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Langzeitdaten kontinuierlicher Glukosemesssysteme

Glukose- und Hypoglykämiemuster bei Typ-1-Diabetes

Die gepoolte Analyse von Glukosedaten aus Langzeitmessungen mit kontinuierlichen Glukosemesssystemen (CGM) gibt Einblicke in die Variabilität der Glukose und von Hypoglykämien im Tagesverlauf, zwischen einzelnen Tagen sowie zwischen verschiedenen Personen.

Keypoints

  • In CGM-Daten lässt sich Hypoglykämie nicht nur als Zeit unter dem Zielbereich (<70 mg/dl bzw. <54 mg/dl) ausdrücken, sondern hypo-glykämische Episoden (Messwerte unter dem Zielbereich für mindestens 15 Minuten) können ebenso als eigenständige Ereignisse betrachtet werden.

  • Das vermehrte Auftreten von nächtlichen Hypoglykämien (24–6 Uhr) zeigt sich bei der Zeit unter dem Zielbereich auf beiden Levels (<70 und <54 mg/dl) und bei HE nur bei <54 mg/ dl. HE <70 mg/ dl verteilen sich gleichmäßig auf Tag und Nacht.

  • Glukoseschwankungen sind vor allem im Tagesverlauf am deutlichsten ausgeprägt – Unterschiede von Tag zu Tag sind weniger und jene zwischen Personen kaum von Bedeutung.

Die Überwachung und die Kontrolle des Glukosespiegels sind zentral für das Management von Typ-1-Diabetes (T1D). Durch die obligatorische Insulinbehandlung kommt den Hypoglykämien eine besondere Bedeutung zu. Im Vergleich zu konventionellen Glukosemessungen mittels Lanzetten und mittels Blutzuckermessgeräten, die nur wenige Male am Tag manuell durchgeführt werden, liefern kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGM) detailliertere Informationen. Messungen der Gewebeglukose finden alle 5–15 Minuten statt und stehen den Benutzern in Echtzeit zur Verfügung. Durch zusätzlich ausgegebene Glukosetrendinformationen und Alarme, die vor drohenden Hypoglykämien warnen, können CGM-Systeme das Krankheitsmanagement und die Lebensqualität von Menschen mit T1D wesentlich verbessern. Neben dem individuellen Nutzen kann die durch CGM entstehende große Datenmenge auch für die wissenschaftliche Analyse genutzt werden und so zum besseren Verständnis von Glukoseverläufen und -variabilität beitragen.

Datenpool

In einem an der Medizinischen Universität Graz geführten Diabetesregister konnten für den Studienzeitraum 2016 bis 2019 66 Personen mit T1D, Langzeit-CGM-Nutzung (>3Monate) und ausreichend erfasster Datenmenge (CGM >70% der Zeit aktiv) identifiziert werden. Die Median-Nutzungsdauer lag bei 366 Tagen und die Gesamtanzahl an CGM-Daten beläuft sich auf 24530 Tage (0–24 Uhr). Eine so große Menge an Daten eröffnet interessante Möglichkeiten für die statistische und visuelle Analyse von Mustern in Glukoseverläufen und dem Auftreten von Hypoglykämien.

Hypoglykämische Episoden vs. Zeit unter dem Zielbereich

Mit CGM-Daten lässt sich Hypoglykämie zunächst als jene Zeit definieren, in der die Glukose unter ein bestimmtes Niveau fällt. Die „Zeit unter dem Zielbereich“ („time below target range“, TBR) wird hierbei als Anteil der CGM-Werte <70 mg/dl (Level 1)1 bzw. <54 mg/dl (Level 2) an der Gesamtanzahl der CGM-Messwerte in Prozent angegeben. Während diese Betrachtung zwar Aufschluss über die glykämische Kontrolle gibt, die ein wichtiger klinischer Parameter ist, sind die Anzahl und die Schwere von hypoglykämischen Episoden (HE) oft relevanter für das individuelle Alltagserleben von Menschen mit T1D. Eine HE ist hierbei definiert als jede Episode, bei der die CGM-Glukose für 15 Minuten oder länger unter das jeweilige Hypoglykämielevel (HE<70 mg/dl, HE<54 mg/dl) fällt, und welche erst endet, wenn ihr eine Phase von mindestens 15 Minuten oberhalb des jeweiligen Levels folgt (Abb.1a). Somit werden vereinzelte Messwerte unter dem Zielbereich nicht mitgezählt (Abb.1b) und eine HE endet erst, wenn die Messungen stabil, d.h. lange genug, über dem jeweiligen Hypoglykämieniveau liegen (Abb.1c). Darüber hinaus kann ein HE-Level 1 auch ein oder mehrere HE-Level 2 umfassen (Abb.1d).

