
Infektionen und unterer Harntrakt
Bericht:
Mag. Harald Leitner
Geprüft:
Prim. Univ.-Doz. Dr. Claus Riedl
Abteilung für Urologie
Landesklinikum Thermenregion Baden
E-Mail: claus.riedl@baden.lknoe.at
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Im Rahmen des 1. Post-EAU-Symposiums präsentierte Prim. Univ.-Doz. Dr. Claus Riedl, Vorstand der Urologischen Abteilung am Landesklinikum Baden, einen Überblick über wissenschaftliche Neuerungen vom 38. Kongress der European Association of Urology in Mailand zum Thema Infektionen des unteren Harntraktes.
Keypoints
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Prostatabiopsie: Die EAU empfiehlt die Umstellung von transrektaler auf transperineale Prostatabiopsie.
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HWI: Die EAU empfiehlt Vakzine bei rezidivierenden HWI.
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Resistenzen: Antibiotic Stewardship kann helfen, Resistenzentwicklungen zu vermeiden.
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Sepsis: Der quick SOFA-Score hat einen sehr guten prognostischen Wert und ist leicht anzuwenden.
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Fournier’sche Gangrän: Eine kurze Zeit bis zur OP ist das Wichtigste, bei Wundheilungsstörungen kann eine Low-Energy-Stoßwellentherapie helfen.
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Abakterielle Zystitiden: Platelet-Rich Plasma ist eine mögliche neue Option bei interstitieller Zystitis/Blasenschmerzsyndrom.
Prostatabiopsie nur noch transperineal?
Aufgrund eines Todesfalls wegen Urosepsis nach Prostatabiopsie analysierte der Urologe T. E. Bjerklund Johansen Daten des norwegischen Gesundheitsregisters. Darin zeigten sich eine Zunahme der Resistenzen von E. coli gegen Ciprofloxacin in den vergangenen 10 Jahren und damit einhergehend ein Anstieg der Zahl der Hospitalisierungen wegen Infektionen nach Prostatabiopsien. Eine Hochrechnung ergab, dass in Europa mehr als 2500 Männer pro Jahr nach Prostatabiopsie versterben. An den norwegischen urologischen Abteilungen wurde daher von transrektaler auf transperineale Prostatabiopsie umgestellt, was zu einem Rückgang der schweren Infektionen und der Todesraten auf null führte. Auch die EAU empfiehlt die Umstellung von transrektaler auf transperineale Prostatabiopsie.
Mehr als die Hälfte der Prostatabiopsierten hat Ciprofloxacin-resistente Keime im Rektalbereich. Daher ist bei transrektaler Vorgangsweise eine Prophylaxe nach Abstrich angezeigt, um infektiöse Komplikationen zu reduzieren. Es sind jedoch 56 Rektalabstriche notwendig, um eine Postbiopsieinfektion zu verhindern. Wegen des großen Aufwandes sollten auch andere Präventionsstrategien ins Auge gefasst werden.
Rezidivierende Harnwegsinfekte (HWI)
In den EAU-Guidelines besteht bei rezidivierenden HWI eine starke Empfehlung für den Einsatz von Vakzinen. Derzeit stehen drei Vakzine (Uro-Vaxom®, Uromune®, Solco-Urovac®) zur Verfügung, die sich hinsichtlich ihrer Zusammensetzung unterscheiden. Beim neuen Uromune® handelt es sich um einen sublingualen Impfstoff, der inaktivierte Bakterien – E. coli, Enterococcus faecalis, Proteus vulgaris und Klebsiella pneumoniae – enthält. In einer im Rahmen des EAU-Kongresses präsentierten Studie mit 42 Patienten mit ≥3 HWI im vergangenen Jahr waren 12 Monate nach der Vakzinierung 38% infektionsfrei und 33% hatten 1–2 HWI pro Jahr, 7% keine Verbesserung.
Die vaginale Dysbiose ist ein bekannter Risikofaktor für rezidivierende HWI. Laktobazillen im Mikrobiom haben einen deutlich protektiven Effekt, indem sie Laktat und Wasserstoffperoxid produzieren. Eine japanische Arbeitsgruppe hat in einer Zellsuspension von L. crispatus 42 antibakteriell hochwirksame Peptide gefunden. Eine lokale Therapie mit Laktobazillen ist daher eine Option zur Verhinderung von rezidivierenden HWI.
Katheter-assoziierte HWI sind insbesondere bei neurologischen Patienten ein Problem. In einer holländischen Studie wurde die Effektivität von regelmäßigen Spülungen mit Leitungswasser untersucht. Dabei zeigte sich, dass nur 6% der Urologen diese Methode empfehlen, zwei Drittel der Patienten jedoch damit zufrieden und 40% in den letzten 3 Monaten HWI-frei waren.
Neue Therapiekonzepte bei HWI
Mit steigenden Antibiotikaresistenzen gewinnen alternative Therapiekonzepte an Bedeutung. Eine Option, die allerdings noch in Entwicklung ist, sind Bakteriophagen, die in der Lage sind, spezifisch selektierte Bakterien zu eliminieren. Der Vorteil ist, dass sich diese Viren rasant vermehren und nach Elimination der Bakterien selbst absterben. Bakteriophagen können darüber hinaus mit antibiotischen Substanzen beladen werden. Erste Daten aus Zürich zeigen, dass Infekte so zu 100% verhindert werden können. Große Studien fehlen allerdings noch.
