
Steinleiden im Alter
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Stephan Seklehner, FEBU
Vorsitzender des AK Endourologie und Steinerkrankungen der ÖGU
Oberarzt für Urologie Landesklinikum Baden
E-Mail: office@urologie-ordination.at
Urolithiasis kann in jedem Alter auftreten, sowohl bei Kleinkindern als auch bei Hochbetagten. Wenngleich die Inzidenz und Prävalenz der Steinerkrankung in hohen Altersgruppen geringer sind als im mittleren Lebensalter, so wird der Anteil an geriatrischen Steinpatienten aufgrund des demografischen Wandels größer und damit klinisch relevanter.
Keypoints
-
Geriatrische Steinpatienten haben steinassoziierte Spezifika und präsentieren sich häufiger mit atypischen Beschwerden bei obstruktiver Uropathie.
-
ESWL ist eventuell mit geringeren Steinfreiheitsraten und höheren Komplikationsraten als bei Jüngeren verbunden.
-
Semirigide/flexible Ureteroskopien/Ureterorenoskopien können geriatrischen Patienten sicher und effektiv angeboten werden.
-
Perkutane Nephrolitholapaxien sind bei entsprechender Patientenselektion, bei Indikation und entsprechendem Instrumentarium eine sichere und effektive Therapieoption.
-
Oft ist das Alter per se nicht der limitierende Faktor, sondern Komorbiditäten und Komedikationen.
Geriatrische Steinpatienten unterscheiden sich von jüngeren Erwachsenen oder gar Kindern. Es bestehen relevante Unterschiede in verschiedenen Altersgruppen bezüglich der renalen Exkretion lithogener Faktoren und konsekutiv in der jeweiligen Steinzusammensetzung.1, 2 Ein geriatrischer Steinpatient ist somit nicht zwangsläufig, simplifiziert ausgedrückt, ein gealterter Rezidivsteinbildner. Zwar rückt die geriatrische Urologie vermehrt in den akademischen Fokus, dennoch ist die bisher publizierte Datenlage bezüglich Steinerkrankung und Steintherapie limitiert.
In der folgenden Arbeit möchte ich auf Besonderheiten bei geriatrischen Steinpatienten hinweisen sowie ein Hauptaugenmerk auf die Interventionsmöglichkeiten legen.
Geriatrische Patienten mit obstruktiver Urolithiasis
Klinisch präsentieren sich ältere Patienten häufiger mit atypischen Symptomen als jüngere Patienten.2 Typische Beschwerden bei obstruktiver Ureterolithiasis sind kolikartige Schmerzen. Bei älteren Patienten können eine nicht exakt identifizierbare Lokalität (oft interpretiert als gastrointestinale Symptome) oder auch atypische Schmerzen oder gar das Fehlen eines relevanten Schmerzaspekts die Verdachtsdiagnose eines Steines erschweren.1, 2 In einer Analyse von 1590 Patienten, die wegen akuter obstruktiver Urolithiasis in einem Krankenhaus vorstellig wurden, präsentierten sich 94% der 18- bis 24-jährigen Patienten mit klassischer Nierenkolik, jedoch nur 73% der über 70-Jährigen (p<0,001).1 Dies führte dazu, dass ältere Patienten häufiger im stationären Setting geführt und abgeklärt werden als jüngere (p<0,0001).1
Zusätzlich können geriatrische Patienten signifikant größere Steinlasten haben als junge Erwachsene (vermehrte Anzahl an Nierensteinen, größere Durchmesser, vermehrt Ausgusssteine).1
Somit kann nicht nur die initiale Diagnostik bei geriatrischen Patienten erschwert sein – eine größere Steinlast kann die Therapiefindung zusätzlich beeinflussen. Weiters darf man nicht außer Acht lassen, dass geriatrische Menschen meist vermehrt Komorbiditäten und Komedikationen aufweisen, die einen immanenten Einfluss auf Interventionen haben können.
Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL)
Die ESWL ist bekanntermaßen die komplikationsärmere Alternative zur endourologischen Steinsanierung.3 Ältere Patienten nehmen aber zu einem beträchtlichen Anteil orale Antikoagulanzien, unter denen eine ESWL (sowie eine „percutaneous nephrolithonomy“; PCNL) nicht durchgeführt werden soll.3 In der Literatur gibt es Hinweise, dass spontane Abgänge bei Älteren unwahrscheinlicher sind als bei jüngeren Patienten.2 Zusätzlich wurde ein erhöhtes Infektionsrisiko bei Älteren nach ESWL bemerkt. Das Alter war ein unabhängiger Prädiktor für eine Post-ESWL-Bakteriurie (OR=2,48 bei ≥65 Jahren, p=0,046).4 Bei der Planung einer ESWL sollte auch berücksichtigt werden, dass ältere Patienten vermehrt Harnsäuresteine haben als jüngere.1 Dies führt dazu, dass die Steine bei der ESWL zwar mittels Ultraschall, nicht aber mittels Nativröntgen dargestellt werden können. Philippou et al. analysierten die Ergebnisse nach ESWL bei 137 Patienten ≥70 Jahre.5 Durchschnittlich waren zwei ESWL-Behandlungen nötig, um bei 65,9% der Harnleitersteine und bei 62,4% der Nierensteine Steinfreiheit zu erreichen. Von den ESWL-Versagern benötigten 27,7% eine weiterführende Ureterorenoskopie (URS) oder PCNL. Bei den restlichen Patienten konnte wegen Komorbiditäten keine weitere Therapie durchgeführt werden.5 Ozer et al. publizierten eine Steinfreiheitsrate („stone-free rate“; SFR) von 61,4% bei ≥65-Jährigen (n=158) nach ESWL bei Nierensteinen mit vergleichbaren Komplikationsraten wie bei jüngeren Patienten (p=0,99).6
Ureterorenoskopie (URS)
Offene Operationen, aber auch laparoskopische/robotisch assistierte Eingriffe stellen häufig eine relevante Belastung für alte Patienten mit entsprechenden Komorbiditäten dar. Diese Belastung scheint jedoch von untergeordneter Bedeutung für die endourologische Steinsanierung mittels semirigider oder flexibler Spiegelung des oberen Harntaktes zu sein, wie in mehreren Arbeiten gezeigt werden konnte.7–12 Cakici et al. verglichen die Effektivität und Sicherheit der flexiblen URS bei einer Gruppe mit durchschnittlich 67 Jahren (n=291) mit einer von 42 Jahren (n=1459).7 Steinlage innerhalb der Niere und Anzahl der Steine waren vergleichbar, die Steine waren bei den älteren Patienten aber größer (16,2mm vs. 14,5mm, p<0,001). Die Steinfreiheitsraten waren in beiden Gruppen vergleichbar (p=0,77). Auch die Komplikationsrate differierte nicht statistisch signifikant (p=0,85). In univariaten Regressionsanalysen waren Alter (p=0,28) und ASA(American Society of Anesthesiologists)-Scores (p=0,94) keine Prädiktoren für Komplikationen. Emiliani et al. verglichen über 80-Jährige (n=95) mit einer jüngeren Kohorte (n=78, Durchschnittsalter 44 Jahre).8 Die Steingröße (12,7mm vs. 13,4mm, p=0,6) und die Anzahl der Steine unterschieden sich nicht in beiden Kohorten. Relevante Unterschiede zuungunsten der Älteren fanden sich aber in der Steinlage (50% Uretersteine bei >80-Jährigen vs. 26,7% bei den Jüngeren, p=0,003) sowie in den Komorbiditäten.
Die flexible URS konnte aber in beiden Gruppen sicher durchgeführt werden, die intraoperativen (p=0,17) und postoperativen Komplikationsraten (p=0,68) waren vergleichbar. Ältere Patienten benötigten aber wegen anästhesiologischer Gründe deutlich längere OP-Zeiten (103 vs. 74 Minuten, p=0,0001) sowie einen längeren stationären Aufenthalt (2,9 vs. 1,7 Tage, p=0,001). Die Steinfreiheitsraten differierten ebenso nicht signifikant (67,5% vs. 71,4%, p>0,05).8
Perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL)
Auch bei der perkutanen Steinsanierung liegen nun einige Arbeiten vor, die von der Durchführbarkeit dieser invasivsten endourologischen Steinsanierungsmethode bei alten Patienten berichten.13–15 Rezent publizierten Haberal et al. SFR und Komplikationsraten bei 8191 PCNL in verschiedenen Altersgruppen.13 Die Komplikationsraten waren nicht alters-, sondern lediglich steinvolumenabhängig. Die Komplikationsraten (inklusive Bluttransfusionen, Harnwegsinfekte) waren selbst bei der Kohorte der über 80-Jährigen nicht größer als bei jüngeren (p>0,05).
