Roundtable

Diabetes-Technologie: Wie können neue Möglichkeiten besser genützt werden?

Enthusiasmus aufgrund neuer Optionen in der Diabetes-Technologie, aber Unverständnis für die restriktive Erstattungspraxis der Sozialversicherungen – so kann der Roundtable „Diabetestherapie im Praxisalltag – Ordination/Ambulanz/Uni-Klinik“ im Rahnen der ÖDG-Frühjahrstagung kurz zusammengefasst werden. Gefordert wird auch die bessere Honorierung des ärztlichen Gesprächs.

Die Diabetologie steht vor großen Herausforderungen, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching, Vorstand der 5. Medizinischen Abteilung an der Klinik Ottakring, bei seiner Moderation eines Roundtables im Rahmen der ÖDG-Frühjahrstagung. Dabei diskutierten Expertinnen und Experten unterschiedlicher Spezialisierungen Themen von der pädiatrischen Diabetologie bis zur Betreuung älterer Patient*innen mit Typ-2-Diabetes. Neue Medikamente und technologische Entwicklungen ermöglichen eine immer bessere Betreuung der Patient*innen und Österreich befinde sich in einer privilegierten Position, da die meisten Technologien verfügbar sind und auch erstattet werden. Verbesserungsbedarf gibt es dennoch, Probleme sind aber eher organisatorisch-finanziell als medizinisch. So werden die in Ambulanzen erbrachten Leistungen in den Leistungskatalogen der Sozialversicherungen nicht abgebildet und bleiben am Spitalserhalter hängen. Damit bestehe die Gefahr, dass Diabetesambulanzen eher ab- als aufgebaut werden.

Mehr Zentralisierung in der pädiatrischen Diabetologie?

Dr. Maria Fritsch von der klinischen Abteilung für allgemeine Pädiatrie der Medizinischen Universität Graz berichtete von den Möglichkeiten, die sich in der Behandlung von Kindern mit Typ-1-Diabetes durch neue Technologien ergeben. Allerdings stößt die österreichische Versorgungssituation an Grenzen, da landesweit 36 Zentren pädiatrische Patient*innen betreuen, einige aber nur geringe Patientenzahlen haben. Fritsch: „In kleinen Teams ist es schwierig, neue Technologien optimal einzusetzen und die bestmögliche Betreuung zu gewährleisten. Wir wünschen uns, dass die Kinder von einem multiprofessionalen Team betreut werden. Es genügt nicht, dass es im Haus einen Kinderdiabetologen gibt.“ Vielmehr benötigen junge Patient*innen in der Umsetzung der ärztlichen Empfehlungen Unterstützung, wofür es auch Diabetesberater*innen, Diätolog*innen und Psycholog*innen braucht. Krisen sind bei jungen Patient*innen zu erwarten und müssen gemeinsam bewältigt werden, daher sind Zentren mit adäquaten Betreuungsschlüsseln wichtig. Dies sei vor allem an den großen universitären Zentren in Wien, Graz und Innsbruck gewährleistet, wo jeweils 300 oder mehr pädiatrische Patient*innen betreut werden. Fasching geht von rund 10000 Kindern mit Typ-1-Diabetes aus, sieht aber in der Forderung nach größeren Zentren Schwierigkeiten in ländlichen Regionen. Dieses sei durch eine bessere Vernetzung kleinerer mit größeren Zentren sowie mit den betroffenen Familien lösbar, so Fritsch, da heute die Übertragung von Daten leicht und von überall funktioniert. Dies praktiziere man in Graz, wo Familien aus entlegenen Gegenden zweimal im Jahr an die Universitätsklinik kommen, sonst aber von einem kleineren, regionalen Zentrum versorgt werden. Den Anschluss dieser Zentren an den niedergelassenen Bereich sieht Fritsch kritisch, da wenige Pädiater*innen Erfahrung in der Diabetologie hätten und nicht die Zeit zur Versorgung potenziell schwieriger Patient*innen mit Diabetes haben.

<< Die Herausforderung im allgemeinmedizinischen Bereich liegt weniger im Einsatz der neuen Technologien als in der Erstattung durch Krankenkassen, die diese verweigern oder schwierig gestalten.>>
Dr. Patrick Reichel, Allgemeinmediziner Gruppenpraxis, Sierndorf

Selbstermächtigung der Digital Natives

Fasching sieht bei der Technologie junge Patient*innen im Vorteil. Viele Jugendliche stellen ihre Behandlung selbst auf „closed loop“ um und verfügen über ein technisches Wissen, das in der Ärzteschaft nicht vorausgesetzt werden könne. Dabei bestehe die Gefahr des Vertrauensverlustes, wenn Patient*innen erkennen, dass ihre Behandler*innen nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Univ.-Prof. Dr. Julia Mader, Medizinische Universität Graz, unterstreicht, dass man „das, was man verordnet, auch verstehen sollte“, ortet aber auch im niedergelassenen Bereich ein besser werdendes Verständnis für Sensordaten.

