
Genderaspekte in der glykämischen Kontrolle mittels Diabetestechnologie?
Autorinnen:
Assoc. Prof. Dr. Yvonne Winhofer-Stöckl, PhD
Sophie Knotzer, MSc
Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Univ.-Klinik für Innere Medizin III,
Medizinische Universität Wien
E-Mail: yvonne.winhofer@meduniwien.ac.at
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In den letzten Jahrzehnten sind Geschlecht und Geschlechtsunterschiede in der Medizin immer mehr in den Fokus des Interesses gerückt. Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass genderspezifische Faktoren einen Einfluss auf die Pathophysiologie, die Inzidenz und Prävalenz, die Symptome und Anzeichen, den Verlauf und das Ansprechen auf die Therapie vieler Krankheiten, einschließlich Diabetes mellitus, beeinflussen.1
Keypoints
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Es heißt immer: „Frauen und die Technik …“, aber bei Typ-1- Diabetes sind Frauen sehr technikaffin!
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Besonders während der zweiten Zyklushälfte ist die Insulinsensitivität bei manchen Frauen deutlich reduziert – viele Patientinnen berichten über Glukoseschwankungen und einen erhöhten Insulinbedarf –, dies konnte mithilfe der Diabetestechnologie nun auch bestätigt werden.
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Gerade die Schwangerschaft bei manifestem Diabetes stellt eine klinische Herausforderung dar, die sich durch den Einsatz der kontinuierlichen Glukosemessung nun besser bewältigen lässt.
Frauen mit Typ-1-Diabetes (T1D) haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Spätkomplikationen, diabetische Ketoazidose, koronare Herzkrankheit (KHK), terminale Niereninsuffizienz und eine um 40% erhöhte Gesamtmortalität im Vergleich zu Männern.2 Gleichzeitig kommt es bei Frauen mit T1D auch vermehrt zu Depressionen, „diabetes distress“, welche die Lebensqualität erheblich vermindern.
Frauen sind Technik-affin
Es heißt immer: „Frauen und die Technik …“, aber bei Typ-1-Diabetes sind Frauen sehr technikaffin! Beim Thema Diabetestechnologie trifft dieses Vorurteil auf keinen Fall zu:
Analysen haben gezeigt, dass Frauen im Vergleich zu Männern deutlich häufiger Insulinpumpen verwenden. Keine Unterschiede gibt es allerdings beim Tragen von kontinuierlichen Glukosemessgeräten (CGM) zwischen Männern und Frauen, zur Verwendung von Apps und Telemedizin gibt es noch keine Daten.
Analysen des DPV-Registers zwischen 1998 und 2018 zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Patienten mit T1D zwischen 10 und 40 Jahren haben gezeigt, dass Frauen im jugendlichen Alter zwischen 10 und 20 Jahren hinsichtlich ihres HbA1c deutlich schlechter eingestellt waren als Männer in derselben Altersgruppe, jedoch erwachsene Frauen zwischen 20 und 40 Jahren wiederum bessere HbA1c-Werte hatten als Männer.
Eine weitere Analyse zur Anwendung von Insulinpumpen bei Frauen und Männern konnte zeigen, dass Frauen sowohl im jugendlichen als auch im erwachsenen Alter häufiger Insulinpumpen tragen als Männer.
Auswertungen der Body-Mass-Indices (BMI) der beiden Kohorten haben gezeigt, dass sowohl Frauen im jugendlichen als auch im erwachsenen Alter einen höheren BMI haben als Männer der gleichen Alterskategorien.2
Eine andere Arbeit aus dem DPV-Register, welche CGM-Parameter von Männern und Frauen verglich, konnte keine Unterschiede in der glykämischen Kontrolle zwischen den Geschlechtern aufzeigen.3
Frauenspezifische Bedürfnisse bei Typ-1-Diabetes
Ein weiterer Aspekt betreffend genderspezifische Faktoren sind frauenspezifische Bedürfnisse, vor allem beim T1D, welche nicht außer Acht gelassen werden sollten: Besonders während der zweiten Hälfte des Menstruationszyklus berichten viele Patientinnen über Glukoseschwankungen und einen schwankenden Insulinbedarf.
