Ein gewichtiger Grund, sich fortzubilden

Wer sich beruflich mit Adipositas befasst, benötigt viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl – vor allem aber: Wissen. Auf der Online-Plattform „ gewichtakademie.at “ kann man sich dieses aneignen. In animierten Videos und interaktiven Präsentationen vermitteln Expert*innen, was es beim Thema Adipositas zu beachten gilt. Einen ersten Eindruck liefert Dr.in Bianca-Karla Itariu, Vortragende am Portal.

Adipositas weist alle Merkmale einer chronischen Erkrankung auf und wird im ICD-11 Codex der WHO auch als solche eingestuft. In Österreich betrifft Adipositas ca. 1,2 Millionen Personen ab 15 Jahren.1 Das therapeutische Management ist komplex und beschäftigt eine Reihe von Disziplinen – neben Ärzt*innen für Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Chirurgie u.a. auch Fachkräfte für Ernährungsberatung, Bewegungsberatung und Psychologie. Neben dem medizinischen Know-how sind Skills in den Bereichen Kommunikation und Coaching gefragt. Die Behandlung von Patient*innen mit Adipositas bleibt trotz der Möglichkeiten, mit denen die Adipositastherapie in den letzten Jahren maßgeblich erweitert wurde, eine Herausforderung. Das liegt nicht zuletzt an gesellschaftlichen Stigmata und der Bagatellisierung der nötigen Schritte. Umso wichtiger ist es, dass interessierten Ärzt*innen Möglichkeiten geboten werden, sich zur Erkrankung und ihrem Management fortzubilden. Die Online-Plattform „ gewichtakademie.at “ will dazu Gelegenheit bieten.

Die Gewichtakademie

Abb. 1: Die Online-Plattform „ gewichtakademie.at “ bietet eine bunte Auswahl an Fortbildungsinhalten rund um das Thema Adipositas. Entsprechend gekennzeichnete Kurse sind für das Diplom-Fortbildungs-Programm (DFP) der Österreichischen Ärztekammer approbiert

Unter www.gewichtakademie.at können sich Ärzt*innen aller Fachrichtungen sowie Studierende und Angehörige anderer Gesundheitsberufe zu den Themen Übergewicht und Adipositas fortbilden. Das Portal bietet eine neuartige Form der Präsentation: Lernen in kleinen Einheiten und intuitives Erkunden thematisch verwandter Inhalte, wie man es von Streaming-Portalen gewohnt ist, machen die Fortbildung effizient und kurzweilig. Die Inhalte werden in kompakten Modulen und klar umrissen präsentiert. Jedes behandelt einzelne, relevante Aspekte des Adipositasmanagements oder konkrete klinische Fragestellungen. Darunter sind Fortbildungen über die Pathophysiologie, Updates zur medikamentösen Therapie sowie praktische Fallbeispiele. Andere Module behandeln die Kommunikation mit und die Motivation von Patient*innen. Dem Thema weibliche Gesundheit ist ebenfalls ein eigener Schwerpunkt gewidmet. Abhängig vom Inhalt bietet die Plattform das passende Medium, um ein optimales digitales Lernerlebnis zu bieten: animierte Videos, interaktive Präsentationen, Audios, aber auch klassische Textstudien. Bei der Konzeption und Erstellung der Lerninhalte waren Expert*innen verschiedener medizinischer Fachrichtungen involviert. Themengleiche Module sind nach didaktischen Gesichtspunkten zu Kursen zusammengefasst, von denen ein Großteil für das Diplom-Fortbildungs-Programm (DFP) der Österreichischen Ärztekammer approbiert ist.

„Man muss wissen, wie man die Behandlung individuell gestaltet.“

JATROS Diabetologie & Endokrinologie sprach mit Dr.in Bianca-Karla Itariu, PhD, über die Bedeutung und Schwierigkeiten der Fortbildung zur Adipositastherapie.

Frau Dr.in Itariu, worin sehen Sie die größte Schwierigkeit bei der Behandlung von Patient*innen mit Adipositas?

B.-K. Itariu: Eines der Hauptprobleme ist, dass die Erkrankung für die Patient*innen sehr frustrierend ist und sie ein Gefühl der Ohnmacht erleben. Einerseits, weil die Stigmatisierung der Adipositas sehr präsent ist, andererseits, weil viele Menschen sich vorstellen, es würde reichen, weniger zu essen und sich mehr zu bewegen. Dabei gibt es gute Daten, die dagegensprechen: In einer Kohortenstudie aus dem britischen Gesundheitsregister konnte nur eine einzige Frau von insgesamt 677 Patient*innen mit einem BMI zwischen 40 und 45kg/m2 durch Diät nachhaltig Gewicht verlieren. Bei den Männern war es nur einer von 1290.2 Das zeigt, dass Lebensstilmodifikation alleine nur im Ausnahmefall zum Erfolg führt. Deshalb muss man als behandelnder Arzt oder behandelnde Ärztin wissen, welche therapeutischen Optionen es gibt und wie man die Behandlung individuell gestaltet.

Wie sollte man Patient*innen auf ihr Gewicht ansprechen?

