Akuter Mangel an Antiveninen
Autor:
Prof. Dr. phil. nat. Dietrich Mebs
vormals Toxikologe und Hochschullehrer
Institut für Rechtsmedizin
Goethe-Universität Frankfurt
E-Mail: mebs@em.uni-frankfurt.de
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Wenn Kobra, Mamba oder Taipan zubeißen, tut rasche medizinische Hilfe not. Gerade in den ländlichen Gegenden Afrikas treffen Mensch und Giftschlange besonders häufig aufeinander. Dort ist die medizinische Infrastruktur oft nur schwach ausgeprägt oder fehlt nahezu ganz. Lebensrettende Antiseren sind oft nicht verfügbar.
Vom Biss einer Giftschlange sind groben Schätzungen zufolge jedes Jahr rund 2,7 Millionen Menschen betroffen. 140 000 von ihnen sterben an den Folgen. „Die tatsächlichen Zahlen liegen sicherlich deutlich höher, denn in abgelegenen oder von Kriegen betroffenen Regionen werden Schlangenbisse oft nicht registriert“, erklärt Prof. Dr. phil. nat. Dietrich Mebs, emeritierter Toxikologe aus Frankfurt.
„Vor 15 Jahren rief mich ein Farmer aus Malawi an. Das Kind eines seiner Arbeiter sei von einer Schwarzen Mamba gebissen worden und wenige Stunden später gestorben, denn bis zum nächsten Krankenhaus in der Hauptstadt seien es 500 Kilometer. Er wollte wissen, wo er sich denn ein Antiserum für den Notfall besorgen könne, denn es stellte sich heraus, dass in ganz Malawi überhaupt kein Antiserum verfügbar war. Ich empfahl, sich mit dem Seruminstitut in Südafrika in Verbindung zu setzen, wo ein polyvalentes Antiserum gegen die Gifte der wichtigsten Schlangen des südlichen Afrikas produziert wird. Wenig später teilte er mir mit, dass das Antiserum in Johannesburg zwar 100 Dollar pro Ampulle koste, jedoch dank diverser Mittelsmänner in Malawi schließlich das Fünffache. Für eine Behandlung benötigt man meist 3 bis 5 Ampullen“, so Mebs. Tragische Vorfälle wie dieser sind leider nach wie vor an der Tagesordnung: Da besonders ärmere und marginalisierte Bevölkerungsgruppen von Schlangenbissen betroffen sind, ist der Marktanreiz für die Erforschung und Herstellung von Gegengiften sehr gering. Außerdem sind Gegengifte sehr spezifisch für eine oder wenige Schlangenarten und werden daher nur für eine bestimmte Populationsgröße verwendet, was die Forschung und Produktion noch unattraktiver macht.
Aufwendige Herstellung von Antiseren
Dies liegt daran, dass die Toxine, die bei einem Schlangenbiss in den Körper gelangen, von Schlangenart zu Schlangenart sehr unterschiedlich sind und auch regionale Unterschiede aufweisen können, wie Mebs betont. Daher müssen Gegengifte für jede Schlangenart einzeln hergestellt werden, das sogenannte monovalente Antivenom, oder für mehrere Schlangenarten in einem Gegengift gemischt werden, das sogenannte polyvalente Antivenom. Voraussetzung dafür ist, dass die regional relevanten Schlangenarten und die Auswirkungen ihres Gifts bekannt sind. Mebs: „Das Gift einer Kobra aus Afrika ist mit dem einer Kobra aus Indien oder China nicht vergleichbar.“
Über Monate hinweg müssen für die Antivenine große Säugetiere – meist Pferde, aber auch Schafe oder Rinder – mit steigenden Dosen des Schlangengiftes immunisiert werden. In ihrem Blutserum finden sich dann große Mengen von Antikörpern, die das Gift neutralisieren können. Nicht nur die Herstellung ist kompliziert, sondern auch die klinische Prüfung und Registrierung der Gegengifte in den einzelnen Ländern sind teuer und zeitaufwendig. Viele Antivenome, die auf dem Markt sind und verwendet werden, haben keine präklinischen oder klinischen Ergebnisse als Basis.
