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Urogynäkologie – ein Fach mit Zukunft
Jatros
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07.03.2019
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<p class="article-intro">Im November hatte die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie (AUB) zu ihrer Jahrestagung nach Leoben eingeladen. Kongresspräsident Prim. Priv.-Doz. Dr. Thomas Aigmüller, LKH Hochsteiermark/Leoben, konnte auf eine gelungene Tagung zurückblicken, die wieder einmal die Vielfältigkeit der Urogynäkologie zeigte. In Zeiten einer immer älter werdenden Gesellschaft werde die Urogynäkologie immer wichtiger, sagte er in seinem Grußwort.</p>
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<p class="article-content"><p>Auch in diesem Jahr erwarteten die Teilnehmer wieder interessante Referate namhafter Experten in den Hauptsitzungen. Außerdem befasste sich eine Diskussionssitzung mit dem bevorzugten Zugang zur Deszensusoperation und griff damit die Kontroverse um die vaginale versus laparoskopische Senkungsoperation auf. Vor der offiziellen Eröffnung wurden wieder AUB-Module angeboten, die rege genutzt wurden, um das Wissen auf dem Gebiet der perioperativen Zystoskopie, Basisdiagnostik, Sonografie, bei suburethralen Schlingenoperationen und der Versorgung von höhergradigen Dammrissen zu vertiefen.</p> <h2>Update der leitlinie zum Management von Dammrissen</h2> <p>Dr. Stephan Kropshofer, Innsbruck, präsentierte das Update der Leitlinie zum Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt.<sup>1</sup> Die Inzidenz von Dammrissen III. Grades liegt in Österreich bei 1,9 % , die von Dammrissen IV. Grades bei 0,1 % . Die Hauptrisikofaktoren für Dammrisse sind in Tabelle 1 genannt. Es gibt jedoch auch Maßnahmen, die das Dammrissrisiko reduzieren. Dazu gehören die selektive Episiotomie, die mediolaterale Episiotomie bei Vakuumextraktion, perineale subpartale feuchte Kompressen und antenatale/subpartale perineale Massage. Dagegen konnten für andere Verfahren keine Belege gefunden werden, dass sie den Damm während der Geburt vor Verletzungen schützen können. Dazu zählen unter anderem der Dammschutz mit der Hand, Wassergeburten oder das Ritgens- Manöver.<sup>1</sup><br /> Die Leitlinien empfehlen nach jeder vaginalen Geburt die sorgfältige Inspektion und/oder Palpation des Damms durch die Hebamme oder den Geburtshelfer. Ab einem Dammriss II. Grades sollte zudem eine vaginale und rektale Palpation erfolgen. Bei höhergradigen Dammrissen sollte ein Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe hinzugezogen werden, da dieser die höchste Kompetenz in der Versorgung der Verletzung hat, so Kropshofer. Hinsichtlich der Versorgung von höhergradigen Dammrissen habe sich wenig geändert, sagte er. Neu ist lediglich die Empfehlung einer prophylaktischen perioperativen Antibiotikagabe. Die Antibiotikaprophylaxe darf nach individueller Risikoabwägung auch noch im Wochenbett gegeben werden. Zudem wird neuerdings im Wochenbett die Gabe von Laxanzien empfohlen. Einige Neuerungen hat es zudem bei der Schmerztherapie und den Wundkomplikationen gegeben. Konsensus sei, dass eine angepasste Schmerztherapie die Wahrscheinlichkeit für einen Stuhl- und/ oder Harnverhalt senkt, sagte Kropshofer. Dazu empfehlen die Leitlinien kühlende Auflagen und die tägliche Reinigung mit Wasser in Trinkwasserqualität, zum Beispiel in Form von Wechselduschen. Keine Evidenz gebe es für eine positive Wirkung von Sitzbädern, Salben etc., betonte er. Wundkomplikationen rühren nicht immer von der Größe des Dammrisses her. Laut Leitlinien sind Risikofaktoren für Komplikationen Rauchen, Übergewicht und Anämie.