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Auf dem Weg zum bionischen Pankreas

<p class="article-intro">Technische Hilfsmittel, sogenannte Devices, haben das Management des Diabetes mellitus in den vergangenen Jahren deutlich erleichtert. Mittlerweile werden bereits Systeme getestet, die den Blutzuckerspiegel anhand von Sensormessungen mittels Insulin und Glukagon automatisch steuern.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Es gibt Unterschiede bei den Blutzuckermessger&auml;ten.</li> <li>Ein kommender Trend ist die CGM ohne blutige Kalibrierung.</li> <li>Die FGM ist in &Ouml;sterreich angekommen.</li> <li>Innovationsschub bei den Insulinpumpen</li> <li>Closed-Loop-Systeme k&ouml;nnen erhebliche Vorteile in der Behandlung von Kindern bringen.</li> </ul> </div> <p>Es gibt auf dem Markt eine Vielzahl an Blutzuckermessger&auml;ten. Doch wie zuverl&auml;ssig messen die einzelnen Ger&auml;te?&ldquo;, fragte Prim. Univ.-Prof. Dr. Raimund Weitgasser von der Privatklinik Wehrle-Diakonissen, Salzburg, im Rahmen eines Vortrags in Wien. Die Ger&auml;te haben heute deutlich mehr Funktionen als noch vor wenigen Jahren. Neben der Anzeige des Blutzuckers werden meist auch Zielbereiche angezeigt, Erinnerungen k&ouml;nnen gesetzt und die Daten aus dem Messger&auml;t auf den Computer hochgeladen werden. Die Systeme kommunizieren auch mit unterschiedlichen Apps, die ein verbessertes Diabetesmanagement erm&ouml;glichen sollen. Voraussetzung sind aber zuverl&auml;ssige Messungen. Die ISO-Norm sollte erf&uuml;llt sein, was bedeutet, dass 95 % der Messungen =100mg/dl in einem Bereich &plusmn;15 % der Referenzmessung liegen m&uuml;ssen und weiters 95 % der Blutzuckermessungen unter 100mg/dl nicht mehr als &plusmn;15mg/dl von der Referenzmessung abweichen d&uuml;rfen. Diese versch&auml;rfte Norm, die seit etwas mehr als einem Jahr eingehalten werden muss, erf&uuml;llen die meisten der getesteten Ger&auml;te, wobei in Studien auch zwischen durchaus renommierten Markenprodukten Unterschiede auffallen (Tab. 1).<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1705_Weblinks_s40_tab1.jpg" alt="" width="686" height="1471" /></p> <h2>CGM ohne zus&auml;tzliche Blutzuckermessungen</h2> <p>Weitgasser: &bdquo;Generell geht der Trend eindeutig in Richtung kontinuierlichen Glukose-Monitorings &ndash; CGM. Besonders Patienten unter Insulintherapie werden in Zukunft ihre Glukosewerte kaum noch aus einem Fingerstich bestimmen &ndash; zumindest nicht in den wohlhabenderen L&auml;ndern.&ldquo; Eine aktuelle Studie in einer Population von Typ-1-Diabetikern ging der Frage nach, ob bei Einsatz eines CGM-Systems zus&auml;tzliche Messungen aus der Fingerbeere erforderlich sind. Die Studie mit &uuml;ber 200 erfahrenen Patienten (Diabetesdauer durchschnittlich 24 Jahre) zeigte, dass zus&auml;tzliche Messungen mit dem konventionellen Messger&auml;t weder die &bdquo;time in range&ldquo; verbesserten noch die Hypoglyk&auml;mien reduzierten, und damit nicht erforderlich sind, wenn CGM verwendet wird.<sup>2</sup> G&uuml;nstige Effekte auf verschiedene Lebensqualit&auml;t und Zufriedenheit betreffende Parameter konnten f&uuml;r CGM ebenfalls gezeigt werden.<sup>3</sup> Die Bedeutung regelm&auml;&szlig;iger Glukosemessungen &ndash; insbesondere von Glukoseprofilen, wie sie mit CGM erstellt werden &ndash; konnte in einer rezenten Studie erneut untermauert werden. Die Studie zeigte, dass bei identem HbA<sub>1c</sub> sehr unterschiedliche Glukoseverl&auml;ufe m&ouml;glich sind und manche Patienten auch bei scheinbar guter Kontrolle (HbA<sub>1c</sub> im Zielbereich) sehr unterschiedliche Glukoseverlaufswerte zeigen. Problematische Entgleisungen wie sehr hohe postprandiale Werte oder n&auml;chtliche Hyper- oder Hypoglyk&auml;mien k&ouml;nnen sich auch hinter einem unauff&auml;lligen HbA<sub>1c</sub> verbergen.<sup>4</sup> Weitgasser: &bdquo;Die Daten zeigen, dass wir CGM brauchen, um eine entsprechende Beurteilung der Einstellung vornehmen und die Therapie entsprechend anpassen zu k&ouml;nnen.