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Highlights vom SGGG-Jahreskongress in St. Gallen
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19.09.2019
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<p class="article-intro">Die Expertenbriefe der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG), gebündelt mit Fachwissen und Handlungsanleitungen zu medizinischen Therapien, sind ein beliebtes Informationsmittel. Im letzten Jahr wurden vier Expertenbriefe aktualisiert. Eine kurze Zusammenfassung erhalten Sie hier.</p>
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<p class="article-content"><h2>Impfvorsorge: Influenza und Pertussis im Fokus</h2> <p>Die neuen Empfehlungen zur Influenza- und Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft wurden zusammen mit der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) und der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie erarbeitet.<sup>1</sup> Mit der Influenza-Impfung soll die Frau, die in der Schwangerschaft anfälliger für Infektionen ist und ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe hat, geschützt werden. «Das Kind profitiert von der Impfung ebenfalls », sagte Prof. Dr. med. Daniel Surbeck, Chefarzt Geburtshilfe und fetomaternale Medizin am Universitätsspital Bern. Bei einer Influenza-Infektion der Mutter kommt es vermehrt zu Frühgeburten oder intrauterinen Wachstumsretardierungen. Darüber hinaus wird durch eine Impfung das Risiko des Säuglings, in den ersten 6 Monaten an Influenza zu erkranken, reduziert. <br />Die Influenza-Impfung gilt als sicher für Mutter und Kind. Der ideale Zeitpunkt dafür ist das 2. Trimester. Geimpft werden sollte von ca. Oktober bis April, vor bzw. während der Grippesaison. <br />Das Ziel der Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft ist der Schutz des Neugeborenen. Schwere Verläufe von Pertussis werden besonders häufig in den ersten 2–3 Lebensmonaten beobachtet. Ein ausreichender Schutz wird aber erst nach 2 Impfungen, d. h. im Alter von ca. 5–6 Monaten erreicht. Um eine ausreichende Menge von Antikörpern zu produzieren, die transplazentar übertragen werden, wird die Impfung im 2. oder 3. Trimester, spätestens jedoch 2 Wochen vor der Geburt empfohlen. «Durch die Impfung in der Schwangerschaft kann das Neugeborene zu 90 % vor einer Pertussis- Infektion geschützt werden», sagte Prof. Surbeck. Die schwangere Frau sollte darüber aufgeklärt werden, dass es nicht so viele Daten zur Sicherheit gibt wie bei der Influenza-Impfung. Man gehe aber davon aus, dass die Impfung sicher sei. «Wichtig ist, die Pertussis- Impfung bei jeder neuen Schwangerschaft zu wiederholen.»</p> <h2>Neuer Algorithmus zur Kalkulation des Präeklampsierisikos</h2> <p>Mit dem bisherigen Präeklampsie- Screening anhand der Vorgeschichte wurden ca. 40–50 % der Präeklampsiefälle vor der 37. Schwangerschaftswoche (SSW) erkannt. Mit einer Detektionsrate von 75–82 % ist der neue Algorithmus der Fetal Medicine Foundation (FMF) signifikant besser.<sup>2</sup> Die Risikokalkulation basiert neben anamnestischen maternalen Daten auf den mittleren Blutdruckwerten der Mutter (MAP), dem mittleren Pulsatilitätsindex der uterinen Arterien und dem Biomarker PIGF («placental growth factor », = proangiogenes Protein). Eine zusätzliche Bestimmung des PAPP-A («pregnancy associated plasma protein A») ist nicht notwendig. Der ideale Zeitpunkt für das FMF-Screening ist die 12. Woche. «Die Risikokalkulation lässt sich sehr gut mit den Ersttrimester-Tests kombinieren», sagte Prof. Surbeck. Frauen, die ein Präeklampsie- Risiko von 1 : 100 vor der 37. SSW haben, sollten eine Prophylaxe mit niedrig dosiertem Aspirin (100–150 mg am Abend) erhalten. Damit lassen sich gemäss der ASPRE-Studie zwei Drittel der Präeklampsien vor der 37. SSW und 82 % der Präeklampsien vor der 34. SSW vermeiden. Nicht wirksam war die Prophylaxe in der Studie bei Frauen mit einer chronischen Hypertonie.