<< Von der ÖDG werden Berichte über Erstattungsprobleme gesammelt, eine entsprechende Intervention ist angedacht.>>
Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching, 5. Medizinische Abteilung, Klinik Ottakring

Dr. Patrick Reichel, Allgemeinmediziner in einer Gruppenpraxis in Sierndorf, Niederösterreich, sieht in den neuen Möglichkeiten der Glukosemessung einen Benefit für alle. Behandler*innen bekommen einen besseren Überblick über die Qualität der Blutzuckerkontrolle, Patient*innen profitieren von der grafischen Darstellung der Zuckerverläufe. Die Herausforderung im allgemeinmedizinischen Bereich ist weniger der Einsatz der Technologie als die Kommunikation mit den Krankenkassen, die bei Sensortechnik nicht selten die Erstattung verweigern oder schwierig gestalten. Ziel sei es, durch optimale Betreuung im niedergelassenen Bereich die Ambulanzen zu entlasten. Hier kommen Vorteile von Gruppenpraxen zum Tragen: Einerseits erlauben sie interne Spezialisierungen, andererseits lassen sich bei Bedarf Betreuer*innen für längere Patientengespräche „freispielen“. Außerhalb der normalen Ordinationszeiten gibt es Spezialsprechstunden für Patient*innen mit Diabetes. Diese Leistungen werden in Reichels Praxis als normale Kassenleistungen abgerechnet, sodass den Patient*innen keine Zusatzkosten entstehen. Die Gruppenpraxis übernimmt Ersteinstellungen auf Insulin und führt Patient*innen mit komplexen Insulintherapien. Dies sei dank der detaillierten Leitlinien der ÖDG unproblematisch, allerdings verweigern Kassen in diesem Setting zuweilen die Erstattung von Sensoren und bestehen auf einer Verschreibung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin.

<< In kleinen Teams ist es schwierig, neue Technologien bei Kindern mit Typ-1-Diabetes optimal einzusetzen und die bestmögliche Betreuung zu gewährleisten.>>
Dr. Maria Fritsch, Klinische Abteilung für allgemeine Pädiatrie, Medizinische Universität Graz

Fasching hält fest, dass die ÖDG Berichte über Erstattungsprobleme sammelt und eine entsprechende Intervention angedacht ist. Ein Problem sei, dass sich die Regeln häufig zu Ungunsten der Patient*innen und der Verordner*innen ändern. Selbst in Spitalsambulanzen werde die Verschreibung kontinuierlicher Glukosemessung erschwert und die Erstattung abgelehnt, wenn im Antrag nicht ein genau geforderter Wortlaut enthalten ist. Es besteht der Eindruck der Harmonisierung der Leistungen auf dem niedrigsten möglichen Niveau. Dies anzusprechen sei Teil des Vierjahresplans der ÖDG.

Automatische Ablehnung von Anträgen auf Erstattung

Die Erstattungsprobleme haben, so Dr. Michael Resl, Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz, dazu geführt, dass manche Hersteller von Insulinpumpen überlegen, ob es für sie noch sinnvoll sei, ihre Produkte auf dem österreichischen Markt anzubieten.

<< Eine Initiative mehrerer Fachgesellschaften zur Abklärung von technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ist notwendig.>>
Dr. Michael Resl, Abteilung für Innere Medizin, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz

Laut Dr. Gersina Rega-Kaun, 5. Medizinische Abteilung, Klinik Ottakring, garantiere eine Basis-Bolustherapie die Erstattung eines Sensors nicht mehr, da dieser oft nur für Patient*innen unter funktioneller Insulintherapie (FIT) bewilligt werde. Damit gehen praktisch alle Patient*innen mit Typ-2-Diabetes leer aus. Dies dürfte von der ÖDG nicht akzeptiert werden, fordert Mader, da eine FIT laut Verordnungstext keine Voraussetzung für die Erstattung ist. Es bestehe der Verdacht, dass Anträge quasi automatisch abgelehnt werden: „Die Anträge werden negativ beschieden, wenn nicht die drei Buchstaben FIT draufstehen.“ Eine unproblematische Erstattung der neuen Technologien sei besonders für pädiatrische Patient*innen wichtig, da diese ein hohes Spätkomplikationsrisiko, aber bei guter Einstellung exzellente Chancen auf ein gutes Outcome aufweisen.

Es sei, so Fasching, hervorzuheben, dass eine gute Diabetestherapie genauso finanziert werden müsse wie eine onkologische, da sie Betroffenen lange Zeit ein gutes Leben ermögliche.

