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Gesundheit und Politik

Corona: Datenlage wird dünner

Berlin - Wie hoch ist die Inzidenz an einem bestimmten Ort? Wie häufig wird derzeit getestet? Und wie entwickeln sich Virusvarianten etwa in Großbritannien? Bei vielen Fragen zur Pandemie konnten sich Forscher und Interessierte bisher international auf Daten stützen. Doch die fallenden Schutzmaßnahmen und der generell lockerere Umgang mit dem Virus in einigen Ländern könnte die Übersicht schwieriger machen. Nicht nur die Menge, auch die Belastbarkeit und Aktualität der Daten dürften nachlassen.

Experten sehen bereits einige Indizien für diese Entwicklung: So beginne sich das Überwachen und Melden der Virusbewegungen zu verlangsamen – Grund dafür sind politische Entscheidungen, fasste das Fachblatt „Nature“ kürzlich zusammen. Die möglichen Folgen werden dabei drastisch beschrieben und mit dem Absetzen von Antibiotika beim ersten Nachlassen der Beschwerden verglichen. Dadurch erhöhe sich das Risiko für einen Rückfall.

In Deutschland haben erste Bundesländer aufgehört, an Wochenenden Fallzahlen an das Robert-Koch-Institut (RKI) zu übermitteln. Eine Folge: Die Aussagekraft der tagesaktuell berichteten Neuinfektionen ist laut RKI am Wochenende und zu Beginn der Woche eingeschränkt. Um den Verlauf zu beurteilen, sei der Blick auf den Wochenverlauf zielführender. Auch die Zahl der durchgeführten PCR-Tests soll nur noch alle 14 Tage statt wöchentlich erscheinen, wie das RKI und der Laborverband ALM angekündigt haben.

„Spaziergang im Dunkeln“

Der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb blickt mit Sorge auf die nachlassende Informationsgüte und -menge: Es werde auf jeden Fall auch in der nächsten Zeit sehr wichtig sein, gute Zahlen zur Verbreitung des Virus und vor allem zum möglichen Auftreten neuer Varianten zu haben. „Für das Management etwa in Krankenhäusern bis hin zur Hotspot-Definition werden ja nicht weniger, sondern mehr, und noch wichtiger: bessere Daten benötigt.“

Deutlich größere Lücken sind in anderen Ländern absehbar. Die britische Regierung hatte etwa angekündigt, die öffentliche Förderung verschiedener Corona-Überwachungsstudien und Datensammlungen im Frühjahr auslaufen zu lassen. Auch der freie und kostenlose Zugang zu Schnelltests soll ab Anfang April nur noch besonders gefährdeten Gruppen gewährt werden. Britische Gesundheitsexperten kritisierten das Vorhaben. „Die Datensammlungen vorzeitig zu beenden, ist falsche Sparsamkeit und muss möglicherweise rückgängig gemacht werden, um zukünftige Corona-Wellen zu bewältigen“, sagte der Experte für öffentliche Gesundheit, Azeem Majeed, vom Londoner Imperial College kürzlich. In einem Beitrag im Fachblatt „British Medical Journal“ bezeichneten Wissenschaftler und Mediziner die Strategie als „Spaziergang im Dunkeln“.

Daten für Krankenhäuser fehlen

„Gesundheitspolitische Entscheidungen verlangen fundierte, belastbare Zahlen“, sagt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch mit Blick auf die Situation in Deutschland. Bund und Länder hätten aber auch nach mehr als zwei Jahren kein effizientes Corona-Monitoring zustande gebracht. Für Krankenhäuser fehlten weiterhin verlässliche und aktuelle Daten. Dabei brauche man solche Informationen – auch um Hotspot-Regelungen zu begründen.

Nach Einschätzung des Epidemiologen Zeeb bleiben künftig zeitnahe Daten zu Krankenhauseinweisungen und Intensivbelegung wichtig. Außerdem würden ergänzend zu Testergebnissen symptomatischer Patienten gute Ansätze von Überwachung an ausgewählten Standorten, regelmäßig und methodisch hochwertig (Sentinel-Surveillance) benötigt. Perspektivisch könnte in Deutschland auch das Abwasser noch mehr über Corona verraten als bisher. Der Vorteil: Im Abwasser können Krankheitserreger durch die Ausscheidungen von Infizierten unabhängig von Tests und Krankheitssymptomen aufgespürt werden. (ag/red)

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