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Nervenerhaltendes Operieren bewahrt Kontinenz und Potenz
Urologik
30
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18.05.2017
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<p class="article-intro">Nervenschädigungen zählen zu den folgenschwersten Komplikationen urologischer Eingriffe. Im Falle der radikalen Prostatektomie sind Kontinenz und Potenz des Patienten stark davon abhängig, ob es möglich ist und gelingt, beidseitig nervenerhaltend zu operieren. Neue radiologische Methoden könnten dabei in Zukunft hilfreich sein.</p>
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<p class="article-content"><p>Um Nerven während Operationen nicht zu zerstören, müssen iatrogene Nervenschäden durch Druck oder Zug ebenso vermieden werden wie thermische Schäden bei der Blutstillung. Die Voraussetzung dafür ist die genaue Kenntnis der anatomischen Strukturen. Unterschiedliche Manipulationen um den Nerv und am Nerv haben unterschiedliche Auswirkungen. Dr. Gracija Sardi von der Abteilung für Neurochirurgie an der Landesnervenklinik Linz: „Tierexperimentell konnte an der Ratte gezeigt werden, dass eine Dehnung des Nerven von bis zu 8 % folgenlos bleibt. Ab 15 % sistiert der venöse Blutfluss und ab 27 % Dehnung treten strukturelle Schäden auf. Da man manuell nicht zwischen 8 und 15 % Dehnung unterscheiden kann, sollte man den Nerv in der Praxis gar nicht dehnen.“ Hinsichtlich der maximal verträglichen Druckbelastung divergieren die Angaben in der Literatur. Vereinfacht lässt sich, so Sardi, sagen, dass kurzfristige Kompression vertragen wird, während länger dauernde Kompression den Nerv schädigt. Eine lang andauernde Kompression, wie sie beispielsweise durch postoperative Hämatome entstehen kann, führt zu Veränderungen an peri-, epi- und endoneuralen Gefäßen. Ebenfalls zur Schädigung von Nerven kann ein Elektrotrauma führen, während Nervengewebe gegenüber ionisierender Strahlung sehr resistent ist.</p> <h2>Bessere Kontinenz bei nervenerhaltender RPE</h2> <p>Im Fall der radikalen Prostatektomie (RPE) ist nervenschonendes Operieren eine wichtige Voraussetzung für die Erhaltung der Kontinenz. Gelingt es, beidseitig nervenschonend zu operieren, so kann mit sehr hohen Kontinenzraten gerechnet werden. In einer Studie mit einem Follow-up von 4,6 Jahren waren am Ende 94,2 % der mehr als 500 Patienten kontinent, wenn bilateral „nerve sparing“ operiert werden konnte.<sup>1</sup> Dieses Ergebnis konnte mittlerweile in einer multizentrischen Evaluation, an der sich 14 Zentren beteiligten, bestätigt werden.<sup>2</sup> In dieser Studie war das Risiko von Inkontinenz nach nicht „nerve sparing“ OP um den Faktor 2,8 höher als nach beidseitigem intrafaszialem Nervenerhalt. Dazu Dr. Stephan Hruby von der Universitätsklinik für Urologie und Andrologie am Landeskrankenhaus Salzburg: „Diese Daten zeigen, dass Nervenerhalt auch für den älteren Mann wichtig ist, bei dem die Erhaltung der erektilen Funktion nicht mehr im Mittelpunkt steht. Auch alte Patienten mit bestehender erektiler Dysfunktion profitieren vom beidseitigen Nervenerhalt.“ Eine Bewertung des OP-Ergebnisses im Sinne des Nervenerhalts und der Kontinenz ist relativ einfach. Der Uroflow- Stop-Test, also die Fähigkeit des Patienten, während der Miktion den Harnstrahl zu unterbrechen, ist ein starker Prädiktor für spätere Kontinenz. In einer Studie war ein positiver Uroflow-Stop-Test stark mit Frühkontinenz (OR: 2,87) und Potenz nach sechs Monaten (OR: 6,04) korreliert.