht werden, gilt das pragmatische ALARA-Prinzip („as low as reasonably achievable“): Der Blutdruck soll so niedrig wie vernünftig erreichbar eingestellt werden.
Inflammation, Cholesterin, Lp(a) – langfristiger Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko?
Es ist mittlerweile unumstritten, dass ein erhöhtes LDL-Cholesterin einen Einfluss auf das kardiovaskuläre Risiko hat. Die neuen Leitlinien empfehlen, Lp(a) und hsCRP zu messen. CRP gilt als Marker für vaskuläre Inflammation. Lp(a) wird als genetisch determinierte Lipidfraktion betrachtet. Hohe Lp(a)-Werte sind ebenfalls mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden.
Aktuell laufen drei große Studien, die zeigen, dass die Inflammationskontrolle zu einer Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse führen kann. Studien zur Lp(a)-Senkung sind ebenfalls noch im Gange und sollen weitere Erkenntnisse liefern. Langzeitdaten für diese beiden Marker fehlen allerdings noch. Eine weiterer wichtiger Punkt ist, dass insbesondere bei Frauen eine KHK oft unterdiagnostiziert ist und infolgedessen auch zu wenig behandelt wird.
In einer im August 2024 von Ridker et al. veröffentlichten Studie wurde der Einfluss der Parameter Inflammation, Cholesterin und Lp(a) auf das 30-jährige kardiovaskuläre Risiko bei Frauen untersucht. Es ging dabei um die Frage, ob die Messung dieser Parameter ein nützliches Tool für das kardiovaskuläre Lebenszeitrisiko ist.
Es wurden dabei Daten aus der Women’s Health Study ausgewertet, in die zwischen 1992 und 1995 39876 Patientinnen eingeschlossen worden waren. Als primärer Endpunkt wurden ein schweres vaskuläres Ereignis, Myokardinfarkt, Schlaganfall, eine Bypassoperation oder eine Herzkatheteruntersuchung gewählt. Schlussendlich wurden 27939 Patientinnen, bei denen eine Blutprobe vorhanden war, in die Analyse mit eingeschlossen.
Zum Einschlusszeitpunkt lag das durchschnittliche Alter bei 54,7 Jahren. 25% hatten eine diagnostizierte arterielle Hypertonie, bei 12% lag ein Nikotinabusus vor und bei 2,5% ein Diabetes mellitus. Bei 14,4% war in der Familienanamnese bei zumindest einem Elternteil ein Myokardinfarkt vor dem 65.Lebensjahr aufgetreten, 94% waren einer Ethnizität mit weißer Hautfarbe zuzuordnen. Der mittlere BMI lag bei 25,9kg/m2.
In einer Korrelationsanalyse lag nur eine minimale Korrelation zwischen den Biomarkern hochsensitives CRP (hsCRP), LDL-Cholesterin (LDL-C) und Lipoprotein(a) (Lp[a]) vor. Der Spearman-Korrelationskoeffizient von hsCRP und LDL-C lag bei 0,08, von LDL-C und Lp(a) bei 0,17 und von hsCRP und Lp(a) bei 0,01. Das Follow-up dauerte insgesamt 30 Jahre und es wurden 3662 Ereignisse registriert. Der Vorhersagewert aller drei Parameter war jeweils unabhängig von klassischen Risikofaktoren und den anderen beiden Parametern.
Praxistipp
Die Biomarker hsCRP, LDL-C und Lp(a) zeigen sich in o. a. Studie als langfristig besonders aussagekräftig hinsichtlich des Vorliegens eines kardiovaskulären Risikos, da bisherige Analysen nur das 10-Jahres-Risiko beurteilt haben.Die Analysen zeigten, dass die Ergänzung eines 2. oder 3. dieser Biomarker unabhängig die Vorhersagekraft in Bezug auf ein kardiovaskuläres Ereignis verbessert. Am deutlichsten wurde die präventive Bedeutung, wenn Frauen in der jeweils obersten Quintile (mit den höchsten Ausgangswerten) von hsCRP, LDL-C und Lp(a) analysiert wurden. Die Prädiktion war konsistent für die verschiedenen Komponenten des primären Endpunktes (Abb. 2).
Eine besondere Stärke der Studie ist die lange Zeit der Nachverfolgung. Bisherige Modelle beurteilten jeweils das 10-Jahres-Risiko.
Abb. 2: Kumulative Effekte der Biomarker auf die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse: Gezeigt wird die gemeinsame Wirkung der Spiegel von hochsensitivem C-reaktivem Protein (CRP) und LDL(„low density lipoprotein“)-Cholesterin (A), von hochsensitivem CRP und Lipoprotein(a) (B) sowie von LDL-Cholesterin- und Lipoprotein(a)-Spiegeln (C) auf die kumulative Inzidenz erster schwerer kardiovaskulärer Ereignisse in 30 Jahren bei anfänglich gesunden Frauen (altersadjustiert und adjustiert nach konkurrierenden Risiken). Die Grafik in jedem Feld zeigt die kumulative Inzidenz, je nachdem, ob die Ausgangswerte der gepaarten Biomarker auf oder über den Schwellenwerten von 2mg/l für hochsensitives CRP, 130mg/dl für LDL-Cholesterin und 40mg/dl für Lipoprotein(a) oder unter diesen Schwellenwerten lagen. Die alternative Verwendung von Lipoprotein(a)-Schwellenwerten von 30 oder 50mg/dl hatte nur minimale Auswirkungen auf diese Beobachtungen. Die Einschübe in jedem Panel zeigen die gleichen Daten auf einer erweiterten y-Achse (modifiziert nach Ridker P et al. 2024)
Fazit & Ausblick
Interessant ist, dass es mit einer einmaligen Bestimmung der breit verfügbaren Serumparameter hsCRP, LDL-C und Lp(a) zu einer signifikanten Verbesserung der Risikobeurteilung kommt. Alle drei Parameter betreffen Gebiete der Pathogenese der Atherosklerose, die durch spezifische Therapieansätze beeinflussbar sind. Dies ist bisher für das LDL-C am besten dokumentiert, aber es laufen bereits Studien im Bereich der Inflammationskontrolle und Lp(a)-Senkung. Lp(a)-Senker befinden sich in Phase-III-Studien. Erste stichhaltige Ergebnisse werden bis Ende dieses Jahres erwartet und mit ersten beschränkten Zulassungen ist bis Ende 2026 zu rechnen. In den bisherigen Analysen zeigte sich unter Lp(a)-Senkern eine bis zu 90%ige Senkung des Lp(a).
In den USA ist Colchicin für Patienten mit Atherosklerose und erhöhtem CRP zugelassen. Weitere Angriffspunkte wie Interleukin 6 sind ebenfalls in klinischer Erprobung.
Literatur:
● Liu J et al.: Lowering systolic blood pressure to less than 120 mm Hg versus less than 140 mm Hg in patients with high cardiovascular risk with and without diabetes or previous stroke: an open-label, blinded-outcome, randomised trial. Lancet 2024; 404(10449): 245-55 ● McEvoy JW et al.: 2024 ESC Guidelines for the management of elevated blood pressure and hypertension. Eur Heart J 2024; 45(38): 3912-4018 ● Ridker P et al.: Inflammation, cholesterol, lipoprotein(a), and 30-year cardiovascular outcomes in women. N Engl J Med 2024; 391(22): 2087-97
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