© Wiener Staatsoper_Michael Pöhn

Einsatz abseits der großen Bühne

„Die Kombination aus Medizin und Kultur ist einzigartig“

Allgemeinmedizinerin Dr. Elisabeth Szedenik arbeitet seit fast 25 Jahren in der Wiener Staatsoper und betreut dort nicht nur die Darsteller:innen, sondern unter anderem auch den Nachwuchs, Bühnenarbeiter:innen oder Kostümbildner:innen. Im Interview mit ALLGEMEINE+ spricht sie von ihren Einsätzen als Betriebs- und Theaterärztin, Zwischenfällen am Opernball und den aktuellen Vorbereitungen für die große Japantournee im Herbst.

Die Bretter, die für viele Künstler:innen die Welt bedeuten, lernte Dr. Elisabeth Szedenik schon in jungen Jahren kennen und lieben. Die talentierte Musikerin und Sängerin wollte ihre Berufung auch zu ihrem Beruf machen – als das Schicksal dazwischenfunkte. Über Umwege kam die Allgemeinmedizinerin dann aber doch noch in die Oper – als Betriebs- und Theaterärztin. Im Gespräch erzählt die Opernliebhaberin über ihren beruflichen Alltag abseits der großen Bühne, was sie bei Stimmproblemem macht und welcher Logenplatz für die diensthabenden Theaterärzt:innen reserviert ist.

War Musik immer ein wichtiger Teil in Ihrem Leben?

E. Szedenik: Ich bin mit vier Geschwistern in einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen und hatte eine Tante, die Opernsängerin war. Mein Papa und mein Opa haben Violine gespielt – und meine Mama Klavier. So sind wir sehr früh mit Kunst, Kultur, mit der Musik in Kontakt gekommen, wir haben auch Theater- und Opernvorstellungen und Konzerte besucht. Ich habe Klavier und Violine gelernt und gerne gesungen. Meine Tante hat meine Musikalität sehr gefördert und ich konnte mir gut vorstellen, das Talent zu meinem Beruf zu machen.

<< Die häufigsten Zwischenfälle im Publikum sind Kreislaufprobleme – meist im Stehplatzbereich.>>
Warum haben Sie sich entschieden, Medizin zu studieren?

E. Szedenik: Ein Ankerpunkt bezüglich Medizin war, dass ich in meiner Kindheit zwei Krankenhausaufenthalte hatte. Einmal mit einer Scharlachinfektion, da musste man als Kind noch ins Krankenhaus. Ich war damals fünf Jahre alt und es hat mich sehr beeindruckt, wie es da im Spital zugeht, wie Ärzte mit den Kindern, den Patienten umgehen. Meine Tante ist leider ganz plötzlich verstorben, als ich 15 war. Sie wollte eine Gesangsausbildung für mich organisieren, aber dazu ist sie dann nicht mehr gekommen. In der Schule haben mich vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer wie Biologie sehr interessiert. Ich habe auch immer sehr gerne mit Menschen kommuniziert. In der 7. Klasse Gymnasium ist dann das Interesse für Medizin konkret geworden und so habe ich nach der Matura das Studium an der Medizinischen Universität in Wien absolviert.

Aus welchen Gründen haben Sie das Fach Allgemeinmedizin gewählt?

E. Szedenik: Mein eigentlicher Wunsch war es, Kinderärztin zu werden. Den Turnus absolvierte ich im Krankenhaus Mödling, wo ich auch an der Kinderabteilung tätig sein konnte. Nur hatten wir damals leider einen Chef, der frauenfeindlich eingestellt war. Er hat sehr deutlich gemacht, dass er keine Assistentinnen ausbilden möchte. Da mich die allgemeine Medizin auch sehr interessiert hat, habe ich dann beschlossen, Allgemeinmedizinerin zu werden. Nach meinem Turnus habe ich dann circa drei Jahre gemeinsam mit einer Säuglingsschwester bei der mobilen Mutterberatung in Niederösterreich gearbeitet und Neugeborene untersucht. Das war eine schöne Zeit.

Wie kamen Sie dazu, Ärztin in der Oper zu werden?

E. Szedenik: Da mein Mann damals die Ausbildung zum Lungenfacharzt gemacht hat, haben wir beschlossen, gemeinsam eine Ordination zu eröffnen, und ich habe mit der Mutterberatung aufgehört. Zu der Zeit habe ich über eine Kollegin erfahren, dass in der Staatsoper eine Ärztin als Vertretung gesucht wird. Ab 1996 habe ich circa zweimal wöchentlich mitgearbeitet. So bin ich auch in den Opernbetrieb hier im Haus hineingewachsen. Der Arbeitsumfang wurde dann parallel zu meiner Wahlarztordination immer größer. Ich habe die Künstler:innen und das andere Opernpersonal medizinisch betreut, sowohl in der Prävention als auch therapeutisch, und wurde bei Notfällen gerufen. Und ich hatte dann auch die Möglichkeit, hier als Theaterärztin zu arbeiten – das heißt während der Vorstellungen.

