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Präventionsmaßnahmen und Therapie

Diabetisches Fußsyndrom: Was gehört in die Ordination, was in die Fachambulanz?

Das diabetische Fußsyndrom ist eine äußerst komplexe Erkrankung. Eine optimale Versorgung ist eine Herausforderung für unser Gesundheitssystem.

Keypoints

  • Die Prävention der Neuropathie und des diabetischen Fußsyndroms ist ein wichtiger Punkt bei der Betreuung von Menschen mit Typ-2-Diabetes.

  • Oberflächliche Ulzerationen mit maximal milden Infektionen können in einer nicht spezialisierten Ordination therapiert werden – es gilt: „Hit hard and early.“

  • Heilt ein Ulkus nicht rasch ab, ist eine multiprofessionelle Behandlungsstrategie notwendig.

Laut der International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF) verliert auf der Welt alle 20 Sekunden ein Mensch ein Bein oder einen Fuß.1 Menschen mit Diabetes mellitus entwickeln in 19–34% im Laufe ihres Lebens ein Ulkus. Die Pathogenese des diabetischen Fußsyndroms ist komplex. Eine sensomotorische Polyneuropathie findet sich in zumindest 90% der Fälle. Mindestens 50% haben auch eine Durchblutungsstörung.

Die Neuropathie spielt eine wesentliche Rolle. Die fehlende protektive Wahrnehmung und das fehlende Schmerzempfinden führen bei Menschen mit Diabetes zu einer eingeschränkten Körperwahrnehmung und einer Art „Neglect“ (von lateinisch: neglegere = nicht wissen, vernachlässigen) des Problems. Daher können betroffene Personen mit Neuropathie die vom Gesundheitspersonal empfohlenen Maßnahmen oft nur eingeschränkt umsetzen.

Prävention ist entscheidend und gehört in die Ordination

Primäres Ziel bei Menschen mit Diabetes mellitus muss sein, eine Neuropathie und Durchblutungsstörung durch Optimierung der Stoffwechselkontrolle und kardiovaskulären Risikofaktoren zu verhindern.

Ein weiteres Schlüsselelement ist die Risikostratifizierung in Bezug auf ein diabetisches Ulkus nach Tabelle 1. Dazu wird einmal jährlich eine Fußuntersuchung bei Menschen mit Diabetes gefordert. Gescreent werden soll auf das Vorliegen einer Durchblutungsstörung durch eine entsprechende Anamnese und klinische Untersuchung inklusive Tasten der Fußpulse. Ein Neuropathiescreening erfolgt durch eine Inspektion des Fußes auf bereits vorhandene Fußdeformitäten, Hyperkeratosen, Hautveränderungen oder sogar Ulzerationen.

Tab. 1: Entwickelt ein Mensch mit Diabetes ein diabetisches Fußsyndrom, entscheiden das Wundstadium nach Wagner und Armstrong (Tab. 2) und die Ressourcen das weitere Vorgehen. * Die Screening-Häufigkeit basiert auf Expertenmeinungen – International Working Group on the Diabetic Foot: www.iwgdfguidelines.org

Neben der klinischen Untersuchung sollte einmal jährlich das Vibrationsempfinden mit einer Stimmgabel und das Berührungsempfinden mittels Monofilaments überprüft werden. Wurde einmal eine Auffälligkeit festgestellt, besteht immer ein erhöhtes Ulkusrisiko. Abhängig vom individuellen Therapieziel (Abheilung, Infektionsvermeidung,Amputationsvermeidung, Erhaltung der Mobilität) wird die weitere Strategie festgelegt.

Wundbehandlung in der Ordination und in der Spezialambulanz

Bei Wunden im Stadium 1A ist im Regelfall die Abheilung das Ziel (Tab. 2).2 Damit neuropathische Wunden heilen können, ist die Druckentlastung essenziell. Hier gilt der Leitsatz: „Hit hard and early.“ Goldstandard bei der Entlastung von neuropathischen Ulzerationen ist ein Vollkontaktgips. Wird dieser vom Menschen mit einem diabetischen Fußsyndrom nicht akzeptiert oder toleriert, kann eine abnehmbare Vakuum-Schiene (z.B. VACO®cast) angewendet werden. Der nächste Schritt in der Step-down-Therapie sind anpassbare Verbandsschuhe (z.B. WCS® Verbandschuh). Jegliche Form von Vorfuß-Entlastungsschuhen ist aufgrund der Sturzgefahrobsolet.3

Tab. 2: Klassifikation diabetischer Fußläsionen nach Wagner/Armstrong (Quelle: DMP Arzthandbuch):2 Wunden im Stadium 1A (grün) und im *Stadium 1B (hellgrün) bei milder Infektion können bei entsprechendem Wissen über die Erkrankung und deren Therapie in einer nicht spezialisierten Ordination behandelt werden. Milde Infektionen gehören beim diabetischen Fußsyndrom für zwei Wochen antibiotisch therapiert

Praxistipp
Achtung! Von diabetischem Fuß betroffene Personen mit Neuropathie können empfohlene Maßnahmen oft nur eingeschränkt umsetzen.

Oberflächliche Wunden mit einer milden Infektion (Wagner/Armstrong 1B) können ebenfalls noch in einer nicht spezialisierten Ordination therapiert werden. Milde Infektionen gehören beim diabetischen Fußsyndrom für zwei Wochen antibiotisch therapiert (Tab. 2).2,3

Alle anderen Wundstadien beziehungsweise ein Ulkus, der nicht innerhalb von 3 Wochen abheilt, sollten in eine Fachambulanz mit Zugang zu einer multiprofessionellen Betreuung überwiesen werden (Tab. 2). Wo hier genau die Grenze liegt, hängt von den individuell vorhandenen Ressourcen ab.3

1 www.iwgdfguideline.org 2 Armstrong DG et al.: N Engl J Med 2017; 376(24): 2367-75 3 Lechleitner M et al.: ÖDG-Leitlinie 2019. Diabetische Neuropathie und diabetischer Fuß (Update 2019). Wien Klin Wochenschr 2019; 131(Suppl 1): S141-S150

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