
Blutzuckermanagement im Krankenhaus und perioperatives Management
Autoren:
Dr. Clemens Harer
Priv.-Doz. Dr. Dr. Felix Aberer
Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie
Medizinische Universität Graz
E-Mail: felix.aberer@medunigraz.at
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Hyperglykämien im Krankenhaus stellen unabhängig von einer Diabetesdiagnose eine Herausforderung im täglichen klinischen Ablauf dar. Sorgfältige Dokumentation und Beachtung der Blutzuckerzielbereiche sind ein wesentlicher Faktor eines erfolgreichen Blutzuckermanagements im Krankenhaus. Wichtig ist, dass eine gute Blutzuckereinstellung nicht mit der Entlassung aus dem Krankenhaus enden sollte.
Keypoints
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Hyperglykämien im Krankenhaus sind allgegenwärtig und sollten frühzeitig erkannt und therapiert werden.
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Eine sorgfältige Dokumentation diabetesspezifischer Parameter und der Blutzuckerwerte ist der Grundpfeiler einer suffizienten Diabetesbehandlung im Krankenhaus.
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Die Insulintherapie ist bei relevanten Hyperglykämien im Krankenhaus die bevorzugte Therapie.
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Die poststationäre diabetologische Weiterbetreuung und die Einbindung des Patienten in das weitere Blutzuckermanagement sollten berücksichtigt werden.
Hintergrund
Konkordant zur weltweit steigenden Zahl an Menschen mit Diabetes wächst auch die Häufigkeit von Menschen mit Diabetes im Krankenhaus. Die Prävalenz der Hyperglykämie (von der amerikanischen Diabetesgesellschaft definiert als Nüchternblutzucker >140mg/dl)1, die nicht immer zwingend auf eine vorbekannte Diabeteserkrankung zurückzuführen ist, sondern im Rahmen einer akuten Erkrankung häufig als Begleitphänomen auftritt, wird auf circa 20–40% der hospitalisierten Patienten, im Intensivstationssetting sogar auf 70% geschätzt.2
Auswirkungen von Hyperglykämien und Diabetes im Krankenhaus
Hyperglykämien im Krankenhaus stellen einen erheblichen Risikofaktor für eine erhöhte Mortalität und für das Auftreten von Krankenhauskomplikationen (wie zum Beispiel nosokomialen Pneumonien oder postoperativen Komplikationen) dar. Deren Auftreten korreliert einerseits mit der Höhe des Blutzuckers und des HbA1c-Werts bei der stationären Aufnahme und andererseits mit der mittleren Glukose während des stationären Aufenthaltes.
Zudem ist eine Diabeteserkrankung mit längeren Krankenhausaufenthalten und häufiger notwendigen poststationären medizinischen Weiterbetreuungen (Pflegeeinrichtungen, Rehabilitationszentren) assoziiert. Menschen mit Diabetes werden nicht nur aufgrund der Blutzuckerproblematik, sondern vorwiegend aufgrund der mit dem Diabetes verbundenen mikro- und makrovaskulären sowie neuropathischen Begleiterkrankungen auch häufiger akut oder geplant hospitalisiert, was auch mit erheblichen zusätzlichen Kosten für das Gesundheitssystem einhergeht.3–5
Blutzuckermessung- und Zielbereich während der Hospitalisierung
Bei stationärer Aufnahme sollte bei allen Menschen unabhängig von Alter und Komorbiditäten der Nüchternblutzuckerwert (NBZ) bestimmt werden. Bei Menschen mit pathologischem NBZ (≥126mg/dl), bekanntem Diabetes oder hoher Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Diabetes (Übergewicht, Diabetes in der Familienanamnese, höheres Alter) sollte der HbA1c-Wert bestimmt werden. Grundsätzlich wird empfohlen, eine tägliche Blutzuckermessung durchzuführen und bei auffällig erhöhten Blutzuckerwerten oder komplexen Therapien (wie Insulintherapie) die Messfrequenz auf 4-mal täglich zu erhöhen (vor den Mahlzeiten und vor der Nachtruhe). Bedarfsgerecht sind auch häufigere Messungen (z.B. 7-Punkt-Profile) sinnvoll.