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Abb. 1: Definition hypoglykämischer Episoden (HE)

Durch die automatisierte Messung sind CGM-Daten sowohl tagsüber (6–24 Uhr) als auch nachts (24–6 Uhr) vorhanden und erlauben so die Gegenüberstellung der beiden Hypoglykämieparameter in Bezug auf die Tageszeit. Sind Hypoglykämien gleichmäßig auf Tag und Nacht verteilt, würde die prozentuelle Verteilung den jeweiligen Stundenanteilen entsprechen. Der Tag umfasst dabei 18 Stunden (entspricht 75% eines Gesamttages mit 24 Stunden), die Nacht 6 Stunden (entspricht 25%). Diese Verteilung zeigt sich nur bei HE<70 mg/dl, die zu 24,7% in der Nacht stattfinden. Bei allen anderen Parametern gibt es einen Überschuss in der Nacht, der bei TBR deutlicher als bei HE ausgeprägt ist und bei <54 mg/dl generell stärker ausfällt (Abb. 2a). Vergleicht man die zeitliche Dauer der verschiedenen Hypoglykämieparameter, nehmen HE nur etwa die Hälfte der Dauer der TBR ein (Abb. 2b). Das bedeutet, dass die Hälfte der niedrigen Werte, die bei TBR mitgezählt werden, nur vereinzelte Werte sind, die noch kein hypoglykämisches Ereignis darstellen.

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Abb. 2: Zeit unter dem Zielbereich („time below range“, TBR) vs. hypoglykämische Episode (HE)

Visuelle Analyse

Die große Datenmenge erlaubt es, auch visuelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Glukoseverlauf während des Tages, aber auch zwischen verschiedenen Tagen zu untersuchen. Werden alle 24530 Tages-CGM-Kurven (0–24 Uhr) übereinandergelegt, zeigen sich in der Verdichtung Gemeinsamkeiten und in lichteren Bereichen eine größere Variabilität zwischen Tagesverläufen (Abb. 3a). Wird als Referenzwert jener Wert am Übergang von der Nacht zum Tag (6 Uhr) gewählt, wird ersichtlich, dass die mittlere Glukose am Morgen ansteigt, bevor sie zu Mittag kurz abfällt und ab dem Nachmittag bis nach Mitternacht dann über dem Morgenlevel bleibt. Nach Mitternacht fällt die Glukose unter das Referenzniveau.

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Abb. 3a: CGM-Tageskurven im gesamten Glukosemessbereich (40–400 mg/dl)

Bei näherer Betrachtung des hypoglykämischen Bereichs (Abb.3b) wird deutlich, dass vor allem sehr niedrige Werte <54 mg/dl in der Nacht häufiger vorkommen und dass die Variabilität zwischen einzelnen Tagen in der Nacht größer ist als am Tag. Erkennbar ist das in der Grafik daran, dass sowohl der Bereich 54–69 mg/dl als auch der Bereich <54 mg/dl dunkel sind, während sich die niedrigen Glukosewerte des Tages stärker im Bereich 54–69 mg/dl anhäufen. Lebensweltlich bedeutet das, dass es bessere und schlechtere Nächte bezogen auf Hypoglykämien gibt, während sich Hypoglykämien am Tag hauptsächlich im höheren Bereich abspielen. In Bezug auf die Variabilität zwischen einzelnen Tagen fällt außerdem noch die Verdichtung um die Mittagszeit auf. Hier ist es der hyperglykämische Bereich, der heller ist, also weniger Variabilität aufweist. Hier dürften sich die geregelte Mahlzeiteneinnahme und die gut daran angepasste Insulingabe der Studienteilnehmer zeigen: Im Gegensatz zu Frühstück und Abendessen wird jeden Tag zu ähnlicher Zeit das Mittagessen eingenommen und entsprechend Insulin gespritzt, sodass es um diese Zeit viel weniger Ausreißer in den hyperglykämischen Bereich gibt.

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Abb. 3b: CGM-Tageskurven im hypoglykämischen Bereich (<70 mg/dl)

Glukosevariabilität

Obwohl die visuelle Analyse intuitiv zugänglich ist, hat sie doch ihre Grenzen darin, dass sie eher Trends erkennen lässt und so zur weiteren Analyse anregt und dass eine visuelle Unterscheidung nach Personen (etwa durch verschiedenfarbige Kurven) wegen der großen Anzahl – sowohl an Personen als auch an Tagen – nicht sinnvoll ist. Es lassen sich demnach Unterschiede zwischen einzelnen Tagen, wie oben beschrieben, visuell festmachen. Jedoch ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die einzelnen Personen unterscheiden und in welchem Ausmaß jede einzelne Person unterschiedliche Tage erlebt. Zur Illustration werden in Abb. 4 die CGM-Kurven dreier Personen auf drei verschiedenen Detailebenen verglichen: Glukoseunterschiede zwischen Personen (a), zwischen Tagen (b) und Unterschiede während des Tages (c). Auf der höchsten Betrachtungsebene lassen sich in den Glukoseverläufen Unterschiede zwischen den drei Personen erkennen (Abb.4a, „between-person variability“). So hat Person 03 etwa eine sehr viel strengere glykämische Kontrolle (Zeit im Zielbereich) als Person 01 und Person 02 liegt irgendwo dazwischen. Vergleicht man die Fläche, die sich zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wert zu jedem Messzeitpunkt ergibt, wird deutlich, dass vor allem Person 01 viel unterschiedlichere Tage erlebt als Person 03. Dieses Hineinzoomen in die Daten jeder einzelnen Person bildet die zweite Ebene, nach der Glukosevariabilität beurteilt werden kann (Abb.4b, „between-days, within-person variability“). Bis zu einem gewissen Grad war die Variabilität zwischen einzelnen Tagen schon in der visuellen Analyse erkennbar, mit dem Unterschied, dass die Flächen von Person 02 und Person 03 sozusagen von der Fläche von Person 01 verschluckt wurden (weil nicht farblich abgesetzt). Dadurch war zwar die Gesamtvariabilität zwischen den Tagen erkennbar, nicht aber, dass die Variabilität zwischen Tagen von Person zu Person unterschiedlich ausfallen kann. Die kleinste Ebene der Betrachtung von CGM-Daten ist der Vergleich über den Tagesverlauf („within-days, within-person variability“). Zur Verdeutlichung wurden in Abb.4c Mittelwerte über alle Daten an jedem Messzeitpunkt gebildet. An der Form der Kurve lassen sich wiederum Unterschiede zwischen den Personen erkennen. Ist es bei Person 01 ein wiederholtes „Auf und Ab“, hat Person 03 eine kontinuierliche Steigerung während des Tages und einen kontinuierlichen Abfall während der Nacht. Person 02 erscheint hierbei als weniger stark ausgeprägte Version von Person 03.

