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Diabetestherapie bei ​psychiatrischen Erkrankungen

Bei der Koinzidenz von Diabetes mellitus und psychischer Erkrankung geht es einerseits um psychische Erkrankungen, die im Laufe der Diabeteserkrankung als neue Komorbidität dazukommen (z.B. Depression), und andererseits um das Neuauftreten von Diabetes mellitus bei Menschen mit bestehender psychischer Erkrankung.

Keypoints

  • Ein ideales Modell für die betroffene Population ist aus eigener Erfahrung eine Kombination von strukturierter Diabetesschulung (mit Adhärenztraining) und Psychotherapie.

  • Ein strukturiertes Vorgehen für eine effektive Diabetestherapie bei psychisch kranken Menschen ist wichtig.

  • Kontrollen der Zielwerte sollten in Abständen von 3 Monaten erfolgen, bei Nichterreichen ist eine Erweiterung der Therapie erforderlich.

Die Koinzidenz von Diabetes mellitus und psychischer Erkrankung ist relativ häufig, sie kann im Fall von Diabetes und Depression bis zu ein Drittel der Diabetespatienten betreffen. Die Prävalenz von Diabetes bei Menschen mit psychischer Erkrankung, die mit Antipsychotika behandelt werden, liegt bei ca. 12%. In diesen Fällen liegen die häufigen Diabetesmanifestationen einerseits in spezifischen Auswirkungen der Psychose und andererseits in den Nebenwirkungen der Antipsychotika mit starker diabetogener Komponente begründet (Tab. 1).

Tab. 1: Unterschiede bei der Komorbidität Diabetes und Psyche

Die ungünstigen Auswirkungen der Koinzidenz von Diabetes und psychischer Erkrankung sind nachhaltig und manifestieren sich als schlechtere metabolische Kontrolle, häufigeres Auftreten von Akutkomplikationen wie schweren Hypoglykämien und Ketoazidosen und als vermehrte mikro- und makroangiopathische Komplikationen. Dies führt zu einer kürzeren Lebenserwartung (bis zu 15 Jahre) und zu einer schlechteren Lebensqualität im Vergleich zur diabetischen Population ohne psychische Komorbidität.

Die Therapie des Diabetes richtet sich im Wesentlichen nach den aktuellen lokalen Leitlinien für die Diabetestherapie ( www.oedg.org ), erforderliche Abweichungen werden in diesem Artikel angesprochen. Die Umsetzung der Therapie liegt zu einem großen Teil in den Händen der Patienten. Die Komplexität der Diabetestherapie stellt uns Ärzte bei dieser Patientengruppe vor zum Teil große Herausforderungen, wobei der Aspekt der Therapieadhärenz große Bedeutung hat.

Therapieadhärenz, Ziele und Schulung

In der rezenten Literatur finden sich nur wenige Daten zum Thema Diabetesschulung bei Patienten mit psychischer Komorbidität. Für psychisch kranke Menschen ist das Einhalten einer fixen Tagesstruktur ein wichtiges Therapieziel. In diesem Kontext sind auch die komplexen Anforderungen durch die Diabetestherapie zu berücksichtigen.

Das in der Sozialpsychiatrie bewährte Modell des Empowerments ist auch in die Schulung von diabetischen Patienten mit psychischer Erkrankung zu integrieren. Ziel ist, betroffene Patienten durch Vermittlung von Wissen und Skills fit zu machen, damit sie selbst „Diabetesexperten für ihren eigenen Alltag“ werden und die unterschiedlichen Herausforderungen mehr oder weniger eigenständig bewältigen können. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die betreuenden Hausärzte, die Psychiater, die Angehörigen und die Schulungskräfte in die Therapiegestaltung mit einbezogen werden. Dabei müssen auch die Therapieziele festgelegt und eventuell angepasst werden, um eine Überforderung der Patienten, aber auch des gesamten Teams zu vermeiden.