<sup>3</sup></p> <p>Die Ursachen für den deutlichen Einfluss des „nerve sparing“ auf die spätere Kontinenz liegen in der komplexen Physiologie der Miktion. Komplexe Verschaltungen teilweise auf der sakralen Ebene, darüber hinaus aber auch mit Pons und Mittelhirn sind wichtig für den Miktionsreflex. Miktion und Kontinenz werden in zwei voneinander unabhängigen Schaltkreisen kontrolliert. Hruby: „Wir wissen, dass autonome Fasern über die Gefäße zur Urethra kommen. Hier wird schon lange diskutiert, ob wir es hier mit einem Nervenbündel oder einer Nervenschicht zu tun haben.“ Hruby verweist auf aktuelle Arbeiten,<sup>4</sup> die zeigen, dass ein Teil der Fasern in einem Bogen über die Prostataseite verläuft. Daher sei es vorteilhaft, nicht nur das Bündel am Apex, sondern auch die Kapsel zu schonen. Auch wurden zwei anatomische Subtypen beschrieben. Bei bis zu 30 % der Patienten sind die Fasern über die gesamte Kapsel verteilt. Hruby: „Bei diesen Patienten ist es besonders wichtig, die gesamte Faszie zu erhalten.“ Mittels moderner Bildgebung kann dieser anatomische Typ mittlerweile identifiziert werden. Die Methode heißt Diffusion Tensor Imaging (DTI MRI) und ist eine nicht invasive MR-Technik zur Identifikation der weißen Substanz. Für die Prostata liegen bislang allerdings nur „Proof of concept“- Daten vor. So wurde mit dieser Methode die Nervenfaserdichte vor und nach RPE ohne „nerve sparing“ verglichen, wobei nach dem Eingriff eine deutlich reduzierte Dichte von Nervenfasern gefunden wurde.<sup>5</sup> In einer randomisierten Studie wurde der Einsatz von DTI-MRI zur Therapieplanung untersucht. Die Studie zeigte, dass DTI-MRI in 92,2 % eine korrekte Planung des Nervenerhalts möglich machte.<sup>6</sup> Hruby verweist auch auf gute Erfahrungen aus dem eigenen Haus mit „targeted nerve sparing“ mittels MRT. Ziel dieser Methode ist es, durch genaues Lokalisieren des Tumors mittels Bildgebung die Erfolgsaussichten einer nervenerhaltenden Operation zu verbessern.</p> <h2>Potenz nach RPE: keine schlechteren Ergebnisse als nach Bestrahlung</h2> <p>Noch häufiger als Inkontinenz ist nach radikaler Prostatektomie die erektile Dysfunktion. Die beste Methode zur Erfassung des langfristigen Outcomes der RPE ist, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Schmeller vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Salzburg, die Patientenbefragung. Eine unlängst durchgeführte derartige Befragung zeigt, dass knapp die Hälfte der Patienten nach RPE das eigene sexuelle Funktionieren als akzeptabel, gut oder sehr gut einstuft. Erfreulicherweise zeigen Studiendaten jedoch, dass der Erholungsprozess nach einer RPE auch nach Jahren weiterläuft. Im Hinblick auf die Potenz ist die maximale Regeneration erst nach ungefähr vier Jahren erreicht. Bilateral nervenerhaltend operierte Männer, die vor der OP potent waren, haben eine mehr als 60 % ige Chance, innerhalb von 48 Monaten wieder Erektionen zu entwickeln, die für einen Geschlechtsverkehr ausreichen.<sup>7</sup> Nervenerhaltung ist, ebenso wie das Alter, ein wichtiger Prädiktor der erektilen Funktion nach RPE.<sup>8</sup> Quer durch die Studien und Kohorten geben rund 50 % der Patienten an, unter Impotenz zu leiden. Die Zahl der Männer, die nach RPE noch Geschlechtsverkehr angeben, liegt jedoch deutlich unter den verbleibenden 50 % . Prof. Schmeller betont, dass der Anteil impotenter Patienten nach Strahlentherapie in den meisten Kohorten höher liegt als nach RPE. Dies kann teilweise darauf zurückgeführt werden, dass ältere, kränkere Patienten eher eine Strahlentherapie erhalten. Eine „Matched pair“-Analyse zeigt für beide Methoden vergleichbare Impotenzraten: Sowohl nach RPE als auch nach EBRT litten rund 80 % der Patienten unter moderater bis schwerer erektiler Dysfunktion.