Bei über 80-Jährigen ermittelten Morganstern et al. bei der PCNL vergleichbare SFR wie bei unter 65-Jährigen (78% vs. 82%, p=0,23).14 Bei entsprechend vorsichtiger Patientenselektion wurden auch keine erhöhten Komplikationsraten bei über 80-Jährigen bemerkt.14
In heimischen Kliniken wird die PCNL meist in Allgemeinnarkose durchgeführt. Einige randomisierte Arbeiten berichteten, dass PCNL auch in Spinalanästhesie mit vergleichbaren Ergebnissen durchgeführt werden können.16,17 Dies könnte in ausgewählten Fällen eine Indikationserweiterung hin zu älteren Patientengruppen darstellen. Eine indische Klinik verglich die PCNL bei über 65-Jährigen in Spinalanästhesie mit einer jüngeren und gesünderen Kohorte.15 Sie fanden keine signifikanten Unterschiede bezüglich SFR oder Komplikationsraten, wie Bluttransfusionen oder postinterventionelles Fieber (p>0,05).15 Hohe SFR bei geringen Komplikationen in Spinalanästhesie bei alten Patienten wurden auch von einer chinesischen Arbeitsgruppe berichtet.18
Klinische Überlegungen und Fazit
Im klinischen Alltag stellt man im akuten Setting bei obstruktiver Urolithiasis gerade bei Patienten mit multiplen Komorbiditäten eher zügig die Indikation zur operativen Desobstruktion. Gerade bei der URS konnte bei alten Patienten nun gezeigt werden, dass diese sicher und effektiv möglich ist.7–12 Eine primäre semirigide URS (also eine URS ohne Prestenting) kann Patienten mit vergleichbarer Sicherheit angeboten werden wie ein zweizeitiger Eingriff nach vorangegangener Harnleiterschienenanlage.19, 20 Gerade bei Menschen mit erhöhtem Narkoserisiko sollte eine einmalige primäre URS, die einen Folgeeingriff bei erfolgter Steinfreiheit erspart, in Betracht gezogen werden, sofern keine Harnleiterschiene als Dauerlösung vorgesehen ist.
Bei Nierensteinen werden gemäß den europäischen Leitlinien in vielen Konstellationen (1–2cm Stein je nach Kelchlage und Kelchanatomie) sowohl die Endourologie (URS und PCNL) als auch die ESWL als Primärtherapie empfohlen.3 Jedoch nehmen die Leitlinien keine Rücksicht auf das Patientenalter – explizite Empfehlungen liegen für geriatrische und vulnerable Patientengruppen nicht vor. Somit muss man individuell entscheiden, welche Therapie man wem anbieten möchte (oder nicht). Hierbei kann man oft nur auf eine überschaubare (und meist im Studiendesign schwache) Literatur zurückgreifen.
