
Kontroverse um Testosteronersatztherapie bei Prostatakarzinompatienten
Bericht:
Vera Weininger, BA
Für onkologisch therapierte Prostatakarzinompatienten mit Hypogonadismus steht nicht selten die Frage nach einer Testosteronersatztherapie (TRT) zur Steigerung der Lebensqualität im Raum. Prof. Bertrand Tombal von der Université Catholique de Louvain (UCL) in Brüssel (Belgien) ging der sehr kontrovers diskutierten Frage auf den Grund, ob TRT bei Prostatakarzinompatienten angedacht werden kann und welche evidenzbasierte Risiken tatsächlich damit verbunden sind.
Die Gabe von Testosteron bei Prostatakarzinom ist ein großes Tabuthema. „Fast jeden Monat sehe ich Patienten mit leicht erhöhten PSA-Werten, die auf eine Testosterontherapie eingestellt sind. Meist wird die Testosterontherapie in diesem Setting intuitiv gestoppt, um das Prostatakarzinomrisiko zu senken“, leitete Tombal ein. Eine grundlegende Frage ist, ob es eine Beziehung zwischen Testosteronlevels und Prostatakarzinomen gibt und ob eine TRT das Risiko für Prostatakrebs bei Männern mit Hypogonadismus erhöht. „Heute können wir sagen, dass es bei erhöhtem Testosteron oder bei Supplementation von Testosteron in einer physiologischen Bandbreite kein signifikant erhöhtes Risiko gibt, an Prostatakrebs zu erkranken“, so Tombal. Einige Studien (Sofikerim et al. 2007, Morgentaler et al. 2006, Stattin et al. 2004) konnten sogar den gegenteiligen Effektzeigen:Das Risiko für Prostatakrebs wurde mit Testosteronsupplementation gesenkt. Tu H et al. wiesen sogar auf eine Assoziation von niedrigen Serumtestosteronspiegeln mit einer erhöhten Tumoraggressivität und einer schlechten Prognose hin.1 Durch die Hazard-Ratio (HR) von 1,92 (95% CI: 0,12–30,72) zeigte sich, dass bei mittleren vs. normalen Serumleveln, verglichen mit einer Hazard-Ratio von 28,14 (95% CI: 3,83–206,97) bei niedrigen vs. normalen Serumleveln (p<0,001), eine Assoziation zwischen dem Testosteron-Gesamtserumlevel und der Mortalitätherrscht.1
Risikoverhältnis der TRT bei spät einsetzendem Hypogonadismus
Wenn Patienten mit tatsächlich diagnostiziertem Hypogonadismus symptomatisch sind, stellt sich die Frage, ob Testosteronsupplementation das Prostatakarzinomrisiko erhöht. Der führende Parameter, der bei diesen Männern beachtet werden sollte, ist das DHT (Dihydrotestosteron) der Prostata. In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurde der Einfluss von TRT vs. Placebo auf mehrere Parameter der Prostata (International Prostate Symptome Score, Uroflowmetrierate (ml/s), Prostatavolumen, PSA) bei Männern mit diagnostiziertem Hypogonadismus untersucht.2 Es konnte kein signifikanter Einfluss auf das Prostatagewebe (außer einer geringgradigen Erhöhung des PSA-Wertes und einer systemischen Wirkung) unter TRT gezeigt werden.2 Es besteht kein Hinweis auf ein signifikant erhöhtes Risiko durch TRT für eine aggressive Form oder andere Formen von Prostatakarzinomen bei Patienten mit Hypogonadismus.3,4 „Im Gesamten ist die Anwendung von TRT bei Männern mit spät einsetzendem Hypogonadismus mit keinem erhöhten Risiko für Prostatakrebs in Verbindung zu bringen“, so Tombal.
TRT bei Männern mit Prostatakarzinom?
