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„Die ÖDG ist der Stakeholder in Sachen Diabetes“
Jatros
30
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30.03.2017
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<p class="article-intro">Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer steht persönlich für die Themen Gendermedizin und Diabetes. Für ihre Arbeit wurde sie zur Wissenschaftlerin des Jahres 2016 gewählt. In unserem Interview gibt sie Ausblicke darauf, wie sie die ÖDG gestalten und dem Thema Diabetes wissenschaftlich, aber auch in der Öffentlichkeit stärkere Präsenz verschaffen möchte.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><em>Frau Professor Kautzky-Willer, Sie sind zur Wissenschaftlerin des Jahres gewählt worden. Derzeit sind Sie stellvertretende Vorsitzende der ÖDG. Die ÖDG hatte in ihrer Geschichte mit Prof. Monika Lechleitner erst eine Frau als Präsidentin, Sie werden die zweite Frau sein, die Präsidentin der ÖDG sein wird. Welche Genderaspekte werden Sie in Ihre Präsidentschaft einfließen lassen?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Bereits bei der Verjüngung und Neuzusammenstellung des ÖDG-Vorstands wurde darauf geachtet, dass der Frauenanteil steigt, was ich sehr unterstütze. Eine weitere wichtige Rolle spielt für uns auch die adäquate Vertretung der einzelnen Bundesländer in der ÖDG. Beides ist uns gelungen. Auch in unserem erweiterten Vorstand, der im Rahmen unserer Strategiemeetings zusammenkommt, engagieren sich immer mehr Frauen. Und natürlich freue ich mich darauf, nach Monika Lechleitner die zweite Präsidentin der ÖDG zu werden.</p> <p><em>Abseits vom Personellen ist und war es mir immer wichtig, Genderaspekte auch wissenschaftlich in die ÖDG-Tagungen einzubringen. Dabei hilft die Unterstützung anderer Frauen – beispielhaft möchte ich hier Heidemarie Abrahamian, Monika Lechleitner oder Susanne Kaser nennen. Im vergangenen Jahr haben wir ausgehend vom Genderausschuss der ÖDG und von der Adipositasgesellschaft den Gender-Obesity-Report in der Wiener Medizinischen Wochenschrift publiziert. In den ÖDG-Leitlinien gibt es ein eigenes Kapitel mit geschlechtsspezifischen Aspekten, das im Rahmen des aktuellen Updates auch um Fragen der Sexualität erweitert wurde. Diese Initiativen möchte ich ausbauen.</em> <em>Und wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Ein bisschen zu kurz gekommen sind bis jetzt Genderaspekte beim Typ-1-Diabetes, aber auch das Thema Schwangerschaft mit Typ-1-Diabetes und der Schwangerschaftsdiabetes selbst. Im Hinblick auf Lebensqualität, Komplikationen und Mortalität gibt es epigenetische Einflüsse und geschlechtsspezifische Unterschiede, die wichtig sind und aufgearbeitet werden müssen, was auch zunehmend passiert. Neben den biologischen müssen dabei auch die psychozozialen Aspekte stärker beleuchtet werden. Als Beispiel dafür, dass bereits eine bessere Awareness vorhanden ist, möchte ich hier Prof. Guntram Schernthaner nennen, der in seinen Vortragsslides immer wieder Stratifizierungen nach Geschlecht präsentiert. Auch international spielen genderspezifische Auswertungen eine immer stärkere Rolle und auch Studien, die auf Genderaspekte hin ausgerichtet sind, wobei da noch Luft nach oben ist.</p> <p><em>2019 wird die ÖDG 50 Jahre, erste Gründungsaktivitäten fanden unter Prof. Deutsch 1969 statt. Dieses Jubiläum wird in Ihre Präsidentschaft fallen. Wie hat sich die Gesellschaft in dieser Zeit Ihrer Meinung nach verändert, weiterentwickelt und bewährt?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Das Jubiläum werden wir natürlich entsprechend begehen. Bedenkt man, dass die ÖDG als kleiner, streng ärztlich-wissenschaftlich ausgerichteter Verein mit etwa 50 Mitgliedern begonnen hat, so hat sie sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Dazu möchte ich einige Säulen unserer Gesellschaft nennen, die uns wichtig sind.</p> <p><em>Nehmen wir die Säule Fortbildung. Wir als ÖDG richten den zweitgrößten fachärztlichen Kongress Österreichs aus. Bei der letzten Jahrestagung konnten wir mehr als 1500 Teilnehmer begrüßen. Weil wir unser Feld für zunehmend allgemein wichtig erachten, haben wir uns im Laufe der Zeit auch stark fächerübergreifend geöffnet. Auf unserer Tagung informieren sich Allgemeinmediziner, Nephrologen, Ophthalmologen, Schulungsteams, Diabetesberaterinnen, Diätologinnen, aber auch Sportwissenschaftler und Ernährungswissenschaftler – diese höchst unterschiedlichen Gruppen sind bei uns hinsichtlich des Aspekts Diabetes mit integriert. Uns ist sehr wichtig, dass diese auch ihre Sichtweisen einbringen, denn mit rund 600 000 Diabetikern österreichweit ist Diabetes zu DER Volkskrankheit geworden.