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Kardiorenalmetabolisches Management des Typ-2-Diabetes

„Das Ziel ist, das HbA1c niedrig zu halten und Herz und Nieren früh zu schützen“

Metformin ist die Erstlinientherapie bei Typ-2-Diabetes. Ist dies angesichts der guten Studiendaten zur kardiorenalen Protektion durch neuere Substanzgruppen noch sinnvoll? Welche Therapie kommt gleich nach Metformin? Speziell SGLT2-Inhibitoren stellen beim Herz- und Nierenschutz eine wirksame Therapie dar. Worauf soll man achten, wann soll man sie einsetzen und was bringt es den Patienten? Wir sprachen mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz und Prim. Univ.-Prof. Dr. Marcus Säemann von der Klinik Ottakring über diese Themenkomplexe.

Metformin ist nach wie vor die medikamentöse First-Line-Therapie für alle Patienten mit Typ-2-Diabetes. Ist das noch medizinisch gerechtfertigt, oder geht es dabei um die Vermeidung von Kosten?

M. Clodi: Grundsätzlich ist Metformin in allen internationalen Leitlinien noch immer das Medikament der ersten Wahl. Ich glaube nicht, dass es um die Vermeidung einer Kostenexplosion geht, sondern darum, dass dieses Medikament seit nunmehr fast 20 oder 25 Jahren State of the Art ist und dass eigentlich alle Studien ein positives Outcome für dieses Medikament gezeigt haben. Begonnen hat es mit der UKPDS-Studie, in der Metformin mit ungefähr 700 Probanden gezeigt hat, dass es bei Patienten mit einem BMI >30 sogar die Mortalität reduzieren kann. Wir können dies eigentlich für wenige andere Medikamente aktuell nachweisen. Zusätzlich ist dieses Medikament eines der wenigen, das das auch als Basismedikament zeigen konnte. Bei allen anderen Medikamenten – von GLP-1-Agonisten bis SGLT2-Hemmern – ist die Studienlage so, dass diese Medikamente immer „on top“ zu anderen Medikamenten gegeben wurden und meist „on top“ zu Metformin. Nichtsdestotrotz wird die Datenlage zunehmend besser und es spricht sicherlich nichts gegen eine initiale Kombination von Metformin mit SGLT2-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten oder auch anderen Medikamenten. Ich glaube aber auch nicht, dass der Start mit Metformin in Stein gemeißelt sein muss.

Wenn mit Metformin der Zielwert nicht erreicht wird, empfehlen die Leitlinien eine Kombinationstherapie auf Basis von Metformin. Der Kombinationspartner soll nach dem Risikoprofil des Patienten ausgewählt werden, wobei bei kardiovaskulären und renalen Risikopatienten ein SGLT2-Inhibitor oder ein GLP-1-Rezeptoragonist gewählt werden soll.

M. Clodi: Ich glaube, es ist mittlerweile nicht falsch, gleich mit einer Kombinationstherapie zu beginnen. Hier hält uns meist die Erstattung zurück. Die HbA1c-Werte mit den modernen Medikamenten so niedrig wie möglich zu halten, wäre sicherlich das Ziel. Wenn die Medikamente wie SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten auch noch zusätzlich organprotektive Wirkungen entfalten, so kann das nur positiv gesehen werden.

Wer gilt in diesem Sinne als ein Risikopatient?

M. Clodi: Ich würde sagen, dass grundsätzlich jeder Patient mit Diabetes mellitus als Risikopatient gilt. Bereits ab niedrigen HbA1c-Werten steigt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen beträchtlich an. Dies beginnt nicht erst bei einem HbA1c von 6,5%, welcher ja aus nicht ganz klar nachvollziehbaren Gründen als Cut-off für manifesten Diabetes gesehen wird. Bereits ab HbA1c-Werten von 5,4% aufwärts steigt das kardiovaskuläre Risiko, d.h., 5,7% ist mehr als 5,4%; 6,0% birgt ein höheres Risiko als 5,7% usw. Wer genau als Risikopatient gesehen werden kann, können wir heute noch nicht definieren. Es gibt sicher Patienten, die genetisch prädisponiert ein höheres Risiko für Komplikationen aufweisen, und es gibt auch Patienten, die aus welchen Gründen auch immer trotz erhöhter Glukosestoffwechselsituation keine Komplikationen aufweisen.

Was halten Sie von der Idee, bei entsprechendem Risikoprofil den Algorithmus umzudrehen und beispielsweise mit einem SGLT2-Inhibitor in die Therapie einzusteigen?

