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Diabetesschulung und Diabetesberatung, Update zu den neuen Leitlinien
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Michaela Riedl
<br>Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel<br> Universitätsklinik für Innere Medizin III<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: bianca.itariu@meduniwien.ac.at
Autor:
Dr. Bianca-Karla Itariu
30
Min. Lesezeit
19.09.2019
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<p class="article-intro">Der hohe Stellenwert von Diabetesschulung und Selbstmanagement wird in den neuen Diabetes-Leitlinien erneut hervorgehoben.1 Strukturierte Diabetesschulung soll betroffene Personen befähigen, sich aktiv mit ihrer Erkrankung und deren Management auseinanderzusetzen. Dieser Artikel soll einen Überblick über Neuerungen in der Diabetesschulung verschaffen und die aktuelle Evidenz unterstreichen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine strukturierte und validierte Diabetesschulung mit dem Ziel der Befähigung zum Empowerment und Selbstmanagement von Personen mit Diabetes ist für den Therapieerfolg von großer Bedeutung.</li> <li>Glukosesensorsysteme und Insulinpumpen bedürfen zusätzlicher strukturierter Schulungsmaßnahmen.</li> <li>Strukturierte Schulungsprogramme mit Betonung auf Selbstmanagement sind effektiver als die reine Wissensvermittlung.</li> <li>Spezifische ethnisch-kulturelle Aspekte, Herkunft und Alter sollten selbstverständlich in der Schulung mitberücksichtigt werden.</li> </ul> </div> <p>Ziel von validierten Schulungsprogrammen ist, durch Vermittlung von Wissen über die Erkrankung und Erlernen von Fertigkeiten die Therapie bestmöglich im Alltag umzusetzen und damit die individuellen Therapieziele zu erreichen (Empowerment zum Selbstmanagement). Zeitgemäß wurden neue Technologien inkludiert, die Multikulturalität berücksichtigt und die Notwendigkeit von Disease-Management- Programmen betont.</p> <h2>Schulungsinhalte</h2> <p>Die Schulungsinhalte für Typ-1- und Typ-2-Diabetes unterscheiden sich voneinander (Tab. 1). <br />Über die in der Tabelle genannten Aspekte hinaus beinhaltet die Schulung bei Typ-1-Diabetes die verstärkte Wahrnehmung und das Management von Hypoglykämien, die Erkennung und Behandlung zusätzlicher kardiovaskulärer Risikofaktoren wie z. B. erhöhter Blutdruckwerte, hoher Blutfette, Rauchen und Übergewicht sowie mikro- und makrovaskulärer Komplikationen. Spezielle Schulungen für Personen mit Gestationsdiabetes, Insulinpumpen, Glukosesensoren und bei Hypoglykämie- Wahrnehmungsstörung sollten zusätzlich in Diabeteszentren angeboten werden. Betont wird in den neuen Leitlinien abermals die Bedeutung einer strukturierten und validierten Schulung.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Diabetes_1904_Weblinks_s20_tab1.jpg" alt="" width="1025" height="883" /></p> <h2>Auf dem neuesten Stand der Technik</h2> <p>Glukosesensorsysteme und Insulinpumpen gehören inzwischen zum Diabetes- Alltag und bedürfen selbstverständlich zusätzlicher strukturierter Schulungsmaßnahmen. Die Einschulung auf Blutzuckermessgeräte wird zunehmend von der Einschulung auf CGM-Sensoren wie z. B. „Free Style Libre“, „Dexcom G4 bis G6“ oder „Eversense“ abgelöst. Die Aufzeichnungen hinsichtlich glykämischer Kontrolle unterscheiden sich dabei signifikant von den „klassischen“ 7-Punkt-Blutzucker-Profilen. Der Fokus liegt nun verstärkt auf der „time in range“ (dem Zeitraum, in dem der Blutzucker innerhalb eines vordefinierten optimalen Blutglukosebereichs liegt). Dieser Parameter ist für eine optimale Blutzucker Einstellung von größter Relevanz. <br />Bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes ist mittlerweile die Pumpentherapie die Therapie der Wahl. Daher müssen in der Schulung die zur Verfügung stehenden Insulinpumpen erklärt werden können und die notwendige Infrastruktur, die das computerbasierte Auslesen von Pumpen, Blutzuckermessgeräten und Glukosesensoren ermöglichen, vorhanden sein. Auch verschiedenste Diabetes-Apps sowie Patienten- Portale gewinnen in der Diabetesberatung zunehmend an Bedeutung.</p> <h2>Schulungsprogramme</h2> <p>Die Inhalte der Diabetesschulung werden durch verschiedene validierte Schulungsprogramme vermittelt. Programme für Typ-1- und Typ-2-Diabetes, die auf dem „Düsseldorfer Schulungsmodell“ basieren, sind auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Das an der Medizinischen Universität Wien entwickelte Diabetes FIT Curriculum oder die in Bad Mergentheim/Deutschland entwickelten interaktiven Programme: für Typ-1-Diabetes: „PRIMAS“ (Schulungs- und Behandlungsprogramm für ein selbstbestimmtes Leben mit Typ-1-Diabetes) und Typ-2-Diabetes: „MEDIAS 2“ (mehr Diabetes- Selbstmanagement für Typ 2) sind in erster Linie auf die Befähigung der Betroffenen, mit Diabetes umzugehen, ausgerichtet. <br />Das Schulungsprogramm „Conversation Maps<sup>®</sup>“ („Gesprächslandkarten“) ist vorwiegend interaktiv aufgebaut, muss aber erst in größeren Studien bezüglich Effektivität validiert werden.