</p> <h2>Fertilitätsprotektion zum Teil krankenversicherungspflichtig</h2> <p>Die bevorzugte Methode zur Fertilitätsprotektion bei Frauen im postpubertären Alter sind die ovarielle Stimulation und anschliessende Kryokonservierung der Oozyten. Der Einsatz ist an eine ausreichende ovarielle Reserve, einen Gesundheitszustand, der eine gefahrlose Stimulation erlaubt, und genügend Zeit für die Durchführung geknüpft. Weniger Erfahrungen und Studiendaten existieren zur Kryokonservierung und Retransplantation von Ovarialgewebe zur Wiederherstellung der Fertilität. Die einfachste, sicherste und kostengünstigste Methode sind die Entnahme und Konservierung von Sperma zur Erhaltung der Fertilität bei Männern. Fertilitätserhaltende Massnahmen sind indiziert bei bösartigen und nicht bösartigen Erkrankungen, die zu Infertilität führen bzw. deren Therapie eine solche verursacht.<sup>3</sup> Ganz neu und deshalb noch nicht im Expertenbrief erwähnt ist, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei diesen Personen die Massnahmen zur Fertilitätsprotektion für krankenversicherungspflichtig erklärt hat. Daneben wird die Behandlung auch im Rahmen des «social freezing» eingesetzt. Netzeinlagen bei Senkungen kritisch hinterfragen Sogenannte Meshes werden in der Gynäkologie – namentlich in der Inkontinenztherapie – seit vielen Jahren mit Erfolg eingesetzt. Im Unterschied dazu haben Netzeinlagen in der Deszensustherapie in der Vergangenheit häufig zu Komplikationen geführt. Wegen ungenügender Studiendaten wurde bereits in älteren Expertenbriefen zu einem zurückhaltenden Einsatz von Netzen beim Prolaps geraten. An dieser Empfehlung wird auch im aktuellen Expertenbrief festgehalten.<sup>4</sup></p> <h2>Einfluss der Hormontherapie auf altersbedingte Veränderungen</h2> <p>Der Themenblock «Gesund altern» befasste sich u. a. mit der Hormonersatztherapie bei Frauen und Männern. Wie eine aktuelle Studie zeigte, leiden Frauen viel länger an klimakterischen Beschwerden, als man bisher angenommen hat. Im Mittel hielten die vasomotorischen Symptome, wie Hitzewallungen und Schwitzen, ca. 7,5 Jahre an.<sup>5</sup> Dabei zeichneten sich im Wesentlichen zwei Muster ab: Entweder setzten die Symptome erst nach der Menopause ein oder sie traten schon in der Prä- und Perimenopause auf und hielten dann insgesamt länger an. «Diese Muster müssen noch besser erforscht werden », sagte Prof. Dr. med. Vanadin Seifert- Klauss von der Technischen Universität München. Der bisherige Erklärungsansatz, dass allein der Östrogenmangel für die Symptome verantwortlich ist, sei unzureichend. <br />Die effektivste Behandlung der klimakterischen Beschwerden ist die Hormonersatztherapie. Diese führt nicht nur zu einer effektiven Reduktion vasomotorischer Symptome. Auch urogenitale Beschwerden, Schlafstörungen und depressive Symptome lassen sich positiv beeinflussen. Die kombinierte Hormonersatztherapie mit Östrogen und Gestagen schützt zudem vor Kolorektal- und Endometriumskarzinomen. «Wegen des positiven Einflusses auf die Knochengesundheit benötigen Frauen mit einer Hormonersatztherapie keine zusätzliche Osteoporoseprophylaxe », sagte die Gynäkologin.<sup>6</sup> <br />Widersprüchlich sind die Ergebnisse, was den präventiven Einfluss der Hormonersatztherapie auf demenzielle Erkrankungen wie die Alzheimerdemenz betrifft. In einer finnischen Untersuchung war das Alzheimerrisiko bei Frauen, die über 10 Jahre mit einer Hormonersatztherapie behandelt worden waren, leicht erhöht.<sup>7</sup> Dagegen war die Alzheimer- bedingte Sterberate bei Frauen, die in einer Studie der Women’s Health Initiative (WHI) mit einer Hormonersatztherapie behandelt wurden, reduziert.<sup>8</sup> Wie sich bei näherer Betrachtung der Interventions- und Langzeitergebnisse der WHI-Studie zeigte, hatte die Hormonersatztherapie vor allem dann einen positiven Einfluss auf die verschiedenen Dimensionen der Mortalität, wenn sie früh, d. h. vor einem Alter von 60 Jahren, begonnen wurde. «Um die Hormonersatztherapie zur alleinigen Prävention demenzieller oder auch kardiovaskulärer Erkrankungen einzusetzen, reicht die verfügbare Evidenz aber nicht aus», sagte Prof. Seifert-Klauss.</p> <h2>Testosteron-Mangel wird durch Übergewicht begünstigt</h2> <p>Anders als die Sexualhormone bei der Frau bleiben die Testosteronwerte bei Männern im Alter zwischen 40 und 69 Jahren weitgehend stabil.