&ldquo;<br /> Eine relativ aktuelle Neuentwicklung ist das Flash Glucose Monitoring (FGM), das von ADA und EASD offiziell als &bdquo;intermittently- viewed continuous glucose monitoring&ldquo; (iCGM) bezeichnet wird, da die Messungen intermittierend abgelesen werden. Bei FGM wird die Glukose aus der Interzellularfl&uuml;ssigkeit mithilfe eines im Subkutangewebe platzierten Sensors gemessen. Derzeit ist mit dem &bdquo;FreeStyle Libre System&ldquo; von Abbott nur ein FGMSystem auf dem Markt. Zu den Besonderheiten geh&ouml;rt die Option unterschiedliche Software Daten &uuml;ber eine Cloud auszutauschen und Messwerte direkt an den Behandler oder auch an Angeh&ouml;rige weiterzugeben. Im Gegensatz zum FGM- gibt der CGM-Sensor kontinuierlich Werte an ein Messger&auml;t weiter.<br /> Auch auf diesem Gebiet der CGM sind Neuerungen in Vorbereitung. So soll ein von Medtronic in Zusammenarbeit mit verily entwickeltes System nicht mehr anhand von Messungen aus der Fingerbeere kalibriert werden m&uuml;ssen. Auch an einer Reduktion der relativ hohen Kosten wird gearbeitet. Weitgasser: &bdquo;K&uuml;nftige CGMSysteme werden die Gr&ouml;&szlig;e einer M&uuml;nze oder Tablette haben, die &auml;hnlich wie beim FGM Daten an ein Smartphone &uuml;bertragen werden.&ldquo;</p> <h2>Sensor mit mehreren Monaten Lebensdauer</h2> <p>Bei Roche hat man sich entschlossen, das Accucheck Insight CGM System nicht weiterzuentwickeln und stattdessen das auf einem stark miniaturisierten Langzeitsensor basierende System Eversense auf den Markt zu bringen, so Weitgasser. Der sehr kleine Sensor wird vom Arzt unter Lokalan&auml;sthesie implantiert &ndash; die letzte Ausgabe von JATROS Diabetologie &amp; Endokrinologie berichtete in einem Interview mit Prof. Julia Mader, Graz, &uuml;ber die Erfahrungen mit dem System in &Ouml;sterreich. Weitgasser: &bdquo;Aktuell betr&auml;gt die Tragedauer 90 Tage, es ist allerdings geplant, den Sensor so weiterzuentwickeln, dass er &uuml;ber ein halbes Jahr oder l&auml;nger getragen werden kann.&ldquo; &Uuml;ber dem implantierten Sensor wird ein kleiner Transmitter angebracht, der die Daten an eine Smartphone- App &uuml;bermittelt. Allerdings muss dieser Transmitter regelm&auml;&szlig;ig aufgeladen werden, was Pausen bei der Nutzung des Systems bedingt. Dass das funktioniert, wurde in einer Studie mit 72 Patienten, die den Sensor &uuml;ber sechs Monate trugen, dokumentiert. Prim&auml;rer Endpunkt der Studie war die mittlere absolute relative Differenz zur Referenzmessung aus dem ven&ouml;sen Blut (&bdquo;mean absolute relative difference&ldquo;, MARD), die bei 11,4 % lag. Weitgasser: &bdquo;Die Studie zeigt, dass das System &uuml;ber die Zeit recht konstant bleibt. Nur am ersten Tag ist die MARD erh&ouml;ht, da sich der Sensor erst einspielen muss.&ldquo;<sup>5</sup><br /> Intelligent werden auch die Pens. So &uuml;bertr&auml;gt der Ensysta Bluetooth Pen vollautomatisch Datum, Uhrzeit und Menge der Insulindosen an PC oder Handy. Sein Speicher kann bis zu 1000 Datens&auml;tze aufnehmen. Ein Blutzuckermessger&auml;t und eine Smartphone-App sind ebenfalls Teile des Systems.</p> <h2>Insulinpumpen: von hochkomplex bis stark vereinfacht</h2> <p>Die Revolution in der Glukosemessung hat zu Innovationen bei den Insulinpumpen gef&uuml;hrt. Auf den Markt kommen d&uuml;rfte bald die Solo Micro Pump von Roche, die mit dem Eversense Sensor kombinierbar sein d&uuml;rfte. Eine Kombination von Pumpe und Sensor kommt auch von Tandem (mit Dexcom-Sensor) auf den Markt. Tandem wird mit der T Sport Minipump auch eine sehr kleine Pumpe f&uuml;r den Sport auf den Markt bringen. Auch bei den alternativen Abgabesystemen f&uuml;r Insulin gibt es Neuigkeiten: One Touch Via nennt sich ein kleines Abgabesystem mit 200IU eines prandialen Insulins, das direkt am K&ouml;rper getragen wird und eine von au&szlig;en unbemerkbare Bolusabgabe per Knopfdruck erm&ouml;glicht. In &Ouml;sterreich getestet wird gegenw&auml;rtig die CQUR PAQ Typ 2 Pump, eine Pumpe, die eine fixe Basalrate und bei Bedarf einen Bolus von 1IU abgibt. Ziel war eine maximale Therapievereinfachung, zugeschnitten auf die Bed&uuml;rfnisse von Typ-2-Diabetikern f&uuml;r die Basis- Bolus-Therapie.