Das bedeutet z.B., bei ungenügender Therapieadhärenz in besonderen Fällen zur Vermeidung von schweren Hypoglykämien einen höheren präprandialen Blutzuckerzielbereich etwa zwischen 120 und 180mg/dl festzulegen. Entsprechende Abstriche, die Leitlinien betreffend, sind zu akzeptieren. In besonders problematischen Fällen lautet das Einstellungsziel „Prophylaxe von schweren Hypoglykämien sowie von Blutzuckerwerten über 300mg/dl“.

Generell kann bei allen Patienten mit Diabetes mellitus und psychischer Komorbidität mit chronischer Selbstgefährdung gerechnet werden, v. a. durch mangelnde Therapieadhärenz. Ein ideales Modell für die betroffene Population ist aus eigener Erfahrung eine Kombination von strukturierter Diabetesschulung (mit Adhärenztraining) und Psychotherapie. Die Umsetzung dieser Anforderung ist sicher nicht einfach und in vielen Fällen schwer möglich, stellt aber den einzigen Zugang zu einer halbwegs sinnvollen Therapie dar.

Potenzielle Nebenwirkungen von Psychopharmaka

Bei Patienten, die unter Therapie mit bestimmten Antipsychotika stehen, ist das Risiko für eine Diabetesmanifestation 3-mal so hoch wie für Patienten, die nicht mit Medikamenten aus dieser Gruppe behandelt werden. Besonders bei den Zweitgenerations-Antipsychotika Olanzapin und Clozapin sowie in geringerem Ausmaß bei Quetiapin und Risperidon zeigt sich dieses erhöhte Risiko.

Nebenwirkungen wie stärkere Tagesmüdigkeit mit einem daraus resultierenden Mangel an körperlicher Bewegung sowie zunehmender Appetit mit Steigerung der Nahrungszufuhr sind bekannt. Diese Nebenwirkungen führen in vielen Fällen zu rascher, unkontrollierter Gewichtszunahme und begünstigen die Manifestation von Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas und Diabetes mellitus. Darüber hinaus ist mittlerweile gut erforscht, dass bestimmte Antipsychotika auch die sekretorische Kapazität der Betazelle reduzieren, sie haben also einen direkten Effekt auf die Betazelle.

Antidepressiva haben in der Regel bezüglich des Stoffwechsels ein günstigeres Nebenwirkungsprofil.

Diabetestherapie bei Menschen mit psychischer Komorbidität

Generell ist die Diabetestherapie bei Koinzidenz von Diabetes und psychischer Erkrankung sorgfältig auszuwählen und individuell dem Patientenprofil unter Berücksichtigung der Anforderungen des Diabetes-Selbstmanagements und der Möglichkeiten der Patienten anzupassen.

Lebensstil

Auch für Menschen mit der Koinzidenz von Diabetes und psychischer Erkrankung ist die Umstellung auf einen gesunden Lebensstil das vordergründige Therapieziel. Das Umstellen der Ernährung auf ausreichend Gemüse und Obst, das Beachten der Portionsgrößen, die Reduktion von Zucker und Fett sowie die Etablierung eines Bewegungsprogramms sind wichtige Schritte zur Prävention bzw. zur Therapie von Adipositas und Diabetes. Charakteristische Auswirkungen der psychischen Erkrankung wie mangelnde Therapieeinsicht, wenig Verständnis für die Erkrankung und deren Folgen sowie eine gewisse „Laissez faire“-Mentalität erschweren die Umsetzung der genannten Maßnahmen (Tab. 2). Ein Angebot von strukturierten Bewegungs- und Ernährungsprogrammen im extramuralen Bereich mit niederschwelliger Zugangsmöglichkeit wäre für diese Zielgruppe sinnvoll, ein solches gibt es jedoch aktuell nicht.