Die Diabeteskurve sollte für die Therapieplanung und Steuerung relevante Informationen wie HbA1c, Körpergewicht, Nierenfunktion und Diabetestyp enthalten. Die Identifizierung des Patienten auf der Kurve sollte eindeutig und gut sichtbar sein. Abbildung 1 zeigt das Beispiel eines validierten und in der Klinik umgesetzten Blutzuckerdokumentationsblatts.6
Abb. 1: Beispiel eines Blutzuckerdokumentationsblatts und dessen wesentliche Informationen (konzipiert und verwendet am Universitätsklinikum Graz)6
Grundsätzlich gilt bei der Mehrzahl stationärer Patienten mit Diabetes ein Blutzuckerzielbereich von 140–180mg/dl. Manche Populationen könnten von einer intensiveren Einstellung (110–140mg/dl) profitieren, sofern dies ohne Hypoglykämien erreicht werden kann. Hypoglykämien, welche auf Kosten einer zu strikten Blutzuckereinstellung auftreten, sind ebenso wie Hyperglykämien mit einer erhöhten Mortalität assoziiert und sollten daher vermieden werden. Bei terminal kranken oder geriatrischen Patienten können höhere Blutzuckerwerte akzeptiert werden.1
Therapie der Hyperglykämie im Krankenhaus
Eine blutzuckersenkende Therapie sollte bei anhaltend hyperglykämischen Werten >180mg/dl eingeleitet werden.1 Aufgrund der mangelnden Evidenz der Wirksamkeit und Sicherheit oraler Antidiabetika (und GLP-1-Rezeptoragonisten) im Krankenhaus sollten diese nur unter strenger Prüfung der Kontraindikationen und unter der Voraussetzung, dass der Patient nicht schwer/akut krank ist, weitergegeben oder neu eingeleitet werden.
Nicht-Insulin-Therapie
Metformin triggert potenziell das Entstehen einer Laktatazidose, im Speziellen bei akuter Infektion oder im Rahmen eines akuten Nierenversagens. Bei nicht akut kranken Patienten kann Metformin vor einer geplanten Gabe von jodhältigen Kontrastmitteln (KM) bei adäquater Nierenfunktion (GFR >60ml/min/1,73m2) weiter verabreicht werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion sollte Metformin 48h vor bis 48h nach der KM-Gabe pausiert werden.7
SGLT2-Hemmer können im Rahmen akuter Änderungen des Gesundheitszustands Ketoazidosen triggern, tragen zudem zu Volumendepletion und einem erhöhten Risiko für Harnwegs- oder Genitalinfektionen bei, welche durch die Hospitalisierung per se schon prävalenter sind.
Aufgrund des gastrointestinalen Nebenwirkungspotenzials sind auch GLP-1-Rezeptoragonisten in der Regel kein adäquates Mittel zur Blutzuckersenkung im Krankenhaus.
DPP-4-Hemmer gelten als sehr nebenwirkungsarm und können unter der Voraussetzung einer negativen Anamnese für Pankreaserkrankungen aller Art (z.B. Neoplasie, Pankreatitis) und unter Beachtung einer gegebenenfalls notwendigen Nierendosisreduktion im normalstationären Setting verabreicht werden.
Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon spielen beim Einsatz sowohl im ambulanten Setting als auch im Krankenhaus eine untergeordnete Rolle.
Insulintherapie
Die Therapie der Wahl im Krankenhaus bleibt die Insulintherapie, die auf der Normalstation subkutan und auf der Intensivstation vorzugsweise intravenös verabreicht wird. Auf der einen Seite hat Insulin ein sehr niedriges Interaktions- und Nebenwirkungsprofil, wenn man von Hypoglykämien absieht, auf der anderen Seite sind Blutglukosespiegel durch Insulin besonders in Akutsituationen am besten zu steuern und anzupassen.
Patienten mit diabetischer Ketoazidose und/oder hyperglykämischen, hyperosmolaren Entgleisungen oder auch Patienten auf Intensivstationen mit relevanten Hyperglykämien sollten primär mittels kontinuierlicher intravenöser Insulininfusion behandelt werden. Vorteile der intravenösen Applikation sind die bessere Steuerbarkeit, die Möglichkeit rascher auf hyperglykämische Entgleisungen zu reagieren, das Einsparen von multiplen täglichen Injektionen und die „physiologischere“ Insulinwirkung durch eine intravenöse Applikation.