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Abb. 4: Illustration der verschiedenen Ebenen von Glukosevariabilität

Mehrebenenmodell („mixed model“)

Um eine größere Anzahl an Personen und Tagen vergleichen zu können, ist ein statistisches Modell notwendig. Das Modell der Wahl ist aufgrund der Datenstruktur ein sog. „mixed model“ oder Mehrebenenmodell, genauer gesagt ein hierarchisches Mehrebenenmodell. Die Ebenen sind hierbei die oben illustrierten. Eine Hierarchie der Ebenen existiert, weil jede Ebene in der nächsthöheren Ebene verschachtelt ist: CGM-Daten werden durch ständige Messwiederholungen erzeugt. Da der Tagesverlauf bei Glukose von Bedeutung ist und die Messwiederholungen über viele Tage durchgeführt werden können, wird der Tag als nächsthöhere Ebene definiert. Die Daten ergeben sich also aus 288 wiederholten Glukosemessungen pro Tag (alle 5 Minuten für 24 Stunden). Diese wurde an vielen Tagen wiederholt, und zwar für viele verschiedene Personen. Durch die gleichzeitige Modellierung dieser drei Ebenen im Modell ist es möglich, die Unterschiede zwischen einzelnen Glukosemesswerten den jeweiligen Ebenen zuzuordnen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Gesamtvarianz und wie sie sich prozentuell auf die unterschiedlichen Ebenen aufteilt.

Betrachtet man den gesamten Wertebereich der CGM-Glukose (40–400 mg/dl), zeigt sich, dass die Unterschiede im Tagesverlauf den größten Anteil haben. Etwa 65% der Gesamtvarianz von Glukose finden im Verlauf des Tages statt („within-days, within-person variability“). Dem folgen Unterschiede zwischen den Tagen mit etwa 20% der Gesamtvarianz („between-days, within-person variability“). Ob Personen gute oder schlechte Tage haben, ist demnach viel weniger ausschlaggebend, als es Glukoseschwankungen während des Tages sind. Nur 15% der Unterschiede zwischen Glukosemesswerten sind dann darauf zurückzuführen, dass Personen unterschiedliche Merkmale aufweisen („between-person variability“). In unserer Stichprobe ähneln sich also die Personen hinsichtlich ihrer Erfahrung von Glukoseschwankungen: Alle haben Tagesschwankungen und diese sind jeden Tag recht ähnlich.

Diese Varianzverteilung wird noch deutlicher, wenn nur die Variabilität der niedrigen Glukose (40–70 mg/dl) betrachtet wird. Wiederum sind 65% der Gesamtvarianz auf Tagesschwankungen zurückzuführen. Die Variabilität zwischen Tagen beträgt hier aber 28% und Unterschiede zwischen Personen erklären nur 7% der Messwertunterschiede. In unserer Stichprobe haben die Personen demnach wiederum Tagesschwankungen zwischen niedriger und sehr niedriger Glukose, aber es gibt dabei deutlich bessere und schlechtere Tage und in diesem Punkt sind sich alle noch ähnlicher als bei der Gesamtglukose.

Glykämische Muster

In unserer Stichprobe erleben Personen mit T1D Hypoglykämien und Glukoseschwankungen sehr ähnlich. Sie haben gute und schlechte Tage, vor allem in Hinblick darauf, mit welcher Schwere Hypoglykämien ausfallen. Die größten Unterschiede machen jedoch Tagesschwankungen hinsichtlich Gesamtglukose wie auch Hypoglykämie aus. Damit stellt der Tagesverlauf die größte Herausforderung für die glykämische Kontrolle dar.

1 Battelino T et al.: Clinical targets for continuous glucose monitoring data interpretation: recommendations from the international consensus on time in range. Diabetes Care 2019; 42(8): 1593-16

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