© ratmaner - stock.adobe.com

Adipositas und Typ-2-Diabetes

„Diabesity“ – Übergewicht und Diabetes

Adipositas und Typ-2-Diabetes (T2D) werden seit einigen Jahren vermehrt unter dem Namen „Diabesity“ zusammengefasst. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass die Adipositas dem Diabetes in den meisten Fällen vorangeht und wohl der wichtigste Faktor in der weltweiten Zunahme des Typ-2-Diabetes ist.

Keypoints

  • 20% der Österreicher sind adipös und 10% haben T2D.

  • Die enge Beziehung des T2D zur Adipositas macht die Adipositas heute vor Malnutrition zum größten chronischen, globalen Gesundheitsproblem.

  • „Diabesity“ zeigt eine signifikant erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.

  • In einer Ernährungstherapie sollten heute maßgeschneiderte Kostformen mit persönlichen Abneigungen und Präferenzen berücksichtigt werden.

  • Die Therapie von Übergewicht, Adipositas und T2D wächst mehr zusammen.

Waren 1988 noch 6,5% der Österreicher adipös und hatten in etwa 3,5% einen Diabetes mellitus Typ 2, so sind beide Zahlen heute nach 35 Jahren mit an die 20% bzw. 10% etwa verdreifacht.

BMI, Bauchumfang, Mortalität

Der Body-Mass-Index (BMI) ist nüchtern betrachtet ein sehr grobes Maß der Körperverfettung, auch wenn etwa 99% der Menschen mit einem BMI >30kg/m2 tatsächlich fettleibig sind. Wer wegen enormer Muskelmasse zu schwer ist, ist hingegen gut erkennbar. Es können aber auch sogar Normalgewichtige (ca. 30%) und Übergewichtige (>40%) bei Muskelmangel viel zu viel Körperfett aufweisen (Sarkopenie), weswegen zusätzlich Messungen des Bauchumfanges und des Körperfettes empfohlen werden (z.B. Bioimpedanzanalyse [BIA] oder „dual energy X-ray absorptiometry“ [DEXA]). Zwar haben diese auch ihre Schwächen, geben aber eine gute Orientierung und sind besonders im Verlauf eines Gewichtsmanagements von unschätzbarem Wert. Gewichtsverlust ist nicht mit Verminderung an Fett gleichzusetzen, da wir bei unausgewogener Ernährung leicht vor allem Muskel abbauen. Erhöhter BMI bedeutet erhöhte Mortalität bei Männern und Frauen, wobei dies allerdings auch für Untergewicht gilt (mit ungünstigem Muskel-zu-Fett-Verhältnis). Wir sprechen daher von einer „J-shaped curve“. Diabetes und Adipositas zusammen erhöhen das Mortalitätsrisiko etwa auf das 7-Fache.

Viele der sarkopenen Personen werden bereits über den erhöhten Bauchumfang entdeckt. Besteht eine abdominelle Fettansammlung, ist das Risiko für Atherosklerose und vorzeitigem Tod selbst bei normalem BMI erhöht. Als Grenzwerte für den Bauchumfang gelten für eine typische kaukasische Bevölkerung 88cm für Frauen und 102cm für Männer, wobei diese Werte jedoch bei älteren Personen (geringere Körpergröße, Kyphose, Skoliose) nicht anwendbar sind. Da andere ethnische Populationen (z.B. Asiaten) bei gleichem BMI eine größere Fettmasse aufweisen, werden für diese Kollektive andere (niedrigere) Grenzwerte angegeben.

Adipositas als größtes chronisches, globales Gesundheitsproblem

Die enge Beziehung von Adipositas und T2D hat auch zur Bezeichnung „Diabesity“ geführt. Die WHO hat die Adipositas daher zum größten globalen chronischen Gesundheitsproblem erklärt, das neuerdings die Bedeutung der Malnutrition bei Weitem übertrifft. Im Jahr 2030 könnten neueren Prognosen zufolge etwa 60% der Weltbevölkerung übergewichtig oder adipös sein.

