
Aufhebung des Sterbehilfe-Verbots
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§78 des Strafgesetzbuches (StGB) lautet: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ §78StGB enthält somit zwei Tatbestände: die Verleitung zum Selbstmord und die Mitwirkung, die Beihilfe zum Selbstmord.
Aktive vs. passive Sterbehilfe
Schon bisher war nur die „aktive“ Beihilfe zum Selbstmord strafbar, nicht aber die „passive“, also jene durch Unterlassung z.B. lebenserhaltender Maßnahmen, oder die „indirekte“ als Nebenwirkung schmerzlindernder Medikamente. Indirekte Sterbehilfe war bisher schon gestattet (und wird es wohl auch vollumfänglich in Zukunft bleiben). So sieht §49aAbs.2 des Ärztegesetzes (ÄrzteG) vor, dass „es bei Sterbenden insbesondere auch zulässig (ist), im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt“. Die Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen kann und darf bekanntlich auch in Patientenverfügungen angeordnet werden.
Die freie Selbstbestimmung
Im Erkenntnis G139/2019 vom 11.12.2020 hob der VfGH die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ in §78StGB als verfassungswidrig auf. Das Höchstgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:
Insbesondere aus dem Grundrecht auf Privatleben, dem Grundrecht auf Leben und dem Gleichheitsgrundsatz sei das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung abzuleiten. Und weiter wörtlich: „Zur freien Selbstbestimmung gehört zunächst die Entscheidung des Einzelnen, wie er sein Leben gestaltet und führt. Zur freien Selbstbestimmung gehört aber auch die Entscheidung, ob und aus welchen Gründen ein Einzelner sein Leben in Würde beenden will. All dies hängt von den Überzeugungen und Vorstellungen jedes Einzelnen ab und liegt in seiner Autonomie.“ Dazu gehöre auch das Recht des Suizidwilligen, die Hilfe eines hiezu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen. Es entstünde ein nicht auflösbarer Wertungswiderspruch zu §49a Abs.2 ÄrtzeG und zu den Regelungen über die Patientenverfügung, wenn §78 StGB ein lückenloses Verbot der Mitwirkung am Selbstmord normiere.
Entscheidend sei in jedem Fall, dass die jeweilige Entscheidung auf der Grundlage einer freien Selbstbestimmung getroffen werde. Der Verfassungsgerichtshof übersehe dabei nicht, dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände beeinflusst werde. Dementsprechend habe der Gesetzgeber zur Verhinderung von Missbrauch Maßnahmen vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst.
Der 1. Tatbestand des §78 StGB (Verleitung zur Selbsttötung) wurde nicht als verfassungswidrig aufgehoben, weil durch die „Verleitung“ gerade keine freie Entscheidung zur Selbsttötung vorliege.
Tötungshandlung entscheidend
Als unzulässig wurde der Antrag zurückgewiesen, auch §77 StGB als verfassungswidrig aufzuheben. §77 StGB lautet: „Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Der Unterschied von §77 StGB zu §78 StGB besteht darin, dass §77 StGB die Tötungshandlung des Dritten unter Strafe stellt, §78 StGB jedoch die Tötungshandlung vom Getöteten voraussetzt. Der VfGH hat die Behandlung der Anträge mit dem Argument abgelehnt, dass bei einer Aufhebung des § 77 StGB jede Tötungshandlung (des Dritten) auf Verlangen (des Getöteten) mangels anderweitiger Regelung als Mord oder Totschlag zu bestrafen wäre, was nicht angehe.
Gesetzgeber nun für Regelung verantwortlich
Es bleibt also abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber die §§77 f StGB neu regeln wird. Denkbar ist eine komplette Neuregelung, aber auch nur eine Neufassung der Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ in §78 StGB. Der Neufassung vorausgehen werden sowohl intensive gesellschaftspolitische Diskussionen als auch ernsthafte Debatten im Nationalrat. Über das Ergebnis wird an dieser Stelle berichtet werden, weil auch Ärzte von ihr maßgeblich betroffen sein werden.
Der VfGH hat dem Gesetzgeber eine Frist zur „Reparatur“ des §78 StGB bis zum 31.12.2021 gesetzt; bis dahin (oder bis zu einer früheren Neuregelung) gilt §78 StGB unverändert weiter und aktive Sterbehilfe bleibt verboten.