
Diabetes mellitus Typ 2 im Spital besser im Griff mit dem Diabetesmanagementunterstützungssystem GlucoTab
Autoren:
Dr. Daniel Hochfellner
Priv.-Doz. DDr. Felix Aberer
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Julia Mader
Universitätsklinik für Innere Medizin, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz
E-Mail: felix.aberer@medunigraz.at
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Das Erreichen von Blutglukosezielwerten während stationärer Aufenthalte bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ist eine oft unterschätzte Herausforderung. Angst vor iatrogen induzierten Hypoglykämien und fehlende Erfahrung führen häufig zu insuffizienter Blutzuckereinstellung. Zudem wird die Indikation für eine intrahospitale Insulintherapie oft übersehen und die Erreichung der Blutzuckerzielbereiche vernachlässigt.
Keypoints
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Viele hospitalisierte Patienten mit Diabetes erreichen nicht die empfohlenen Zielbereiche. Dieser Umstand ist mit einem erhöhten Risiko für Krankenhaus-assoziierte Komplikationen verbunden.
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Eine Basis-Bolus-Insulin-Therapie, wird von Fachgesellschaften bei persistierenden Blutzuckerwerten von >180mg/dl empfohlen.
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Elektronische Entscheidungsunterstützungssysteme wie GlucoTab® haben gezeigt, dass die Basis-Bolus-Insulin-Therapie sicher und effizient umgesetzt, eine Verbesserung der Blutzuckerwerte erreicht und eine hohe Anwenderakzeptanz berichtet wurde.
Dies ist für die davon Betroffenen insofern problematisch, als sowohl Hyper- als auch Hypoglykämien bekannterweise mit Krankenhaus-spezifischen Komplikationen wie Infektionen, Verlängerung der Krankenhausaufenthalte und Mortalität assoziiert sind. Das elektronische Diabetesmanagementsystem GlucoTab® (decide Clinical Software GmbH, Graz) soll dabei helfen, die Therapie für hospitalisierte Patienten mit Diabetes bzw. neu aufgetretener Hyperglykämie zu verbessern und das medizinische Personal zu entlasten. Insbesondere der automatisierte Basis-Bolus-Algorithmus zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 ist dabei von Bedeutung.
Komplexere Situation bei Hospitalisierung
Die steigende Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 2 in der Bevölkerung (in Österreich 9,7% [8,5–13,9] der 20–79-Jährigen)1 führt unweigerlich zu einem Anstieg von Diabetes mellitus Typ 2 bei hospitalisierten Patienten, wobei selten der Diabetes selbst bzw. Blutzuckerentgleisungen für den Krankenhausaufenthalt verantwortlich sind. Die Diabetesprävalenz im Krankenhaus wird auf bis zu 30% geschätzt. Das Blutzuckermanagement dieser Patienten während der stationären Behandlung ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht nur die zur Aufnahme führende Erkrankung (z.B. eine systemische Infektion) und die stationäre Aufnahme per se können über adrenerge Stimulation zu gesteigerter Insulinresistenz und Hyperglykämien beitragen, auch veränderte Ernährung und zumeist verminderte körperliche Bewegung sowie Medikamente wie Cortison können dazu führen, dass sich ein zuvor eventuell gut kontrollierter Diabetes mellitus während der Hospitalisierung akut verschlechtert.
Auch der Umstand, dass während einer akuten Erkrankung die meisten oralen Antidiabetika (insbesondere Metformin und SGLT2-Hemmer) pausiert werden müssen, kann zu einer weiteren Verschlechterung der Blutzuckereinstellung führen.
Erschwerend kommt auch hinzu, dass unerwartete Nüchternepisoden während der stationären Behandlung auf der Tagesordnung stehen. Egal ob Letztere durch diagnostische Prozeduren, reduzierten Appetit, Operationen oder andere Eingriffe bedingt sind, machen sie eine Anpassung der Diabetes-spezifischen Therapie notwendig.
Herausforderungen der Guideline-gerechten Therapie
Nationale sowie internationale Guidelines der Diabetes-Fachgesellschaften empfehlen aufgrund des veränderten Metabolismus während der stationären Behandlung die zwischenzeitige Einleitung einer Insulintherapie bei persistierenden Blutzuckerwerten von über 180mg/dl. Abgesehen von Patienten auf Intensivstationen oder Überwachungseinheiten sowie Patienten in der Ketoazidose bzw. hyperglykämem hyperosmolarem Status, wo eine intravenöse Therapie mittels Insulinperfusor angezeigt ist, ist die subkutane Insulintherapie mittels Basis-Bolus-Prinzip zur Blutzuckereinstellung ausdrücklich empfohlen.2,3
Sowohl Mischinsulintherapien als auch Korrekturinsulin nach Blutzuckerschema bergen ein erhöhtes Risiko für hypo- und hyperglykämische Entgleisungen.4,5 Die Initiierung und Durchführung einer Basis-Bolus-Insulin-Therapie bei hospitalisierten Patienten ist vor allem für nicht diabetologisch-internistische Fachdisziplinen eine schwer zu bewerkstelligende Herausforderung. Selbst auf fachspezifischen Abteilungen zeigt sich oft eine unzureichende Diabeteseinstellung. Letzteres ist oft bedingt durch fehlerhafte Kalkulation der Insulindosen sowie fehlende oder zögerliche Anpassung dieser im Verlauf des Aufenthaltes.6
Auch mangelhafte Kommunikation oder Informationsverlust durch die komplexen Verhältnisse im stationären Setting behindern oft eine zufriedenstellende Blutzuckereinstellung.
