
Betreuungs- und Therapieprogramm für Menschen mit Typ-2-Diabetes
Autor:
Prim. Dr. Reinhold Pongratz, MBA
Regionalleiter d. Medizinischen Dienstes
d. Österreichischen Gesundheitskasse Steiermark, Graz
E-Mail: reinhold.pongratz@oegk.at
In Österreich leiden Schätzungen zufolge über 600000 Menschen an Diabetes, wobei viele davon nicht wissen, dass sie von Diabetes betroffen sind.1 Diabetes mellitus führt häufig zu gesundheitlichen Komplikationen und Folgeerkrankungen.
Keypoints
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Mit „Therapie Aktiv“ haben mehr als 100000 Menschen mit Typ-2-Diabetes ihre Krankheit im Griff – rund 2000 österreichische Ärztinnen und Ärzte nehmen an dem Programm teil.
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Evaluierungsergebnisse bestätigen, dass „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“ wirkt und das Programm Erleichterung und Struktur in den Ordinationsalltag bringt.
Die von Diabetes direkt und indirekt verursachten Kosten für die Volkswirtschaft sindenorm. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, wurde vor 15 Jahren das erste und bislang einzige strukturierte Langzeitbetreuungsprogramm DMP (Disease-Management-Programm) in Österreich implementiert. Die Idee hinter dem Programm ist, dass speziell geschulte Allgemeinmediziner bzw. Fachärzte für Innere Medizin die Betroffenen im Umgang mit der Krankheit befähigen und ihnen eine kontinuierliche und qualitativ hochwertige Versorgung nach dem neuesten Stand der Wissenschaft zu ermöglichen. Dabei gilt es, auf jeden Patienten möglichst individuell einzugehen und den Überblick über den Behandlungsverlauf und die notwendigen Therapieschritte zu behalten. Als Hilfestellung hierfür stehen den „Therapie Aktiv“-Ärzten Instrumente wie die Zielvereinbarung, der Dokumentationsbogen, die Behandlungspfade sowie zahlreiche Folder und Broschüren zu diabetesspezifischen Themen zur Verfügung.
Gerade für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 ist die Umsetzung von Lebensstiländerungen oftmals besonders schwierig. Die Zielvereinbarung dient daher als Unterstützung, um Lebensstiländerungen noch besser umsetzen zu können. Zudem wird abhängig vom Krankheitsstadium zumindest einmal im Jahr eine ausführliche Untersuchung mithilfe des Dokumentationsbogens, der als Checkliste dient, durchgeführt. Für die Betreuung der „Therapie Aktiv“-Patienten erhalten die teilnehmenden Ärzte ein zusätzliches Honorar.
Derzeit profitieren österreichweit bereits mehr als 100000 Patienten und rund 2000 „Therapie Aktiv“-Ärzte von den zahlreichen Vorteilen des Programms.
Der Umsetzungsstand von „Therapie Aktiv“ im Juli 2022 in den einzelnen Bundesländern kann der Tabelle1 entnommen werden.2
Fachliche und organisatorische Hilfestellung
„Zur optimalen Betreuung der vielen Menschen mit Diabetes über viele Jahre hinweg braucht es neben der nötigen fachlichen Kompetenz vor allem ein gutes organisatorisches Konzept. ‚Therapie Aktiv‘ bietet hierbei eine fachlich wie organisatorisch entscheidende Hilfestellung. Es hebt die Qualität der Diabetikerbetreuung bei gleichzeitiger Unterstützung des Ordinationsbetriebes. Die Etablierung von ‚Therapie Aktiv‘ in der Praxis erhöht nicht nur die Mitarbeit und Selbstverantwortung der Diabetiker, sondern festigt auch deren Bindung an die Ordination. Für mich persönlich ist nach 10 Jahren die Anwendung von ‚Therapie Aktiv‘ aus meinem Praxisalltag nicht mehr wegzudenken“, so Dr. Anton Wankhammer, Arzt für Allgemeinmedizin in Lang.3
Den Erfolg von „Therapie Aktiv“ belegen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluierungen, der Patientenbefragungen und einer „Therapie Aktiv“-Ärztebefragung.