<sup>9</sup> «Trotzdem sieht man in der Praxis viele Männer mit niedrigen Testosteronwerten und inadäquat normalen Werten von luteinisierendem Hormon (LH)», sagte Prof. Dr. med. Michael Zitzmann vom Universitätsklinikum Münster. Ein solcher funktioneller Hypogonadismus ist oft mit Komorbiditäten wie Übergewicht, Diabetes und arterieller Hypertonie assoziiert. Wie die Ergebnisse der European Male Aging Study (EMAS) vor 10 Jahren gezeigt haben, trägt das Übergewicht entscheidend zur Entstehung eines funktionellen Hypogonadismus bei.<sup>10</sup> «Die Ursache der niedrigen Testosteronwerte ist nicht das Alter selbst, sondern die Gewichtszunahme im Alter», so Prof. Zitzmann. <br />Eine Testosteronsubstitution wird von der Europäischen Gesellschaft für Urologie empfohlen, wenn die Werte des Gesamttestosterons < 12,1 nmol/L oder die des freien Testosterons < 243 pmol/L sind und zusätzlich Symptome wie Libidoverlust, depressive Verstimmungen oder metabolische Veränderungen bestehen.<sup>10</sup> Anhand von Studien konnte gezeigt werden, dass die Hormonersatztherapie zu einer signifikanten Verbesserung der Testosteronwerte und der sexuellen Funktionen führt. Die Behandlung hatte zudem einen positiven Einfluss auf die körperlichen Funktionen und die Knochengesundheit.<sup>11, 12</sup> Die Testosteronsubstitution beeinflusst darüber hinaus den Glukosestoffwechsel und führt – wie eine ältere Studie zeigte – zu einem Verlust an Fett- und zu einer Zunahme der Muskelmasse.<sup>13</sup> «Diese Veränderungen haben auch Konsequenzen für die Lebenserwartung der Männer», sagte der Spezialist. Eine wichtige Begleiterscheinung der Testosteronsubstitution kann der Anstieg der PSA- (> 1,0 ng/ml) und Hämoglobinwerte (> 17,5 mg/dl) sein. Eine Zunahme der Zahl von Prostatakarzinomen wurde aber nicht beobachtet.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, 26.–28. Juni 2019, St. Gallen
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Expertenbrief No 55: Influenza- und Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft. Abrufbar unter www.sggg.ch/Fachthemen <strong>2</strong> Expertenbrief No 57: Risikospezifizierung Präeklampsie im 1. Trimester. Abrufbar unter www.sggg.ch/ Fachthemen <strong>3</strong> Expertenbrief No 59: Fertilitätserhaltung bei Frauen und Männern im postpubertären Alter. Abrufbar unter www.sggg.ch/Fachthemen <strong>4</strong> Expertenbrief No 61: Der Einsatz von Netzen bei Senkungsoperationen. Abrufbar unter www.sggg.ch/Fachthemen <strong>5</strong> Avis NE et al.: Duration of menopausal vasomotor symptoms over the menopause transition. JAMA Intern Med 2015; 175(4): 531-9 <strong>6</strong> S3-Leitlinie Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose. Stand 31. 12. 2017. Einsehbar unter: www.awmf.org <strong>7</strong> Savolainen-Peltonen H et al.: Use of postmenopausal hormone therapy and risk of Alzheimer’s disease in Finland: nationwide case-control study. BMJ 2019; 364: l665 <strong>8</strong> Manson JE et al.: Menopausal hormone therapy and long-term all-cause and cause-specific mortality: The Women’s Health Initiative randomized trials. JAMA 2017; 318(10): 927-38 <strong>9</strong> Wu FC et al.: Hypothalamic-pituitary- testicular axis disruptions in older men are differentially linked to age and modifiable risk factors: the European Male Aging Study. J Clin Endocrinol Metab 2008; 93(7): 2737-45 <strong>10</strong> Dohle GR et al.: EAU-Leitlinie Mä nnlicher Hypogonadismus. Einsehbar unter: http://www.uroweb.org/ guidelines/online-guidelines/ <strong>11</strong> Snyder PJ et al.: Effects of testosterone treatment in older men. N Engl J Med 2016; 374(7): 611-24 <strong>12</strong> Snyder PJ et al.: Effect of testosterone treatment on volumetric bone density and strength in older men with low testosterone: a controlled clinical trial. JAMA Intern Med 2017; 177(4): 471-9 <strong>13</strong> Corona G et al.: Therapy of endocrine disease: Testosterone supplementation and body composition: results from a meta-analysis study. Eur J Endocrinol 2016; 174(3): R99-116</p>
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