Unterstützung durch GlucoTab im klinischen Alltag
Um flächendeckend eine leitliniengerechte Behandlung von hospitalisierten Patienten zu ermöglichen, wurde ein elektronisches Diabetesmanagementsystem entwickelt. GlucoTab® ist integrierbar in das Krankenhausinformationssystem bzw. sofern bereits vorhanden in die elektronische Fieberkurve (Abb. 1). Blutzuckerwerte können automatisiert durch Point-of-Care-Testing (POCT) bzw. aus dem Laborinformationssystem übernommen werden.
Kernstück des Systems ist ein automatisierter Basis-Bolus-Insulin-Algorithmus, welcher zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 vorgesehen ist. Der Algorithmus schlägt automatisiert eine Startdosis sowie im Verlauf des Krankenhausaufenthaltes Insulindosen in Abhängigkeit vom aktuellen Blutglukosewert vor.
Der Therapiestart wird durch die behandelnden Ärzte ausgeführt, automatisierte Tagesdosisanpassungen erfolgen im Weiteren durch das Pflegepersonal, welches Insulindosisvorschläge erhält und ausführt (Abb. 2). Für die Verwendung des Algorithmus stehen aktuell laut dem Hersteller Insulin glargin (U100, U300) sowie alle kurz wirksamen Insulinanaloga (Insulin aspart, lispro und glulisin) zur Verfügung.
Abb. 2: Benutzeroberfläche inklusive Blutzuckerkurve und Insulindosisdokumentation sowie Therapievorschlag des Entscheidungsunterstützungssystems
Allgemein erfolgen täglich eine einmalige Basalinsulingabe sowie 3 präprandiale Bolusinsulingaben und gegebenenfalls eine Korrekturinsulingabe vor dem Zubettgehen. Bei Nüchternphasen wird keine Mahlzeiten-bezogene Bolusinsulindosis vorgeschlagen und nur eine Korrektur, wenn notwendig, verabreicht. Zum Ende des stationären Aufenthaltes wird die Therapie durch das ärztliche Personal auf eine Therapie umgestellt, die für die Patienten im häuslichen Setting adäquat umsetzbar ist.
Klinische Studien und Simulationsmodell
In klinischen Studien konnte unter Verwendung des Systems nicht nur gezeigt werden, dass die Blutzuckerspiegel hospitalisierter Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zu einem größeren Anteil im Zielbereich liegen, sondern auch signifikant weniger Hypoglykämien als bei Standardtherapie auftreten.7 Diese Daten wurden auch auf nicht endokrinologischen internistischen Stationen sowie einer chirurgischen Station erhoben. Des Weiteren zeigte sich eine sehr zufriedenstellende Benutzerakzeptanz des Systems unter ärztlichem und pflegerischem Krankenhauspersonal.8 Dies ist vor allem auf die Entlastung und Optimierung von Arbeitsabläufen zurückzuführen. Verglichen zu papierbasierten Blutzuckerkurven und Dosisberechnungen von Ärzten kommt es bei diesem System zu weniger Informationsverlust zwischen Anordnung und Ausführung der Insulintherapie.
In einem Simulationsmodell konnte auch gezeigt werden, dass durch die Unterstützung des integrierten Basis-Bolus-Algorithmus signifikant weniger Dosisberechnungsfehler vorkommen und dadurch klinisch relevante Effekte wie die Vermeidung von Hypoglykämien erreicht werden.9 Durch die in den Workflow integrierten Arbeitsschritte und die Erinnerung an offene Aufgaben wie Blutzuckermessungen oder Dosisanpassungen ist dieses System nicht nur zur Entscheidungsunterstützung geeignet, sondern auch als digitales Krankheitsmanagementsystem zu verstehen.10 Insbesondere ist hier die Dokumentationsmöglichkeit sämtlicher diabetesspezifischer Therapieformen inklusive OADs hervorzuheben.
Für Patienten mit Diabetes mellitus Typ1 wird ein Bolus-Kalkulator bereitgestellt und derzeit wird an einer Dokumentationsmöglichkeit für Insulinperfusoren mit integriertem Schema der Umstellung auf subkutane Insulintherapien gearbeitet. Auch im klinischen Alltag, unabhängig von Studiensettings, konnte die Titration von Basal- und Bolusinsulin durch den Algorithmus über den gesamten stationären Aufenthalt eine suffiziente Therapiekontrolle zeigen. Insbesondere im Vergleich zur Standardbehandlung durch ärztliches Personal zeigte sich eine deutliche und sehr rasche Verbesserung der Blutzuckereinstellung, bereits innerhalb der ersten 3 Tage nach Therapieinitiierung.11,12 Auch hier kam es zu weniger Hypoglykämien, und somit konnte eine sichere und effektive Blutzuckersenkung auch unter Real-World-Bedingungen erreicht werden.