M. Clodi: Natürlich kann man den Algorithmus umdrehen. Ich glaube, grundsätzlich spricht hier nichts dagegen. Es ist auch keine unglaublich tolle neue Idee, sondern im Grunde einfach ein Weg, unsere Patienten behandeln zu wollen. Unser Ziel sollte doch sein, das HbA1c niedrig zu halten, und es ist nicht zwingend vorgegeben, ob es jetzt das eine oder das andere Medikament sein soll. Was uns schon allen klar sein sollte, ist, dass wir nach Evidenz therapieren sollten, und die Evidenz für eine SGLT2-Monotherapie im Sinne von Risikoreduktionen ist natürlich auch nicht so klar.

Welche Unterschiede bestehen innerhalb der Gruppe der SGLT2-Inhibitoren zwischen den einzelnen Substanzen? Und inwiefern sollten diese Unterschiede die klinischen Entscheidungen beeinflussen?

M. Clodi: Ich denke, dass im Großen und Ganzen die SGLT2-Inhibitoren als Gruppe gesehen werden können und die Unterschiede in den Studien sehr wahrscheinlich durch verschiedene Patientenpopulationen zustande kommen. Auch die neuen Daten aus der Real-World Evidence, die uns zeigen wollen, wie toll das eine versus dem andere Medikament sei, sind mit Vorsicht zu betrachten. Die Real-World-Evidence-Studien, die wir haben, sind im Großen und Ganzen nicht sauber durchgeführt, sondern haben unglaublich viele Störfaktoren, die nicht alle ausgemerzt sind.

Die neueren Antidiabetika wurden in den Studien gegenüber Placebo getestet. Was sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Substanzgruppen bzw. zwischen den einzelnen Substanzen und wie kann man diese miteinander vergleichen?

M. Clodi: Direkte Vergleichsstudien mit den Substanzen gibt es wenige. Für die neuen Substanzen gibt es keine wirklich guten klinischen Vergleichsstudien, vor allem nicht im Sinne von kardiovaskulären Outcomestudien. Man wird auch direkte Vergleichsstudien in naher Zukunft nicht bekommen, da hier Studien mit 10, 15, 20, 30, 40 Tausend Patienten vonnöten wären.

Welche Anforderungen sind heute an ein blutzuckersenkendes Medikament zu stellen?

M. Clodi: Ein blutzuckersenkendes Medikament sollte den Blutzucker über lange Zeit senken, keine Hypoglykämien verursachen, gewichtsneutral bis gewichtsreduzierend sein, kardiovaskulär sicher und organprotektiv sein und auch sonst keine großen Risiken beinhalten.






Herr Prof. Säemann, welche medikamentösen Möglichkeiten gibt es heute, um die diabetische Nephropathie zu beeinflussen?

M. Säemann: Wir haben seit den 1990er-Jahren die Möglichkeit, in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System einzugreifen. Dazu standen anfangs nur ACE-Hemmer zur Verfügung, etwas später kamen die Sartane dazu. Erst vor wenigen Jahren wurde dann durch die Einführung der SGLT2-Inhibitoren ein weiterer, großer Schritt möglich. Es hat sich in Studien gezeigt, dass diese Substanzen nicht nur den Blutzucker senken, sondern auch ausgesprochen nephro- und kardioprotektiv wirken. Mittlerweile ist mit dem nichtsteroidalen Aldosteron-Antagonisten Finerenon noch ein innovativer Vertreter der Gruppe der Aldosteron-Antagonisten hinzugekommen.

Worauf basiert diese nephroprotektive Wirkung der SGLT2-Inhibitoren? Diese hemmen ja die Glukoserückresorption aus dem Harn, aber warum tut das der Niere gut?

M. Säemann: Genau wissen wir das heute noch nicht, aber wir haben Konzepte, um diese Wirkung zu erklären. Wir denken, dass zwei Mechanismen ausschlaggebend sind. Zum einen wird der Druck im Glomerulus reduziert. Da gibt es aber einen wichtigen Unterschied zur RAAS-Blockade. Während man durch die Angiotensin-Blockade den Druck so weit senken könnte, dass er völlig zusammenbricht und es zum akuten Nierenversagen käme, besteht diese Gefahr beim SGLT2-Inhibitor nicht. Neben der dezenten glomerulären Drucksenkung scheint zum anderen die Blockade der Glukoseresorption im Tubulus ebenfalls günstige metabolische Effekte zu haben, weil es zu einer Tubuloprotektion durch Reduktion der tubulären Arbeitsleistung kommt, die vor allem bei eingeschränkter Nierenfunktion ohnehin übermäßig beansprucht ist.

Entsteht diese Drucksenkung schlicht und einfach mechanisch, weil im unteren Bereich der Niere mehr Flüssigkeit abfließt?

