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Auf dem Weg zum bionischen Pankreas
Jatros
30
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09.11.2017
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<p class="article-intro">Technische Hilfsmittel, sogenannte Devices, haben das Management des Diabetes mellitus in den vergangenen Jahren deutlich erleichtert. Mittlerweile werden bereits Systeme getestet, die den Blutzuckerspiegel anhand von Sensormessungen mittels Insulin und Glukagon automatisch steuern.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Es gibt Unterschiede bei den Blutzuckermessgeräten.</li> <li>Ein kommender Trend ist die CGM ohne blutige Kalibrierung.</li> <li>Die FGM ist in Österreich angekommen.</li> <li>Innovationsschub bei den Insulinpumpen</li> <li>Closed-Loop-Systeme können erhebliche Vorteile in der Behandlung von Kindern bringen.</li> </ul> </div> <p>Es gibt auf dem Markt eine Vielzahl an Blutzuckermessgeräten. Doch wie zuverlässig messen die einzelnen Geräte?“, fragte Prim. Univ.-Prof. Dr. Raimund Weitgasser von der Privatklinik Wehrle-Diakonissen, Salzburg, im Rahmen eines Vortrags in Wien. Die Geräte haben heute deutlich mehr Funktionen als noch vor wenigen Jahren. Neben der Anzeige des Blutzuckers werden meist auch Zielbereiche angezeigt, Erinnerungen können gesetzt und die Daten aus dem Messgerät auf den Computer hochgeladen werden. Die Systeme kommunizieren auch mit unterschiedlichen Apps, die ein verbessertes Diabetesmanagement ermöglichen sollen. Voraussetzung sind aber zuverlässige Messungen. Die ISO-Norm sollte erfüllt sein, was bedeutet, dass 95 % der Messungen =100mg/dl in einem Bereich ±15 % der Referenzmessung liegen müssen und weiters 95 % der Blutzuckermessungen unter 100mg/dl nicht mehr als ±15mg/dl von der Referenzmessung abweichen dürfen. Diese verschärfte Norm, die seit etwas mehr als einem Jahr eingehalten werden muss, erfüllen die meisten der getesteten Geräte, wobei in Studien auch zwischen durchaus renommierten Markenprodukten Unterschiede auffallen (Tab. 1).<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1705_Weblinks_s40_tab1.jpg" alt="" width="686" height="1471" /></p> <h2>CGM ohne zusätzliche Blutzuckermessungen</h2> <p>Weitgasser: „Generell geht der Trend eindeutig in Richtung kontinuierlichen Glukose-Monitorings – CGM. Besonders Patienten unter Insulintherapie werden in Zukunft ihre Glukosewerte kaum noch aus einem Fingerstich bestimmen – zumindest nicht in den wohlhabenderen Ländern.“ Eine aktuelle Studie in einer Population von Typ-1-Diabetikern ging der Frage nach, ob bei Einsatz eines CGM-Systems zusätzliche Messungen aus der Fingerbeere erforderlich sind. Die Studie mit über 200 erfahrenen Patienten (Diabetesdauer durchschnittlich 24 Jahre) zeigte, dass zusätzliche Messungen mit dem konventionellen Messgerät weder die „time in range“ verbesserten noch die Hypoglykämien reduzierten, und damit nicht erforderlich sind, wenn CGM verwendet wird.<sup>2</sup> Günstige Effekte auf verschiedene Lebensqualität und Zufriedenheit betreffende Parameter konnten für CGM ebenfalls gezeigt werden.<sup>3</sup> Die Bedeutung regelmäßiger Glukosemessungen – insbesondere von Glukoseprofilen, wie sie mit CGM erstellt werden – konnte in einer rezenten Studie erneut untermauert werden. Die Studie zeigte, dass bei identem HbA<sub>1c</sub> sehr unterschiedliche Glukoseverläufe möglich sind und manche Patienten auch bei scheinbar guter Kontrolle (HbA<sub>1c</sub> im Zielbereich) sehr unterschiedliche Glukoseverlaufswerte zeigen. Problematische Entgleisungen wie sehr hohe postprandiale Werte oder nächtliche Hyper- oder Hypoglykämien können sich auch hinter einem unauffälligen HbA<sub>1c</sub> verbergen.<sup>4</sup> Weitgasser: „Die Daten zeigen, dass wir CGM brauchen, um eine entsprechende Beurteilung der Einstellung vornehmen und die Therapie entsprechend anpassen zu können.