
Was kann „liquid biopsy“ in der Urologie?
Autoren:
Prof. Dr. rer. nat. Helge Taubert
Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Sven Wach
Kussmaul-Forschungscampus d. Medizinischen Fakultät
Universitätsklinikum Erlangen
Urologische und Kinderurologische Klinik
Abteilung Molekulare Urologie, Erlangen
E-Mail: helge.taubert@uk-erlangen.de
Die minimalinvasiv durchgeführte „liquid biopsy“ liefert molekulare Daten für eine frühe Erkennung, den gesamten Verlauf und die Entwicklung von Resistenzmechanismen von Tumoren. Sie hilft zusätzlich zu Gewebebiopsien, unnötige Behandlungen zu verhindern und erforderliche Therapien rechtzeitig zu beginnen bzw. diese dem Tumorgeschehen anzupassen.
Keypoints
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„Liquid biopsy“ aus verschiedenen Körperflüssigkeiten ist minimalinvasiv und kompatibel für Therapiemonitoring.
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miR-371 gilt als Biomarker für Diagnose und Therapiemonitoring beim Hodenkarzinom.
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PSA in EVs ist ein besserer diagnostischer Biomarker für ein PCa als PSA im Serum.
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cfDNA ist ein Marker für das Therapieansprechen beim RCC und PCa.
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ctDNA gilt als geeigneter Marker für eine Chemotherapieindikation beim Kolonkarzinom (UICC-Stadium II).
Bevor wir zur „liquid biopsy“ kommen, möchten wir mit einer interessanten Parallele beginnen: Generell bekannt ist, dass unsere Erde zu ca. 70% mit Wasser bedeckt ist. Weniger bewusst ist uns, dass wir zu 60–70% aus Wasser bestehen. D.h., um etwas über physiologische und pathologische Zustände bzw. Veränderungen zu erfahren, macht es auf alle Fälle Sinn, den größten Teil unseres Körpers, d.h. Körperflüssigkeiten, zu untersuchen. Eine Probenentnahme aus Körperflüssigkeiten ist eine Flüssigbiopsie („liquid biopsy“). Die zu untersuchenden Körperflüssigkeiten können sehr unterschiedlich sein, sie reichen von Blut (einschließlich Blutbestandteilen, wie z.B. Serum, Plasma), Urin, Speichel, Sperma bis hin zu Liquor und können in der Regel minimalinvasiv entnommen werden. Weitere Vorteile einer „liquid biopsy“ gegenüber einer Gewebsbiopsie sind die ökonomische Probengewinnung, umfassende Informationen über das gesamte Tumorgeschehen (einschließlich Metastasierung) und die Möglichkeit eines Therapiemonitorings bzw. der Beurteilung des Therapieansprechens.1,2 Nachteilig ist, dass keine pathologischen (zytologischen oder histologischen) Befunde für das Tumorgewebe und das Tumormikroenvironment möglich sind und dass festgestellte genetische Veränderungen nicht zwingend tumorspezifischen Ursprungs sein müssen.
Klinische Nutzbarkeit der „liquid biopsy“
Mit einer „liquid biopsy“ werden vor allem zirkulierende Tumorzellen (CTCs), zellfreie DNA (cfDNA) und die darin enthaltene zellfreie Tumor-DNA (ctDNA), zellfreie RNA (cfRNA), extrazelluläre Vesikel (EVs), Proteine, Zytokine und Metabolite untersucht.2,3 Hierfür kann ein sehr breites und anspruchsvolles, molekulares Methodenspektrum eingesetzt werden.3,4 Am Beispiel der ctDNA und darin nachweisbarer Mutationen lässt sich die klinische Nutzbarkeit von „liquid biopsies“ sehr gut demonstrieren.5 Die Nachweisgrenze für tumorspezifische Mutationen in ctDNA liegt deutlich niedriger als jene von bildgebenden Verfahren. Somit kann ctDNA (Mutationen darin) für eine Tumorfrüherkennung und für das Follow-up bzw. die Einschätzung des Therapieansprechens genutzt werden. Im weiteren Verlauf sind auftretende Rezidive und/oder Metastasen erneut durch Mutationen in ctDNA bereits vor dem Nachweis mit bildgebenden Verfahren detektierbar. Diese Mutationen können im positiven Fall auch für eine gezielte Therapie („targeted therapy“) bzw. für das Monitoring des Therapieansprechens genutzt werden. Eine weitere Tumorprogression und Resistenzmechanismen lassen sich erneut durch bildgebende Verfahren und Mutationen nachweisen und können im Idealfall weiter gezielt behandelt werden.
