
Diabetes-Management im Kontext operativer Eingriffe
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching
5. Medizinische Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie
Klinik Ottakring, Wien
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Patienten mit Diabetes mellitus haben nicht nur ein höheres Risiko für Begleiterkrankungen als gleichaltrige Menschen ohne Diabetes, sondern auch ein erhöhtes und mit zunehmender Diabetesdauer steigendes Risiko für Komplikationen während oder nach chirurgischen Eingriffen. Umfassende präoperative Evaluierung und entsprechendes Management der Risikofaktoren sind daher unverzichtbar und erfordern die enge Kooperation von Anästhesisten, Chirurgen und Diabetologen.
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) veröffentliche 2019 ein tiefgreifendes Update ihres Positionspapiers zum perioperativen Management von Patienten mit Diabetes mellitus.1 Schwerpunkte sind die präoperative Begutachtung und Vorbereitung sowie die perioperative Stoffwechselkontrolle mittels oraler Antidiabetika und/oder Insulintherapie. Bei komplexen diabetologischen Therapieregimen und/oder Vorliegen diabetischer Spätsyndrome sollte ein diabetologisch versierter Arzt beigezogen werden.
Patienten mit Diabetes mellitus sind grundsätzlich Risikopatienten
Dabei ist generell zu beachten, dass Patienten mit Diabetes mellitus im Vergleich zu gleichaltrigen Nichtdiabetikern ein höheres Risiko für Begleiterkrankungen haben. Mit Empfehlungsgrad I und Evidenzklasse A betont die ÖDG, dass das statistische Risiko für Multimorbidität mit dem Lebensalter und insbesondere mit der vorbekannten Diabetesdauer steigt. Häufig besteht ein metabolisches Syndrom. Begleiterkrankungen betreffen zumeist das kardiovaskuläre System, Nieren, Nervensystem und Sinnesorgane. Dabei ist insbesondere an koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre oder periphere arterielle Durchblutungsstörung, Nierenfunktionseinschränkung infolge von Nephropathie, periphere und autonome Neuropathie, Retinopathie sowie Makulopathie zu denken. Ausgeprägte Adipositas, mikro- und makroangiopathische Durchblutungsstörungen sowie diabetische Nephropathie sind insofern von Bedeutung, als sie mit einem erhöhten Infektionsrisiko assoziiert sind.
Die Erhebung der Anamnese und die internistische präoperative Evaluierung sind beim Patienten mit Diabetes grundsätzlich nicht anders zu sehen als bei Patienten ohne Diabetes und laufen auf eine Erhebung des klinischen Status des Patienten hinaus. Schwerpunktmäßig geht es um den Zustand von Herz, Lunge und Gefäßsystem. Letzteres kann mittels Karotis-Ultraschall, Blutdruckmessung an beiden Armen sowie Erhebung des Pulsstatus der Beine abgeklärt werden. Routineparameter wie ein komplettes Blutbild und Labor mit Entzündungs- und Nierenfunktionsparametern, Lipiden, Elektrolyten, Leberwerten, basalem TSH, Harnbefund und Gerinnung erlauben eine gute Abschätzung des Gesundheitszustandes. Hinzu kommt bei bekanntem Diabetes mellitus noch eine erweiterte diabetesspezifische Anamnese, in deren Rahmen nicht zuletzt das Auftreten von Hypoglykämien abgefragt werden muss. Erforderlich ist weiters die Bestimmung des HbA1c-Wertes und der Glukosespiegel, sowohl nüchtern als auch postprandial. Die ÖDG empfiehlt präoperative Untersuchungen in Abhängigkeit vom Umfang der geplanten Operation bzw. vom Gesundheitszustand des Patienten.
Prä- und perioperative Blutzuckerziele
Prinzipiell sollte präoperativ ein HbA1c von maximal 7% angestrebt werden. In Fällen, in denen dieses Ziel wegen Multimorbidität oder höheren Alters nicht mehr erreicht werden kann, sollte ein Grenzwert von 8% nicht überschritten werden. Ein HbA1c jenseits der 10% bedeutet eine Kontraindikation für elektive Operationen. Bei so deutlicher Hyperglykämie sollten Operationen nur bei dringlicher Indikation, also in aller Regel nur in Notfällen, durchgeführt werden.
Die Evidenz zu dieser Empfehlung stammt aus einer Substudie der BARI-2D-Studie, die in einer retrospektiven Analyse bei diabetischen Patienten mit aortokoronarer Bypass-Operation einen präoperativen HbA1c-Bereich zwischen 6,1 und 7,0% als optimal identifizierte. Im Vergleich dazu waren sowohl ein präoperatives HbA1c von über 8,0% als auch von unter 6% prognostisch ungünstig. Bei hohem HbA1c war das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen (MACE) (HR: 1,77) und instabile Angina pectoris (HR: 5,21) signifikant erhöht. Bei einem perioperativen HbA1c von unter 6,0% wurde hingegen ein erhöhtes Mortalitätsrisiko (HR: 2,41) gefunden.2
Orale Antidiabetika sollten am Tag der Operation pausiert werden. Für Metformin3 und SGLT2-Inhibitoren wird wegen der Gefahr einer Laktatazidose bzw. euglykämen Ketoazidose im Falle eines elektiven Standardeingriffs ein präoperatives Pausieren über 24 Stunden empfohlen. Vor großen Eingriffen sollten Metformin und SGLT2-Inhibitoren bis zu 48 Stunden pausiert werden. Für die SGLT2-Inhibitoren bestehen diesbezüglich Warnhinweise von EMA5 und FDA6. Ebenso müssen Sulfonylharnstoffe abgesetzt werden, da sie bei präoperativer mangelnder Nahrungszufuhr Hypoglykämien verursachen können. Ältere Substanzen sind in dieser Hinsicht gefährlicher.7 Gliptine und GLP-1-Mimetika verzögern die Magenentleerung und können daher zu gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen führen. Pioglitazon begünstigt Flüssigkeitsretention und birgt daher perioperativ die Gefahr von Volumenüberlastung.
