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Was ist zeitgemäß?
Urologik
Autor:
Dr. Hansjörg Keller
Chefarzt
Autor:
Dr. Razvan Vasile Dican
Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urologische Onkologie<br> Sana Klinikum Hof GmbH<br> E-Mail: razvanvasile.dican@sana.de
30
Min. Lesezeit
29.09.2016
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<p class="article-intro">Der unkritische Einsatz antibiotisch wirksamer Substanzen in der Veterinär- und Humanmedizin hat zu weltweiten Problemen bei der Resistenzentwicklung und zu einem Mangel an wirksamen Antibiotika geführt. Daher muss jede Indikation kritisch hinterfragt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Indikation für eine antibiotische Prophylaxe vor urologischen Eingriffen muss streng gestellt werden.</li> <li>Ist eine Antibiotikagabe erforderlich, sollte diese immer leitliniengerecht mit empfohlenen Substanzen erfolgen.</li> <li>Ein gutes Hygienemanagement ist essenziell, um Infektionen zu vermeiden.</li> <li>Um den Wert einer Antibiotikaprophylaxe bei modernen urologischen Eingriffen zu ermitteln, sind entsprechende Studien nötig.</li> </ul> </div> <p>Bereits seit vielen Jahren wird auf die dramatische Entwicklung der Antibiotikaresistenzen hingewiesen, die weltweit besorgniserregende Ausmaße annehmen. In Italien sind bereits 45 % aller E. coli-Stämme resistent gegen Fluorochinolone.</p> <h2>Antibiotikaeinsatz oft nicht leitliniengerecht</h2> <p>Rund 60 % unserer stationär urologisch behandelten Patienten erhalten Antibiotika; davon 50 % aus prophylaktischer Indikation und 25 % , ohne dass ein Erregernachweis geführt wurde; nur 25 % werden erregergerecht therapiert. Das bedeutet, dass 75 % aller Antibiotikagaben letztlich auf empirischer Basis erfolgen.<br /> Wir wissen, dass die Antibiotikaprophylaxe, so wie sie weltweit durchgeführt wird, nur in etwa 40 % der Fälle durch Leitlinien gestützt wird. So empfehlen die EAU-Guidelines beispielsweise bei Zystoskopien, Ureterorenoskopien und trans­urethraler Blasentumorresektion den Verzicht auf eine Antibiotikaprophylaxe. Eine Studie der GPIU („Global Prevalence of Infections in Urology“) von 2005 bis 2010 hat gezeigt, dass bei bis zu 77 % dieser Eingriffe trotzdem eine Prophylaxe erfolgt. Zudem werden nahezu nie die empfohlenen Medikamente wie Trimethoprim, Cephalosporine oder Aminopenicilline eingesetzt. Stattdessen wird meist eine Prophylaxe mit Fluorochinolonen durchgeführt.</p> <h2>Folgen für Patienten und Gesellschaft</h2> <p>In Deutschland werden pro Jahr etwa 400.000 bis 600.000 nosokomiale Infektionen dokumentiert. Dabei stehen die Wundinfektionen an zweiter bis vierter Stelle. Bei 13.000.000 Operationen sind das in Deutschland 225.000 Wundinfektionen, die bei 4.500 Patienten tödlich verlaufen.<br /> Die Infektionen führen zu einer Verlängerung der Liegedauer der Patienten im Krankenhaus um etwa sieben bis acht Tage – in der Summe rund 1.000.000 zusätzliche Krankenhaustage. Dies ist sowohl medizinisch als auch volkswirtschaftlich von hoher Relevanz.</p> <h2>Indikationen für eine antibiotische Prophylaxe</h2> <p>Unter einer antibiotischen Prophylaxe versteht man die kurzzeitige Antibiotikagabe zur Vermeidung postoperativer, infektbedingter Komplikationen bei nicht infizierten Patienten. Die Wertigkeit einer länger dauernden Antibiotikagabe bei infizierten und fraglich infizierten Patienten ist bis heute unklar. Die wissenschaftliche Grundlage sind Tierversuche aus den 1950er-Jahren, die gezeigt haben, dass eine zeitgerechte Antibiotikaprophylaxe Wundinfektionen trotz gezielter Kontamination vermindern oder verhindern kann.