Urologische Tumormarker
Mikro-RNA miR-371a-3p
Der bisher bekannteste urologische Tumormarker, welcher für die Diagnose und das Therapiemonitoring von Keimzelltumoren des Hodens eingesetzt werden kann, ist die kleine, nicht kodierende Mikro-RNA miR-371a-3p.6,7 Vor- und Nachteile des miR-371a-Nachweises wurden bereits in ÖGU Aktuell Ausgabe 1/2023 umfassend besprochen.8 Hervorzuheben ist die hohe Sensitivität und Spezifität des miR-371a-3p-Nachweises (>90%), welche deutlich über der der bisher eingesetzten Tumormarker liegen. Zusätzlich ist der Test sowohl für den Nachweis von Seminomen als auch Nicht-Seminomen geeignet. Nachteilig ist, dass er nicht für den Nachweis von Teratomen verwendbar ist, bisher kein zertifiziertes Labor in Österreich verfügbar ist und nur ein einziges Labor in Deutschland diesen Test zertifiziert durchführt (nur als individuelle Gesundheitsleistung/IGeL) und die Serumproben hierfür gefroren verschickt werden müssen.
Prostataspezifisches Antigen
Ein bereits bekannter Prostatakarzinom(PCa)-Biomarker, das prostataspezifische Antigen (PSA), könnte einen neuen bzw. wesentlich höheren Stellenwert als bisher bekommen. Wir alle wissen um die relativ hohe Sensitivität (ca. 85%), aber geringe Spezifität des PSA-Nachweises (ca. 23%) im Serum, um ein PCa nachzuweisen.9 Bereits vor 4 Jahren konnte die Arbeitsgruppe von Stefano Feis zeigen, dass PSA, wenn es in plasmatischen EVs nachgewiesen wird, PCa-Patienten klar von gesunden Probanden bzw. BPH-Patienten unterscheiden kann, da die beiden letzteren Gruppen signifikant weniger PSA in ihren Plasma-EVs aufweisen.10
Prognosebestimmung durch cfDNA
Ein Beispiel für die Eignung einer „liquid biopsy“ für Prognoseaussagen liefern Ergebnisse zur Menge an Plasma cfDNA beim Nierenzellkarzinom (RCC). Die Arbeitsgruppe von Marzia del Re konnte eine signifikante Assoziation zwischen einem erhöhten cfDNA-Gehalt im Plasma und einem kürzeren progressionsfreien bzw. Gesamtüberleben beschreiben. Nicht unerwartet ist damit auch der Befund, dass höhere cfDNA-Konzentrationen bei Patienten mit progressiver Erkrankung auftraten. Demgegenüber waren niedrigere Konzentrationen an cfDNA bei Patienten mit stabiler Erkrankung oder einem teilweisen Ansprechen auf eine Behandlung insgesamt bzw. speziell bei Immuntherapie oder VEGF-Tyrosinkinase-Inhibitor(TKI)-Behandlung nachweisbar.11 Wir konnten ein vergleichbares Ergebnis für den Gehalt an cfDNA bei Patienten mit fortgeschrittenem PCa finden. So waren eine erhöhte cfDNA-Konzentration (über dem Durchschnitt) mit einem kürzeren krankheitsspezifischen und Gesamtüberleben bzw. einer kürzeren Zeit für einen Behandlungswechsel („time to treatment change“) assoziiert.12
Abseits der Urologie: „liquid biopsy“ beim Kolorektalkarzinom