<sup>9</sup> Bereits fünf Jahre zuvor hatte eine amerikanische Arbeit gezeigt, dass externe Strahlentherapie und Brachytherapie in ihrer Wirkung auf die erektile Dysfunktion vergleichbar sind.<sup>10</sup> Schmeller: „Bestrahlung schützt nicht vor Potenzverlust. Die Potenz nach einer RPE ist stark abhängig von der Technik und Erfahrung des Operateurs.“</p> <h2>PDE -5-Inhibitoren auch nach RPE erste Wahl</h2> <p>Unter peniler Rehabilitation versteht man den Versuch, die spontane erektile Funktion möglichst bald nach einer RPE wiederherzustellen. Endothel und glatte Muskulatur in den Schwellkörpern sollen erhalten und Kollageneinlagerungen vermieden werden. First-Line-Standardtherapie in dieser Indikation sind, so Dr. Raphael Rotter vom AKh Linz, die PDE-5-Inhibitoren, für die in der Literatur Ansprechraten zwischen 35 und 75 % beschrieben werden. Bei Verdacht auf kardiovaskuläres Risiko sollte der Patient entsprechend abgeklärt werden. Die Einnahme von Nitropräparaten ist eine absolute Kontraindikation. Rotter: „Gute Patientenschulung ist wichtig. Der häufigste Grund für Therapieversagen ist die inkorrekte Einnahme.“ Ob der Einsatz von PDE-5-Inhibitoren auch die Chancen auf spontane Erektionen ohne medikamentöse Unterstützung erhöht, ist fraglich. Die Studienresultate zu dieser Frage sind widersprüchlich.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: ÖGU-Fortbildungstagung, 6.–7. November 2015, Linz
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<p><strong>1</strong> Burkhard FC et al: Nerve sparing open radical retropubic prostatectomy – does it have an impact on urinary continence? J Urol 2006; 176: 189-95 <strong>2</strong> Steineck G et al: Degree of preservation of the neurovascular bundles during radical prostatectomy and urinary continence 1 year after surgery. Eur Urol 2015; 67(3): 559-68 <strong>3</strong> El-Hakim A et al: Novel uroflow stop test at time of catheter removal is a strong predictor of early urinary continence recovery following robotic-assisted radical prostatectomy: a pilot study. Neurourol Urodyn 2015; 34(1): 60-4 <strong>4</strong> Sievert KD et al: The periprostatic autonomic nerves- -bundle or layer? Eur Urol 2008; 54(5): 1109-16 <strong>5</strong> Kitajima K et al: Visualization of periprostatic nerve fibers before and after radical prostatectomy using diffusion tensor magnetic resonance imaging with tractography. Clin Imaging 2014; 38(3): 302-6 <strong>6</strong> Panebianco V et al: Conventional imaging and multiparametric magnetic resonance (MRI, MRS, DWI, MRP) in the diagnosis of prostate cancer. Q J Nucl Med Mol Imaging 2012; 56(4): 331- 42 <strong>7</strong> Rabbani F et al: Factors predicting recovery of erections after radical prostatectomy. J Urol 2000; 164(6): 1929-34 <strong>8</strong> Catalona WJ et al: Potency, continence and complication rates in 1,870 consecutive radical retropubic prostatectomies. J Urol 1999; 162(2): 433-8 <strong>9</strong> Madersbacher S et al: Abstract präsentiert am EAU 2004 <strong>10</strong> Zelefsky MJ et al: Comparison of the 5-year outcome and morbidity of three-dimensional conformal radiotherapy versus transperineal permanent iodine-125 implantation for early-stage prostatic cancer. J Clin Oncol 1999; 17(2): 517-22</p>
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