<br /> Postinterventionelle symptomatische Harnwegsinfektionen treten vor allem nach transurethraler Prostataresektion (TURP), extrakorporaler Stoßwellenlithotripsie (ESWL) und perkutaner Nephrolithotomie (PCNL) auf. Das Ziel einer Antibiotikaprophylaxe ist also, postinterventionelle Infektionen wie Wundinfektionen, Harnwegsinfektionen und Endokarditis zu verhindern oder zumindest ihr Ausmaß zu vermindern. Sie kann allerdings kein Ersatz sein für Antisepsis, subtile OP-Technik und Hygienemaßnahmen.<br /> Für die Indikation einer periinterventionellen Antibiotikaprophylaxe müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden: in erster Linie der Gesundheitszustand des Patienten, zum Beispiel schwere Begleiterkrankungen, Immunsuppression, Mangelernährung, anatomische Anomalitäten im Harntrakt, langer präoperativer Hospitalismus, chronische Kortikoideinnahme, Lebensalter, Rauchen, kontaminiertes Kathetermaterial oder koexistente distante Infektionen. Des Weiteren beeinflussen prozedurenimmanente Risikofaktoren die Indikation (z.B. Darmchirurgie, radikale Prostatektomie, Zystoskopie). Nicht zuletzt muss aber auch das Morbiditätsrisiko bei einer möglicherweise auftretenden Infektion berücksichtigt werden. Der zu erzielende potenzielle Benefit muss in Relation gesetzt werden zu den damit verbundenen Risiken wie Allergie, Resistenzentwicklung und Kosten etc.<br /> Wir wissen, dass mit dem Eingriff verbundene Risikofaktoren das Infektionsrisiko bestimmen. Dazu zählen etwa Notfalloperationen, Operationsdauer (das Risiko einer Infektion nimmt mit jeder Stunde OP-Zeit zu), Operationstechnik, Operateur, Körpertemperatur des Patienten während der Operation, Sauerstoffsättigung und Hygienemanagement.</p> <h2>Geeignete Medikamente wählen</h2> <p>Die zum Einsatz kommenden Substanzen müssen das zu erwartende Keimspektrum erfassen und eventuell dem Vorliegen nosokomialer Keime Rechnung tragen. Sie sollten daher hocheffektiv und bakterizid sein. Die Pharmakokinetik muss ebenso beachtet werden wie die Urin- und Gewebekonzentration. Letztlich sollten sie gut verträglich und preiswert sein.<br /> Die am häufigsten empfohlenen Substanzen sind die Cephalosporine der zweiten und dritten Generation, eventuell bei Darmchirurgie in Kombination mit Metronidazol, die Aminopenicilline kombiniert mit Betalaktaminhibitoren oder die Cephalosporine der dritten Generation, Acyl­aminopenicilline mit Betalaktaminhibitoren, Aminoglykoside, Carbapenem und Vancomycin bei Verdacht auf Vorliegen multiresistenter Keime.<br /> Die Applikation ist zeitkritisch und sollte 30 bis 120 Minuten vor Operation erfolgen; idealerweise als „single dose“, wobei die Bioverfügbarkeit mit der Operationsdauer korreliert wird. Dabei sollte die Operationsdauer nicht mehr als doppelt so lang sein wie die Halbwertszeit der verwendeten Substanz. Gegebenenfalls muss hier eine zweite Dosis appliziert werden. Antibiotikaspülungen sind heutzutage obsolet.<br /> Bedauerlicherweise ist die Studienlage für die Endourologie eher schwach, wie die Leitlinien der EAU 2015 konstatieren. Es gibt lediglich für die TURP einigermaßen akzeptable Studien. Wir wissen heute, dass eine Urinkultur vor jeder Intervention am Harntrakt durchgeführt werden sollte und dass bei Vorliegen einer Bakteriurie eine präinterventionelle testgerechte Therapie erforderlich ist. Dies gilt laut den EAU-Guidelines von 2015 ebenfalls vor Eingriffen wegen Fremdkörpern bei Patienten mit asymptomatischen Bakteriurien.