© Charité | Anja Hagemann

Gesundheit und Forschung

Berliner Universitätsklinik liefert neues Diagnosekriterium für chronisches Fatigue-Syndrom

Berlin - Seit Beginn der Pandemie wird vermutet, dass Covid-19 auch ein chronisches Fatigue-Syndrom mit stark verminderter Leistungsfähigkeit, Abgeschlagenheit etc. auslösen kann. Wissenschaftler*innen der Berliner Universitätsklinik Charité haben diese Annahme nun bestätigt. Fazit: Es handelt sich um keine psychosomatische Störung, sondern um ein organisches Leiden. Ein wichtiges Diagnosekriterium könnte demnach die Messung der Handkraft sein.

Die Forschenden der Berliner Universitätsklinik und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin haben ihre Erkenntnisse vor Kurzem im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert. Das chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS ist charakterisiert durch eine Schwäche bzw. eine übermäßige Ermüdbarkeit der Muskulatur. Die Wissenschaftler unter Carmen Scheibenbogen vom Institut für Medizinische Immunologie der Charité zeigten zunächst, dass ein Teil der Covid-19-Erkrankten auch nach mildem Verlauf das Vollbild einer solchen Erkrankung als Komplikation einer SARS-CoV-2-Infektion entwickelt.

„Bereits in der ersten Welle der Pandemie entstand der Verdacht, dass Covid-19 ein Trigger für ME/CFS sein könnte“, so Carmen Scheibenbogen in einer Aussendung der Berliner Universitätsklinik. Die Expertin leitet das Charité Fatigue Centrum, das auf die Diagnostik von ME/CFS (myalgische Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom) spezialisiert ist.

Das Zentrum wurde bereits im Sommer 2020 etabliert. Seither mehrten sich die Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Covid-19 und den langfristigen Komplikationen. Durch eine sehr gründliche Diagnostik und einen umfassenden Vergleich mit ME/CFS-Betroffenen, die nach anderen Infektionen erkrankt waren, habe man nun nachweisen können, dass ME/CFS durch Covid-19 ausgelöst werden kann, folgert die Expertin.

Für die Studie untersuchten die Forschenden 42 Personen, die sich mindestens sechs Monate nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion an das Charité Fatigue Centrum gewandt hatten, weil sie noch immer stark an krankhaften Erschöpfungszuständen und einer eingeschränkten Belastungsfähigkeit in ihrem Alltag litten. Die meisten von ihnen konnten lediglich zwei bis vier Stunden am Tag einer leichten Beschäftigung nachgehen, einige waren arbeitsunfähig und konnten sich kaum noch selbst versorgen.

Schwere der Erkrankung nicht entscheidend

Die Schwere der überstandenen Covid-19-Erkrankung war offenbar nicht entscheidend: „Während der akuten SARS-CoV-2-Infektion hatten nur drei der 42 Patienten ein Krankenhaus aufgesucht, aber keine Sauerstoffgabe benötigt. 32 von ihnen hatten einen nach der WHO-Klassifizierung milden Covid-19-Verlauf durchlebt, also keine Lungenentzündung entwickelt, in der Regel jedoch ein bis zwei Wochen lang starke Krankheitssymptome wie Fieber, Husten, Muskel- und Gliederschmerzen empfunden“, heißt es. Da die SARS-CoV-2-Infektion in der ersten Welle der Pandemie stattgefunden hatte, war keine der in die Studie eingeschlossenen Personen zuvor geimpft worden.

Laborwerte in Beziehung zur Handkraft

Etwa die Hälfte der untersuchten Patienten erfüllte nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion die Kriterien für das Vollbild einer ME/CFS-Erkrankung. Neben der Erfassung der Symptome ermittelten die Wissenschaftler verschiedene Laborwerte und setzten sie in Beziehung zur Handkraft der Erkrankten, die bei den meisten vermindert war. „Bei den Betroffenen mit ME/CFS korrelierte die Handkraft mit dem Hormon NT-proBNP, das von Muskelzellen bei zu schlechter Sauerstoffversorgung ausgeschüttet werden kann. Das könnte darauf hinweisen, dass bei ihnen eine verminderte Durchblutung für die Muskelschwäche verantwortlich ist“, fasst Scheibenbogen zusammen.

Die neuen Erkenntnisse könnten zur Entwicklung spezifischer Therapien für das Post-Covid-Syndrom und ME/CFS beitragen. Zudem würden die Daten einen weiteren Beleg dafür liefern, dass es sich bei ME/CFS nicht um eine psychosomatische, sondern um eine schwerwiegende körperliche Erkrankung handelt, die man mit objektiven Untersuchungsmethoden erfassen kann. (red/APA)

Weitere Infos: Originalpublikation

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