Bereits bei der ersten Evaluierung des Programms im Jahr 2015 konnten positive Effekte von „Therapie Aktiv“ nachgewiesen werden.4 Um zu untersuchen, ob die beobachteten Vorteile im Zeitverlauf bestehen bleiben oder sich verändern, wurde die Medizinische Universität Graz mit einer weiterführenden Evaluierung des Programms beauftragt. Dazu wurde der Beobachtungszeitraum von 4 Jahren auf 8 Jahre erweitert. In der Langzeitbeobachtung zeigte sich in der DMP-Gruppe ein um 30% niedrigeres Sterberisiko als in der Kontrollgruppe. Auch konnten bei den diabetesspezifischen Folgeerkrankungen (Herzinfarkt und Schlaganfall) Vorteile für die Patienten von „Therapie Aktiv“ nachgewiesen werden. Bei der Betrachtung der Gesamtkosten konnte ein Kostenvorteil von jährlich rund 1000 EUR pro DMP-Patient nachgewiesen werden, wobei dieser über den gesamten Zeitverlauf erhalten bleibt und hauptsächlich auf den Teilbereich der stationären Kosten entfällt.5 Der Nutzen des DMP „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“ wird auch durch Patientenbefragungen immer wieder bestätigt.6 Die Ergebnisse zeigen, dass die Patienten im Programm deutlich besser betreut werden. Dies spiegelt sich nicht nur im subjektiv deutlich besseren Gesundheitszustand und Informationsstandwider, sondern auch bei den diabetesrelevanten Untersuchungen, die im Programm regelmäßig von den Ärzten durchgeführt werden. Zudem sind „Therapie Aktiv“-Patienten eher motiviert, sich mehr zu bewegen und sich somit aktiv an der Behandlung zu beteiligen. Diese Verbesserungen sind sowohl auf die strukturierte, regelmäßige ärztliche Behandlung und die damit verbundenen Zielvereinbarungen zwischen Arzt und Patient als auch auf die gezielte Informationsvermittlung mittels Informationsmaterialien und Diabetesschulungen zurückzuführen.7
2019 wurde eine Befragung von 277 „Therapie Aktiv“-Ärzten durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass 91% der befragten „Therapie Aktiv“-Ärzte mit dem Programm sehr zufrieden bzw. zufrieden sind.8
Mythos vom überbordenden Bürokratismus
Trotz der zahlreichen positiven Effekte von „Therapie Aktiv“ gibt es noch Vorurteile gegenüber dem Programm, die verhindern, dass noch mehr Ärzte am Programm teilnehmen. Als häufigste Rückmeldung hierfür wurde in einer Ärztebefragung der überbordende Bürokratismus genannt. Diese Kritik wurde jedoch überwiegend von Ärzten geäußert, die das Programm nicht kennen bzw. gerade erst damit gestartet haben. Insgesamt wurde der administrative Aufwand bei der Programmkonzeptionierung be-wusst gering gehalten. Zudem kann ein Großteil der mit dem Programm verbundenen administrativen Aufgaben von Ordinationsassistierenden übernommen werden. Wie bei jedem Änderungsprozess braucht es jedoch auch bei „Therapie Aktiv“ erst eine Integration in den Ordinationsalltag. Wie der Dokumentationsbogen und die Zielvereinbarung die Möglichkeit für Hilfestellung anstatt einer einbremsenden Hürde darstellen können, kann mittels einer Unterstützung in „Therapie Aktiv“-Administrationsstellen in den Bundesländern gezeigt werden. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten der Integration des Programms in den Ordinationsalltag in den Basisschulungen für „Therapie Aktiv“-Ärzte sowie in den Schulungen für Ordinationsassistierende aufgezeigt.
Netz an „Therapie Aktiv“-Ärzten weiter ausbauen
Das 15-jährige Bestehen des Programms und die bereits erfolgte Ausrollung in alle Bundesländer sind eine Gelegenheit, um sich bei allen „Therapie Aktiv“-Ärzten zu bedanken;siebetreuenaktuell österreichweit mehr als 100000 „Therapie Aktiv“-Patienten. Gleichzeitig gilt es weitere niedergelassene Ärzte zu motivieren, am Programm teilzunehmen, da dieses nicht nur für Behandelnde, sondern auch für Menschen mit Diabetes zahlreiche Vorteile bringt. Das Ziel der österreichischen Sozialversicherung war, ist und bleibt, allen Menschen mit Diabetes dieses Programm in Wohnortnähe anbieten zu können. Nähere Informationen zum Programm erhalten Sie auf der Website www.therapie-aktiv.at oder bei den DMP-Administrationsstellen in den Bundesländern.
Literatur:
1 Schmutterer I et al. (Hrsg.): Österreichischer Diabetesbericht 2017. https://jasmin.goeg.at/327/1/diabetesbericht2017.pdf ; zuletzt aufgerufen am 16.8.2022 2 Österreichische Gesundheitskasse: Zahlen und Fakten – Geringere Sterblichkeit: Die Evaluierung des Therapie Aktiv-Programms. https://www.therapie-aktiv.at/cdscontent/?contentid=10007.791399; zuletzt aufgerufen am 16.8.2022 3 Österreichische Gesundheitskasse: Arztleitfaden Administration Steiermark. Diabetes Mellitus Typ 2. https://www.therapie-aktiv.at/cdscontent/load?contentid=10008.738751&version=1625482219 ; zuletzt aufgerufen am 16.8.2022 4 Berghold, A, Riedl R: Disease-Management-Programm „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“: Abschlussbericht zur Evaluierung. April 2019. https://www.therapie-aktiv.at/cdscontent/load?contentid=10008.649643&version=1519316820 ; zuletzt aufgerufen am 16.8.2022 5 Berghold, A, Riedl R: Disease-Management-Programm „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“: Abschlussbericht zur Evaluierung. April 2019. https://www.therapie-aktiv.at/cdscontent/load?contentid=10008.678802&version=1562140359 ; zuletzt aufgerufen am 16.8.2022 6 Competence Center Integrierte Versorgung: Befragungsergebnisse. Zufriedenheit der Programmteilnehmer. Steiermark 2009. https://www.therapie-aktiv.at/cdscontent/load?contentid=10008.649640&version=1519316820 ; zuletzt aufgerufen am 16.8.2022 8 Competence Center Integrierte Versorgung: Zentrale Ergebnisse der Ärztinnen- und Ärztebefragung zum DMP Therapie Aktiv – Diabetes im Griff 2019. Zufriedenheit und Weiterentwicklungsimpulse. https://www.therapie-aktiv.at/cdscontent/load?contentid=10008.712649&version=1566552027 ; zuletzt aufgerufen am 16.8.2022