Wenn man einen Nierenstein elektiv behandelt, dann scheint der retrograde flexible Zugang ein vernünftiges altersunabhängiges Risikoprofil aufzuweisen.7–12 Wählt man eine ESWL, so könnte man mit niedrigeren Steinfreiheitsraten und höheren Komplikationsraten als bei jüngeren konfrontiert sein.4–6 Auch ist auf das Problem einer etwaigen Blutverdünnung hinzuweisen – ebenso wie bei der PCNL. Bei entsprechender Patientenselektion kann auch eine PCNL eine sinnvolle Therapieoption bei großen Steinmassen sein. Insbesondere da Nephroskope immer dünnlumiger werden und somit das renale Trauma und die Komplikationsgefahr geringer wird.21, 22
Das Alter selbst scheint bei der Tolerabilität und Effektivität der Endourologie von geringerer Bedeutung zu sein als Komorbiditäten und Komedikationen.23
Literatur:
1 Krambeck AE et al.: Effect of age on the clinical presentation of incident symptomatic urolithiasis in the general population. J Urol 2013; 189(1): 58-164 2 Garbens BA, Antonelli J: The treatment of stone disease in the aging population : how old is too old for stone removal? Am Urol Assoc 2021; 22: 4-6 3 Skolarikos A et al.: EAU guidelines on urolithiasis. Eur Assoc Urol 2022; 49: 1-88 4 Moreno AM et al.: Incidence of infectious complications after extracorporeal shock wave lithotripsy in patients without associated risk factors. J Urol 2014; 192(5): 1446-49 5 Philippou P et al.: Shock-wave lithotripsy in the elderly: safety, efficacy and special considerations. Arab J Urol 2011; 9(1): 29-33 6 Ozer C, Tekin MI: Clinical results of shock wave lithotripsy treatment in elderly patients with kidney stones: Results of 1433 patients. Arch Ital Urol Androl 2020; 92(4): doi: 10.4081/aiua.2020.4.350 7 Cakici MC et al.: Is the efficacy and safety of retrograde flexible ureteroscopy in the elderly population different in non-elderly adults? Cureus 2019; 11(6): e4852 8 Emiliani E et al.: Flexible ureteroscopy in extreme elderly patients (80 years of age and older) is feasible and safe. World J Urol 2021; 39: 2703-8 9 Berardinelli F et al.: RIRS in the elderly: Is it feasible and safe? Int J Surg 2017; 42: 147-51 10 Yoshioka T et al.: Effectiveness and safety of ureteroscopic holmium laser lithotripsy for upper urinary tract calculi in elderly patients. Acta Med Okayama 2016; 70(3): 159-66 11 Tolga-Gulpinar M et al.: Safety and efficacy of retrograde intrarenal surgery in patients of different age groups. Actas Urol 2015; Esp 39(6): 354-9 12 Prattley S et al.: Ureteroscopy and stone treatment in the elderly (≥70 years): Prospective outcomes over 5-years with a review of literature. Int Braz J Urol 2018; 44(4): 750-7 13 Haberal HB et al.: Percutaneous nephrolithotomy in young-old, old-old, and oldest-old patients: a multicenter study. J Laparoendosc Adv Surg Tech A 2021; 31(7): 796-802 14 Morganstern B et al.: Percutaneous nephrolithotomy in octogenarians and beyond: How old is too old? Asian J Urol 2015; 2(4): 208-13 15 Gupta R, Mahajan A: Outcomes of percutaneous nephrolithotomy in elderly versus young patients under regional anesthesia: A comparative study. Urol Ann 2020: 12(3): 254-8 16 Nouralizadeh A et al.: Comparison of percutaneous nephrolithotomy under spinal versus general anesthesia: A randomized clinical trial. J Endourol 2013: 27(8): 974-8 17 Mehrabi S et al.: General versus spinal anesthesia in percutaneous nephrolithotomy. Urol J 2013; 10(1): 756-61 18 Hu H et al.: Comparison of minimally invasive percutaneous nephrolithotomy and flexible ureteroscopy for the treatment of intermediate proximal ureteral and renal stones in the elderly. Urolithiasis 2016; 44(5): 427-34 19 Assimos D et al.: Preoperative JJ stent placement in ureteric and renal stone treatment: results from the Clinical Research Office of Endourological Society (CROES) ureteroscopy (URS) Global Study. BJU Int 2016; 117(4): 648-54 20 Mckay A et al.: Comparison of primary and delayed ureteroscopy for ureteric stones: Aprospective non-randomized comparative study. Urol Int 2021; 105(1-2): 90-4 21 Thapa BB, Niranjan V: Mini PCNL over standard PCNL: What makes it better? Surg J 2020; 6(1): 19-23 22 Heinze A et al.: Tract sizes in percutaneous nephrolithotomy: Does miniaturization improve outcome? Curr Opin Urol 2019; 29(2): 118-23 23 Mager R et al.: Outcomes for geriatric urolithiasis patients aged ≥80 years compared to patients in their seventies. Eur Urol Focus 2021; S2405-4569(21)00219-4