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Diabetes mellitus – kombinierte Leitlinie für Technologien

Diabetestechnologie (Update 2023)

Neben der Entwicklung von neuen Insulinen mit vorteilhaften Wirkprofilen und innovativen Medikamenten haben Menschen mit Diabetes mellitus über die letzten drei Jahrzehnte vor allem auch von Fortschritten und Innovationen im Bereich der Diabetestechnologie profitiert. Die ÖDG liefert dazu nun ein Update der Leitlinie.

Keypoints

  • Therapieziele werden auf Technologie ausgerichtet.

  • Kontinuierliche Glukosemessung ist für alle Menschen geeignet, die eine intensive Insulintherapie durchführen.

  • Automated-insulin-delivery-Systeme sind die bevorzugte Empfehlung für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1.

Insulinpumpen zur kontinuierlichen Insulinabgabe und Sensoren zur Glukosemessung haben sich sowohl im pädiatrischen Bereich als auch in der Betreuung von Erwachsenen im Vergleich zur Basis-Bolus-Therapie mittels Insulinpens und kapillärer Blutzuckermessungen als zielführend und effektiv erwiesen. Um der gemeinsamen Entwicklung von Messsystemen und Insulinpumpen Rechnung zu tragen, wurden die Leitlinien dazu in einer Diabetestechnologie-Leitlinie 2023 zusammengefasst.

Therapieziele auf Technologie ausgerichtet

Der etablierten Messgröße HbA1c liegt ein Glukosemittelwert über zwei bis drei Monate zugrunde und sie gilt als gutes Maß für die Hyperglykämie, nicht jedoch für Hypoglykämien und Glukoseschwankungen. Letztere werden in Analogie zur Hyperglykämie als ursächlich für mikrovaskuläre Spätkomplikationen gesehen. Durch die immer größere Verbreitung von Systemen zur kontinuierlichen Glukosemessung („continuous glucose monitoring“, CGM) bei Benutzer:innen von Insulinpumpen wie auch Insulinpens stehen deutlich mehr Daten zur Verfügung, als es bei der herkömmlichen kapillären Blutzuckermessung der Fall ist (Abb. 1).

Abb. 1: Zeit im Zielbereich für einzelne Patient:innengruppen (modifiziert nach Battelino T et al., Diabetes Care 2019)

Kontinuierliche Glukosemessung

Unter kontinuierlicher Glukosemessung versteht man die Messung der Glukose im Subkutangewebe alle 1–15 min mittels eines trans- oder subkutanen Sensors. CGM gilt als Methode der Wahl für die Glukosemessung bei allen Menschen mit Diabetes, die eine intensive Insulintherapie durchführen, definiert ist als 3 oder mehr Insulininjektionen am Tag oder das Nutzen einer Insulinpumpe. Der Einsatz wird auch bei schwangeren Frauen, die eine Insulintherapie durchführen, unabhängig vom Diabetestyp, sowie nach Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 1 (T1D) empfohlen. Dabei kann zwischen „real-time CGM“ (rtCGM) und „intermittently scanned CGM“ (isCGM, „flash glucose monitoring“) unterschieden werden. Alle Menschen mit problematischen Hypoglykämien (häufige/schwere Hypoglykämien, Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen) sollen Zugang zu einem rtCGM mit Alarmfunktion erhalten. Neben der therapeutischen Anwendung von CGM kann es professionell genutzt werden, um Glukoseverläufe retrospektiv zu analysieren und daran adaptierte Therapieempfehlungen auszusprechen.

Insulinpumpe – kontinuierliche subkutane Insulininfusion (CSII)

„Automated insulin delivery“(AID)-Systeme/„hybrid closed loops“ (HCL) sind derzeit die am weitesten fortgeschrittene Technologie. Bei komplexeren automatisierten Insulinpumpen/CGM-Systemen, auch als künstliche Bauchspeicheldrüse bezeichnet, reguliert ein Algorithmus alle paar Minuten automatisch die Insulinzufuhr über die Pumpe unter Berücksichtigung der aktuellen und vergangenen sensorgenerierten Glukoseverläufe (Abb. 2; Tab. 1). Im Vergleich zur Standardtherapie (Pumpe/Pen mit CGM) ist der Einsatz von AID-Systemen mit einer längeren TIR („time in range“)verbunden, sowie mit einer reduzierten Hyperglykämie- und Hypoglykämiehäufigkeit bei gleichzeitig moderater Reduktion der HbA1c-Werte. AID-Systeme und HCL werden allen Menschen mit T1D empfohlen, um ihre TIR zu verlängern, Hyper- und Hypoglykämien zu verhindern und ihre Lebensqualität zu verbessern. Sie sind daher bevorzugt einzusetzen.