M. Säemann: An die Rückresorption von Glukose sind ja zahlreiche energieabhängige Prozesse gebunden, die zum Teil bereits proximal stattfinden. Wenn das unterbunden wird, entsteht bereits eine Arbeitsentlastung. Das Tubulus-System wird also sowohl proximal als auch distal geschützt. Und nicht zuletzt kommt es auch zu einem Flüssigkeitsentzug aus dem Gewebe. Damit verändert sich auch die Durchblutung der Niere und damit auch die Sauerstoffverteilung in der Niere. Das scheint insgesamt günstige Auswirkungen auf die Nierenfunktion zu haben. Und zwar bis zu einer schon sehr deutlich eingeschränkten Nierenfunktion, also bis zur chronischen Nierenerkrankung im Stadium 4 – das ist das letzte Stadium vor der Dialyse, in dem der SGLT2-Inhibitor keine Blutzuckersenkung mehr bewirkt, aber immer noch zu einem Schutz der Niere vor dem endgültigen Versagen beiträgt.

Nun sollte man die SGLT2-Inhibitoren aber bei einer massiv eingeschränkten glomerulären Filtrationsrate nicht mehr geben …

M. Säemann: Man sollte die Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor nach derzeitigem Stand unter einer eGFR von 25ml/min nicht mehr starten, weiterverordnen kann und soll man sie bis zur Dialysepflichtigkeit. SGLT2-Inhibitoren akkumulieren auch bei sehr schlechter Nierenfunktion nicht.

Was wäre bei Menschen mit Typ-2-Diabetes die Indikation für den Einsatz? Welche Patienten brauchen einen SGLT2-Inhibitor?

M. Säemann: Spätestens dann, wenn ein Zeichen eines kardialen oder renalen Schadens vorhanden ist. Für die Niere bedeutet das eine Reduktion der glomerulären Filtrationsrate und/oder eine konsistent erhöhte Eiweißausscheidung mit dem Harn.

Gibt es da definierte Grenzwerte?

M. Säemann: Die Albumin-Kreatinin-Ratio darf nicht über 30mg/g liegen. Liegt sie höher, spricht man von einer signifikanten Albuminurie. Wobei es in der Praxis wichtig ist, dass auffällige Werte über längere Zeit bestätigt werden müssen. Ein einmalig erhöhter Wert sagt wenig aus, weil dahinter beispielsweise auch eine Infektion oder auch starke Bewegung stehen kann. Die Eiweißausscheidung muss innerhalb von drei Monaten bestätigt werden, um eine erratische Erhöhung auszuschließen.

Ist der Terminus „Mikroalbuminurie“ heute noch sinnvoll?

M. Säemann: Nein, den sollte man nicht mehr verwenden, weil es erstens keine kleinen Eiweißmoleküle sind und weil er zweitens suggeriert, dass die Mikro- und die Makroalbuminurie unterschiedliche Krankheitsbilder wären. In Wahrheit handelt es sich jedoch um ein Kontinuum des kardiovaskulären Risikos – das übrigens bereits in Bereichen besteht, die nach aktuellen Definitionen noch in den „Normalbereich“ fallen. Eiweiß im Harn ist immer auch ein Hinweis auf einen Endothelschaden.

Und wie stellt man die Indikation bei Nierenkranken, bei denen aber kein Diabetes vorliegt?

M. Säemann: Im Prinzip genauso wie beim Patienten mit Diabetes. Die KDIGO-Leitlinien unterscheiden zwischen fünf Stadien der chronischen Niereninsuffizienz und nach drei Stadien der Albuminurie. Eine konsistente Albuminurie bedeutet eine Indikation zur Behandlung. Nach Guidelines zunächst mit ACE-Hemmer oder Sartan und dann mit einem SGLT2-Hemmer. Hat man es nur mit einer eingeschränkten GFR zu tun, ist die Indikationsstellung etwas komplexer und hängt beispielsweise von der Dynamik der Erkrankung ab.

Wann sollte ein Patient denn zum Nephrologen geschickt werden?

M. Säemann: Wenn die klinischen Parameter nicht zusammenpassen. Also wenn ein Patient mit Diabetes augengesund ist und eine ausgeprägte Proteinurie entwickelt, dann liegt z.B. die Vermutung nahe, dass vom Diabetes unabhängig auch eine andere Nierenerkrankung bestehen könnte. Auch ein rascher Verfall der Nierenfunktion sollte vom Nephrologen abgeklärt werden. Ist die GFR bereits sehr stark eingeschränkt, gehört der Patient an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen, wo dann auch die Dialyse oder Nierentransplantation vorbereitet werden kann. Das Wichtigste ist die Awareness für eine mögliche Nierenerkrankung. Diese muss rechtzeitig erkannt werden, damit eine sinnvolle Therapie auch eingeleitet werden kann.

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