“<br /> Eine relativ aktuelle Neuentwicklung ist das Flash Glucose Monitoring (FGM), das von ADA und EASD offiziell als „intermittently- viewed continuous glucose monitoring“ (iCGM) bezeichnet wird, da die Messungen intermittierend abgelesen werden. Bei FGM wird die Glukose aus der Interzellularflüssigkeit mithilfe eines im Subkutangewebe platzierten Sensors gemessen. Derzeit ist mit dem „FreeStyle Libre System“ von Abbott nur ein FGMSystem auf dem Markt. Zu den Besonderheiten gehört die Option unterschiedliche Software Daten über eine Cloud auszutauschen und Messwerte direkt an den Behandler oder auch an Angehörige weiterzugeben. Im Gegensatz zum FGM- gibt der CGM-Sensor kontinuierlich Werte an ein Messgerät weiter.<br /> Auch auf diesem Gebiet der CGM sind Neuerungen in Vorbereitung. So soll ein von Medtronic in Zusammenarbeit mit verily entwickeltes System nicht mehr anhand von Messungen aus der Fingerbeere kalibriert werden müssen. Auch an einer Reduktion der relativ hohen Kosten wird gearbeitet. Weitgasser: „Künftige CGMSysteme werden die Größe einer Münze oder Tablette haben, die ähnlich wie beim FGM Daten an ein Smartphone übertragen werden.“</p> <h2>Sensor mit mehreren Monaten Lebensdauer</h2> <p>Bei Roche hat man sich entschlossen, das Accucheck Insight CGM System nicht weiterzuentwickeln und stattdessen das auf einem stark miniaturisierten Langzeitsensor basierende System Eversense auf den Markt zu bringen, so Weitgasser. Der sehr kleine Sensor wird vom Arzt unter Lokalanästhesie implantiert – die letzte Ausgabe von JATROS Diabetologie & Endokrinologie berichtete in einem Interview mit Prof. Julia Mader, Graz, über die Erfahrungen mit dem System in Österreich. Weitgasser: „Aktuell beträgt die Tragedauer 90 Tage, es ist allerdings geplant, den Sensor so weiterzuentwickeln, dass er über ein halbes Jahr oder länger getragen werden kann.“ Über dem implantierten Sensor wird ein kleiner Transmitter angebracht, der die Daten an eine Smartphone- App übermittelt. Allerdings muss dieser Transmitter regelmäßig aufgeladen werden, was Pausen bei der Nutzung des Systems bedingt. Dass das funktioniert, wurde in einer Studie mit 72 Patienten, die den Sensor über sechs Monate trugen, dokumentiert. Primärer Endpunkt der Studie war die mittlere absolute relative Differenz zur Referenzmessung aus dem venösen Blut („mean absolute relative difference“, MARD), die bei 11,4 % lag. Weitgasser: „Die Studie zeigt, dass das System über die Zeit recht konstant bleibt. Nur am ersten Tag ist die MARD erhöht, da sich der Sensor erst einspielen muss.“<sup>5</sup><br /> Intelligent werden auch die Pens. So überträgt der Ensysta Bluetooth Pen vollautomatisch Datum, Uhrzeit und Menge der Insulindosen an PC oder Handy. Sein Speicher kann bis zu 1000 Datensätze aufnehmen. Ein Blutzuckermessgerät und eine Smartphone-App sind ebenfalls Teile des Systems.</p> <h2>Insulinpumpen: von hochkomplex bis stark vereinfacht</h2> <p>Die Revolution in der Glukosemessung hat zu Innovationen bei den Insulinpumpen geführt. Auf den Markt kommen dürfte bald die Solo Micro Pump von Roche, die mit dem Eversense Sensor kombinierbar sein dürfte. Eine Kombination von Pumpe und Sensor kommt auch von Tandem (mit Dexcom-Sensor) auf den Markt. Tandem wird mit der T Sport Minipump auch eine sehr kleine Pumpe für den Sport auf den Markt bringen. Auch bei den alternativen Abgabesystemen für Insulin gibt es Neuigkeiten: One Touch Via nennt sich ein kleines Abgabesystem mit 200IU eines prandialen Insulins, das direkt am Körper getragen wird und eine von außen unbemerkbare Bolusabgabe per Knopfdruck ermöglicht. In Österreich getestet wird gegenwärtig die CQUR PAQ Typ 2 Pump, eine Pumpe, die eine fixe Basalrate und bei Bedarf einen Bolus von 1IU abgibt. Ziel war eine maximale Therapievereinfachung, zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Typ-2-Diabetikern für die Basis- Bolus-Therapie.