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Abb. 2: Schema zu Systemaufbau einer Closed-loop-Insulinabgabe

Tab. 1: CE-zertifizierte HCL-Systeme

Spezielle Gruppen und Bedürfnisse

Eine gute metabolische Einstellung im Kindes- und Jugendalter von Beginn an ist prognostisch bedeutend. Daher ist es notwendig, eine individualisierte, altersadäquate Therapie anzuwenden, um eine hohe Therapiezufriedenheit und Compliance zu erreichen. Eine verbesserte glykämische Kontrolle, eine verbesserte Gewichtskontrolle sowie eine Änderung des Verhaltens konnten in einer limitierten Anzahl von Studien mit großer Heterogenität für die Anwendung von CGM bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 (T2D), die keine komplexe Insulintherapie durchführen, gezeigt werden. Es ist (trotz geringer Evidenz)davon auszugehen, dass insbesondere Menschen mit absolut insulinabhängigen Diabetesformen (z.B. nach totaler Pankreatektomie) aufgrund der instabilen Stoffwechsellage mit einer deutlich erhöhten Neigung zu Hypoglykämien besonders von der Nutzung der neuen Diabetestechnologien (der CGM-/AID-Systeme) profitieren.

Die Anwendung von rtCGM während der Schwangerschaft verbessert u.a. die glykämische Kontrolle und das neonatale Outcome. Rezente Arbeiten zu AID-Systemen sind noch nicht in das Leitlinien-Update integriert, geben aber Hinweise darauf, dass sich diese auch hierbewähren. Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes, die eine Insulintherapie durchführen, wird der Einsatz von CGM empfohlen. Bei Frauen ohne Insulintherapie kann eine Empfehlung ausgesprochen werden.

Technologie als Basis telemedizinischer Betreuung

Alle Insulinpumpen, CGM-Systeme und HCL-Systeme können über cloudbasierte Software ausgelesen werden bzw. Daten werden automatisch in die entsprechende Cloud hochgeladen. Damit besteht die ideale technische Grundlage für eine telemedizinische Betreuung, die vor allem während der Covid-19-Pandemie in vielen Diabeteszentren zur neuen Realität geworden ist. Auch über die Pandemie hinaus birgt die Telemedizin großes Potenzial in der Langzeitbetreuung von Menschen mit Diabetes. Um Telemedizin in die Versorgungsstruktur implementieren zu können, bedarf es aber solider Planung und Umsetzung unter Berücksichtigung rechtlicher und datenschutzrechtlicher Grundlagen.

Vermittlung von Theorie und Praxis

Die Implementierung und Anwendung von Diabetestechnologie müssen fundiert vermittelt und trainiert werden. Strukturierte formale Schulungsprogramme konnten die glykämische Kontrolle verbessern und sorgten für mehr Akzeptanz und Zufriedenheit bei Anwender:innen. Vor allem die standardisierte CGM-Analyse mittels ambulantem Glukoseprofils (AGP) sollte von medizinischen Fachkräften im Diabetesbereich beherrscht und die Daten sollten in Analogie zu Laborparametern (z.B. HbA1c) zur Verlaufskontrolle dokumentiert werden. Das multidisziplinäre Schulungsteam sollte (pädiatrische) Diabetolog:innen,Diabetesberater:innen, Diätolog:innen, Psycholog:innen sowie Sozialarbeiter:innen umfassen.

Fazit

Praxistipp
Nutzen Sie die cloud­basierte Software zur strukturierten Datenanalyse!

Im Leitlinien-Update Diabetestechnologie 2023 wurde durch die Zusammenfassung der Leitlinien zu CGM und CSII die Tatsache berücksichtigt, dass beide Technologien in Entwicklung und Anwendung in engem Zusammenhang stehen. Aufgrund der Evidenz, die zu CGM vorliegt, kann die klare Empfehlung ausgesprochen werden, dass alle Menschen mit Diabetes und intensivierter Insulintherapie unabhängig vom Diabetestyp CGM nutzen sollen. Ebenso wurden AID-Systeme und HCL in den Fokus gestellt, die allen Menschen mit T1D empfohlen werden, um ihre TIR zu optimieren, Hyper- und Hypoglykämien zu verhindern und ihre Lebensqualität zu verbessern.

bei der Verfasserin

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