Bei Diabetes mellitus jährlich die Nierenfunktion kontrollieren
Bericht:
Claudia Benetti
Medizinjournalistin
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Jede vierte an Typ-2-Diabetes erkrankte Person hat eine chronische Nierenerkrankung und ebenso viele haben ab einem bestimmten Alter auch eine Herzinsuffizienz. Mit einer Drei-Säulen-Therapie können die Progression der diabetischen Nephropathie verzögert und das Risiko für eine Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz gesenkt werden, wie Prof. Dr. med. Peter Wiesli, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Frauenfeld, in seinem Vortrag am FOMF Diabetes Update Refresher aufzeigte.
Je schlechter die Nierenfunktion und je höher die Albuminurie ist, desto grösser ist auch die Wahrscheinlichkeit, an einem kardiovaskulären Ereignis zu sterben», erklärte Wiesli.1 Etwa 20–30% der Patientinnen und Patienten mit einem Typ-2-Diabetes (T2D) haben eine chronische Niereninsuffizienz im Stadium G3–5.2
Glomeruläre Filtrationsrate und Albuminurie
Die beiden Fachgesellschaften KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) und ADA (American Diabetes Association) empfehlen in ihrer gemeinsamen Leitlinie, bei Personen mit Diabetes die Nierenfunktion einmal jährlich zu überprüfen.3 «Bei Typ-2-Diabetes sollte das Screening mit der Diagnosestellung, bei Typ-1-Diabetes spätestens nach fünf Jahren begonnen werden», so der Referent.
Dabei wird Albumin im Spoturin und Kreatinin im Blut gemessen. Beurteilt wird die Nierenfunktion anhand des Albumin-Kreatinin-Quotienten (ACR) und der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR). Generell sollte der ACR nur in einer stabilen Situation bestimmt werden. Denn verschiedene Zustände, wie schlechte Diabeteseinstellung, Herzinsuffizienz, Harnwegsinfekt oder akute Erkrankung, können passager eine Albuminurie auslösen.
Ist die Nierenfunktion über drei Monate eingeschränkt (eGFR <60ml/min/1,73m2) und/oder wird zweimal eine Albuminurie (ACR >3mg/mmol resp. >30mg/g) dokumentiert, liegt eine chronische Niereninsuffizienz (CKD) vor. Bei Sarkopenie, Amputation, Leberzirrhose, Hyperthyreose oder vegetarischer Ernährung sollte die eGFR laut Wiesli besser mit CystatinC geschätzt werden. Denn in diesen Situationen kann das Kreatinin sehr niedrig sein und die eGFR falsch hoch ausfallen.
Ursache der CKD ist nicht immer eine diabetische Nephropathie
Bei 60% der an Diabetes Erkrankten ist eine diabetische Nephropathie nicht der Grund für die chronische Niereninsuffizienz. «Es lohnt sich, gelegentlich einen Streifentest zu machen, das Urinsediment zu analysieren und manchmal eine Sonografie oder sogar eine Biopsie durchzuführen», so der Referent. Bei Menschen mit T2D beispielsweise sind nicht selten eine hypertensive Nephropathie oder eine Glomerulonephritis die Ursache. Zu möglichen weiteren Ursachen zählen eine akute Erkrankung, eine Herzinsuffizienz, ein schlecht eingestellter Diabetes oder ein Harnwegsinfekt.
«Besteht zur Albuminurie auch eine diabetische Retinopathie, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine diabetische Nephropathie besteht, sehr hoch», erklärte Wiesli. Die Albuminurie allein ist bei Typ-1-Diabetes (T1D) sehr prädiktiv für eine diabetische Nephropathie, bei T2D ist sie hingegen nur zu 20–30% spezifisch für die diabetische Nephropathie. In dieser Population ist die Albuminurie vielmehr Ausdruck einen Endotheldysfunktion («window to vasculature») und ein Indikator für ein hohes kardiovaskuläres Risiko.
Bei Personen ohne Albuminurie und/oder ohne diabetische Retinopathie liegt mit grosser Wahrscheinlichkeit eine andere Ursache für die CKD als die diabetische Nephropathie vor, wenn die Niereninsuffizienz sehr früh (Diabetesdauer <5 Jahre) auftritt, akut beginnt und schnell progredient ist oder ein aktives Urinsediment vorliegt. Weitere mögliche Hinweise auf eine andere Ursache sind eine Autoimmunerkrankung, eine Hepatitis, eine HIV-Infektion sowie eine suggestive Klinik oder eine Familienanamnese mit Nierenkrankheiten.