Parallel habe ich noch die Ausbildung zur Arbeitsmedizinerin absolviert. Als meine Vorgängerin 2001 leider verstorben ist und der Platz vakant geworden ist, habe mich dafür beworben. Seit damals bin ich durchgehend in der Oper als Arbeits- bzw. Betriebsärztin beschäftigt und zusätzlich als Theaterärztin bzw. als Inspektionsärztin für die Theaterdienste.

<< Wir sind natürlich keine Intensivstation, aber so gut gerüstet, dass wir einen Notfall versorgen können.>>
Das klingt nach einem umfangreichen Aufgabengebiet. Was umfasst Ihre Tätigkeit als Inspektionsärztin?

E. Szedenik: Es gibt an die 40 Kolleginnen und Kollegen, die in der Oper die Dienste als Theaterärzt:innen übernehmen. Sie werden von mir für die Vorstellungsabende eingeteilt – im Schnitt ein Einsatz im Monat. Ein Theaterarzt muss 75 Minuten vor der Vorstellung da sein. Wir sitzen während der Aufführung in der uns Ärzt:innen zugeteilten Loge direkt über dem Orchestergraben und haben einen guten Blick über den Zuschauerraum, zur Bühne und auch zu den Musiker:innen. Nach der Vorstellung bleiben wir vor Ort, bis das Haus leer ist. Der Löschmeister von der Feuerwehr gibt das Haus erst frei, wenn der letzte Gast das Haus verlassen hat. Ich bin zudem zuständig, wenn ein Kollege oder eine Kollegin kurzfristig krank wird oder nicht kommen kann. Das bedeutet, ich bin an jedem Vorstellungsabend in Bereitschaft.

Welche gesundheitlichen Probleme kommen Ihnen als Theaterärztin bei Vorstellungen am häufigsten unter?
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In der Staatsoper ist eine kleine Ordination eingerichtet, in der Dr. Szedenik ihre Patient:innen betreut

E. Szedenik: Das Häufigste beim Publikum sind sicher Kreislaufprobleme, sie betreffen gut zwei Drittel der Einsätze – meist im Stehplatzbereich. Eine Oper dauert ja meist lang und es kann im Zuschauerbereich sehr heiß sein. Nicht selten betrifft es Tourist:innen, die schon den ganzen Tag unterwegs sind, vielleicht auch wenig getrunken haben. Das lange Stehen sind viele auch nicht gewöhnt. Zudem haben wir großteils älteres Publikum. Und da sind natürlich auch Menschen dabei, die chronisch krank sind, viele Medikamente nehmen. Ein Zwischenfall kann dann bis zu einem Herzinfarkt gehen bzw. bis zu einer Reanimation, auch das hatte ich schon. Die meisten Zwischenfälle können wir selber lösen. Wir sind natürlich keine Intensivstation, aber so gut gerüstet, dass wir einen Notfall versorgen können.

Dazu fällt mir noch eine lustige Anekdote ein: Als ich hier mit Mitte 30 begonnen habe – es war mein erster Dienst –, hat ein alter Billeteur zu mir gesagt: „Aha, Sie sind die Frau Doktor. Na ja, da wünsche ich Ihnen viel Glück, weil hier ist schon einmal einer gestorben.“ Das war mein Einstieg. Ich dachte mir: Das kann passieren, aber ich werde es schon irgendwie managen, und habe mich Gott sei Dank davon nicht verunsichern oder gar abbringen lassen.

Woraus besteht der Alltag für Sie als Betriebsärztin?

E. Szedenik: Als Betriebsärztin bin ich für sämtliche Bereiche im Haus verantwortlich. Ich muss darauf achten, dass unsere Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen an einem gesunden Arbeitsplatz arbeiten. Ich bin zuständig für das Inventar und die Medikamente, die hier im Haus sind. Zu Saisonbeginn muss ich das notwendige Equipment bestellen, dann alles überprüfen. Es gibt eine Arzttasche und einen Notfallkoffer, auch die müssen laufend gewartet und überprüft werden. Zusätzlich bin ich für die Ballettakademie und für die Opernschule zuständig. Dort habe ich auch mit Kindern zu tun. Ich habe fixe Sprechstunden für die Kinder in der Ballettakademie, sie werden von mir zusammen mit einer Kinderärztin und einem psychologischen Team betreut. Die Kinder müssen bis zum 15. Lebensjahr einmal im Jahr ärztlich untersucht werden, damit sie bei Bühnenauftritten dabei sein dürfen. Das ist unter anderem auch meine Aufgabe. Insgesamt bin ich für circa 1000 Personen zuständig.

