Debatte: “To Metformin” or “Not to Metformin” first?
Fachbereich Diabetes<br>1. Medizinische Abteilung<br>Hanusch-Krankenhaus, Wien<br>E-Mail: thomas.wascher@oegk.at
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In den Leitlinien nationaler und internationaler diabetologischer Leitlinien zur antihyperglykämischen Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes wird Metformin als unbestrittene First-Line-Therapie zur Erreichung des notwendigen HbA1c-Zieles angesehen. In der Michael Berger Debate im Rahmen des virtuellen EASD 2020 wurde die antidiabetische Therapie im Spannungsfeld zwischen diabetologischen und kardiologischen Leitlinien diskutiert.
Leitlinien der ÖDG und der ESC widersprechen sich
Neben anderen Therapien zeigt die Abbildung 1 den Algorithmus der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) zum Einsatz von Metformin.1 Ebenso wird in den Leitlinien der ÖDG, wie in der Abbildung 2 dargestellt, unabhängig vom HbA1c-Wert des Patienten der Einsatz von kardiovaskulär und renal protektiven Substanzen (SGLT2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten) für Patienten mit kardiovaskulärer beziehungsweise renaler Vorerkrankung in die therapeutische Entscheidungsfindung einbezogen.2
Abb. 1: Individualisierte antidiabetische Therapie auf Basis des HbA1c-Ausgangswertes.7 Siehe Tabelle 17 der originalen ÖDG-Leitlinien
Abb. 2: Lebensstilmodifizierende Therapie – Gewichtsmanagement, körperliche Aktivität
Diesen Empfehlungen steht ein neues Leitlinienpapier der europäischen kardiologischen Gesellschaft (ESC) gegenüber, in dem als First-Line-Therapie bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und hohem oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko, unabhängig von deren HbA1c-Wert,der Einsatz eines GLP-1-Rezeptoragonisten oder eines SGLT2-Hemmers vorgeschlagen wird.3 Metformin kommt, wie in der Abbildung 3 dargestellt, dann in den Leitlinien der ESC erst als Zweitlinientherapie, abhängig vom HbA1c-Wert, zum Einsatz.
Abb. 3: Leitlinien der ESC. SGLT2i = SGLT2-Hemmer, DPP4i = DPP-4-Hemmer
Als sehr hohes kardiovaskuläres Risiko gilt dabei:
-
Manifeste Gefäßerkrankung
-
Zielorganerkrankung (Proteinurie) oder GFR <30ml/min
Mindestens 3 Risikofaktoren (Alter, Hypertonie, Adipositas, Dyslipidämie, Rauchen)
Als hohes Risiko gilt eine Erkrankungsdauer von mehr als 10 Jahren mit zumindest einem weiteren Risikofaktor.
Evidenz zu den beiden Leitlinien
Die Konstellation ÖDG- vs. ESC-Leitlinie kann, abseits so banaler Tatsachen wie der Erstattbarkeit von Medikamenten im Regelwerk des Österreichischen Erstattungskodex, zu Verunsicherung führen. Insbesondere da ja die Ersttherapie von Menschen mit Typ-2-Diabetes in erster Linie nicht durch Fachärzte für Endokrinologie oder Kardiologie, sondern im niedergelassenen Bereich bei Allgemeinmedizinern erfolgt. Damit stellt sich die Frage, wie medizinisch korrekt, der vorhandenen Evidenz folgend, mit diesen auf den ersten Blick recht widersprüchlichen Leitlinien umgegangen werden könnte.
Dazu im Folgenden ein Blick auf die verfügbare Evidenz:
Die Evidenz für Metformin als First-Line-Therapie stammt aus derStudie UKPDS4, einer Studie, in der eine „intensive“ Blutzuckerkontrolle mit einer „konventionellen“ Blutzuckerkontrolle verglichen wurde. In dieser randomisierten, kontrollierten Studie, die ausschließlich mit neu an Typ-2-Diabetes erkrankten Menschen durchgeführt wurde, gab es eine prädefinierte Gruppe (n=342) von übergewichtigen/adipösen Patienten, deren „intensive Therapie“ auf Basis einer Metformintherapie gestartet wurde. Beobachtet wurde, dass die Endpunkte Herzinfarkt (Risikoreduktion RR 39%; p=0,01), Diabetes-assoziierter Tod (RR 42%; p=0,017) und Gesamtmortalität (RR 36%; p=0,011) am Ende der über 15 Jahre laufenden Studie signifikant reduziert waren. Dieser Benefit blieb auch über die 10 Jahre dauernde Nachbeobachtung der Studie erhalten.5 Damit gibt es also unzweifelhaft Evidenz für Metformin als antihyperglykämische First-Line-Therapie bei Menschen, die neu an Typ-2-Diabetes erkranken.