In einer rezenten Publikation von Tatulashvili et al. von 2022 konnte eine Analyse des ambulanten Glukoseprofils (AGP) über den gesamten Menstruationszyklus von 24 Patientinnen mit T1D zeigen, dass zwei Drittel der Frauen eine deutliche Schwankung der Insulinsensitivität bemerken, welche mit einer Abnahme der Zeit im Zielbereich in der zweiten Zyklushälfte (Mitte bis Ende der Lutealphase) einhergeht. Vor allem bei Frauen mit einer initial geringeren Zeit im Zielbereich sind mehr Glukoseschwankungen und eine Abnahme der Zeit im Zielbereich nachweisbar.
Dies ist möglicherweise bedingt durch eine Erhöhung der Insulinresistenz, Änderungen der Essgewohnheiten sowie durch die Ausschüttung der Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron.4
Eine andere Studie untersuchte die Fluktuationen der Hyperglykämie und Insulinsensitivität bei Patientinnen mit T1D während des Menstruationszyklus. Die Patientinnen waren mit CGM und Insulinpumpe versorgt, zusätzlich wurden die hormonellen Änderungen der Zyklusphasen verfolgt. Es konnte gezeigt werden, dass die Insulinsensitivität in der zweiten Zyklushälfte bis zum Eisprung signifikant abnahm, jedoch kein Unterschied in der Insulindosis, Kohlenhydrat- und Kalorienmenge nachweisbar war.5
Eine weitere, erst kürzlich publizierte euglykämische Clampstudie, welche bei Patientinnen mit T1D während der Follikel- und Luteinphase durchgeführt wurde, beschreibt die initiale Analyse der Insulinsensitivität und die anschließende Übertragung der Daten in einen Typ-1-Simulator, welcher ein Open-Loop-System und ein Closed-Loop-System simulierte. Abhängig davon, ob Informationen zur Insulinsensitivität bereitgestellt wurden oder nicht, konnten Unterschiede in der Zeit im Zielbereich festgestellt werden. Hatte der Algorithmus Informationen über die schwankende Insulinsensitivität, blieb auch die Zeit im Zielbereich konstant. Fehlten die Informationen, konnte der Simulator die Schwankungen nicht korrigieren und es kam zu einer Abnahme der Zeit im Zielbereich.
Man könnte daraus schlussfolgern, dass Algorithmen besonders für Open-Loop- und Closed-Loop-Systeme sehr wohl von den Informationen über Insulinsensitivitätsschwankungen im Rahmen des weiblichen Zyklus profitieren würden und zu einer längeren Zeit im Zielbereich führen könnten.6
Keine Hinweise auf Schwankungen der Insulinsensitivität und des Glukosebedarfs konnten wiederum gezeigt werden, wenn die Patientinnen zwar ein Closed-Loop-System während ihres Menstruationszykluses verwendeten, die Informationen aber lediglich manuell in eine App eingaben, ohne Hormonmessungen und Messungen des Eisprungs.7
Schwangerschaft
Eine ganz klare Indikation für das Tragen eines CGM-Geräts ist die Schwangerschaft beim T1D.
