
Testosteron, Penisgröße und Peyronie-Krankheit – Sexualmedizin State of the Art
Bericht:
Reno Barth
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Der jährliche Kongress der European Society for Sexual Medicine (ESSM) fand im Februar 2022 virtuell statt. In den Hauptsessions des Kongresss wurden aktuelle Fragestellungen der Sexualmedizin und Andrologie diskutiert. Darunter war auch Praxisrelavantes für den täglichen Alltag.
Testosteronsubstitution hat sich bei hypogonadalen Männern im Hinblick auf eine ganze Reihe von Endpunkten als günstig erwiesen. Allerdings bleiben zahlreiche Fragen offen. Unter anderem steht die Definition der Patientenpopulation, die von einer Testosterontherapie profitieren kann, zur Diskussion.
In der klinischen Praxis ist vor Beginn einer Testosteronbehandlung der pathophysiologische Hintergrund des Hypogo-nadismus im individuellen Fall zu ermitteln, da hinter gleichen klinischen Bildern unterschiedliche Ursachen stehen können, so Prof. Dr. Andrea Salonia von der Università Vita-Salute San Raffaele in Mailand. Insbesondere müssen zugrunde liegende systemische Grundkrankheiten erkannt werden. Bei jüngeren Männern ist das Thema Kinderwunsch zu erfragen.
Die Leitlinie der European Association of Urology (EAU) zum Thema Hypogonadismus und Testosterontherapie1 gibt die Bedeutung einer gründlichen internistischen Abklärung und genauen Anamnese vor. Diese ist auch im Hinblick auf die Diagnose des Hypogonadismus selbst von Bedeutung, zumal sich dieser auch in Zeichen wie Fragilitätsfrakturen, Fatigue, Schwäche oder emotionalem Ungleichgewicht äußern kann. In der Corona-Pandemie erwies sich Testosteronmangel als Risikofaktor für schwere Covid-19-Verläufe. Diese Zeichen könnten leicht als Folgen eines physiologischen Alterungsprozesses fehlinterpretiert werden.
Die Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Hypogonadismus wird anhand der Plasmaspiegel von Testosteron und luteinisierendem Hormon (LH) getroffen, wobei beim primären Hypogonadismus Testosteron erniedrigt und LH erhöht ist. Reduziertes Testosteron bei normalem oder niedrigem LH zeigen hingegen einen sekundären Hypogonadismus an, beispielsweise infolge eines metabolischen Syndroms. Ein Screening nicht symptomatischer Patienten wird explizit nicht empfohlen. Entschließt man sich zu einer Testosterontherapie, so ist ein engmaschiges Follow-up indiziert. Im ersten Jahr sollen die entsprechenden Untersuchungen in Abständen von drei Monaten erfolgen. Die Leitlinie listet auch zahlreiche absolute und relative Kontraindikationen einer Testosterontherapie auf. Unter den absoluten Kontraindikationen sind vor allem aggressive oder fortgeschrittene Prostatakarzinome zu nennen.
Testosteron bei Prostatakarzinom nicht immer kontraindiziert
Dazu hält Dr. Michael Sitzmann von der Universität Münster fest, dass die Testosteronsubstitution keineswegs bei allen Männern mit Prostatakarzinom kontraindiziert ist. Generell sei die Angst, Testosteron könne Proststakrebs induzieren, unbegründet. Unter Testosterongabe komme es zwar zu einer Volumszunahme der Prostata, diese sei jedoch physiologisch und selbstlimitierend. Bekanntermaßen führt Testosteron auch nicht zu einem Anstieg des PSA (Abb. 1).2
Abb. 1: Serum-Testosteron und PSA bei älteren Männern unter Therapie mit Testosteron-Dosiseskalation (nach Bhasin et al.)2
Dementsprechend erlaubt die EAU-Leitlinie eine Off-Label-Testosteronbehandlung von Männern mit lokalisiertem Prostatakarzinom mit niedrigem Rezidivrisiko ohne Zeichen von Aktivität. Diese Empfehlung beruht auf einem 2020 publizierten Review, der in Sachen Testosteron und Prostatakarzinom weitgehend Entwarnung gibt.3