</em> <em>Eine weitere Säule, die uns sehr wichtig ist, ist die Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Aktivitäten haben sich im Laufe der Jahre immer mehr erweitert, sodass wir nun auch ein richtiges Team dafür haben, das weiter verstärkt wird. Hervorheben möchte ich hier die großartige Arbeit von Frau Simone Posch, die seit vielen Jahren die Stütze dieser Aktivitäten ist. Als Beispiel für unsere Aktivitäten nenne ich die regelmäßigen Pressekonferenzen, die unsere Gesellschaft veranstaltet, um auf die Diabetesproblematik fundiert aufmerksam zu machen. Darüber hinaus versuchen wir auch unsere Patientinnen und Patienten verstärkt einzubeziehen. So haben wir diesen auf unserer Homepage einen eigenen Patientenbereich eingeräumt.</em> <em>Als dritte Säule sehe ich unser politisches Engagement. Wichtig ist, dass wir als Stakeholder für das Thema Diabetes bei politischen Entscheidungen gesehen werden, um den man nicht herumkommt. Beispielhaft möchte ich hier die Diabetesstrategie des Gesundheitsministeriums nennen, in deren Erstellung die ÖDG miteinbezogen wurde.</em> <em>Ein besonderes Anliegen ist mir, dass bei all diesen Entwicklungen die Basis unserer Gesellschaft – der wissenschaftliche Charakter – erhalten bleibt und weiterentwickelt wird. Diese wissenschaftlichen Fundamente legen wir z.B. mit der Erstellung der ÖDG-Leitlinien. Ich möchte auch betonen, dass wir über die verschiedenen Präsidentschaften hinweg gut zusammenarbeiten und es keine Brüche zwischen den einzelnen Präsidentschaften gibt. So schaffen wir eine Kontinuität für unsere Aktivitäten und Strategien.</em> <em>Wo sehen Sie die Herausforderungen für die ÖDG in den kommenden Jahren in einem immer schwieriger werdenden Gesundheitsumfeld?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Die Zahl der Diabetiker steigt stark. Die Hauptfaktoren sind die wachsende Zahl an Übergewichtigen und andere Aspekte, die den Lebensstil und die Umwelt betreffen. Diabetes hat damit auch eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung. Für die ärztliche Betreuung der Betroffenen müssen wir daher einerseits die Ausbildung von Endokrinologen als Topspezialisten fördern, auf der anderen Seite benötigen wir gut ausgebildete Allgemeinmediziner, um eine flächendeckende Betreuung zu erreichen. Inhaltlich muss dabei die Fachkompetenz unserer Gesellschaft in der Ausbildung dieser Allgemeinmediziner gegeben sein.</p> <p><em>Eine weitere Herausforderung sehe ich für die Kongresse und die Fortbildung – Stichwort Compliance-Richtlinien der Industrie. Ein Beispiel dafür ist die Absage unseres Diabeteslaufes, den wir seit vielen Jahren im Rahmen der Jahrestagung durchführen. Diese Absage läuft unseren Bestrebungen in der Öffentlichkeitsarbeit zuwider. Denn durch solche öffentlich wirksamen Veranstaltungen können wir die Menschen erreichen und ein Bewusstsein für den Diabetes schaffen. Gleichzeitig zeigen wir, dass Lifestyleänderungen wie mehr Bewegung präventiv wirken und Diabetesprävention Spaß machen kann. Dennoch werden wir versuchen, die große Breite unseres Kongresses und die Fortbildung aufrechtzuerhalten. </em> <em>Eine neue Herausforderung ist, dass wir uns auf viel mehr Ebenen einbringen müssen. Das Stichwort ist „diabetes in all policies“, egal ob man mit den Fußgänger- und den Fahrradbeauftragten, Politikern, Stadtplanern, Verantwortlichen in Kindergärten und Schulen – Stichwort gesunde Jause etc. – über die Möglichkeiten der Diabetesprävention diskutiert. Hier hat sich schon einiges getan, aber die Prävention muss, im Mutterleib beginnend, ausgebaut werden, um die Zunahme des Diabetes zu drosseln.</em> <em>Die ÖDG hat das Ziel, die Forschung in Österreich auf dem Gebiet der Diabetologie zu fördern und die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu kommunizieren. Wie sehen Sie die derzeitige Entwicklung auf dem Gebiet der diabetesbezogenen Forschung?