Mehrere Faktoren beteiligt
Erstes Zeichen für eine diabetische Nephropathie ist die Albuminurie. Im Verlauf kommt es zu einem Blutdruckanstieg, und relativ spät erst steigt das Kreatinin an und die GFR nimmt ab. Die Entwicklung geht mit typischen histologischen Veränderungen einher: Zunächst kommt es zu einer Verdickung der glomerulären Basalmembran, später zu einer mesangialen Proliferation und glomerulären Sklerose und schliesslich zur Fibrose. Diese klassische Entwicklungssequenz wird von verschiedenen Faktoren begünstigt, etwa von Bluthochdruck, einem schlecht eingestellten Diabetes und einer Überaktivierung des Mineralokortikoid-Rezeptors.4–6
Metformin und SGLT2-Hemmer
Therapie der Wahl bei T2D und Nephropathie sind Metformin und SGLT2-Inhibitoren (SGLT2i). Mit allen SGLT2i – Empagliflozin, Dapagliflozin, Canagliflozin und Ertugliflozin – konnte der kombinierte renale Endpunkt, bestehend aus Abnahme der eGFR um <40%, Dialysebeginn oder Transplantation sowie Tod aufgrund der Nephropathie, signifikant um 40–50% reduziert werden, fasste Wiesli die Daten zusammen.
Die Behandlung mit einem SGLT2i kann bei einer eGFR >20ml/min begonnen und bis zur Dialyse fortgesetzt werden. Die blutzuckersenkende Wirkung ist allerdings bei einer eGFR <45ml/min kaum noch vorhanden. «Die SGLT2i schützen jedoch selbst dann noch sehr gut die Niere und auch vor einer Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz», betonte der Experte.
Die Wirkung besteht unabhängig davon, ob die Betroffenen einen Diabetes mellitus und/oder eine Herzinsuffizienz haben, sowie unabhängig von der Ejektionsfraktion und der GFR.7–9
GLP-1-RA wirken vor allem auf die Albuminurie
GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) hätten, wie Wiesli weiter ausführte, zwar nicht die gleiche exzellente Wirkung auf die renalen Endpunkte wie die SGLT2i. «Dennoch haben auch sie günstige Effekte auf die Nieren und wirken insbesondere auf die Albuminurie», betonte er. In einer Metaanalyse beispielsweise reduzierten GLP-1-RA das relative Risiko für die Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz um 11% und für renale Endpunkte um 21%.10
Neue Therapieoption Finerenon
«Neben der Diabeteseinstellung mit nephroprotektiven Antidiabetika – Metformin, SGLT2i und GLP-1-RA – ist immer auch die Blutdruckeinstellung wichtig, um die Progression der CKD zu verzögern», so der Referent. Antihypertensiva der ersten Wahl sind die Renin-Angiotensin-System-Blocker (RAS-Blocker), die ACE-Hemmer und die Angiotensin-II-Rezeptorblocker (Sartane). Eine neue Option zur Hemmung der Fibroseentwicklung besteht seit Kurzem mit dem nichtsteroidalen Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (nsMRA) Finerenon (Kerendia®). «Die Substanz wirkt exzellent auf die Entzündung und die Fibroseentwicklung in der Pathogenese der diabetischen Nephropathie, die durch eine Überaktivierung des Mineralokortikoid-Rezeptors vermittelt werden», sagte Wiesli.
Finerenon hat im Vergleich mit den beiden klassischen Aldosteron-Antagonisten eine hohe Potenz und eine hohe Selektivität. Gegenüber Spironolacton verursacht Finerenon zudem weniger (sexuelle) Nebenwirkungen und im Vergleich zu Eplerenon hemmt es potent die Entzündung und Fibroseentwicklung (Tab. 1).11–12 In Studien reduzierte Finerenon die renalen Endpunkte sogar ähnlich relevant wie die SGLT2i. Auch kardiovaskuläre Endpunkte, insbesondere Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz, konnten mit dem neuen Medikament im Vergleich zu Placebo signifikant häufiger verhindert werden.13
Tab. 1: Vergleich von Finerenon und den klassischen Aldosteron-Antagonisten (nach Bakris GL et al. 2020 und Pitt B et al. 2021)11,12
Das neue Medikament sei, so Wiesli, aber keine Alternative für Spironolacton, da es den Blutdruck kaum senke. Die Substanz kommt konkret für Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion und einer gewissen Albuminurie (Niereninsuffizienz Stadium G3A2) infrage, wenn ihr Kaliumwert im normalen Bereich liegt und sie mit einer für sie maximal verträglichen Dosis eines ACE-Hemmers oder eines Sartans behandelt werden. Weil in den Finerenon-Studien nur wenige Patientinnen und Patienten mit einem SGLT2i eingeschlossen waren, besteht zudem für die Kombinationstherapie mit einem SGLT2i eine Limitatio. Sie ist erst bei einer höheren Albuminurie (ACR >30mg/mmol resp. >300mg/g) indiziert.