B.-K. Itariu: Laut internationalen Empfehlungen ist es angebracht, Patient*innen, die zu viel wiegen, in einer nichtdiskriminierenden Weise darauf anzusprechen. Wichtig ist, dass das Setting passt. Die kanadischen Leitlinien z.B. empfehlen das Prinzip „ask for permission“, also um Erlaubnis zu fragen. Es reicht schon, zu fragen, ob es für die Patientin oder den Patienten in Ordnung ist, über ihr/sein Gewicht zu sprechen. Damit ist der erste Schritt getan. Danach muss man als Ärztin/Arzt wissen, welche Maßnahmen man welchen Patient*innen empfiehlt und wie dringend sie umzusetzen sind. Entscheidend ist, ganz klar zu differenzieren. Eine junge Patientin ohne andere Beschwerden kann beispielsweise von einer medikamentösen Therapie profitieren. Eine ältere Patientin hingegen, die neben einem sehr hohen BMI auch einen nicht gut eingestellten Diabetes mellitus, Bluthochdruck oder andere Komplikationen hat, sollte man am besten so schnell wie möglich einem Chirurgen für eine bariatrische Operation vorstellen.

Schaffen wir es hierzulande, alle Betroffenen gut zu versorgen?

B.-K. Itariu:Unser Angebot ist bescheiden, aber ein Anfang. Welche Einrichtungen und Ordinationen sich mit dem Thema befassen, findet man auf der Homepage des Adipositas-Netzwerks, das die Österreichische Adipositas Gesellschaft (ÖAG) betreibt, eine Liste der Spezialambulanzen auf der Homepage der ÖAG. Dennoch gibt es in Österreich viele Menschen, die mit Adipositas leben und nicht wissen, wohin sie sich wenden können. Wir haben österreichweit nur etwa 50 Spezialambulanzen für Adipositas. Diese können jeweils 500 bis 1000 Patienten jährlich empfangen. Angesichts der vielen Betroffenen reicht das bei Weitem nicht, um alle Patient*innen angemessen zu versorgen.

Welche Fortbildungsmöglichkeiten gibt es für interessierte Ärzt*innen?

B.-K. Itariu: Es gibt Kongresse zum Thema, auch die Ärztekammer bietet Fortbildungen an. Die ÖAG hat die „Adipositas Akademie“ ins Leben gerufen, die Fortbildungen zu mehreren Terminen im Jahr abhält. Innerhalb von zwei Tagen wird in Seminaren und Praxisübungen die Physiologie, medikamentöse und operative Therapie, Kinder- und Jugendheilkunde und Themen wie Schwangerschaft oder die Sprache im Umgang mit Adipositas behandelt. Der Vorteil dieser Veranstaltung ist, dass sie inhaltlich sehr umfassend ist und den persönlichen Austausch ermöglicht. Allerdings muss man sich dafür frei nehmen und nach Wien reisen, was nicht für alle Kolleg*innen möglich ist. Online-Angebote wie die Gewichtakademie bieten hier eine praktische Ergänzung.

Waren Sie selbst schon als Besucherin auf der Website?

B.-K. Itariu:Ja und ich finde, besonders das Layout und die Gestaltung der Module sind wirklich gut gelungen, bei der Bildersprache gibt es noch Luft nach oben. Gerade im Bereich der Adipositas ist die Zurschaustellung sogenannter „headless fatties“ problematisch. Mit dem Ausdruck meint man Fotos, auf denen der Körper von Menschen mit Übergewicht ohne deren Gesicht zu sehen ist. Laut internationalen Standards tragen solche Bilder zur Stigmatisierung bei, weshalb Medien beim Thema Adipositas besonders überlegt vorgehen sollten. Was die Bedienung angeht, ist die Gewichtakademie benutzerfreundlich aufgebaut. Man kann sich unkompliziert einloggen und findet auf der Plattform viele Videos und Textstudien, zum Beispiel eine sehr gute Arbeit von Frau Prim. Claudia Francesconi zur Bewegungstherapie.

Was kann man auf der Plattform lernen?

B.-K. Itariu: Die Gewichtakademie bietet einen Einblick in die Pathophysiologie, Therapiemöglichkeiten und eine Reihe zusätzlicher Inhalte. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Adipositasmedikation. Da die metabolisch-bariatrische Chirurgie und die dazugehörigen Daten bislang fehlen, kann die Plattform keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, entsprechende Module sind aber in Planung. Die Vortragenden der Gewichtakademie sind Adipositasexpert*innen, darunter z.B. Frau Priv.-Doz. Johanna Brix, Herr Assoc. Prof. Florian Kiefer, Frau Prim. Claudia Francesconi und Herr Prof. Hermann Toplak. Wir wurden für unsere Arbeit entsprechend honoriert, die allgemeine Struktur und die Themen wurden vom Anbieter vorgegeben. Für die Inhalte waren aber wir als Vortragende zuständig.

Haben Sie schon Feedback von Kolleg*innen zur Gewichtakademie bekommen?

B.-K. Itariu: Ja, letztens hat mir eine Kollegin aus dem Skiurlaub einen Screenshot der Gewichtakademie geschickt. Sie hatte sich unglücklicherweise das Bein gebrochen und musste auf das Skifahren verzichten. Zu dem Foto schrieb sie: „Ich und mein Gips bilden uns fort!“ Da kommt die Plattform natürlich sehr gelegen.

Die Gewichtakademie ist ein Projekt von big5comm. Für die Entwicklung und den Betrieb der Plattform gewährt Novo Nordisk Österreich finanzielle Unterstützung.

1 Statistik Austria: Gesundheitsbefragung 2019: https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Soziodemographische_und_soziooekonomische_Determinanten_von_Gesundheit_2019.pdf 2 Fildes A et al.: Probability of an obese person attaining normal body weight: cohort study using electronic health records. Am J Public Health 2015; 105(9): e54-9

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