Die Evidenz für den Einsatz von SGLT2-Hemmern oder GLP-1-Rezeptoragonisten bei Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung und/oder eingeschränkter Nierenfunktion und/oder kardiovaskulären Risikofaktoren stammt aus den für alle Vertreter der Klassen vorliegenden Studien zum kardiovaskulären Outcome. Die Leitlinien der ÖDG geben dazu einegute Übersicht.2 Für beide Substanzklassen liegen zudem auch Metaanalysen vor, die die Wirksamkeit im Hinblick auf kardiovaskuläre Endpunkte untersucht haben. Daher stammt auch die gerechtfertigte Positionierung dieser Substanzklassen in ihrer Bedeutung zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, unabhängig von deren HbA1c-Wert.
Bleibt also die Beantwortung der Frage, ob es die Evidenz dafür gibt, SGLT2-Hemmer oder GLP-1-Rezeptoragonisten bei Diagnose eines Typ-2-Diabetes, unabhängig vom HbA1c-Wert, zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos zum Einsatz zu bringen. Die Antwort auf diese Frage ist ganz klar: Nein!
In den oben angesprochenen Outcomestudien, in denen die kardiovaskulär präventive Wirksamkeit der beiden Substanzklassen dargestellt wurde, waren ausschließlich Patienten mit längerer Diabetesdauer und bereits etablierter antidiabetischer Therapie eingeschlossen. Nicht rekrutiert wurden neu diagnostizierte Menschen mit Typ-2-Diabetes ohne antidiabetische Vortherapie. Daher ist es meines Erachtens wissenschaftlich als nicht gerechtfertigt anzusehen, Metformin als antidiabetische First-Line-Therapie abzulösen. Bei Patienten mit manifester kardiovaskulärer Vorerkrankung (und solchen mit hohem kardiovaskulärem Risiko) sollte jedoch zusätzlich ein SGLT2-Hemmer oder ein GLP-1-Rezeptoragonistunabhängig vom vorliegenden HbA1c-Wert zum Einsatz kommen.
Welche Therapie bei welchen Menschen mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes?
Zur praktischen Erläuterung sind in den folgenden Beispielen fiktive Patienten mit unterschiedlichen Konstellationen und die daraus folgende Therapie gemäß den Leitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft angeführt:
-
Neu diagnostizierter Diabetes, HbA1c-Wert 6,2%, keine manifeste kardiovaskuläre Vorerkrankung: Lebensstilmodifikation
-
Neu diagnostizierter Diabetes, HbA1c-Wert 6,7%, keine manifeste kardiovaskuläre Vorerkrankung: Lebensstilmodifikation & Metformin
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Neu diagnostizierter Diabetes, HbA1c-Wert 6,7%, Zustand nach Myokardinfarkt: Lebensstilmodifikation & Metformin & SGLT2-Hemmer oder GLP-1-Rezeptoragonist (derzeit nur als Einzelfallbewilligung erstattbar)
Neu diagnostizierter Diabetes, HbA1c-Wert 6,2%, Zustand nach Myokardinfarkt: Lebensstilmodifikation & SGLT2-Hemmer oder GLP-1-Rezeptoragonist (derzeit nur als Einzelfallbewilligung erstattbar; diese Konstellation ist eigentlich ebenfalls nicht wirklich in klinischen Studien untersucht)
Kommentar
Überraschend für viele hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) 2019 unter dem Eindruck der positiven Studiendaten von SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten einen neuen Therapiealgorithmus zur Behandlung desneudiagnostizierten Diabetes mellitus Typ 2 bei Patienten mit hohem kardiovaskuläremRisiko herausgegeben. Das ambitionierte Unternehmen ist – wie 2020 veröffentlichte internationale und nationale Therapieleitlinien unisono zeigen – gescheitert, unter anderem deswegen, weil sowohl die nichtkardiovaskulären Spätfolgen als auch die Designs der zitierten Studien zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes unberücksichtigt blieben. Der Artikel von Prof. Thomas Wascher gibt einen exzellenten Überblick darüber, warum Metformin weiterhin das First-Line-Medikament in der Behandlung des Typ-2-Diabetes bleibt. Dies mindert in keinster Weise die exzellenten Effekte von SGLT2-Hemmern und GLP-1-Rezeptoragonisten – vielmehr bedeuten die aktuellen Leitlinien ganz nach dem Motto „Lieber gemeinsam statt einsam“, dass ein kombinierter Einsatz von verschiedenen Antidiabetika das beste Outcome für unsere Patienten ermöglicht.
-
Univ.-Prof. Dr. Susanne Kaser
Universitätsklinik für Innere Medizin I
Medizinische Universität Innsbruck
Präsidentin der Österreichischen
Diabetes Gesellschaft (ÖDG)
E-Mail: susanne.kaser@i-med.ac.at
Literatur:
1 Clodi M et al.: Antihyperglykämische Therapie bei Diabetes mellitus Typ2. Wien Klin Wochenschr 2019; 131(Suppl 1): 27-382 Clodi M et al.: Antihyperglykämische Therapie bei Diabetes mellitus Typ2.Online Update, www.oedg.at , 2020 3 Cosentino F et al.: 2019 ESC Guidelines on diabetes, pre-diabetes and cardiovascular diseasesdeveloped in collaboration with the EASD. Eur Heart J 2020; 41(2): 255-323 4 UKPDS Study Group: Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Lancet 1998; 352(9131):854-65 5 Holman RR et al.: 10-year follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 359(15): 1577-89
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