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Ältere Menschen mit Diabetes

Individualisierte Diabetestherapie gefragt

Bei älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes (T2D) ist es wichtig, in der Therapie auf deren Komorbiditäten und die Lebenserwartung Rücksicht zu nehmen. Dabei bewähren sich insbesondere die neueren Antidiabetika, wie SGLT2-Inhibitoren (SGLT2-I) und GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA).

Keypoints

  • Metformin ist für viele ältere Patienten geeignet, Dosisanpassungen sind bei einer eGFR <45ml/min/1,73m2 vorgesehen, bei einer eGFR <30ml/min/1,73m2 ist Metformin kontraindiziert.

  • Ein Überlebensvorteil bei Metformin zeigt sich nicht nur durch die Glukosesenkung, sondern auch in der Reduktion der Insulinresistenz.

  • Das HbA1c-Ziel kann bei älteren Menschen individualisiert gesetzt werden

  • Für SGLT2-I und GLP-1-RA liegen Daten für eine signifikante Reduktion des kombinierten Endpunkts MACE vor – nicht für DPP-4-Inhibitoren.

Lebenserwartung bei Patienten mit Diabetes verbessert

Die Lebenserwartung ist in Österreich auch im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts weiter gestiegen und nahm für Männer im Vergleich zum Zeitraum 2000/02 um 2,4 Jahre zu, bei Frauen um 1,8 Jahre. Damit liegt Österreich im europäischen Durchschnitt. Menschen zwischen 60 und 79 sind die Population, in der in den kommenden Jahren der stärkste Anstieg der Diabetesprävalenz erwartet wird. Aktuell haben rund 20% der Menschen im Alter zwischen 70 und 79 Jahren Diabetes, so Univ.-Prof. Dr. Guntram Schernthaner von der Medizinischen Universität Wien.

Erfreulicherweise zeigten jedoch schon vor mehr als zehn Jahren Daten aus der Framingham-Studie, dass die Lebenserwartung von Patienten mit Diabetes im Vergleich zum Zeitraum von vor 1975 deutlich verbessert werden konnte. Die Steigerung der Lebenserwartung war ausgeprägter als in der nichtdiabetischen Bevölkerung.1 Daten aus den USA zeigen, dass für die Jahre 2003 und 2004 sowohl die Gesamtmortalität als auch die kardiovaskuläre Mortalität von Diabetespatienten im Vergleich zu den Jahren 1997 und 1998 signifikant gesenkt werden konnte, während für die nichtdiabetische Bevölkerung dieser Effekt nicht nachweisbar war. Allerdings weisen die Daten für Menschen mit Diabetes nach wie vor ein höheres Sterberisiko auf als für Menschen ohne Diabetes.2

Schwedische Registerdaten zeigen allerdings, dass das erhöhte Mortalitätsrisiko vor allem bei jüngeren Diabetespatienten relevant ist, während in der Altersgruppe jenseits der 75 eine Diabeteserkrankung die Sterblichkeit nicht mehr erhöht.3

Therapie bei älteren Patienten

Schernthaner betont, dass die Betreuung älterer Menschen mit Diabetes eine besondere Herausforderung ist, was an häufiger kardiovaskulärer Komorbidität, häufig eingeschränkter Nierenfunktion und ebenfalls häufiger kognitiver Einschränkung oder Demenz liegt. Bei älteren Patienten ist die Hypoglykämiewahrnehmung oft eingeschränkt, was bei einer Therapie mit Insulin oder Sulfonylharnstoff (SH) problematisch werden kann. Dies muss bei der Therapiegestaltung berücksichtigt werden. Eine US-Studie zeigt, dass in einem Kollektiv älterer Diabetespatienten mehr als 50% unter mindestens zwei Komorbiditäten litten. Bei Patienten ab 75 war das Risiko, mindestens drei Komorbiditäten aufzuweisen, viermal höher als bei 50-Jährigen.4 Problematisch ist die bei älteren Menschen häufig eingeschränkte Nierenfunktion, da diese mit einem deutlich erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz, kardiovaskulären Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall assoziiert ist.5