Tab. 2: Herausforderungen bei der Koinzidenz Diabetes und schwere psychische Erkrankung (nach Munshi et al.: Diabetes Care 2006)

Orlistat

Orlistat wurde bei übergewichtigen und adipösen psychisch kranken Menschen, die unter Therapie mit Antipsychotika standen, mehrfach eingesetzt. Da nur sehr moderate Gewichtsreduktionen damit gelungen sind, hat sich das Medikament auch aufgrund der unangenehmen gastrointestinalen Nebenwirkungen nicht durchgesetzt. Ein Therapieversuch ist dennoch bei Patienten mit guter Therapieadhärenz und Verständnis für das Wirkprinzip von Orlistat (Hemmung der Lipase, Nahrungsfette werden ohne Aufspaltung ausgeschieden) gerechtfertigt.

Metformin

Bei Therapie mit Antipsychotika wird häufig, um eine Gewichtszunahme mit dem Risiko für eine Manifestation von Diabetes mellitus zu minimieren, ein Off-label-Einsatz von Metformin quasi als „Prophylaxe“ praktiziert. Bei bereits manifestem Diabetes mellitus stellt Metformin eine sinnvolle Therapieoption dar und ist wie bei psychisch gesunden Menschen mit Diabetes als First-Line-Therapie einzusetzen. Um Nebenwirkungen, die zum Beenden der Therapie führen können, zu reduzieren, empfehle ich, mit einer niedrigen Dosis zu beginnen (Schritt 1: 500mg 0–0–1, Schritt 2: 500mg 1–0–1, Schritt 3: 1000mg ½–0–1, Schritt 4: 1000mg 1–0–1) und konsequent, wenn möglich über einen Zeitraum von 4 Wochen, zu steigern. Wenn nach 2–3 Monaten das individuell definierte Ziel (in Bezug auf HbA1c, Nüchtern-Blutzucker) nicht erreicht wird, sollte eine Erweiterung der Therapie erfolgen.

DPP-4-Hemmer

DPP-4-Hemmer sind in Kombination mit Metformin eine sichere Therapieoption bei Typ-2-Diabetes im Anfangsstadium, wenn damit eine gute postprandiale Blutzuckerkontrolle erreicht werden kann. Aufgrund der geringen Nebenwirkungen und der einfachen Einnahme ist die Therapieadhärenz auch bei Menschen mit psychischer Erkrankung gut. Wesentliche Vorteile dieser Medikamentengruppe sind, dass sie kein Hypoglykämiepotenzial aufweist und sich gewichtsneutral verhält.

Sulfonylharnstoffe

Sulfonylharnstoffe sollten wegen des Hypoglykämierisikos bei psychisch kranken Menschen nicht eingesetzt werden.

SGLT2-Hemmer

Kontrollierte Therapiestudien mit SGLT2-Hemmern in einer psychisch kranken Population liegen meines Wissens nicht vor. Im Tiermodell (Ratten) konnte gezeigt werden, dass Empagliflozin die Gewichtszunahme unter Therapie mit Olanzapin wirkungsvoll abschwächt. Darüber hinaus können die günstigen kardiovaskulären Effekte der SGLT2-Hemmer für psychisch kranke Menschen mit erheblichen Komorbiditäten genützt werden. Weitere Vorteile dieser Medikamentengruppe sind das fehlende Hypoglykämiepotenzial und die einfache Einnahme. Studien, die den Einsatz von SGLT2-Hemmern in dieser Patientengruppe dokumentieren, wären aus folgendem Grund sinnvoll: Wir wissen, dass Patienten, die unter Therapie mit bestimmten Antipsychotika der zweiten Generation stehen, ein ca. 10-mal höheres Risiko für diabetische Ketoazidose im Vergleich zur übrigen Bevölkerung aufweisen. Der genaue dahinterliegende Pathomechanismus ist nicht geklärt. Da auch unter SGLT2-Hemmer-Therapie unter bestimmten Umständen Ketoazidosen auftreten können, sollte dieses Risiko unter kombinierter Therapie mit Antipsychotika und SGLT2-Hemmern evaluiert werden.

