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Braucht jeder Patient mit Schilddrüsenkarzinom eine Radiojodtherapie?
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Philipp Schuetz
Medizinische Universitätsklinik, Abteilung für Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Kantonsspital Aarau, Tellstrasse 25, Haus 7, 5001 Aarau und Medizinische Fakultät der Universität Basel<br>E-Mail: schuetzph@gmail.com
Autor:
Dr. med. Joel Capraro
Autor:
Dr. med. Hanna Giessen
30
Min. Lesezeit
20.10.2016
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<p class="article-intro">Die Grundlage der Behandlung des Schilddrüsenkarzinoms bildet die Thyreoidektomie gefolgt von einer Radiojodtherapie und einer suppressiven T4-Therapie. Es besteht jedoch weiterhin eine grosse Unsicherheit im Hinblick auf die Notwendigkeit dieser Behandlung bei allen Patienten. Insbesondere ist fraglich, ob auch Patienten mit niedrigem Risiko, d.h. solche ohne Hinweise auf Metastasierung, davon profitieren. Da die chirurgische Intervention und Radiojodtherapie auch Risiken bergen, müssen der erwartete Benefit und das Risiko gegeneinander abgewogen werden. Gerade bezüglich der Diagnose- und Therapiestrategie der Niedrigrisiko-Schilddrüsenkarzinome bringen die 2016 publizierten Guidelines zu den Schilddrüsenknoten neue Erkenntnisse.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Es besteht weiterhin Unsicherheit bezüglich der optimalen Behandlung von Schilddrüsenkarzinomen, insbesondere in der Low-Risk-Situation.</li> <li>Bei Patienten unter 40 Jahren mit Low-Risk-Schilddrüsenkarzinomen ist eine Lobektomie oder eine Lobektomie mit Isthmektomie zu evaluieren.</li> <li>Eine Radiojodtherapie zeigt keinen Benefit in der Behandlung von Low-Risk-Schilddrüsenkarzinomen und wird deshalb nicht mehr routinemässig empfohlen.</li> </ul> </div> <h2>Diagnostisches Vorgehen bei Schilddrüsenknoten</h2> <p>Schilddrüsenknoten sind häufig. Generell sollten Knoten >1–1,5cm sowie morphologisch suspekte Knoten weiter untersucht werden. Bei der Erstdiagnose eines Schilddrüsenknotens haben «Inzidentalome» ein ebenso hohes Malignitätsrisiko wie gleich grosse palpable Knoten.<br /> Nach Entdeckung eines Knotens sind neben der Anamnese bezüglich Strahlenbelastung und familiären Risikos auch der Lymphknotenstatus und eine initiale TSH-Messung wichtig. Eine Szintigrafie ist nur bei verminderten TSH-Werten zur Differenzierung der Hyperthyreose indiziert, «kalte» Knoten sollten weiter abgeklärt werden.</p> <h2>Sonografische Beurteilung und Risikostratifikation von Schilddrüsenknoten</h2> <p>Die Indikation für eine Schilddrüsensonografie wird bei klinischem Verdacht auf Schilddrüsenpathologien gestellt (Anamnese, Struma oder Hyperthyreose) respektive bei einem Inzidentalom aufgrund einer Auffälligkeit in einer anderen Bildgebung. Bei gewissen Risikokonstellationen kann die Sonografie auch als Screening eingesetzt werden. Sie sollte neben dem Volumen und der Echogenität der Schilddrüse die Vaskularisation und allfällige fokale Veränderungen (Knoten, Zysten etc.) möglichst genau und reproduzierbar erfassen. Daneben erfolgt die Beurteilung der Lymphknoten.<br /> Die Knoten sollten anhand sonografischer Kriterien bezüglich des Karzinom-risikos beurteilt werden. In den amerikanischen Guidelines zur Beurteilung von Schilddrüsenknoten (American Thyroid Association, ATA) werden die Knoten anhand verschiedener sonografischer Kriterien in vier Risikoklassen eingeteilt («very low», «low», «intermediate», «high suspicion»), wobei die Indikation für eine Feinnadelpunktion je nach Risikobeurteilung bereits bei Knoten ab 1cm besteht. Bei sonografisch unauffälligen Knoten («very low suspicion») sollte eine Feinnadelpunktion erst bei Knoten ≥2cm erfolgen. Dabei gelten vor allem hypoechogene Knoten, unregelmässige Ränder, Mikrokalzifizierungen, ein Wachstum in die Tiefe (tiefer als breit) und spangenartige Verkalkungen mit Unterbrechung durch Schilddrüsengewebe als verdächtig. Verschiedene wissenschaftliche und klinische Gruppen wenden eine andere, aber ähnliche Risikoeinteilung an. Dabei werden die Knoten analog zum BIRADS für Knoten der Mamma mittels TIRADS (Thyroid