Mit dem Alter steigt das Hypoglykämierisiko, was die Einstellung älterer Patienten auf strenge glykämische Zielwerte erschwert. Daten aus Großbritannien zeigen mit dem Alter eine starke Zunahme der Hospitalisierungen wegen Hypoglykämie.6 Erfreulicherweise tragen neue Therapien zu einer Verbesserung dieser Situation bei. Das betrifft nicht nur die Einführung neuer Substanzgruppen wie der SGLT2-I, sondern auch neue Substanzen innerhalb altbekannter Gruppen. So ist das Risiko für schwere Hypoglykämien mit dem alten SH Glyburid mehr als fünfmal höher als mit dem modernen Gliclazid.7 Sowohl die kardiovaskuläre Mortalität als auch die Gesamtmortalität sind unter Gliclazid signifikant niedriger als unter älteren SH.8 Daten aus Großbritannien zeigen, dass die Verschreibung von SH in der Altersgruppe über 80 seit 1990 kontinuierlich zurückgeht, während immer mehr alte Menschen mit Metformin behandelt werden. Gleichzeitig verbesserte sich das Management der Komorbiditäten mit mehr Verordnungen von Antihypertensiva und Statinen.9 Schernthaner betont, dass die Zurückhaltung gegenüber Metformin bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion weitgehend aufgegeben werden konnte. In den meisten Ländern wird eine Dosisanpassung unterhalb einer eGFR von 45ml/min/1,73m2 empfohlen. Unter 30ml/min/1,73 m2 besteht eine Kontraindikation. Allerdings zeigt eine Studie aus Kanada, dass bis zu 27% der Patienten mit chronischer Nierenerkrankung im Stadium 4 bis 5 nach wie vor Metformin erhielten – ungeachtet der zum Teil bestehenden Kontraindikation. Insgesamt ist der verstärkte Einsatz von Metformin gerechtfertigt, wie eine rezente Metaanalyse zeigt, die eine Reduktion der Gesamtmortalität um 26% durch Metformin fand.9 Ausschlaggebend dabei ist nicht nur die Glukosesenkung, die Metformin über eine Hemmung der Glukoneogenese in der Leber sowie eine Reduktion der Insulinresistenz bewirkt. Vielmehr wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche günstige Effekte von Metformin auf Herz, Gefäße und Darm nachgewiesen. Unter anderem beeinflusst Metformin die Mitochondrienfunktion im Myokard, die Blutgerinnung und das Darmmikrobiom.12

Moderate HbA1c-Ziele im Alter

In den letzten Jahren wurden die Gefahren durch Übertherapie erkannt, umso mehr, als eine strenge glykämische Einstellung bei alten Diabetespatienten nur noch geringen Einfluss auf das Überleben hat. Schwedische Registerdaten zeigen in der Altersgruppe über 75 keine Erhöhung der Gesamtsterblichkeit bei einem HbA1c bis zu 7,9%. Auch bei einem HbA1c bis zu 8,7% wurde lediglich eine Erhöhung der Mortalität um 15% gefunden. Dem steht ein deutlich erhöhtes Sterberisiko durch häufige Hypoglykämien gegenüber.3 Dennoch zeigen Daten aus den USA, dass selbst Patienten mit Demenz und eingeschränkter Nierenfunktion zumindest im Jahr 2015 noch auf Werte unter 7% eingestellt wurden.13 Im Gegensatz dazu wurde 2019 von Primary Care Diabetes Europe (PCDE) in einem Positionspapier eine Individualisierung der glykämischen Ziele für ältere Patienten gefordert. Vor einer zu niedrigen Zuckereinstellung wird gewarnt.14