<br /> Studiendaten zeigen, dass zusätzliche Optionen an der Pumpe bei richtiger Anwendung tatsächlich zu einer Verbesserung der glykämischen Kontrolle führen, wobei die Kombination mit einem CGMSystem den größten Vorteil bringt.<sup>6</sup></p> <h2>Closed Loop macht (fast) alles automatisch</h2> <p>Die sensorunterstütze Pumpentherapie bedeutet einen Schritt in Richtung eines künstlichen Pankreas. Relativ neu sind lernfähige Systeme, die den Trend in Richtung einer Hypoglykämie antizipieren, sie bringen hier eine entscheidende Verbesserung. Basierend auf der Medtronic-Minimed-Veo- Pumpe und dem Enlite-Sensor, wurde ein derartiges Low-Glucose-Suspend-System bereits vor einigen Jahren vorgestellt. Diese Systeme bringen erhebliche Vorteile in der Behandlung von Kindern. Eine rezente Studie zeigt, dass damit eine signifikante Reduktion der Hypoglykämien um fast die Hälfte gelingt.<sup>7</sup> Das im vergangenen Jahr vorgestellte SMART Guard 640G System von Medtronic hat eine neue Pumpenplattform, einen neuen Sensor, einen neuen Transmitter und wird mittels eines innovativen Algorithmus gesteuert. Dieses Predictive- low-glucose-Suspend-System, berücksichtigt wie sich der Blutglukosespiegel entwickeln wird zur in der Vorhersage und steuert das Device dem entsprechend. In einer Studie über 12 Wochen gelangen mit dem System sowohl bei erwachsenen als auch bei adoleszenten Typ-1-Diabetikern eine deutliche Reduktion der Glukosevariabilität und damit eine Verbesserung der glykämischen Einstellung.<sup>8</sup><br /> Einen Schritt über den Closed Loop hinaus wäre das Bionic Pancreas, ein System, das sensorgesteuert nicht nur Insulin, sondern auch Glukagon abgibt. Eine Crossover- Studie mit 48 Patienten zeigt für das Bionic Pancreas im Vergleich zu einer Closed- Loop-Therapie nur mit Insulin eine deutliche Reduktion des mittleren Glukosespiegels bei gleichzeitiger Reduktion der Hypoglykämien. Auch die Variabilität der Plasmaglukose von Tag zu Tag nimmt stark ab.<sup>9</sup><br /> Weitgasser wies aber auch auf Barrieren in der Akzeptanz technischer Hilfsmittel in der Diabetestherapie hin. Untersuchungen zeigten, dass fast die Hälfte der Patienten es nicht schätzen, permanent ein Device zu tragen, bzw. den Eindruck haben, mit den modernen Geräten mehr Zeit für das Diabetesmanagement zu benötigen. Als häufigster Grund für das Nicht-mehr-Verwenden eines CGM wurden die Kosten angegeben, gefolgt von zu vielen Alarmen und Zweifeln an der Messgenauigkeit.<sup>10</sup> Unterstützungsplattformen, die Patienten beim Umgang mit ihren Devices helfen sollen, könnten eine Antwort auf diese Probleme sein. Wichtig bleibt jedoch in jedem Fall eine gute Schulung aller Diabetiker, auch und gerade wenn Sie Devices verwenden.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Vortrag im Rahmen von „Wrap-up: Das Neueste zur Diabetestherapie
– Wissenschaft für die Praxis“, 28. September
2017, Wien
</p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Rittmeyer D et al.: ADA, San Diego 6/2017, Poster 117-LB <strong>2</strong> Aleppo G et al.: Diabetes Care 2017; 40(4): 538-45 <strong>3</strong> Polonsky WH et al.: Diabetes Care 2017; 40(6): 736-41 <strong>4</strong> Beck RW et al.: Diabetes Care 2017; 40(8): 994-9 <strong>5</strong> Kropff J et al.: Diabetes Care 2017; 40(1): 63-68 <strong>6</strong> Ehrmann D et al.: ADA, San Diego 6/2017, ePoster 1040-P <strong>7</strong> Battelino T et al.: Diabetes Care 2017; 40(6): 764-70 <strong>8</strong> Bergenstal RM et al.: JAMA 2016; 316(13): 1407-8 <strong>9</strong> El- Khatib FH et al.: Lancet 2017; 389(10067): 369-80 <strong>10</strong> Tanenbaum ML et al.: Diabetes Care 2017; 40(2): 181-87</p>
</div>
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