GLP-1-Rezeptoragonisten

Als exzellente Therapiestrategie für die betroffene Patientengruppe hat sich der Einsatz von GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) mit Fokus auf den adipösen und „schlecht eingestellten“ psychisch kranken Menschen bewährt. Die erste Kasuistik wurde 2013 publiziert – ein Patient mit Schizophrenie und Diabetes wurde erfolgreich mit einem GLP-1-RA therapiert. Sowohl Gewichtsreduktion als auch eine Verbesserung der Glykämie konnten erreicht werden. Die tägliche oder wöchentliche Verabreichung einer subkutanen Injektion zeigt gute Wirkung und insbesondere die wöchentliche Dosis resultiert in einer hohen Therapieadhärenz. Konkret lautet ein erfolgreiches Therapiekonzept bei adipösen Patienten mit psychischer Erkrankung und schlechter Stoffwechselkontrolle bei Typ-2-Diabetes: GLP-1-RA einmal wöchentlich + Metformin 1000mg zweimal täglich. Die Sicherheit von GLP-1-RA bei Menschen, die Antipsychotika einnehmen, wurde in mehreren Studien evaluiert und bestätigt.

Insulin

Mit der Anwendung von Insulin ist bei Menschen mit psychischer Erkrankung generell vorsichtig vorzugehen. Prinzipiell hat sich die basalunterstützte orale Therapie (BOT) mit Insulindosierung einmal täglich sehr gut bewährt. Mit allen verfügbaren Langzeitinsulinen konnten gute Erfahrungen gesammelt werden. Die Startdosis sollte zwischen 6 und 10 Einheiten liegen. Die Anwendung kann, wenn nicht durch den Patienten möglich, durch einen mobilen Dienst erfolgen. Bei Patienten mit depressiver Komponente kann es zu Missbrauch von Insulin bzw. zu einer Anwendung in suizidaler Absicht kommen. Eine Basal-Bolus-Therapie haben wir bei wenigen Patienten eingesetzt, die hohen Anforderungen dieser Therapie können intermittierend gut umgesetzt werden, allerdings scheitert es häufig an der Nichtvorhersehbarkeit des Verlaufs der psychischen Erkrankung. Psychotische Schübe oder das Hineinkippen in eine schwere depressive Episode oder auch die Aktivierung einer bipolaren Störung enden, wenn unbeobachtet, in einem Blutzuckerchaos bzw. in einer Ketoazidose.

Pioglitazon

Pioglitazon kann bei Patienten mit vordergründiger Insulinresistenz eingesetzt werden. Allerdings beschränkt die Nebenwirkung Gewichtszunahme den Einsatz dieser Substanz.

Zusammenfassende Bewertung

Generell liegen wenige Studien zur Thematik Diabetesmanagement bei Menschen mit psychischen Erkrankungen vor. In einem rezenten Review, welcher auf Menschen mit der Komorbidität schwere psychische Erkrankung und Typ-2-Diabetes fokussiert, zeigen sich folgende vier problematische Bereiche in Bezug auf die Therapieadhärenz:

Praxistipp
Achten Sie vor allem auf die Ernährung und körperliche Aktivität Ihrer Patienten bei deren Diabetes-Selbstmanagement.
  • Vor allem Ernährung und körperliche Aktivität, weniger die anderen Erfordernisse des Diabetes-Selbstmanagements, werden permanent vernachlässigt.

  • Jede Exazerbation der psychischen Erkrankung beeinträchtigt das DiabetesSelbstmanagement.

  • Soziale Unterstützung und hohe Selbsteffektivität verbessern das DiabetesSelbstmanagement.

  • Die Nutzung von Gesundheitseinrichtungen ist in dieser Patientengruppe reduziert. Die Lebensqualität ist eher schlecht.

Ein strukturiertes Vorgehen für eine effektive Diabetestherapie bei psychisch kranken Menschen ist in der Abbildung 1 dargestellt. Kontrollen der Zielwerte sollten in Abständen von 3 Monaten erfolgen, bei Nichterreichen ist eine Erweiterung der Therapie erforderlich.

Abb. 1: Diabetestherapie bei psychischer Komorbidität

bei der Verfasserin

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