Antiveninmarkt in Abwärtsspirale
Umso wichtiger wäre es, für die jeweilige Region entwickelte und geprüfte Antiseren verfügbar zu halten. Doch der Antiveninmarkt befindet sich seit Jahren in einer Abwärtsspirale, die Mebs am Beispiel Afrikas nachzeichnet. „Hier haben billige, aber leider auch weitgehend unwirksame Produkte aus China und Indien den Markt erobert“, berichtet der Toxikologe. Für das französische Unternehmen Sanofi-Pasteur etwa habe sich die Herstellung des sehr wirksamen Antiserums Fav-Afrique, das gegen alle wichtigen Schlangengifte Subsahara-Afrikas gerichtet war, letztlich nicht mehr gelohnt. 2010 sei die Produktion eingestellt worden, obwohl Sanofi-Pasteur sein Know-how sogar kostenlos zur Verfügung gestellt habe. Derweil sorgen die wirkungslosen Produkte aus asiatischer Produktion dafür, dass das Vertrauen der Bevölkerung in Antiseren allgemein abnimmt. Bei Schlangenbissen werden dann verstärkt traditionelle Heiler aufgesucht, der Markt für Antiseren schrumpft weiter, in der Folge kommt es zu weiteren Preisanstiegen und einem weiteren Rückgang des Angebots.
Lösungsansätze
Dieser Teufelskreis ist nur schwer zu durchbrechen. Lösungsansätze skizziert das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg. Als Eckpfeiler für eine bessere Antiserumversorgung werden dort einheitlichere Regelungen für klinische Studien und Zulassungen genannt, eine Stärkung der lokalen Produktion und eine Ausweitung der universellen Gesundheitsversorgung, die im Idealfall die Kosten für die Behandlung übernimmt. Für Maßnahmen wie diese hat die Weltgesundheitsorganisation WHO mittlerweile Subventionen in Millionenhöhe zur Verfügung gestellt. Sie hat die Vergiftungen durch Schlangenbisse im Jahr 2017 zur „neglected disease“ erklärt. „Diese Mittel fließen jedoch zunächst in die Erforschung und Entwicklung von Antiseren“, erläutert Mebs. Nicht beachtet werde dabei, dass in Südafrika bereits wirksame, für den afrikanischen Markt geeignete – aber für viele Länder zu teure – Antiseren hergestellt würden. Bei geeigneter Finanzierung könnten diese die Versorgungskrise südlich der Sahara sehr viel schneller beenden als Neuentwicklungen. „So aber sterben nicht nur in Afrika weiterhin Menschen nach dem Biss einer Giftschlange oder leiden lebenslang unter den Folgen – etwa, wenn eine Hand, ein Arm oder ein Bein amputiert werden musste.“
Quelle:
„Neglected tropical disease (NTD): Schlangenbisse“, Vortrag von Prof. Dr. phil. nat. Dietrich Mebs, Frankfurt, am 8. März 2024 im Rahmen der Hybrid-Pressekonferenz des CRM Centrum für Reisemedizin anlässlich des 25. Forums Reisen und Gesundheit „Reisen nach Afrika“
Literatur:
Schiermeier Q: Africa braced for snakebite crisis. Nature 2015; 525: 299
WHO: Snakebite Envenoming. https://www.who.int/news-room/factsheets/detail/snakebite-envenoming ; zuletzt aufgerufen am 15.4.2024
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg: Antivenom Krise. https://www.bnitm.de/forschung/forschungsgruppen/implementation/ag-schlangenbissvergiftungen/antivenom-crisis ; zuletzt aufgerufen am 15.4.2024
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