<sup>2</sup> <br />Programme mit Betonung auf Selbstmanagement sind dabei offensichtlich effektiver als reine Wissensvermittlung. Nachschulungen einzelner Personen und mit Rücksicht auf Herkunft und Alter sind zusätzlich von Vorteil. Um die Motivation zu steigern kann die „Bewegungsbox“ (www. bewegungsbox.at) in die Schulung integriert werden. Dabei werden unterschiedliche Möglichkeiten zu einem aktiveren Lebensstil aufgezeigt. Weiters werden einige neue Programme vorgestellt, wie z. B.:</p> <ul> <li>„HyPOS“ (Hypoglykämie – POsitives Selbstmanagement) – mit dem Ziel der Verbesserung des Selbstmanagements bei Hypoglykämie.</li> <li>„Neuros“ (Aktiv werden – Neuropathie richtig behandeln) – ein neues Schulungs- und Behandlungsprogramm für Menschen mit Diabetes und Neuropathie.</li> <li>„SPECTRUM“ – ein herstellerunabhängiges Schulungsprogramm für die kontinuierliche Glukosemessung</li> <li>„INPUT“ – ein evaluiertes Schulungsund Behandlungsprogramm für die Insulinpumpentherapie.</li> </ul> <p>Diabetes-Apps (z. B. MySugr) bzw. Diabetes- Portalen (z. B. Diabetes-Patientenfuchs) wird eine unterstützende Wirkung zugesprochen. In Metaanalysen wird eine HbA<sub>1c</sub>- Verbesserung um 0,5 % sowohl bei Personen mit Typ-1- als auch mit Typ-2-Diabetes beschrieben. Dieser Effekt besteht aber hauptsächlich dann, wenn die Teilnehmer regelmäßig in medizinischer Betreuung stehen. Multikulturalität Spezifische ethnisch-kulturelle Aspekte sollten in der Schulung berücksichtigt werden, um eine nachhaltige Verbesserung der Stoffwechsellage zu erreichen. In einer systematischen Metaanalyse aus dem Jahr 2014 wurde gezeigt, dass Diabetes-Schulungsprogramme, die sich an ethnische Minderheiten richten, einen positiven Effekt auf das Diabeteswissen und das Selbstmanagementverhalten haben und letztendlich die glykämische Kontrolle verbessern.<sup>3</sup> Kommunikation und Sprache In den neuen Leitlinien werden häufig Begriffe wie „Betroffene“ und „Personen mit Diabetes“ verwendet, um eine Stigmatisierung zu vermeiden. In einer rezent publizierten Arbeit der Language Matters Group der britischen NHS<sup>4</sup> wurde die Bedeutung der Sprache in der Diabetestherapie untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass sich eine verbesserte Kommunikation zwischen Schulungsteam und Personen mit Diabetes positiv auf die Adhärenz auswirkt. Es bedarf jedoch solider Evidenz, um diese Ansätze zu bestätigen.<sup>4</sup></p> <h2>Evidenz</h2> <p>Metaanalysen<sup>5, 6</sup>, ein NICE-Report<sup>7</sup> und ein älterer Cochrane-Review<sup>8</sup> untermauern signifikante positive Ergebnisse einer strukturierten Diabetesschulung. <br />Anhand des „Düsseldorfer Diabetes Treatment und Teaching“-Programmes konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass eine strukturierte Diabetesschulung im Sinne einer intensivierten Insulintherapie signifikante Verbesserungen der Stoffwechseleinstellung mit sich bringt.<sup>9</sup> In dieser Studie aus Deutschland fanden sich bei Patienten mit Typ-1-Diabetes eine signifikante Verbesserung des HbA<sub>1c</sub>-Werts und eine deutlich niedrigere Inzidenz schwerer Hypoglykämien nach der Schulung.<sup>9</sup> Diese müssen allerdings regelmäßig wiederholt werden, um die erwünschten Therapieziele zu erhalten. <br />Wie wichtig diese Schulungs-assoziierten Verbesserungen der Stoffwechseleinstellung sind, wird durch die Ergebnisse der DCCT/EDIC-Studie aufgezeigt: Für jeden Prozentpunkt, um den sich das mittlere HbA<sub>1c</sub> erhöht, steigt das Risiko für Herzerkrankungen zwischen 31 und 42 % .<sup>10</sup> <br />Auch Disease-Management-Programme (DMP, „Therapie Aktiv“) sind in der Diabetesbetreuung effektiv und führen zur signifikanten Verbesserung der glykämischen Kontrolle sowie des Blutdrucks.<sup>11</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine strukturierte, validierte Diabetesschulung wesentlich zum Therapieerfolg beiträgt. In den neuen Leitlinien werden klinisch relevante Schulungsmodelle angeführt und erläutert. Die Betreuung der steigenden Anzahl von Personen mit Diabetes und der damit verbundene höhere Schulungsbedarf sind eine sehr große Herausforderung in den kommenden Jahren. Maßnahmen zur Sicherstellung der hierfür notwendigen Ressourcen – sowohl finanzieller als auch personeller Natur – müssen unmittelbar ergriffen werden, sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im Spitalssetting<sup>1</sup>, um die Betreuungsqualität aufrechterhalten bzw. verbessern zu können.</p> </div></p>