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Gyn_1901_Weblinks_jatros_gyn_1901_s26_tab1.jpg" alt="" width="300" height="457" /></p> <h2>Update sexuelle Gesundheit</h2> <p>Welche Aspekte der sexuellen Gesundheit besondere Bedeutung hatten, beleuchtete Prof. Daniela Dörfler, Wien, in ihrem Vortrag und präsentierte dazu ausgewählte Studien. Die wahrscheinlich wichtigste Arbeit des Jahres in diesem Bereich sei der gemeinsame Konsensusbericht<sup>2</sup> der International Urogynecological Association (IUGA) und der International Continence Society (ICS) gewesen, der im April veröffentlicht wurde, sagte sie. Er enthält mehr als 100 zum Teil neue Definitionen zur sexuellen Gesundheit von Frauen mit Funktionsstörungen des Beckenbodens. Damit spiegle er die aktuellen klinischen Erkenntnisse und Entwicklungen der vergangenen Jahre wider, so Dörfler. Ziel war es, eine Terminologie zu definieren, die Praktikern, Studenten und Forschern auf dem Gebiet der Funktionsstörungen des Beckenbodens ihre Arbeit erleichtert. Darüber hinaus wurden Assessment und Abklärung von sexuellen Dysfunktionen bei Frauen mit Beckenbodenproblemen ausführlich beschrieben. Die Diagnostik sollte demnach neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung die Bildgebung und die Nerventestung umfassen. Hinsichtlich der Therapie werden konservative, chirurgische und pharmakologische Strategien erläutert.<br /> Neu ist auch die Klassifikation der sexuellen Störungen der Frau nach DSM-5, wobei die Störungen des sexuellen Interesses und der sexuellen Erregbarkeit in einer Gruppe zusammengefasst wurden und in einer anderen die Schmerz-/Penetrationsstörungen. Die Orgasmusbeschwerden stehen in einer eigenen Gruppe. Neu hinzugekommen sind die urogenitalen Syndrome in der Menopause. Dies sei vor allem für den Aufbau klinischer Studien wichtig, sagte Dörfler.</p> <h2>Vitamin D und Sexualfunktion</h2> <p>Eine im Oktober veröffentlichte Studie untersuchte die Wirkung von 300 000 IU Cholecalciferol (Vit. D3), die zu Beginn und nach vier Wochen intramuskulär gespritzt wurden, auf die Sexualfunktion bei Frauen mit sexuellen Störungen. Die Nachuntersuchungen erfolgten vier und acht Wochen nach der ersten Injektion. Neben den sexuellen Funktionen, die anhand des Female Sexual Function Index (FSFI) beurteilt wurden, erfassten die Wissenschaftler auch den Depressionsscore anhand des Beck-Depressions-Inventars (BDI).<br /> Es zeigte sich, dass Vitamin D im Vergleich zu Placebo die Sexualfunktion bereits nach vier Wochen verbesserte (19,6 vs. 16,3, p=0,002). Nach acht Wochen betrug der FSFI in der Vitamin-D-Gruppe 25 (vs. 17,1, p<0,001) und war damit signifikant besser als in der Placebogruppe. Der Effekt war unabhängig von einer Depression, obwohl sich unter der Therapie – und nur in der Vitamin-D-Gruppe – auch der Depressionsscore um –21 besserte (p<0,001).</p> <h2>Aktuelle Literatur in der Urogynäkologie</h2> <p>Dr. Martina Sauseng, Leoben, gab einen Überblick über 2018 veröffentlichte Studien im Fach Urogynäkologie. Sie präsentierte eine chilenische Studie, die die Progression des Deszensus und Risikofaktoren für das Fortschreiten untersuchte. Die Daten stammten aus einer prospektiv verwalteten Datenbank. Ausgewertet wurden 388 symptomatische Patientinnen mit mindestens zwei POP-Q-Untersuchungen (POP-Q: „Pelvic Organ Prolapse Quantification“). Im Mittel lagen rund zehn Monate zwischen den beiden Untersuchungen. In dieser Zeit kam es bei 29 % der Patientinnen zu einer klinisch signifikanten Progression. Risikofaktoren dafür waren ein Alter über 60 Jahre sowie eine Größe des Punkts Ba (distalste Position des oberen Bereichs der Scheidenvorderwand) von ≥4cm oder ein Hiatus genitalis (gh) ≥5cm.