Es wird häufig darüber diskutiert, ob die Adipositas eine Erkrankung für sich selbst darstellt oder einem krankhaften Zustand entspricht, eine Publikation der European Association for the Study of Obesity (EASO) hat sie zum „Gateway of ill Health“, also zu einem zentralen krankheitsbestimmenden Faktor erklärt. Die Milan Declaration 2015 der EASO hat die Adipositas selbst als „progressive Erkrankung“ benannt und zusätzlich als zentrales Tor zu vielen anderen Erkrankungen, wie zu den meisten NCDs („non-communicable diseases“, also nicht übertragbaren Erkrankungen) erklärt. Die zentrale Rolle der Adipositas bei Diabetes, Hyperlipidämie und Hypertonie mit der Konsequenz signifikant erhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität wurde von der EASO anerkannt.

Lebensstilmanagement

Lebensstilmanagement mit Ernährungsumstellung und Bewegung ist eine der wichtigsten Maßnahmen in der Diabetesprävention und -therapie. Beim Gewichtsmanagement bevorzugen in den USA und auch weltweit in allen Kulturen Frauen Ernährungsmaßnahmen und Männer eher Bewegungsmaßnahmen. Eine Zunahme der Muskelmasse und eine Verminderung der Körperfettmasse braucht in der Regel aber bei allen Menschen beides. Die Basis jeden Lebensstilmanagements liegt in der Einleitung der Steigerung körperlicher Aktivität. Aerobe Bewegung eignet sich zur Verminderung von Körperfett. Bei Sarkopenie muss auf eiweißreiche Ernährung in Kombination mit Muskelaufbau durch unterstützendes Krafttraining geachtet werden.

Einen besonders wichtigen Faktor stellt neben der Muskelmasse die Funktionalität dar, weswegen im Monitoring geeignete Parameter empfohlen werden (z.B. „Handgrip-Test“). Insbesondere im Alter ist die körperliche Fitness von großer prognostischer Bedeutung. Eine erfolgreiche Gewichtsreduktion kann nur mit einer energiereduzierten Diät, die fettreduziert, aber auch kohlenhydratreduziert sein kann und am besten einem mediterranen Ernährungsmuster entspricht, erreicht werden. Eine mediterrane Ernährung konnte darüber hinaus bei Menschen mit Diabetes die Notwendigkeit der Verordnung oraler Antidiabetika bei neu diagnostizierten Diabetikern reduzieren. Im Fall einer fettreduzierten Diät sollte die Kohlenhydratqualität beachtet werden (bevorzugt komplexe Kohlenhydrate, möglichst wenig Mono- und Disaccharide). Es wurde aber auch gezeigt, dass es in der Praxis darum geht, die Patienten zu motivieren, ihre Ernährung unter Berücksichtigung der persönlichen Präferenzen zu verändern, die Energiezufuhr zu reduzieren und diese Umstellung dauerhaft beizubehalten.

In der Ernährungstherapie sind heute individuell maßgeschneiderte Kostformen zu erstellen, die auch persönliche Präferenzen, Abneigungen, den kulturellen und religiösen Hintergrund sowie die individuelle ökonomische Situation in Betracht ziehen. Supplemente mit definiertem Inhalt können im Ersatz einzelner oder mehrerer (meist 2) Mahlzeiten hilfreich sein („low calorie diets“). Für kurze Zeiträume können bei entsprechender Eignung der Patienten auch stark hypokalorische ketogene Kostformen („very low calorie diets [VLCDs]“) eingesetzt werden. Diese werden dann meist längere Zeit von „low calorie diets“ gefolgt, bei denen 1- bis 2-mal pro Tag ein Mahlzeitenersatz (LCDs) erfolgt.

Diabetesprävention

Nachdem die Mehrheit der Patienten mit T2D übergewichtig oder adipös ist, stellt die Gewichtsreduktion eine wichtige therapeutische Maßnahme in der Diabetesprävention dar. Weiters belegen epidemiologische Daten den Wert einer frühen Gewichtsreduktion bei T2D. Jedes Kilo Gewichtsverlust im ersten Jahr nach Manifestation war in einer Studie von Lean et al. mit einem verlängerten Überleben von 3 bis 4 Monaten assoziiert und 10kg Gewichtsverlust stellten 35% der verminderten Lebenserwartung wieder her. Ein geplanter moderater Gewichtsverlust von etwa 10kg zeigte auch in der Cancer Prevention Study I der American Cancer Society, dass die Mortalität von Menschen mit Diabetes um etwa 25% gesenkt werden konnte.