Technische Hürden erschweren den Datenaustausch

Rega-Kaun nimmt sich in ihrer Wahlarztpraxis für die erste Einschulung der Patient*innen auf einen Sensor rund eine Stunde Zeit. Dabei werden Fragen geklärt wie etwa, ob der Patient bereits Erfahrungen mit einem Sensor hat und diesen weiterhin verwenden will, oder es geht darum, Besonderheiten der verschiedenen Systeme zu klären und mit dem Patienten zu besprechen, welches System für ihn das geeignete ist. Ideal wäre eine Plattform, auf der alle Systeme – also Sensoren und Pumpen unterschiedlicher Hersteller – integriert werden können. Im intramuralen Bereich kommen oft Schwierigkeiten mit der Software ins Spiel, weil Programme von den Häusern nicht angeschafft oder nicht auf die hauseigenen Computer hochgeladen werden dürfen. In diesen Situationen sei man auf das Equipment der Patient*innen angewiesen. Das sei besonders dann nicht ideal, wenn Hersteller eigene Software-Versionen für die Behandler*innen zur Verfügung stellen. Auch Fasching hat die Erfahrung gemacht, dass die EDV-Sicherheit mancher Krankenhäuser die Implementation von Programmen de facto unmöglich macht und Lösungen auf den höchsten Verwaltungsebenen gefunden werden müssen. Mader erklärt, dass es eine Lösung für unterschiedliche Systeme gäbe, dass immer mehr Firmen aber den Zugang zu Daten verweigern und die Übertragung nur auf ihre eigene Seite zulassen. Dies stehe im Widerspruch zur EU-Regulation, die den Patient*innen das volle Recht auf ihre Daten zusichert. Hier wäre ein EU-weiter Vorstoß notwendig, um dies auch durchzusetzen.

<< Was man (an neuen Technologien) verordnet, sollte man auch verstehen.“>>
Univ.-Prof. Dr. Julia Mader, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz

Resl berichtet von Ambulanzplänen, die so gut wie möglich an den Tagesplan der Patient*innen angepasst werden, sodass Patient*innen mit Typ-1-Diabetes die Option einer Betreuung zu den Tagesrandzeiten haben. Im Falle von Resl ist das der Morgen, sodass ein Ambulanztermin die Patient*innen nicht den ganzen Tag kostet. Dies wird von berufstätigen Patient*innen gerne angenommen, wobei man sich auch besser auf die Patient*innen konzentrieren könne. Das sei man Patient*innen mit höherem Gesprächsbedarf schuldig.

Es dürfe nicht vergessen werden, so Fasching, dass ein Teil der diabetischen Population aus der strukturierten Versorgung herausfalle und oft jahrelang keinen Kontakt zu Spezialambulanzen oder Diabetologen habe. Die Folge sei, dass Patient*innen Therapien anwenden, die nicht mehr dem Standard entsprechen. Kontinuierliche Betreuung sei ein wesentlicher Faktor, dies zu verhindern, so Reichel.

Fritsch weist darauf hin, dass sich das Problem der verschwindenden Patient*innen häufig in der Zeit der Transition von der Kinder- zur Erwachsenenmedizin stelle. In Graz werde versucht, dem mit einer Transitionsambulanz vorzubeugen. Erschwerend im ländlichen Bereich ist, dass die Zentren oft schwer zu erreichen sind.

Liegt die Zukunft in der Telemedizin?

Fasching verweist auf die Chancen der Telemedizin, wobei Probleme der Honorierung zu lösen sind. Im Zuge der Pandemie gab es von den Kassen erstmals die Bereitschaft, telemedizinische Leistungen auch zu erstatten, die Honorare mit wenigen Euro pro Konsultation sind aber extrem niedrig.

<< Eine Basis-Bolustherapie garantiert die Erstattung eines Sensors nicht mehr, da dieser oft nur für Patienten unter funktioneller Insulintherapie (FIT) bewilligt wird.>>
Dr. Gersina Rega-Kaun, 5. Medizinische Abteilung, Klinik Ottakring

Rega-Kaun berichtet von Erfolgen an ihrem Zentrum mit der telemedizinischen Betreuung von Schwangeren mit Diabetes in der Covid-19-Pandemie, Datenschutzrechtliches steht aber teilweise im Weg. Resl fordert eine Initiative mehrerer Fachgesellschaften zur Abklärung der technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Generell besteht in Österreich die Situation, dass das Patientengespräch kaum honoriert werde, obwohl es in der Diabetologie wichtiger sei als manche technische Untersuchung. Hier wird die ÖDG in den kommenden Jahren deutliche Forderungen stellen.

Roundtable „Diabetestherapie im Praxisalltag – Ordination/Ambulanz/Uni-Klinik“ im Rahmen der ÖDG-Frühjahrstagung am 23. April 2022 in Krems

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