<br /> Laut Leitlinien entbehrlich ist eine Antibiotikaprophylaxe bei Zystoskopien, transurethralen Blasentumorresektionen und Ureterorenoskopien am unteren Harntrakt. Hier empfehlen die Leitlinien lediglich eine Prophylaxe für die TURP und die PCNL, respektive die komplizierte ureterorenoskopische Steinentfernung am oberen Harntrakt.<br /> Eine dauerhafte Antibiotikagabe bei liegenden Kathetern (Stent, Dauerkatheter, Nephrostomie) ist wegen der geringen Kolonisationsrate von 3 bis 7 % kontraindiziert und führt zu einer raschen Resistenzentwicklung.</p> <h2>Vorgehen in der Klinik durch Studien belegt</h2> <p>Dass eine antibiotische Prophylaxe bei einem geeigneten Hygienemanagement in den allermeisten Fällen auch entbehrlich sein kann, zeigen Untersuchungen in unserer Klinik. Alle endourologischen Eingriffe verlaufen hier hoch standardisiert. Etwa 3 bis 5 Tage vor dem geplanten Eingriff erfolgt eine Urinentnahme, bei Männern mittels suprapubischer Blasenpunktion und bei Frauen mittels Katheter. Sobald die Testergebnisse vorliegen, erfolgt entweder für mindestens 24 Stunden eine testgerechte Behandlung im Falle einer asymptomatischen Bakteriurie oder es wird auf jegliche Antibiotikaprophylaxe verzichtet. Dies gilt sowohl für die TURP als auch für die Ureterorenosko­pie am unteren sowie oberen Harntrakt und die Holmium-Laser-Enukleation der Prostata. Die PCNL wird bei steriler Urinkultur unter Single-Dose-Prophylaxe mit einem Cephalosporin der 2. Generation vorgenommen.<br /> Unser Vorgehen ist durch folgende, in der eigenen Klinik durchgeführte prospektive Studien evaluiert. Bereits 1998 konnten wir zeigen, dass die Bakteriurierate nach TURP/Blasentumorresektion ohne Antibiotikaprophylaxe bei 549 konsekutiv untersuchten Patienten bei 17,6 % lag. Die Anzahl fieberhafter Harnwegsinfektionen betrug 0,9 % . Eine zur gleichen Zeit durchgeführte Studie bei 219 konsekutiven Patienten unter Antibiotikaprophylaxe mit 200mg Ofloxacin „single dose“ (n=112) respektive 400mg Fleroxacin (n=107) zeigte eine Bakteriurierate von 5,1 % sowie eine Häufigkeit fieberhafter Harnwegsinfektionen von 0,8 % . Wir konnten zeigen, dass die Bakteriurierate mit der Katheterverweildauer und Art der Harn­ableitung signifikant korreliert. Die Anzahl fieberhafter postoperativer Episoden konnte durch eine Prophylaxe mit Quinolonen nicht beeinflusst werden.<br /> In einer 2000 von uns publizierten prospektiv randomisiert kontrollierten Studie mit 270 Patienten, die die Gabe von 200mg Ofloxacin versus Kontrolle untersuchte, fanden wir keinerlei signifikante Unterschiede in der postoperativen Bakteriurierate (nach 7 Tagen), in der Anzahl fieberhafter Episoden (über 38°C) sowie bei den postoperativ auftretenden fieberhaften Harnwegsinfektionen zwischen der Prophylaxe und der Kontrollgruppe. So lag die Rate fieberhafter Harnwegsinfektionen bei 2,3 % in der Prophylaxegruppe und 1,4 % in der Kontrollgruppe.