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Wichtig ist, dass der ÖDG genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, damit wir in bewährter Weise Forschungsförderung betreiben können. Diese Förderungen vergeben wir in Form von Preisen, die im Vergleich zu denen anderer Gesellschaften auch durchaus gut dotiert sind. Mit diesen Geldern lässt sich schon Forschung betreiben. Zum Beispiel wird der Langerhans-Preis an jüngere Kollegen für bereits erfolgte Forschungsleistungen vergeben. Insgesamt steht uns derzeit jährlich eine Preissumme für die Förderung von klinischer oder Grundlagenforschung von rund 35 000 Euro zur Verfügung. Kleinere Projekte lassen sich mit solchen Summen bereits finanzieren, größere können zumindest einmal gestartet werden. Für größere Projekte müssen aber Förderungen oft auch aus mehreren Quellen kommen – nicht nur von der ÖDG; etwa auch vom FWF. Lobbying für die Diabetesforschung ist deshalb sowohl national als auch auf EU-Ebene ein wichtiges Thema. Problematisch für die Diabetesforschung in Österreich ist, dass keine flächendeckenden Register für epidemiologische Untersuchungen existieren, sondern nur punktuelle, wie etwa das Tiroler-Register.</p> <p><em>Ihre Meinung zu „Therapie aktiv“ – ist dieses Programm in der jetzigen Form sinnvoll? Welche Verbesserungen wären möglich bzw. nötig? Und wie lassen diese sich realisieren?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Grundsätzlich gibt es für „Therapie aktiv“ die volle Unterstützung vonseiten der ÖDG. Derzeit sind rund 1500 Ärzte und 55 000 Betroffene in „Therapie aktiv“ eingeschrieben. Aber das sind nur etwa zehn Prozent aller Betroffenen. Wichtig ist uns auch hier die Verbesserung der Ausbildung der Ärzte gemäß den Inhalten der ÖDG-Leitlinien. Dabei kann das Salzburger Modell als Vorzeigemodell dienen. Dass dieses Disease-Management-Programm funktioniert und sich die Komplikationsraten verringert haben, konnte bereits in kleineren Evaluierungen gezeigt werden, wahrscheinlich deshalb, weil die Ausbildung über die Basisausbildung hinausgeht. Einige Ordinationen haben sich auf Diabetes spezialisiert und können Patientenschulungen in Kooperationen mit anderen Fachgruppen bereits alleine managen. In manchen Bundesländern besteht die Möglichkeit, Schulungen zu Ernährung und Diabetes aus den Ordinationen auszulagern, diese werden dann beispielweise von der Wiener Gebietskrankenkasse oder von den Gesundheitszentren durchgeführt. Leider ist dies nicht überall der Fall. Die Finanzierung muss natürlich über „Therapie aktiv“, also über die Krankenkassen, erfolgen.</p> <p><em>Innovative Medikamente bedeuten auch eine Kostensteigerung im Gesundheitssystem. Inwieweit kann sich die ÖDG in den Diskurs über das Spannungsfeld zwischen Finanzierbarkeit und berechtigtem Anspruch der Patienten einbringen? </em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Wir befinden uns immer in diesem Spannungsfeld. Wichtig ist, dass wir als ÖDG unsere unabhängige, auf Evidenz und Studienlagen basierende, klare und objektive Meinung generieren. Diese muss sich in den Leitlinien wiederfinden. Üblicherweise deckt sich das mit den internationalen Leitlinien, wobei es immer auch Besonderheiten geben kann, die wir für Österreich berücksichtigen müssen. Wichtig ist für uns, dass auch Patienten-zentrierte Parameter wie die Lebensqualität berücksichtigt werden – international ist das nicht immer der Fall. Ob ein bestimmtes Medikament dann auch wirklich einfach zur Verfügung steht, ist eine politische Entscheidung. Als ÖDG vertreten wir aber unseren objektiven Standpunkt und unterstützen es auch, dass ein Medikament auf den Markt gebracht wird, wenn wir es als für PatientInnen vorteilhaft erachten. Stichworte sind hier etwa Vermeiden von kardiovaskulären Komplikationen, Unterzuckerung und einer Gewichtszunahme oder sogar Erzielen einer Gewichtsreduktion durch Diabetesmedikamente, einfachere Handhabung von neuen Insulinen, kein Spritz-ess-Abstand, weil dies alles ein Vorteil für die Patienten ist. Dies fließt nicht alles unmittelbar in harte Evidenz ein, für uns sind es aber trotzdem wichtige Kriterien, weil es auch um die Therapieadhärenz unserer Patienten geht.</p> <p><em>Vielen Dank für das Gespräch.</em></p> <p>Das Interview führte Christian Fexa</p></p>
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