„Last but not least“ möchten wir Sie noch zu einem Blick über den urologischen Horizont hinaus einladen. Beim Kolonkarzinom UICC-Stadium II existiert bisher keine klare Evidenz, ob eine adjuvante Chemotherapie gegeben werden soll oder nicht. Die S3-Leitlinien sind hierzu relativ unkonkret: „Bei Patienten mit einem kurativ resezierten Kolonkarzinom Stadium II kann eine adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden. Im Stadium II sollte in ausgewählten Risikosituationen (T4) eine adjuvante Chemotherapie erwogen werden.“13 Eine australisch/US-amerikanische Kooperationsgruppe hat in einer Nicht-Unterlegenheitsstudie („non-inferiority study“) untersucht, ob eine ctDNA-basierte Therapieentscheidung bei UICC-Stadium-II-Kolonkarzinomen gerechtfertigt ist. Die Patientenkohorte wurde einerseits in ein Drittel (n=145) unterteilt, die eine Indikation zur adjuvanten Chemotherapie nach klinischer Situation hatten und wo diese auch gestellt wurde (Standardmanagement), und andererseits in zwei Drittel (n=249), wo anhand des Gehalts an zellfreier Tumor-DNA (ctDNA; der Anteil an cfDNA, welcher vom Tumor stammt) im Plasma entschieden wurde, ob eine adjuvante Chemotherapie verabreicht wird (bei hohem ctDNA-Gehalt) oder keine Chemotherapie zum Einsatz kommt (bei niedrigem ctDNA-Gehalt). Nach 36 Monaten zeigten sich völlig vergleichbare Raten für ein rezidivfreies Überleben. Dieses lag beim Standardmanagement bei 92,4% und beim ctDNA-basierten Therapieentscheid bei 91,7% in der Kaplan-Meier-Kurve. Somit konnte die Nicht-Unterlegenheit der ctDNA-basierten Therapieentscheidung gegenüber dem Standardmanagement nachgewiesen werden.14
Fazit
Wir möchten unseren Beitrag mit der für alle auf urologischem Gebiet Tätigen gut bekannten Aufforderung, immer regelmäßig und ausreichend zu trinken, schließen und Sie dazu ermuntern, vielleicht in Zukunft bei der Untersuchung von Proben neben einer Gewebeprobe auch an eine „liquid biopsy“ zu denken.
Literatur:
1 Alba-Bernal A et al.: EBioMedicine 2020; 62: 103100 2 Hirahata T et al.: Liquid biopsy: Cancer Inform 2022; 21: 11769351221076062 3 Li M et al.: Mol Cancer 2023; 22(1): 37 4 Fedyuk V et al.: Nat Biotechnol 2023; 41(2): 212-21 5 Stejskal P et al.: Mol Cancer 2023; 22(1): 15 6 Dieckmann KP et al.: Eur Urol 2017; 71(2): 213-20 7 Dieckmann KP et al.: J Clin Oncol 2019; 37(16): 1412-23 8 Hassler-Di Fratta MR et al.: ÖGU Aktuell 1/2023: 34-7 9 Djavan B et al.: Urology 2002; 60(4 Suppl 1): 4-9 10 Logozzi M et al.: Cancers (Basel) 2019; 11(10): 1449 11 Del Re M et al.: J Transl Med 2022; 20(1): 371 12 Lieb V et al.: Cells 2021; 10(11): 3223 13 Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF: S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, Kurzversion 2.1, 2019, AWMF Registrierungsnummer: 021/007OL. http://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/kolorektales-karzinom ; zuletzt aufgerufen am 2.5.2023 14 Tie J et al.: N Engl J Med 2022; 386(24): 2261-72