Insulintherapie im perioperativen Setting meist alternativlos
Da erhöhte Blutzuckerwerte bei hospitalisierten Patienten mit erhöhtem Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko assoziiert sind und folglich vermieden werden müssen, benötigen stationäre Patienten mit Diabetes mellitus sehr häufig eine Insulintherapie. Diese ist bei größeren Eingriffen perioperativ derzeit die einzige Option zur Blutzuckerkontrolle. Besteht bereits eine Insulintherapie, so ist diese an die perioperativen Herausforderungen anzupassen, was beispielsweise die Umstellung von einer Insulinpumpe auf i.v. Infusion oder Basis-Bolus-Therapie bedeutet. Am Operationstag wird nur Basalinsulin verabreicht. Patienten auf Intensiv- oder Intermediate-Care-Stationen benötigen eine intravenöse Insulingabe, die zumeist kontinuierlich mittels Motorspritze oder Infusionspumpe erfolgt. Dabei kommen kurz wirksame Insuline zum Einsatz, die mit NaCl 0,9% verdünnt werden.
Alle in Österreich zugelassenen kurz wirksamen Insuline sind auch für den i.v. Einsatz zugelassen. Zu beachten sind Unterschiede in der Wirkdauer (Carry-over-Effekt) moderner Insulinanaloga im Vergleich mit Altinsulin. Die Dosierung erfolgt häufig mittels sogenannter Korrekturschemata (Sliding Scales). Allerdings besteht mittlerweile solide Evidenz, dass ein starres Schema zu einem erhöhten Risiko für Hypoglykämien führt, weshalb mittlerweile verschiedene „dynamische“ Dosierungsmodelle entwickelt wurden, die die Geschwindigkeit der Blutzuckerveränderung berücksichtigen. Auf diesem Weg konnte die Häufigkeit von Hypoglykämien im Vergleich zu historischen Kontrollen mit Sliding Scales drastisch reduziert werden.8 Voraussetzung dafür ist jedoch gut geschultes medizinisches Personal. Die ursprünglichen Protokolle wurden mittlerweile weiterentwickelt. Auch Softwareversionen dieser Dosierungsmodelle sind am Markt verfügbar.
Orale Therapie erst nach Stabilisierung wieder beginnen
PraXiStiPP
Für Diabetespatienten, die sich großen chirurgischen Eingriffen unterziehen müssen, ist eine Insulintherapie meist die einzige Option.Das perioperative Blutzuckerziel liegt zwischen 110 und 140mg/dl. Jedenfalls zu vermeiden sind Blutzuckerwerte über 180mg/dl auf Intensivstationen bzw. über 200mg/dl auf der Normalstation, da eine ausgeprägte postoperative Hyperglykämie unter anderem mit einem erhöhten Risiko für postoperatives Delirium oder kognitive Dysfunktion assoziiert ist. Im Falle einer Sepsis erhöht Hyperglykämie die Mortalität. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die bei Inflammation erhöhte Insulinresistenz. So zeigte eine japanische Studie bei Patienten mit T2D eine Korrelation zwischen dem postoperativen Insulinbedarf und der Konzentration des C-reaktiven Proteins (CRP). Daraus wurde ein Anstieg des Insulinbedarf um 0,60 Einheiten/Tag pro Anstieg des CRP um 1mg/dl errechnet.9 Auch bei Patienten ohne präoperativ manifesten Diabetes mellitus können erhöhte perioperative Glukosekonzentrationen im Sinne einer „Stresshyperglykämie“ zum Problem werden und das Risiko für postoperative Komplikationen und Spitalsmortalität erhöhen.9 Ob postoperative Insulininfusionen die Prognose dieser Patienten verbessern können, ist derzeit noch unklar.
Eine orale Therapie soll erst begonnen werden, wenn die klinische Akutsituation stabilisiert ist. Das bedeutet das Abklingen von Entzündungen und die Normalisierung der Nierenfunktion. Nach längeren Operationen kann die orale Therapie frühestens am ersten postoperativen Tag wieder initiiert werden. Als Faustregel gilt, dass die Reetablierung der normalen Therapie dann erfolgen kann, wenn der Patient wieder isst und trinkt und kritische Laborparameter kontrolliert worden sind.
Die von der ÖDG vorgeschlagenen Algorithmen für Patienten auf der Normalstation sind in den Abbildungen 1 und 2 wiedergegeben.3, 4
Abb. 2: Therapiealgorithmus für Patienten auf der Normalstation, die keine Nahrung zu sich nehmen („null per os“)3, 4
Literatur:
1 Fasching et al.: Wien Klin Wochenschr 2019; 131 (Suppl. 1): S212-7 2 Turgeon RD et al.: Pharmacotherapy 2020; 40(2): 116-24 3 Mader JK et al., Wien Klin Wochenschr 2019; 131: 200-11 4 Procedure under Article 20 of Regulation (EC) No 726/2004 resulting from pharmacovigilance data. 2016, European Medicines Agency 5 FDA Drug Safety Communication: FDA warns that SGLT2 inhibitors for diabetes may result in a serious condition of too much acid in the blood. 2015, FDA 6 Deusenberry CM et al.: Pharmacotherapy 2012; 32: 613-17 7 Goldberg PA et al.: Diabetes Care 2004; 27: 461-7 8 Kurisu K et al.: J Diabetes Investig 2020; DOI: 10.1111/jdi.13210 9 Davis G et al.: J Diabetes Complications 2018; 32(3): 305-9
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