In einer besonderen Situation befinden sich Männer mit kompensiertem Hypogonadismus, so Prof. Dr. Giulia Rastelli von der Università degli Studi di Firenze. Sie verweist darauf, dass die Leitlinien eine Substitutionstherapie nur bei niedrigen Testosteronspiegeln, also bei hypogonadalen Männern empfehlen. Kompensierter Hypogonadismus ist definiert durch normale Testosteronspiegel bei gleichzeitig erhöhten Releasinghormonen und kann im Zuge zahlreicher Erkrankungen oder auch als Folge von Chemotherapien oder Bestrahlung auftreten, kommt jedoch auch bei gesunden Männern insbesondere im höheren Lebensalter nicht selten vor. Auch zeigen fast 50% der Männer mit Klinefelter-Syndrom einen kompensierten Hypogonadismus. Dieser Zustand kann stabil sein, oder sich über die Jahre in Richtung eines Testosteronmangels entwickeln. Verbesserungen in Abhängigkeit von der Grundkrankheit sind aber möglich. Hinsichtlich der sexuellen Funktionen dürfte kompensierter Hypogonadismus keine Nachteile haben. Studien zeigen im Vergleich zu eugonadalen Männern keine signifikant erhöhte Prävalenz sexueller Probleme, sehr wohl jedoch einen Trend in diese Richtung.4 Es zeigten sich auch Assoziationen mit zahlreichen Komorbiditäten wie Diabetes, kardiovaskulärer Erkrankung, Krebs und kognitivem und körperlichem Abbau.5
Damit stellt sich die Frage, ob kompensierter Hypogonadismus behandelt werden soll. Nach den Ergebnissen einer Metaanalyse der randomisierten kontrollierten Studien zu dieser Fragestellung lautet die Antwort: Eher nicht. Testosteronsubstitution zeigt bei Männern mit kompensiertem Hypogonadismus maximal geringe oder nicht signifikante Effekte. Hinsichtlich kardiovaskulärer oder kognitiver Outcomes sowie der glykämischen Kontrolle unterschied sich die Hormonsubstitution nicht von Placebo.6
Rastelli verweist jedoch auf eine rezente Arbeit, die bei adipösen Männern im mittleren bis höheren Alter und mit Testosteronspiegeln im unteren Normalbereich unter Testosterontherapie eine reduzierte Diabetesinzidenz und eine höhere Glukosetoleranz fand. Zu dieser Fragestellung würden dringend weitere Daten benötigt.7
Wie groß soll der Penis sein?
Auch ein heißes, wenn auch oft belächeltes Problem war Gegenstand einer Session im Rahmen des ESSM-2020-Kongresses: Penisvergrößerung. Die Probleme beginnen hier bereits bei der Definition einer normalen Penisgröße, so Dr. Cobi Reisman von Flare Health Amsterdam, der aktuelle Präsident der ESSM. Zu dieser Frage liegt zwar eine Reihe von Studien vor, deren Ergebnisse allerdings aufgrund unterschiedlicher Messmethoden nur schwer vergleichbar sind. Außerdem bestehen keine verlässlichen Korrelationen zwischen der Größe von erschlafftem und erigiertem Penis. Sehr wohl korreliert jedoch die Größe von gestrecktem und erigiertem Penis.
Von einem Mikropenis spricht man bei mehr als 2,5 Standardabweichungen unter dem Durchschnitt. In den meisten Arbeiten bedeutet dies weniger als 7,5cm, in manchen auch 8,5cm. Befragungen zeigen jedenfalls, dass fast die Hälfte aller Männer lieber einen größeren Penis hätten, während 85% der Frauen mit der Penisgröße ihres Partners zufrieden sind.8
Der begründete oder unbegründete Eindruck, einen kleinen Penis zu haben, wird von den Betroffenen in mehrfacher Hinsicht als belastend empfunden. Frauen geben hingegen mehrheitlich an, keinen besonderen Wert auf Penisgrößen zu legen. Allerdings zeigen Studien mit 3D-Modellen, dass eine Größe knapp über dem Durchschnitt als wünschenswert gesehen wird.9
Die Patienten, die mit dem Wunsch nach Penisvergrößerung beim Arzt vorstellig werden, benötigen zumeist keine Chirurgie, sondern Beratung, Psychotherapie und in schweren Fällen sogar psychiatrische Medikation, so Reisman. Bei einer Minderheit der Patienten liegen tatsächlich ein Mikropenis oder eine organische Erkrankung wie Zustand nach radikaler Prostatektomie oder eine Induratio penis plastica (Peyronie-Krankheit) vor.
PDE-5-Inhibitoren und ESWT bei Peyronie-Krankheit
Den innovativen Therapiestrategien bei der Peyronie-Krankheit war eine weitere Session des Kongresses gewidmet. Die Induratio penis plastica (IPP) ist eine fibrotische Verhärtung der Tunica albuginea unbekannter Genese, die häufig zur Ausbildung einer Deviation führt. In den Plaques ist die Expression von TGF-β erhöht, es kommt zu einer Reduktion von L-Arginin und cGMP. Nach Schätzungen sind bis zu 9% der Männer irgendwann im Leben davon betroffen. Spontanremissionen sind möglich, aber selten.