<br /> Studiendaten zeigen, dass zus&auml;tzliche Optionen an der Pumpe bei richtiger Anwendung tats&auml;chlich zu einer Verbesserung der glyk&auml;mischen Kontrolle f&uuml;hren, wobei die Kombination mit einem CGMSystem den gr&ouml;&szlig;ten Vorteil bringt.<sup>6</sup></p> <h2>Closed Loop macht (fast) alles automatisch</h2> <p>Die sensorunterst&uuml;tze Pumpentherapie bedeutet einen Schritt in Richtung eines k&uuml;nstlichen Pankreas. Relativ neu sind lernf&auml;hige Systeme, die den Trend in Richtung einer Hypoglyk&auml;mie antizipieren, sie bringen hier eine entscheidende Verbesserung. Basierend auf der Medtronic-Minimed-Veo- Pumpe und dem Enlite-Sensor, wurde ein derartiges Low-Glucose-Suspend-System bereits vor einigen Jahren vorgestellt. Diese Systeme bringen erhebliche Vorteile in der Behandlung von Kindern. Eine rezente Studie zeigt, dass damit eine signifikante Reduktion der Hypoglyk&auml;mien um fast die H&auml;lfte gelingt.<sup>7</sup> Das im vergangenen Jahr vorgestellte SMART Guard 640G System von Medtronic hat eine neue Pumpenplattform, einen neuen Sensor, einen neuen Transmitter und wird mittels eines innovativen Algorithmus gesteuert. Dieses Predictive- low-glucose-Suspend-System, ber&uuml;cksichtigt wie sich der Blutglukosespiegel entwickeln wird zur in der Vorhersage und steuert das Device dem entsprechend. In einer Studie &uuml;ber 12 Wochen gelangen mit dem System sowohl bei erwachsenen als auch bei adoleszenten Typ-1-Diabetikern eine deutliche Reduktion der Glukosevariabilit&auml;t und damit eine Verbesserung der glyk&auml;mischen Einstellung.<sup>8</sup><br /> Einen Schritt &uuml;ber den Closed Loop hinaus w&auml;re das Bionic Pancreas, ein System, das sensorgesteuert nicht nur Insulin, sondern auch Glukagon abgibt. Eine Crossover- Studie mit 48 Patienten zeigt f&uuml;r das Bionic Pancreas im Vergleich zu einer Closed- Loop-Therapie nur mit Insulin eine deutliche Reduktion des mittleren Glukosespiegels bei gleichzeitiger Reduktion der Hypoglyk&auml;mien. Auch die Variabilit&auml;t der Plasmaglukose von Tag zu Tag nimmt stark ab.<sup>9</sup><br /> Weitgasser wies aber auch auf Barrieren in der Akzeptanz technischer Hilfsmittel in der Diabetestherapie hin. Untersuchungen zeigten, dass fast die H&auml;lfte der Patienten es nicht sch&auml;tzen, permanent ein Device zu tragen, bzw. den Eindruck haben, mit den modernen Ger&auml;ten mehr Zeit f&uuml;r das Diabetesmanagement zu ben&ouml;tigen. Als h&auml;ufigster Grund f&uuml;r das Nicht-mehr-Verwenden eines CGM wurden die Kosten angegeben, gefolgt von zu vielen Alarmen und Zweifeln an der Messgenauigkeit.<sup>10</sup> Unterst&uuml;tzungsplattformen, die Patienten beim Umgang mit ihren Devices helfen sollen, k&ouml;nnten eine Antwort auf diese Probleme sein. Wichtig bleibt jedoch in jedem Fall eine gute Schulung aller Diabetiker, auch und gerade wenn Sie Devices verwenden.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Vortrag im Rahmen von „Wrap-up: Das Neueste zur Diabetestherapie – Wissenschaft für die Praxis“, 28. September 2017, Wien </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Rittmeyer D et al.: ADA, San Diego 6/2017, Poster 117-LB <strong>2</strong> Aleppo G et al.: Diabetes Care 2017; 40(4): 538-45 <strong>3</strong> Polonsky WH et al.: Diabetes Care 2017; 40(6): 736-41 <strong>4</strong> Beck RW et al.: Diabetes Care 2017; 40(8): 994-9 <strong>5</strong> Kropff J et al.: Diabetes Care 2017; 40(1): 63-68 <strong>6</strong> Ehrmann D et al.: ADA, San Diego 6/2017, ePoster 1040-P <strong>7</strong> Battelino T et al.: Diabetes Care 2017; 40(6): 764-70 <strong>8</strong> Bergenstal RM et al.: JAMA 2016; 316(13): 1407-8 <strong>9</strong> El- Khatib FH et al.: Lancet 2017; 389(10067): 369-80 <strong>10</strong> Tanenbaum ML et al.: Diabetes Care 2017; 40(2): 181-87</p> </div> </p>
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