<br /> Dass dies auch für die Holmium-Laser-Enukleation der Prostata gilt, zeigten wir 2015 im Rahmen einer prospektiven Studie an 194 konsekutiven Patienten. <br /> Bei der Anwendung des bereits angeführten Hygienemanagements fanden wir präoperativ bei 28 % der Patienten eine positive Urinkultur, die alle mindestens 24 Stunden präoperativ testgerecht bis zur Katheterentfernung behandelt wurden. Die Patienten mit steriler Urinkultur erhielten keine Prophylaxe. Die Katheterverweildauer betrug weniger als 36 Stunden. Bei den testgerecht behandelten Patienten traten keinerlei Komplikationen infolge des Infekts auf. In der Kontrollgruppe ohne Prophylaxe beobachteten wir bei einem Patienten eine asymptomatische Bakteriurie. Dass dieses Hygienekonzept auch für Patienten funktioniert, die semirigiden und flexiblen Ureterorenoskopien unterzogen werden und bei uns vor dem Eingriff alle einen Stent erhalten, zeigten wir im Rahmen einer prospektiven Studie bei 250 konsekutiven Patienten. Präoperativ war bei 15,6 % eine asymptomatische Bakteriurie nachweisbar, die entsprechend unserem Konzept testgerecht behandelt wurde. 84,4 % erhielten keinerlei Prophylaxe. Erneut konnte gezeigt werden, dass unter testgerechter Therapie keine Infektkomplikationen auftraten und dass in der Prophylaxegruppe nur zwei Patienten nach einer Woche wegen eines symptomatischen Harnwegsinfektes behandelt werden mussten.</p> <h2>Bakteriurierate und Infekt­komplikationen nicht beeinflusst</h2> <p>Unsere Beobachtungen werden auch durch eine prospektive, multizentrische, mehrarmige Studie zum Stellenwert der perioperativen Antibiotikaprophylaxe bei der transurethralen Prostataresektion unterstützt. In dieser konnte Wagenlehner bereits 2005 belegen, dass weder die Bakteriurierate postoperativ noch die Infektkomplikationen durch eine Prophylaxe beeinflusst werden können. Dabei wurden 400 konsekutive Patienten entweder mit Levofloxacin 500mg oder Trimetho­prim/Sulfamethoxazol 320/1600mg einer Kontrollgruppe ohne Prophylaxe gegenübergestellt. Die Studie zeigte klar, dass das Hygienemanagement in den einzelnen Zentren sehr unterschiedlich war und dass die Katheterverweildauer extrem vari­ierte.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Mit einem standardisierten, gut durchdachten Hygienemanagement ist eine Antibiotikaprophylaxe bei endourologischen Eingriffen in nahezu allen Fällen nicht erforderlich. Von entscheidender Bedeutung ist, keinen Patienten einem endourologischen Eingriff zuzuführen, ohne zuvor eine Infektion auszuschließen (sterile Urinkultur präoperativ). Liegen Risikofaktoren vor, z.B. Harnableitungen oder neurogene Blasenentleerungsstörung, oder ist mit einer sehr langen Operationsdauer zu rechnen, sollten Substanzen wie Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Aminopenicilline/Betalaktaminhibitoren (BLI) oder Cephalosporine der zweiten oder dritten Generation zum Einsatz kommen. Bei asymptomatischer Bakteriurie ist eine präoperative, testgerechte Therapie für 24 Stunden bis zur Katheterentfernung ausreichend. Die Antibiotika­prophylaxe ist in keiner Weise ein Ersatz für Antisepsis, subtile OP-Technik und Hygienemanagement. Sie stellt einen Teil des Gesamtantibiotikaverbrauchs dar und sollte wenn notwendig als Single-Dose-Prophylaxe durchgeführt werden. Die EAU konstatiert 2015, dass der Benefit einer Antibiotikaprophylaxe für die meisten modernen urologischen Prozeduren bisher nicht durch gute Interventionsstudien unterstützt wird, sodass wir aufgerufen sind, entsprechende Studien zu generieren.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>bei den Verfassern</p>
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