Neben den negativen Effekten, die Testosteronmangel auf die Gesundheit und gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Männern haben kann, wird die Therapie mit Testosteron bei ausgewählten Prostatakarzinompatienten, die unter einem Testosteronmangel leiden, heute als Option angesehen.5 Im Jahr 2016 untersuchten Ory et al. in einem Patientenkollektiv von 82 hypogonadotropen Männern mit Prostatakarzinom, die mit Radiotherapie (n=50), radikaler Prostatektomie (22) und aktiver Überwachung (n=8) behandelt wurden, den Einfluss von Testosteron auf das Prostatagewebe.6 All jene Patienten, die mit Testosteron behandelt wurden, erfuhren kein Upgrade in einen höheren Gleason-Score und die mittlere PSA-Geschwindigkeit betrug in den drei Gruppen 0,001μg/l, 0,12μg/l und 1,1μg/l pro Jahr.6 Eine weitere Sicherheitsstudie zeigte bei 1084 Patienten nach erfolgter lokaler Therapie aufgrund von nichtmetastasiertem Prostatakarzinom und einer Vergangenheit mit TRT keine Effekte der Testosteronsubstitution auf biochemische Rezidive oder den PSA-Wert.7 „In dieser systemischen Analyse und Metaanalyse konnte man keine höhere Rate an biochemischen Rezidiven nach TRT bei nichtmetastasiertem Prostatakarzinompatienten nach erfolgter lokaler Therapie beobachten“, fasste Tombal zusammen. Ahlering et al. verwiesen 2020 sogar auf das Gegenteil: dass ein TRT biochemische Rezidive nach radikaler Prostatektomie reduziert.8 Die TRT-Gruppe wies ca. 54% weniger Rezidive als die Kontrollgruppe auf (HR: 0,54; 95% CI: 0,292–0,997; Abb. 1).8
Abb. 1: Proportional angepasste Cox-Regression zur Detektion der biochemischen Rezidive nach radikaler Prostatektomie in TRT- und Kontrollgruppe: adjustiert in Gruppen von Gleason-Graden, präoperativem freiem Testosteron, pathologischem Stadium, Testosteronersatztherapie, präoperativem PSA (nach Ahlering TE et al. 2020)8
TRT bei Niedrigrisikoprostata-karzinompatienten unter aktiver Überwachung
Eine weitere Gruppe sind Patienten unter aktiver Überwachung, die kein aggressives Karzinom haben und bei denen entschieden wurde, vorerst nicht zu therapieren. „Es gibt einige Kollegen, die diesen Patienten mit spät einsetzendem Hypogonadismus empfehlen, eine Prostatektomie vorzunehmen, um eine Testosterontherapie ansetzen zu können. Dieses Vorgehen würde ich nicht unterstützen“, so Tombal. Dennoch ist die Datenlage in diesem Patientenkollektiv sehr gering. „Ich interpretiere es derzeit als Phase-I-Evidenz, dass es kein Risiko für Tumorprogression bei Patienten mit Niedrigrisiko-Prostatakarzinomen und Hypogonadismus unter TRT gibt“, erläuterte Tombal. Es liegen 4 retrospektive Studien vor, die untermauern, dass keine Aussage über TRT bei Niedrigrisikoprostatakarzinompatienten unter aktiver Überwachung getroffen werden kann.6,9,10 Dennoch gibt Tombal die vorsichtige Zukunftsprognose ab,dass bei Niedrigrisikoprostatakarzinomßatienten eine TRT unter aktiver Überwachung angedacht werden könnte,sobald dazu Studiendaten mit höherem Evidenzgrad vorliegen.