Diese überaus positiven Ergebnisse wurden auch durch die Resultate der Look-AHEAD-Studie belegt. Hier wurde der Gewichtsverlust allerdings auch mithilfe einer Bewegungstherapie erzielt. Durch diese Maßnahmen konnte ein moderater Gewichtsverlust von 5–10% die Fitness, den HbA1c-Level und die kardiovaskulären Risikofaktoren verbessern. Zusätzlich dazu konnten eine Reduktion von Diabetes, Cholesterin-senkenden und Blutdruck-stabilisierenden Medikamenten nach einem Jahr sowie eine Reduktion von Depressionssymptomen und eine Verbesserung der Schlafapnoe beobachtet werden.

In der Therapie des T2D selbst hat das Gewicht als sekundärer Zielparameter zunehmende Bedeutung erlangt. Es werden daher gerne Metformin (gewichtsneutral bis geringe Gewichtsreduktion) und die gewichtsneutralen Produkte wie Acarbose und DPP-4-Hemmer (Gliptine) verwendet. Mit den SGLT2-Hemmern und den GLP-1- Agonisten sind schließlich Medikamente mit gewichtsreduzierendem Potenzial dazugekommen, die auch kardiovaskuläre Vorteile haben. Mit dem Fettaufnahmehemmer Orlistat und dem appetitmindernden Naltrexon/Bupropion (Fixkombination) stehen orale Therapien zur Unterstützung der Gewichtsreduktion zur Verfügung. Welchen Stellenwert die modernen injizierbaren Antiadiposita (Liraglutid, Semaglutid, Tirzepatide usw.) langfristig in der antidiabetischen Therapie schließlich erlangen werden, ist noch offen, aber das Potenzial scheint enorm zu sein. Mit ihnen ist es nun möglich, Patienten mit T2D nicht nur hinsichtlich ihrer Gewichtsreduktion (bzw. Muskel- und Fettmasse und deren Relation) zu unterstützen, sondern gleichzeitig auch ihren HbA1c-Wert zu verbessern.

Gewichtssteigernde Pharmaka (Begleittherapien)

Generell gibt es einige gewichtssteigernde Begleittherapien, auf welche – wenn möglich – verzichtet oder welche durch gewichtsneutrale oder -reduzierende Alternativen ersetzt werden sollen. Hierzu zählen u.a. viele Psychopharmaka, welche die wichtigsten gewichtssteigernden Begleittherapien per se darstellen. Des Weiteren sind auch Steroidhormone oder Betablocker für eine moderate Gewichtssteigerung bekannt. Unter Letzteren ist zudem eine gehäufte Diabetesmanifestation zu beobachten.

Chirurgische Therapien

Praxistipp
Selbst bei normalen BMI-Werten kann ein zu großer Bauchumfang hinweisend auf eine gesteigerte Körperfett-ansammlung sein, die mit einem erhöhten Risiko für Atherosklerose und einem vorzeitigen Tod assoziiert ist.

Die bariatrische Chirurgie wird derzeit bei einem BMI >40kg/m2 bzw. bei einem T2D mit BMI >35kg/m2 erstattet und kann zumindest teilweise zur Diabetesremission beitragen, sie muss aber in ein entsprechendes lebenslanges Betreuungskonzept eingebunden sein. Die „Gastric banding“-Operationen werden dabei heute durch Sleeve-Gastrektomien und „gastric bypasses“ ersetzt, was die Wirksamkeit deutlich erhöht hat. Neuerdings werden Menschen mit Gewichtszunahmen nach bariatrischen Operationen häufig mit GLP-1-Agonisten für die Gewichtserhaltung behandelt.

Fazit

Die Behandlungen von Übergewicht, Adipositas und T2D sind im Begriff zusammenzuwachsen. Die Wirkpotenz der für beide Welten verwendeten Pharmaka wird dabei immer größer. Wir denken, dass in den nächsten 10 Jahren die konservative Therapie und die bariatrischen Operationen vergleichbar wirksam sein werden.

beim Verfasser

Back to top