Behandeln Sie als Betriebsärztin häufig Stimmprobleme?
© Wiener Staatsoper_Michael Pöhn

Bei der berühmten Feststiege, über die man in die Prunkräume und den Zuschauerraum gelangt – sie können bei Führungen besichtigt werden ( https://www.wiener-staatsoper.at/fuehrungen/ )

E. Szedenik: Stimmprobleme sind eine sehr diffizile Geschichte. In diesen Fällen überweise ich meist gleich weiter an den HNO-Facharzt. Viele haben ohnehin ihren persönlichen Arzt. Aber ich bin praktisch die Erste, die eine Anamnese macht und eine grobe klinische Untersuchung. Ansonsten sind die Beschwerden ähnlich wie in einer Allgemeinpraxis: das gesamte Repertoire, in der Herbst-/Winterzeit sehr oft respiratorische Infekte. In jeder der zehn Abteilungen in der Oper ist das Spektrum ein bisschen anders. Ein Großteil der Beschäftigten sind Bühnentechniker:innen. Da kommen Verletzungen oder kleine chirurgische Eingriffe vor, wie zum Beispiel die Entfernung eines eingezogenen Holzspans. Bei Verletzungen im Ballettcorps schaue ich mir das meist gleich im Ballettsaal bzw. auf der Bühne an und entscheide dann, ob ich das Problem selbst lösen kann oder die Rettung gerufen wird.

Ansonsten organisiere ich Vorsorgeangebote, wie zurzeit gerade eine FSME-Impfaktion, und Gesundheitsschwerpunkte, zum Beispiel Funktionsmessungen. Es ist eine schöne, bunte Mischung. Zwischendurch habe ich auch die Möglichkeit, über die Bühne die Proben mitzuhören. Diese Kombination aus Medizin und Kultur ist wirklich einzigartig.

Gibt es Highlights Ihrer Tätigkeit, die Sie besonders gerne machen?

E. Szedenik: Ein jährlich stattfindendes Highlight ist sicher die Kinderzauberflöte am Tag nach dem Opernball, zu der Schulklassen eingeladen werden. Es finden zwei Vorstellungen statt. Dabei sitzen jeweils mehr als 2000 Kinder am Boden, in den Logen und in der Dekoration vom Opernball und sehen eine adaptierte Form der Zauberflöte, die eine Stunde dauert – mit einer sehr alten Dekoration und den schönsten Arien. Zwischendurch werden auch die Instrumente vom Orchester vorgestellt. So bekommen die Kinder einen ersten Eindruck, wie es in der Oper zugeht. Es ist für alle ein besonderes Erlebnis und die Begeisterung ist immer sehr groß.

Nehmen Sie auch am Opernball teil?

E. Szedenik: Beim Opernball sind drei Ärzt:innen im Dienst – ein Notfallmediziner, eine Internistin und ich als Betriebsärztin. Wir sind alle drei auch ausgebildete Notärzt:innen und arbeiten mit einem Team der Wiener Rettung zusammen. Das umfasst circa 20 Sanitäter:innen, die in verschiedenen Abteilungen in der Oper stationiert sind. Zusätzlich sind auch Feuerwehrleute für uns zuständig. Bei jedem medizinischen Einsatz sind ein Feuerwehrmann, ein Notarzt/eine Notärztin und ein Sanitäterteam dabei. Die Einsätze reichen von Blasen auf den Füßen bis hin zu Verletzungen und gesundheitlichen Notfällen, die zum Beispiel das Herz-Kreislauf-System betreffen. Es steht auch immer ein Rettungswagen direkt vor dem Haus und jeder Patient, jede Patientin wird im Notfall innerhalb von wenigen Minuten in das zuständige Krankenhaus gebracht.

Wie läuft die medizinische Betreuung bei Gastspielen im Ausland ab?

E. Szedenik: Im Moment bin ich mit den Vorbereitungen für die fünfwöchige Japan-Tournee im September und Oktober beschäftigt. Da muss extrem viel organisiert werden. Es ist ein szenisches Gastspiel, das heißt, auch die Kulissen kommen mit. Mit dabei sind das Orchester, die Solist:innen, der Chor, die Techniker, das administrative Personal und auch unsere Gastspielärztin, eine langjährige Theaterärztin, sowie ein HNO-Arzt. Ich bin gerade dabei, die benötigten Medikamente zu bestellen, damit dann in Japan alles reibungslos ablaufen kann.

Haben Sie eine persönliche Lieblingsoper?

E. Szedenik: Es gibt natürlich Theaterärzt:innen, die passionierte Wagner-Fans sind. Ich persönlich mag aber seit meiner Kindheit die italienischen und französischen Opern besonders gerne – also Puccini, Verdi, Bizet.

© Wiener Staatsoper_Michael Pöhn & Ashley Taylor

Aktuelle Aufführungen von „Zauberflöte“ (a), „Tannhäuser“ (b) und „Iolanta“ (c), die auch in der kommenden Saison 2025/26 auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper stehen (Fotos von der Premiere)

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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