Auf der Normalstation stehen mehrere Optionen zu Verfügung, um ein suffizientes Glukosemanagement zu etablieren. Während gelegentlich auftretende Hyperglykämien durchaus mit Korrekturinsulin gesenkt werden können, sollte, im Speziellen wenn erhöhte NBZ-Werte auftreten, möglichst rasch eine Basalinsulintherapie initiiert werden. Bedarfsweise ist zusätzlich auch eine fixe präprandiale Bolusinsulintherapie einzuleiten, vor allem im Falle persistierender postprandialer Hyperglykämien (in diesen Fällen empfiehlt sich auch die Messung des Blutzuckers 2 Stunden nach den Hauptmahlzeiten).
Die initiale Insulintagesdosis wird berechnet mit 0,2–0,3 Insulineinheiten pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag bei Patienten über 70 Jahre und/oder einer GFR unter 60ml/min. Bei Patienten unter 70 Jahren und GFR über 60ml/min wird mit 0,4 Einheiten/kg gestartet.
Auf die Verwendung von Mischinsulin sollte im Krankenhaus bei den meisten Patienten verzichtet werden, da dies mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko verbunden ist, vor allem wenn Nüchternphasen im Rahmen von diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen anstehen.8 Für die Insulintherapiesteuerung essenziell ist eine adäquate Dokumentation. Hierzu kann wiederum auf Abbildung 1 verwiesen werden.
Praxistipp
Ein wesentlicher Bestandteil in der Versorgung von Patienten mit Diabetes im Krankenhaus ist auch die Einbindung des Patienten in sein Blutzuckermanagement.Einen großen Fortschritt in der Entwicklung haben auch Entscheidungsunterstützungssysteme zur Insulintherapie im Krankenhaus gemacht. Diese Systeme, welche unter anderem über elektronische Fieberkurven zugreifbar sind, schlagen algorithmusbasiert Insulindosen entsprechend den vorliegenden Blutzuckerwerten vor und tragen zur Vereinfachung und Standardisierung des Blutzuckermanagements im Krankenhaus bei.9
Einen wesentlichen Bestandteil in der Versorgung von Patienten mit Diabetes im Krankenhaus stellt auch die Einbindung des Patienten in sein Blutzuckermanagement dar. Bei kognitiv unbeeinträchtigten Patienten ist es sinnvoll, das Selbstmanagement zu forcieren, das zum Beispiel die eigenständige Insulinapplikation unter Aufsicht oder die selbstständige, durch medizinisches Personal unterstützte Insulindosisberechnung umfasst.
Die Effizienz der Verwendung von kontinuierlichen Glukosemesssystemen im Krankenhaus wird zwar durch wenig Evidenz unterstützt, kann aber durchaus dazu beitragen, das Management zu vereinfachen und zu verbessern. Keine strikte Kontraindikation gibt es auch zur Weiterverwendung von Insulinpumpentherapien, sofern der Patient nach Ermessen des behandelnden Arztes selbst dazu in der Lage ist, diese zu bedienen und sich in einem nicht akut oder kritisch krankem Zustand befindet.
Operatives Setting
Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für postoperative Komplikationen, wie nosokomiale Infektionen, eine erhöhte Krankenhausmortalität oder postoperatives Delir, wobei das Risiko mit der Höhe des Blutzuckers und des HbA1c-Werts korreliert.10–12 Folglich empfiehlt sich vor geplanten Eingriffen eine möglichst suffiziente Blutzuckereinstellung. In diesem Zusammenhang gibt die aktuelle Leitlinie der Österreichischen Diabetesgesellschaft die Empfehlung der Erreichung eines HbA1c <7% präoperativ ab. Bei Menschen, die dieses Ziel nicht ohne das Auftreten von Hypoglykämien erreichen, oder bei multimorbiden Menschen, ist ein HbA1c <8% akzeptabel. Eine geplante Operation sollte bei einem HbA1c >10% verschoben werden. Das Ausmaß des operativen Eingriffs bestimmt die Planung des perioperativen Blutzuckermanagements. Während kleinere oder ambulante Eingriffe ohne Vollnarkose unter Beibehaltung einer oralen Therapie (Morgendosis pausieren) oder einer stabilen Insulintherapie durchgeführt werden können, sollte bei größeren Eingriffen intraoperativ auf eine intravenöse Insulintherapie zurückgegriffen werden und die orale Therapie zumindest 24 Stunden zuvor pausiert werden. Eine Basalinsulintherapie kann, wenn diese als suffizient eingeschätzt wird, präoperativ in derselben Dosis verabreicht werden. Bolusinsulin sollte vor jeglicher Operation lediglich zur Korrektur bei erhöhten Werten appliziert werden. Eine möglicherweise bestehende Mischinsulintherapie sollte vor der Operation möglichst auf eine Basis-Bolus-Insulintherapie umgestellt werden. Peri-und postoperativer Blutzuckerzielbereich sind wiederum zwischen 140 und 180mg/dl festzulegen. Hypoglykämien sollten unbedingt vermieden werden.