«Aufgrund der verschiedenen Optionen basieren die Therapie der Nephropathie und die Prävention der Nierenfibrose bei T2D heute auf den drei Säulen RAS-Hemmung, SGLT2i und nichtsteroidale Mineralokortikoid-Rezeptor-Blockade», betonte Wiesli. Die GLP-1-RA haben die Bedeutung einer Stütze. Sie kommen bei Menschen mit Diabetes und Nephropathie vor allem dann infrage, wenn die SGLT2i nicht eingesetzt werden können (Abb. 1).
Abb. 1: Drei-Säulen-Therapie bei Typ-2-Diabetes und Nephropathie (nach P. Wiesli)
Empfehlungen von KDIGO und ADA
KDIGO und ADA empfehlen in ihren Guidelines bei T2D und Nephropathie einen gesunden Lebensstil und als Erstlinienmedikamente Metformin und SGTL2i sowie gegebenenfalls einen GLP-1-RA oder ein anderes Antidiabetikum (v. a. DPP4-Inhibitoren [Gliptine] und Insulin) und einen nsMRA.3 Bei T2D und T1D mit eingeschränkter Nierenfunktion empfehlen die beiden Fachgesellschaften bei Bluthochdruck eine antihypertensive Therapie primär mit einem RAS-Blocker und bei Hypercholesterinämie eine lipidsenkende Behandlung primär mit einem Statin (Abb. 2). «Für die Verzögerung der Progression der Nephropathie müssen natürlich auch immer nephrotoxische Substanzen (nichtsteroidale Antirheumatika und Kontrastmittel) und eine Dehydration vermieden sowie allfällige sekundäre Komplikationen (Anämie, Hyperparathyreoidose, Azidose) behandelt werden», führte Wiesli weiter aus.
Abb. 2: KDIGO/ADA-Guidelines 2022 – holistischer Ansatz zur Verbesserung des Outcomes bei Personen mit Diabetes und diabetischer Nephropathie (adaptiert nach de Boer IH et al., 2022)3
Quelle:
FOMF Diabetes Update Refresher, 9. bis 12. November 2023, Zürich
Literatur:
1 Matsushita K et al.: Estimated glomerular filtration rate and albuminuria for prediction of cardiovascular outcomes: a collaborative meta-analysis of individual participant data. Lancet Diabetes Endocrinol 2015; 3: 514-25 2 Gastaldi G et al.: Swiss recommendations of the Society for Endocrinology and Diabetes (SGED/SSED) for the treatment of type 2 diabetes mellitus (2023). Swiss Med Wkly 2023; 153: 40060 3 De Boer et al.: Diabetes management in chronic kidney disease: a consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO). Diabetes Care 2022; 45: 3075-90 4 Alicic RZ et al.: Diabetic kidney disease: challenges, progress, and possibilities. Clin J Am Soc Nephrol 2017; 12: 2032-45 5 Mora-Fernandes C et al.: Diabetic kidney disease: from physiology to therapeutics. J Physiol 2014; 592: 3997-4012 6 Bauersachs J et al.: Mineralocorticoid receptor activation and mineralocorticoid receptor antagonist treatment in cardiac and renal diseases. Hypertension 2015; 65: 257-63 7 Braunwald Eugene: Gliflozins in the management of cardiovascular disease. N Engl J Med 2022; 386: 2024-34 8 Heerspink HJL et al.: Dapagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med 2020; 383: 1436-46 9 EMPA-Kidney Collaborative Group: Empagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med 2023; 388: 117-27 10 Sattar N et al.: Cardiovascular, mortality, and kidney outcomes with GLP-1 receptor agonists in patients with type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis of randomized trials. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9: 653-62 11 Bakris GL et al.: Effect of finerenone on chronic kidney disease outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2020; 383: 2219-29 12 Pitt B et al.: Cardiovascular events with finerenone in kidney disease and type 2 diabetes. N Engl J Med 2021; 385: 2252-63 13 Agrarwald R et al.: Cardiovascular and kidney outcomes with finerenone in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease: the FIDELITY pooled analysis. Eur Heart J 2022; 43: 474-84
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