Imaging Reporting and Data System) klassifiziert. TIRADS 1 bis 3 entsprechen benignen Mustern, TIRADS 4a wird als intermediär und TIRADS 4b sowie TIRADS 5 werden als verdächtig eingestuft. Die TIRADS-Klassifikation verwendet ähnliche sonografische Parameter zur Beurteilung wie die ATA-Einteilung. Beide Risikostratifikationen erweisen sich in der prospektiven Evaluation als zuverlässig, d.h., sie geben beide die Risikosituation bezüglich der Malignität adäquat wieder. TIRADS ermöglicht eine sehr einfache Einteilung, erlaubt gerade bei sehr risikoarmen Situationen ein zurückhaltendes Management und das Vermeiden von unnötigen Feinnadelpunktionen. Zusammen mit der zytologischen Beurteilung erfolgen daraus die Empfehlungen für das Follow-up. Ein sonografisch unauffälliger Knoten >2cm muss bei benigner Zytologie sonografisch nicht nachkontrolliert werden. Kleine Knoten <1cm müssen nur bei auffälligem sonografischem Befund oder einer Risikokonstellation punktiert oder verlaufskontrolliert werden. Zysten ohne soliden Anteil sind immer benigne und müssen nur punktiert werden, wenn sich der Patient durch die Zyste gestört fühlt.<br /> Ein sonografisch als intermediär eingestufter Knoten mit unauffälliger Zytologie muss nicht verlaufskontrolliert werden, wenn es nach 2 Jahren sonografisch keinen Hinweis auf Wachstum gibt (signifikantes Wachstum: Grössenzunahme um >20 % in mindestens 2 Ebenen, Grössenzunahme von ≥2mm oder eine Volumenzunahme um 50 % ). Dagegen sollten sonografisch auffällige Knoten auch bei unauffälliger Zytologie bereits nach 1 Jahr kontrolliert werden. Bei fehlendem Wachstum und allenfalls erneut benigner Zytologie müssen aber auch diese nicht mehr routinemässig nachkontrolliert werden.<br /> Molekularbiologische Untersuchungen können zur genaueren Risikobeurteilung eingesetzt werden und können bei der Entscheidung, ob eine aktive Überwachung («active surveillance») bzw. eine diagnostische Chirurgie nötig sind, hilfreich sein. Sie helfen aber wenig in der Diagnosestellung. Schilddrüsenspezifische Onkogene wie <em>BRAF</em> sind nicht sensitiv bei der Detektion von Mikrokarzinomen, molekulare Marker (<em>PIK3CA, AKT1, TERT</em>-Promotor oder <em>TP53</em>) können jedoch nach der Diagnosestellung prädiktiv für eine ungünstige Prognose sein.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Im Fall einer auffälligen Histologie und beim Nachweis eines Schilddrüsenkarzinoms wird generell die totale oder subtotale chirurgische Thyreoidektomie empfohlen. Knoten >4cm mit wiederholt benigner Histologie in der FNP qualifizieren bei verdrängendem Wachstum auch für eine Operation. In der Schwangerschaft sollen Knoten beobachtet und mittels FNP gesicherte Karzinome nur dann operiert werden, wenn sie massiv wachsen oder sich pathologische Lymphknoten finden lassen. Gemäss den neuen Richtlinien der ATA müssen aber nicht alle Patienten mit einem Schilddrüsenkarzinom auch eine Radiojodtherapie erhalten (siehe unten). <br /> <br /><strong> Low-Risk-Karzinome</strong><br /> Gemäss ATA liegt ein Low-Risk-Karzinom vor, wenn es makroskopisch komplett reseziert wurde und wenn keine aggressive Histologie vorliegt (Tab. 1). Bei Low-Risk-Schilddrüsenkarzinomen ohne Nachweis von Metastasen oder lokaler Gewebeinfiltration ist eine Lobektomie oder eine Lobektomie mit Isthmektomie die Therapie der Wahl. Alternativ kommt die «active surveillance» infrage. Die alleinige Radiojodtherapie anstelle der Thyreoidektomie ist gemäss neuen Studiendaten nicht mehr zu empfehlen. In verschiedenen Studien zur «active surveillance» bei Low-Risk-Tumoren konnte gezeigt werden, dass das Tumorwachstum und die lymphogene Metastasierung bei kleinen Schilddrüsenkarzinomen sehr selten sind (3,5 % der 1200 Patienten). Ein progredientes Tumorwachstum ist jedoch bei jungen Patienten (>40 Jahre) wahrscheinlicher als bei über 60-jährigen Patienten.<br /> <br /><strong> High-Risk-Karzinome</strong> <br /> Bei High-Risk-Schilddrüsenkarzinomen >4cm müssen eine totale Thyreoidektomie und die Entfernung aller primären extrathyreoidalen Tumoren erfolgen. Karzinome zwischen 1cm und 4cm können entsprechend der Malignitätskriterien bilateral oder unilateral operiert werden. Bei fortgeschrittenen Primärtumoren (T3, T4) sollte eine prophylaktische «neck dis-section» in Erwägung gezogen werden. Bei bioptisch gesicherten metastasierten Karzinomen ist eine Thyreoidektomie mit «neck dissection» obligat.