Faktoren, die bei Entlassung aus dem Krankenhaus berücksichtigt werden sollten
Die Diabeteserkrankung oder die Hyperglykämie sind mit dem Prozess der Entlassung aus dem Krankenhaus in den meisten Fällen nicht beseitigt. Folglich sollte ein besonderes Augenmerk auf ein adäquates Entlassungsmanagement gelegt werden. Unabdinglich ist es, den Patienten und etwaige Bezugspersonen (Pflegeheimpersonal, Angehörige) über die Diabeteserkrankung und deren Management gründlich zu informieren. Mit Schulungen in Bezug auf Ernährung, Insulinhandhabung und Glukosemessung sollte noch während des stationären Aufenthalts begonnen werden. Der Hausarzt sollte über etwaige medikamentöse Neueinleitungen oder Änderungen der blutzuckersenkenden Therapien aufmerksam gemacht werden. Auf weitere Empfehlungen zu diabetesspezifischen Laborkontrollen (HbA1c, Nierenwerte) oder Untersuchungen sollte im Arztbrief hingewiesen werden. Im besten Fall, gerade bei komplexen blutzuckersenkenden Therapien, sollte dem Patienten die Möglichkeit gegeben werden, in einer spezialisierten Institution (z.B. Diabetesambulanz) ambulant weiterbetreut zu werden.
Literatur:
1 American Diabetes Association: 15. Diabetes care in the hospital: Standards of medical care in diabetes - 2021. Diabetes Care 2021; 44(Suppl 1): S211-S220 2 Corsino L et al.: Management of diabetes and hyperglycemia in hospitalized patients. In: Feingold KR, Anawalt B, Boyce A, et al.: eds. Endotext. South Dartmouth (MA) 2000 3 McAlister FA et al.: The relation between hyperglycemia and outcomes in 2,471 patients admitted to the hospital with community-acquired pneumonia. Diabetes Care 2005; 28(4): 810-5 4 Frisch A et al.: Prevalence and clinical outcome of hyperglycemia in the perioperative period in noncardiac surgery. Diabetes Care 2010; 33(8): 1783-8 5 Bommer C et al.: The global economic burden of diabetes in adults aged 20-79 years: a cost-of-illness study. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5(6): 423-30 6 Kopanz J et al.: Evaluation of an implemented new insulin chart to improve quality and safety of diabetes care in a large university hospital: a follow-up study. BMJ Open 2021; 11(1): e041298 7 Stacul F et al.: Contrast induced nephropathy: updated ESUR Contrast Media Safety Committee guidelines. Eur Radiol 2011; 21(12): 2527-41 8 Bellido V et al.: Comparison of basal-bolus and premixed insulin regimens in hospitalized patients with type 2 diabetes. Diabetes Care 2015; 38(12): 2211-6 9 Neubauer KM et al.: Standardized Glycemic management with a computerized workflow and decision support system for hospitalized patients with type 2 diabetes on different wards. Diabetes Technol Ther 2015; 17(10): 685-92 10 Zhang Y et al.: Diabetes mellitus is associated with increased risk of surgical site infections: A meta-analysis of prospective cohort studies. Am J Infect Control 2015; 43(8): 810-5 11 Zhang H et al.: Influence of diabetes mellitus on long-term clinical and economic outcomes after coronary artery bypass grafting. Ann Thorac Surg 2014; 97(6): 2073-9 12 Underwood P et al.: Preoperative A1C and clinical outcomes in patients with diabetes undergoing major noncardiac surgical procedures. Diabetes Care 2014; 37(3): 611-6
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