TRT bei Männern mit metastasiertem Prostatakarzinom
In der überaus provokativen BATMAN-Studie wurden sehr hohe Dosen an Androgenen („bipolar androgen therapy“; BAT) bei Männern mit weit fortgeschrittenen Stadien von Prostatakarzinom/metastasiertem Prostatakarzinom (mCRCP) angewendet.11 „Die Idee war es, in Zyklen Androgendeprivationstherapie (ADT) über 6 Monate zu geben, und sobald die ADT gestoppt wird, superphysiologische Level an Testosteron zu geben“, so Tombal. Es gibt Studien über Prostatakrebszellen, die zeigen, dass hochdosiertes Testosteron speziell bei mCRCP eine antagonisierende Wirkung auf den Androgenrezeptor hat und die Zellen dadurch die Apoptose wählen, anstatt in die Tumorprogression gehen.11 Nach einem Jahr hatten die meisten Patienten in der BATMAN-Studie immer noch einen niedrigen PSA-Wert.11 Zusätzlich brachte diese Behandlungfür diese Männereine massive Veränderung in der Lebensqualität.11
Nachfolgend wurde in der TRANSFORMER-Studie gezeigt, dass Enzalutamid im progressionsfreien Überleben bei mCRCP äquivalente Effekte hatte wie BAT und streckenweise im Gesamtüberleben mehr Ansprechen auf TRT als auf Enzalutamid vorlag.12 „Bevor wir bei Patienten mit mCRCP ein sehr teures Medikament wie Enzalutamid anwenden, sollten wir zukünftig diskutieren,bei diesen Patienten wieder Testosteroneinzuführen, um die Lebensqualität dieser Männer zu verbessern“, so Tombal.
Fazit
„Ich glaube an das zukünftige Ziel, Androgendeprivationstherapien von Prostatakarzinompatienten fernzuhalten, da diese Patienten jeden Tag in ihrer Lebensqualität beeinflusst werden, und ich freue mich sehr, dass wir kleine Schritte in diese Richtung machen“, fasste Tombal zusammen. Ein explizites Verbot,Prostatakarzinompatienten Testosteronzu geben existiert somit nicht und würde auch nicht auf klinischer Evidenz basieren.
Quelle:
„Testosterone replacement therapy in prostate cancer patients, friend or foe“; Vortrag von Prof. Dr. Bertrand Tombal, Université Catholique de Louvain (UCL) in Brüssel (Belgien) im Rahmen des 8. Michael J. Marberger (MJM) Annual Meeting am 16. Dezember 2022
Literatur:
1 Tu H et al.: Low serum testosterone is associated with tumor aggressiveness and poor prognosis in prostate cancer. Oncol Lett 2017; 13(3): 1949-57 2 Marks LS et al.: Effect of testosterone replacement therapy on prostate tissue in men with late-onset hypogonadism: a randomized controlled trial. JAMA 2006; 296(19): 2351-61 3 Walsh TJ et al.: Testosterone treatment and the risk of aggressive prostate cancer in men with low testosterone levels. PLoS One 2018; 13(6): e0199194 4 Santella C et al.: Testosterone replacement therapy and the risk of prostate cancer in men with late-onset hypogonadism. Am J Epidemiol 2019; 188(9): 1666-73 5 Kaplan AL et al.: Testosterone therapy in men with prostate cancer. Eur Urol 2017; 69(5): 894-903 6 Ory J et al.: Testosterone therapy in patients with treated and untreated prostate cancer: Impact on oncologic outcomes. J Urol 2016; 196(4): 1082-9 7 Parizi MK et al.: Oncological safety of testosterone replacement therapy in prostate cancer survivors after definitive local therapy: A systematic literature review and meta-analysis. Urol Oncol 2019; 37(10): 637-46 8 Ahlering TE et al: Testosterone replacement therapy reduces biochemical recurrence after radical prostatectomy. BJU Int 2020; 126(1): 91-6 9 Morgentaler A et al.: Testosterone therapy in men with untreated prostate cancer. J Urol 2011; 185(4): 1256-61 10 Pastuszak AW et al.: Testosterone replacement therapy in the setting of prostate cancer treated with radiation. Int J Impot Res 2013; 25(1): 24-8 11 Denmeade SR, Isaacs JT: Bipolar androgen therapy: the rationale for rapid cycling of supraphysiologic androgen/ablatio in men with castration resistant prostate cancer. Prostate 2010; 70(14): 1600-7 12 Denmeade SR et al.: TRANSFORMER: A randomized phase II study comparing bipolar androgen therapy versus Enzalutamide in asymptomatic men with castration-resistant metastatic prostate cancer. J Clin Oncol 2021; 39(12): 1371-82