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite43.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p><strong>Postoperatives Management</strong><br /> Zur Nachsorge von Schilddrüsenkarzinomen gehören die postoperative Messung des Kalziums und die Beurteilung der Stimme sowie die regelmässige Kontrolle von Thyreoglobulin und TSH. Das Serumthyreoglobulin sollte 3–4 Wochen postoperativ nicht mehr zu messen sein. Messbares Thyreoglobulin ist ein Hinweis auf Schilddrüsenrestgewebe in situ und damit auf eine mögliche Persistenz von Tumorgewebe.<br /> Gemäss den neuen ATA-Richtlinien ist eine Radiojodtherapie für Patienten mit Low-Risk-Schilddrüsenkarzinom per se nicht empfohlen, da diese Patienten eine beinahe normale Lebenserwartung haben und es keine klinischen Studien gibt, die in dieser Situation einen Benefit der Radiojodtherapie gezeigt hätten. Insgesamt ist die Studienlage jedoch dünn und randomisierte Daten fehlen weitgehend. In einer klinischen Kohorte mit knapp 1300 Low-Risk-Patienten zeigte die adjustierte Analyse («propensity matching») keinen Vorteil einer postoperativen Radiojodtherapie im Sinne eines verlängerten krankheitsfreien Überlebens.<br /> Die Radiojodtherapie sollte aber nach totaler Thyreoidektomie bei Intermediate- und High-Risk-Patienten oder bei Verdacht auf ein mikroskopisches Residuum in Betracht gezogen werden. In diesem Fall werden auch höhere Strahlendosen mit bis zu 150mCi empfohlen.<br /> Generell ist bei einer Radiojodtherapie ein erhöhter TSH-Spiegel (>30mU/l) notwendig, sodass die Hormonsubstitutionstherapie postoperativ 3–4 Wochen vor der Radiojodbehandlung abgesetzt werden muss. Eine Alternative zum Hormonentzug, der zum Teil mit ausgeprägten physischen und psychischen Nebenwirkungen einhergeht, ist die Stimulation mit rekombinantem TSH. Diese Therapie ist jedoch teuer und einer Behandlung unter erhöhtem TSH-Wert nicht überlegen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite44.jpg" alt="" width="378" height="490" /></p> <h2>Langzeitmonitorisierung der Patienten</h2> <p>Initial sollten die Thyreoglobulin-Spiegel alle 6 bis 12 Monate gemessen werden. Bei Patienten mit niedrigem und intermediärem Risiko, die ein gutes Ansprechen auf die primäre Therapie zeigen, kann das Kontrollintervall auf 12–24 Monate ausgedehnt werden. Das Serum-TSH sollte alle 12 Monate gemessen werden. Ein Ultraschall sollte postoperativ und danach abhängig von den Risikofaktoren für ein Rezidiv und dem Thyreoglobulinstatus alle 6 bis 12 Monate durchgeführt werden.<br /> Die TSH-Suppression sollte risikoadaptiert erfolgen. Bei Hochrisikopatienten wird eine postoperative TSH-Suppression auf Werte <0,1mU/l empfohlen, bei intermediärem Risiko auf Werte von 0,1– 0,5mU/l. Bei Niedrigrisikopatienten mit nicht messbarem Serumthyreoglobulin ist ein TSH im unteren Normbereich (0,5–2mU/l) akzeptabel.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Haugen BR et al: 2015 American Thyroid Association Management Guidelines for Adult Patients with Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer: the American Thyroid Association Guidelines Task Force on Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer. Thyroid 2016; 26: 1-133 <strong>2</strong> Cheng SP et al: Characterization of thyroid nodules using the proposed thyroid imaging reporting and data system (TI-RADS). Head Neck 2013; 35: 541-7 <strong>3</strong> Durante C et al: The natural history of benign thyroid nodules. JAMA 2015; 313: 926-35 <strong>4</strong> Sugitani I et al: Three distinctly different kinds of papillary thyroid microcarcinoma should be recognized: our treatment strategies and outcomes. World J Surg 2010; 34: 1222-31 <strong>5</strong> Lamartina L et al: Low-risk differentiated thyroid cancer and radioiodine remnant ablation: a systematic review of the literature. J Clin Endocrinol Metab 2015; 100: 1748</p>
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