Erfahrungen mit GlucoTab
PraXiStiPP
Durch den Einsatz von elektronischen Entscheidungsunterstützungssystemen wie GlucoTab können eine sichere und effektive Blutzuckersenkung auch unter Real-World-Bedingungen und eine Reduktion von Hypoglykämien erreicht werden.Diese Effekte werden durch klinische Erfahrungen mit dem System untermauert; es ist bereits in mehreren Krankenhäusern der KRAGES und der KAGes inklusive einiger Abteilungen des LKH-Universitätsklinikums Graz im Einsatz. Das Entscheidungsunterstützungssystem wurde mittlerweile auch im extramuralen Bereich bei Menschen, die eine häusliche Versorgung durch Hauskrankenpflege in Anspruch nehmen, getestet. Für dieses Personenkollektiv wurde ein Basalinsulin- bzw. Basal-plus-Algorithmus mit bedarfsgerechten Bolusinsulingaben entwickelt. Hier zeigte sich, dass Krankenhauseinweisungen aufgrund von Blutzuckerentgleisungen reduziert werden konnten und eine bessere Blutzuckereinstellung gemessen am HbA1c nach 3 Monaten Behandlung erreicht werden konnte.13,14 Der Basalinsulin-Algorithmus wurde auch in einem geriatrischen Krankenhaus getestet und zeigte ebenfalls ein effektives und sicheres Blutzuckermanagement.15
Literatur:
1 International Diabetes Federation (IDF): IDF Diabetes Atlas. 9th edn. 2019 2 American Diabetes Association: 15. Diabetes care in the hospital: standards of medical care in diabetes - 2021. Diabetes Care 2021; 44(Suppl 1): S211-S220 3 Mader JK et al.: Hospital diabetes management (Update 2019). Wien Klin Wochenschr 2019; 131(Suppl 1): 200-11 4 Phillips VL et al.: A comparison of inpatient cost per day in general surgery patients with type 2 diabetes treated with basal-bolus versus sliding scale insulin regimens. Pharmacoecon Open 2017; 1(2): 109-15 5 Umpierrez GE et al.: Comparison of inpatient insulin regimens with detemir plus aspart versus neutral protamine hagedorn plus regular in medical patients with type 2 diabetes. J Clin Endocrinol Metab 2009; 94(2): 564-9 6 Schnipper JL et al.: Inpatient management of diabetes and hyperglycemia among general medicine patients at a large teaching hospital. J Hosp Med 2006; 1(3): 145-50 7 Mader JK et al.: Efficacy, usability and sequence of operations of a workflow-integrated algorithm for basal-bolus insulin therapy in hospitalized type 2 diabetes patients. Diabetes Obes Metab 2014; 16(2): 137-46 8 Neubauer KM et al.: Standardized glycemic management with a computerized workflow and decision support system for hospitalized patients with type 2 diabetes on different wards. Diabetes Technol Ther 2015; 17(10): 685-92 9 Spat S et al.: Automatic system testing of a decision support system for insulin dosing using Google Android. Stud Health Technol Inform 2013; 186: 187-91 10 Kopanz J et al.: Electronic diabetes management system replaces paper insulin chart: improved quality in diabetes inpatient care processes due to digitalization. J Diabetes Sci Technol 2020; 1932296820957043 11 Hochfellner D et al.: Electronic decision support for insulin therapy is safe and efficient in inpatients with type 2 diabetes. Diabetes 2020; 69(S1): 80th Scientific Sessions American Diabetes Association (ADA), 2020; Chicago, IL, USA (oral communication) 12 Aberer F et al.: Efficiency and safety of an electronic decision support system for insulin therapy in hospitalized female patients with type 2 diabetes. Wien Klin Wochenschr 2020(132): S334 13 Libiseller A et al.: Study protocol for assessing the user acceptance, safety and efficacy of a tablet-based workflow and decision support system with incorporated basal insulin algorithm for glycaemic management in participants with type 2 diabetes receiving home health care: a single-centre, open-label, uncontrolled proof-of-concept study. Contemp Clin Trials Commun 2020; 19: 100620 14 Kopanz J et al.: Effective, safe and user-accepted basal-insulin therapy in elderly patients with type 2 diabetes receiving digitaly assisted domiciliary nursing care - the Glucotab@mobilecare study. Diabetes Technol Ther 2020; 22: A109-A110 15 Lichtenegger K et al.: Digital decision support for basal insulin therapy: rct confirmed readiness for implementation in acute-geriatric care patients with type 2 diabetes. Diabetes Technol Ther 2020; 22: A110-A111
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