Für die meisten Betroffenen führt die unbehandelte Erkrankung zu einer anhaltenden Deformation des Penis mit schweren psychosozialen Folgeschäden. „Wait and see“ sei daher keine sinnvolle Option im Umgang mit dieser Erkrankung, so Prof. Dr. Hartmut Porst vom European Institute for Sexual Health in Hamburg, der von guten Erfahrungen mit der Therapie der IPP mit PDE-5-Inhibitoren berichtet. Die Rationale liegt in einer Erhöhung der Spiegel von NO und cGMP/cAMP, die der Fibrosierung entgegenwirken sollen. Das scheint in der Therapie auch tatsächlich zu funktionieren.
Porst und seine Gruppe begannen bereits vor mehr als zehn Jahren, IPP-Patienten mit täglich 5mg Tadalafil zu behandeln. Für Tadalafil konnten im Tiermodell auch antiinflammatorische Effekte gezeigt werden, was auch eine Wirkung in der inflammatorischen Phase der IPP nahelegt. Bislang liegen Erfahrungen mit mehr als 3000 Patienten vor, bei denen es in der überwiegenden Zahl der Fälle zu einem raschen Ende der Progression kommt. Die Therapie sollte lebenslang oder zumindest bis zum Ende der sexuellen Aktivität erfolgen, da es aufgrund des genetischen Hintergrundes der Erkrankung nach dem Absetzen meist rasch zu erneuter Plaquebildung kommt. In der Praxis empfiehlt sich, so Porst, ein multimodales Management der Erkrankung, in dem unter anderem auch die extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) eine Rolle spielt. Diese Methode wurde, worauf einergroße Zahl kleiner Studien schließen lässt, zwar durchaus häufig eingesetzt, es fehlen jedoch hochqualitative Daten. Angesichts dieses Evidenzmangels gelangte ein Review vor knapp 20 Jahren zu dem Ergebnis, dass die Methode zwar vermutlich Schmerzen und sexuelle Funktion verbessern, aber dennoch aufgrund der Datenlage nicht als evidenzbasierte Therapie empfohlen werden könne.10
Um diese Evidenzlücke zu schließen, wurde an der Universität Neapel eine exakte Kopie eines ESWT-Gerätes zur Verabreichung von Sham-Therapien gebaut, wie Prof. Dr. Ferdinando Fusco von der Università degli Studi „Federico II“ di Napoli berichtet. Tatsächlich konnten in der Folge in einem kontrollierten Setting Verbesserungen von Schmerz, sexueller Funktion und Lebensqualität nachgewiesen werden (Abb.2a). Hinsichtlich Plaquegröße und Kurvatur des Penis konnte eine Stabilisierung, aber keine Verbesserung erzielt werden (Abb. 2b).11 Dies entspreche den zuvor gemachten Beobachtungen und wurde mittlerweile in die aktuellen Leitlinien übernommen. Fusco sieht die Zukunft der ESWT vor allem im Rahmen von Kombinationstherapien – etwa mit PDE-5-Inhibitoren oder Devices. Wobei die ideale Energie für die in dieser Indikation eingesetzen Stoßwellen noch genauer zu definieren ist, um die Methode besser zu etablieren.
Abb. 2: ESWT zur Therapie der Peyronie-Krankheit: potenzielle protektive Effekte einer ESWT hinsichtlich Krankheitsprogression. a) Plaquegröße b) Kurvaturgrad (nach Palmierei A et al.)11
Quelle:
Kongress der European Society for Sexual Medicine (ESSM), virtuell von 17. bis 19. Februar 2022, Sitzungen „RT-05 - Testosterone treatment update“, „RT-09 - Penile augmentation: strategies & indication/new“ und „RT-11 - Evolving therapies for Peyronie’s Disease“,
Literatur:
1 Male Hypogonadism: https://uroweb.org/guideline/male-hypogonadism/ 2 Bhasin S et al.: Am J Physiol Endocrinol Metab 2001; 281(6): E1172-81 3 Lenfant L et al.: Urol Oncol 2020; 38(8): 661-70 4 Corona G et al.: J Sex Med 2014; 11(7): 1823-34 5 Eendebak RJAH et al.: Clin Endocrinol (Oxf) 2018; 88(3): 479-90 6 Varanoske AN et al.: J Endocr Soc 2020; 3;4(9): bvaa090 7 Wittert G et al.: Lancet Diabetes Endocrinol. 2021; 9(1): 32-45 8 Sanches BC et al.: Int J Impot Res 2018; 30(4): 158-62 9 Prause N et al.: PLoS One 2015; 2;10(9): e0133079 10 Hauck EW et al.: J Urol 2004; 171(2 Pt 1): 740-5 11 Palmierei A et al.: Eur Urol 2009; 56(2): 363-9