<sup>4</sup><br /> Sauseng stellte auch zwei systematische Reviews zur Deszensuschirurgie vor, die den Unterschied zwischen einer uteruserhaltenden Operation und einer Hysterektomie untersuchten. Bezüglich eines Prolapsrezidivs und des Auftretens einer Stressinkontinenz wurde in keiner der Studien ein Unterschied zwischen den beiden Verfahren festgestellt.<sup>5, 6</sup> Ob sich nach dem Eingriff eine Dyspareunie entwickelt, untersuchte nur eine der beiden Studien und konnte ebenfalls keinen Unterschied zeigen.<sup>6</sup> Wenig überraschend fanden beide Studien, dass die uteruserhaltende Operation kürzer war und zu weniger Blutverlusten führte.<sup>5, 6</sup> Zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen die Reviews bei der Netzerosion: Während der eine ein höheres Risiko bei der Hysterektomie mit Sakrokolpopexie (im Vergleich zur Sakrohysteropexie) zeigte,<sup>5</sup> stellten die Autoren des zweiten Reviews keinen Unterschied fest.<sup>6</sup> Auch beim Thema Reoperation waren die Ergebnisse widersprüchlich: Nur ein Review beschrieb ein höheres Risiko bei Uteruserhalt.<sup>6</sup> Nicht untersucht wurden die Lebensqualität der Patientinnen nach den Eingriffen und das Auftreten von malignen Krankheiten bei erhaltenem Uterus. Auch fehlen Langzeitdaten. Sauseng zog aus diesen Resultaten das Fazit, dass ein Uteruserhalt möglich ist, wenn keine Kontraindikationen dafür vorliegen.<br /> Zwei Studien der Arbeitsgruppe um Dr. Nikolaus Veit-Rubin, Universitätsklinik für Frauenheilkunde Wien, befassten sich mit der laparoskopischen Lateralfixation. Sauseng fasste die Ergebnisse zusammen. Eine Kohortenstudie untersuchte die Zufriedenheit von 417 Patientinnen, die mit einer laparoskopischen Lateralfixation mit Netz (LLS) versorgt worden waren. Dieses Verfahren wird als mögliche Alternative zur Sakropexie bei adipösen oder multimorbiden Patientinnen angesehen. Nach einem Jahr waren noch immer 78,4 % der Patientinnen symptomfrei, die anatomischen Erfolgsraten betrugen 91,6 % im vorderen Kompartiment, 93,6 % im Apex und 85,3 % im hinteren Kompartiment. Auch bei einer Befragung der Patientinnen nach sieben Jahren waren immer noch 85 % mit dem Ergebnis zufrieden. Die LLS lieferte also vielversprechende Resultate, allerdings fehlen randomisierte Studien, um das Verfahren abschließend beurteilen zu können.<sup>7</sup><br /> Die zweite Studie der Arbeitsgruppe zur LLS verglich retrospektiv den Eingriff mit Hysterektomie mit der uteruserhaltenden LLS bei insgesamt 339 Frauen mit Prolaps. Dabei zeigte sich, dass es bei Uteruserhalt häufiger zu einer Netzerosion kam (6,5 vs. 1,3 % , p=0,014). Allerdings waren sowohl der anatomische (98,7 vs. 94,6 % , p=0,021) wie auch der subjektive Erfolg (83,5 vs. 72,8 % , p=0,035) bei uteruserhaltender LLS größer und die Patientinnen insgesamt zufriedener, denn sie würden den Eingriff mit höherer Wahrscheinlichkeit weiterempfehlen als die Patientinnen mit Hysterektomie (94,5 vs. 80,4 % , p=0,004).<sup>8</sup></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: AUB-Jahrestagung 2018, 16.–17. November 2018, Leoben
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Leitlinie zum Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt. AWMF-Nr. 015/079 <strong>2</strong> Rogers RG et al.: Neurourol Urodyn 2018; 37: 1220-40 <strong>3</strong> Jalali-Chimeh F et al.: J Urol 2018; pii: S0022- 5347(18)44048-7 (doi: 10.1016/j.juro.2018.10.019 [Epub ahead of print]) <strong>4</strong> Pizarro-Berdichevsky J et al.: Int Urogynecol J 2018; 29: 873-80 <strong>5</strong> Meriwether KV et al.: Am J Obstet Gynecol 2018; 219: 129-46.e2 <strong>6</strong> de Oliveira SA et al.: Int Urogynecol J 2017; 28: 1617-30 <strong>7</strong> Veit-Rubin N et al.: Int Urogynecol J 2017; 28: 1685-93 <strong>8</strong> Veit-Rubin N et al.: Int Urogynecol J 2018; doi: 10.1007/s00192-018- 3678-3 [Epub ahead of print]</p>
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