Zu einem Paradigmenwechsel in der Diabetologie haben, so Schernthaner, die großen Studien zum kardiovaskulären Outcome geführt, die seit einigen Jahren von den Zulassungsbehörden für neue Antidiabetika vorgeschrieben werden. Diese zeigen für die SGLT2-I Empagliflozin und Canagliflozin sowie für die GLP-1-RA Liraglutid, Semaglutid, Albiglutid und Dulaglutid und für Pioglitazon signifikante Reduktionen eines kombinierten Endpunkts aus kardiovaskulärem Tod, nichttödlichem Myokardinfarkt und Schlaganfall (3-Point MACE, „major adverse cardiovascular events“). Im Gegensatz dazu konnte für keinen DPP4-Hemmer ein Effekt auf kardiovaskuläre Endpunkte gezeigt werden.15 Eine rezente Netzwerkmetaanalyse von 23 Studien zum kardiovaskulären Outcome zeigt keine Effekte von DPP-4-Hemmern auf kardiovaskuläre Outcomes. Die Arbeit erlaubt konkretere Abschätzungen der Effekte der Substanzgruppen. So erwiesen sich SGLT2-I im Vergleich zu GLP-1-RA als wirksamer in der Reduktion der Zahl von Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz sowie in renalen Endpunkten und gegen kardiovaskulären Tod. GLP-1-RA senken das Schlaganfallrisiko. Sowohl SGLT2-I als auch GLP-1-RA reduzieren Gesamtsterblichkeit und dieWahrscheinlichkeit für Myokardinfarkte sowie MACE (Abb.1).16 Ein Blick auf die in den Studien zum kardiovaskulären Outcome untersuchten Populationen macht diese Ergebnisse noch praxisrelevanter. Diese bestanden nämlich zu mehr als der Hälfte aus Patienten über 65 Jahre und Subgruppenanalysen zeigen, dass ältere Patienten in mindestens gleichem und zum Teil auch deutlich höherem Maß von den neuen Therapien profitieren als jüngere.18 Die Folgerung: Älteren Menschen mit T2D dürfen moderne Antidiabetika keinesfalls vorenthalten werden.

Abb. 1: Effekte von DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Inhibitoren auf kardiorenale Outcomes – eine Netzwerkmetaanalyse von 23 Studien zum kardiovaskulären Outcome (nach Giugliano D et al.: Cardiovascular Diabetology 2022)

„Stellenwert moderner/innovativer Diabetestherapien beim alten Menschen“, Keynote Lecture Univ.-Prof. Guntram Schernthaner im Rahmen der ÖDG-Frühjahrstagung am 22. April 2022 in Krems

1 Preis SR et al.: Circulation 2009; 119(13): 1728-35 2 Gregg EW et al.: Diabetes Care 2012; 35(6): 1252-7 3 Tancredi M et al.: N Engl J Med 2015; 373(18): 1720-32 4 Lynch CP et al.: J Gen Intern Med 2015; 30(1): 25-32 5 Udell JA et al.: Diabetes Care 2015; 38(4): 696-705 6 Zaccardi F et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2016; 4(8): 677-85 7 Tayek J: Diabetes Obes Metab 2008; 10(11): 1128-9 8 Simpson SH et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2015; 3(1): 43-51 9 Hamada S, Gulliford MC.: Age Ageing 2015; 44(4): 566-73 10 Clemens KK et al.: Diabetes Obes Metab 2016; 18(6): 607-14 11 Bergmark BA et al.: Circulation 2019; 140(12): 1004-14 12 Schernthaner G et al.: Metabolism 2022; 130: 155160 13 CT et al.: Diabetes Care 2015; 38(4): 588-95 14 Hambling CE et al.: Prim Care Diabetes 2019; 13(4): 330-52 15 Schernthaner G et al.: Clin Ther 2016; 38(6): 1288-98 16 Giugliano D et al.: Cardiovasc Diabetol 2022; 21(1): 42 17 Schernthaner G, Schernthaner-Reiter MH: Diabetologia 2018; 61(7): 1503-16

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