In der CONCEPTT-Studie mit 325 Frauen mit T1D konnte gezeigt werden, dass die kontinuierliche Glukosemessung in der Schwangerschaft nicht nur die maternale Glykämie, sondern auch das fetale Outcome verbessert. Neugeborene hatten ein signifikant reduziertes Risiko für fetale Makrosomie, Aufenthalt auf der neonatologischen Intensivstation und für das Auftreten von neonatalen Hypoglykämien.8
Praxistipp
Frauen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes in der Frühschwangerschaft sollte unbedingt ein CGM angeboten werden! Insulinschwankungen besonders in der zweiten Hälfte des weiblichen Zyklus sollten Ernst genommen und zukünftig in den Algorithmen berücksichtigt werden.Aus diesem Grund findet sich auch in sämtlichen Leitlinien die Empfehlung, dass Frauen mit T1D ein Real-Time-CGM oder Flash-Glukosemessgerät haben sollten, wobei aber auch Frauen mit Typ-2-Diabetes oder Gestationsdiabetes, die eine Insulintherapie benötigen oder Probleme mit Hypoglykämien oder Glukoseschwankungen haben, sehr von CGM profitieren würden. Nicht zu vergessen ist, dass in der Schwangerschaft die Zeit im Zielbereich nicht wie sonst 70–180mg/dl beträgt, sondern etwas stringenter mit 63–140mg/dl definiert ist. Hier sollte der internationale Consensus Report „Consensus on Time in Range“ beachtet werden.8
Eine andere Frage, die sich immer wieder stellt, ist, ob die Insulinpumpentherapie während der Schwangerschaft der Injektionstherapie überlegen ist. Subanalysen der CONCEPTT-Studie haben gezeigt, dass in der Pumpengruppe häufiger hypertensive Erkrankungen während der Schwangerschaft aufgetreten sind, dass es bei Neugeborenen eher zu Aufenthalten auf der neonatologischen Intensivstation kam und auch vermehrt neonatale Hypoglykämien auftraten.9 Andere Studien konnten eine vergleichbare metabolische Kontrolle zwischen Pumpentherapie und CGM aufzeigen. In jedem Fall sollte von einer Umstellung während der Schwangerschaft abgesehen und die Wahl der Technologie bereits zum Zeitpunkt des Kinderwunsches getroffen werden.
Fazit
Der Einsatz von Diabetestechnologien konnte frauenspezifische Bedürfnisse besser abdecken, vor allem zum Nachweis der beobachteten Glukoseschwankungen und Schwankungen der Insulinsensitivität während des Menstruationszyklus und der Schwangerschaft. Frauen verwenden generell häufiger Insulinpumpen als Männer, jedoch konnten bis jetzt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bei CGM-Parametern identifiziert werden. Aus diesem Grund sollten zukünftige Studien geschlechtsspezifische Fragestellungen gleich von Beginn an im Studiendesign einplanen, möglicherweise könnten dadurch kardiovaskuläre und psychische Outcomes verbessert werden.
Literatur:
1 Boettcher C et al.: Sex differences over time for glycemic control, pump use and insulin dose in patients aged 10-40 years with type 1 diabetes: a diabetes registry study. BMJ Open Diabetes Res Care 2021; 9(2): e002494 2 Peters SAE, Woodward M: Sex Differences in the burden and complications of diabetes. Curr Diab Rep 2018; 18(6): 33 3 Sandig D et al.: Continuous glucose monitoring in adults with type 1 diabetes: real-world data from the German/Austrian Prospective Diabetes Follow-Up Registry. Diabetes Technol Ther 2020; 22(8): 602-12 4 Tatulashvili S et al.: Ambulatory glucose profile according to different phases of the menstrual cycle in women living with type 1 diabetes. J Clin Endocrinol Metab 2022; 107(10): 2793-800 5 Brown SA et al.: Fluctuations of hyperglycemia and insulin sensitivity are linked to menstrual cycle phases in women with T1D. J Diabetes Sci Technol 2015; 9(6): 1192-9 6 Diaz C JL et al.: Insulin replacement across the menstrual cycle in women with type 1 diabetes: an in silico assessment of the need for ad hoc technology. Diabetes Technol Ther 2022; 24(11): 832-41 7 Levy CJ et al.: Insulin delivery and glucose variability throughout the menstrual cycle on closed loop control for women with type 1 diabetes. Diabetes Technol Ther 2022; 24(5): 357-61 8 Feig DS et al.: Continuous glucose monitoring in pregnant women with type 1 diabetes (CONCEPTT): a multicentre international randomised controlled trial. Lancet 2017; 390(10110): 2347-59 9 Battelino T et al.: Clinical targets for continuous glucose monitoring data interpretation: recommendations from the International Consensus on Time in Range. Diabetes Care 2019; 42(8): 1593-603
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