Eine weitere neue Strategie ist die fäkale Mikrobiom-Transplantation (FMT). Eine hohe Diversität des Blasenmikrobioms schützt vor HWI nach E.-coli-Inokulation. Eine Studie an Patienten mit rezidivierenden HWI hat gezeigt, dass durch die FMT die Häufigkeit von HWI von durchschnittlich 4 auf 1 gesenkt werden konnte.
Bakterielle Resistenzen
Laut einer globalen Prävalenzstudie der EAU zu Infektionen in der Urologie kam es in den vergangenen Jahren zu einem Anstieg an Resistenzen von E. coli gegen Aminopenicilline, Betalaktamase-Hemmer, Cephalosporine und Chinolone. Noch gut wirksam sind Carbapeneme, Aminoglykoside und Fosfomycin. Problematisch ist die Situation bei Klebsiella pneumoniae, bei der die Multiresistenzrate im Zeitraum von 2015 bis 2021 von 44% auf knapp 60% zugenommen hat. Betrachtet man die gesamte Resistenzsituation, zeigt sich, dass Carbapeneme und Aminoglykoside noch wirksam sind, Cephalosporine und Gyrasehemmer nur noch sehr eingeschränkt.
Eine neue Methode, Antibiogramme in weniger als einer Stunde herzustellen, wurde anlässlich des EAU-Kongresses präsentiert. Dabei werden Bakterien in Mikrotubuli gefüllt und mit Antibiotika beladen. Mittels „single-cell analysis“ wird das Wachstum der Bakterien beurteilt.
Mittels Antibiotic Stewardship sollen die Antibiotikaverwendung und die lokale Resistenzentwicklung beobachtet und die lokalen antibiotischen Konzepte darauf abgestimmt werden. Ziel ist, die Effektivität der Antibiotika für die Zukunft zu sichern. Übertherapie, etwa bei asymptomatischen Bakteriurien oder zu ausgedehnte perioperative Prophylaxe, ist ein Treiber der Resistenzentwicklung und daher zu vermeiden.
Sepsis
Wie in der SERPENS-Studie gezeigt wurde, nahm die Bedeutung der Urosepsis in den vergangenen 30 Jahren zu. So ist diese heute die siebthäufigste Ursache einer Sepsis. Die SERPENS-Studie hat 2014 mit 600 prospektiven Patienten begonnen. Die Mortalitätsraten bei schwerer Sepsis betrugen 28% und bei septischem Schock 41%. Bei 6% der Patienten kam es zu postprozeduralen HWI, wovon rund ein Viertel in einer Urosepsis mündete. Sepsis wird nicht mehr wie früher als zunehmende unkontrollierte Entzündung verstanden, die letztlich zum Tod führt. Vielmehr handelt es sich um eine Dysregulation zwischen inflammatorischen und antiinflammatorischen Prozessen, die großteils durch Zytokine vermittelt werden. Die Einschätzung des Sepsisrisikos erfolgt mittels SOFA(„Sepsis-related Organ Failure Assessment“)-Score, in den Parameter der Atmung, des Nervensystems, des Herz-Kreislauf-Systems, der Leber, der Niere sowie der Gerinnung eingehen. Sehr guten prognostischen Wert hat auch der quick SOFA-Score, bei dem nur Atemfrequenz, Bewusstseinstrübung und Blutdruck zu beurteilen sind. In der SERPENS-Studie verstarben alle Patienten mit schlechtem SOFA-Score.
Fournier’sche Gangrän (FG)
Der wichtigste Faktor bei FG ist Zeit, da verlorene Zeit bis zur Operation Gewebe kostet und die Mortalität erhöht. In einer deutschen Studie wurden Überleben und Sekundärfolgen nach FG untersucht. Es zeigte sich, dass die Mortalität mit bis zu 80% immer noch sehr hoch und bei Überlebenden die Lebensqualität aufgrund der Wundsituation massiv beeinträchtigt ist. Eine Option, die Wundheilung zu fördern, stellt die Low-Energy-Stoßwellentherapie (Li-ESWT) dar. Sie führt zur Stimulation des Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) und zu einer vermehrten Revaskularisation. Die Anwendung von den Wundrändern her unterstützt die Wundreinigung und fördert den primären Wundverschluss, sodass eine spätere Hauttransplantation erleichtert wird. Darüber hinaus werden die lokalen Hautverhältnisse wiederhergestellt.
Mikrobiom
Das Mikrobiom spielt eine wichtige Rolle in der Entstehung von urogenitalen Tumoren. So ist auch der Erfolg einer PD-1-Therapie beim Nierenzellkarzinom vom Mikrobiom abhängig und das Überleben nach Antibiotikatherapie kürzer.
Beim Prostatakarzinom (PCa) ist nicht ganz klar, wie chronische Entzündung und Karzinomentstehung assoziiert sind. Bekannt ist, dass verschiedene proinflammatorische Bakterien bei Männern mit PCa angereichert sind und dass sich das Prostatamikrobiom von Männern mit und ohne PCa unterscheidet. Studien zeigen, dass die Präsenz von Ruminococcus, Streptococcus vestibularis und Clostridien mit einer schlechteren Prognose assoziiert sind. Antibiotika können das Mikrobiom beeinflussen und den Verlauf eines kastrationsresistenten PCa ändern. Beim Blasenkarzinom ist bekannt, dass es ein schützendes Mikrobiom gibt, wobei Laktobazillen, Corynebakterien und verschiedene Streptokokkenarten von Bedeutung sind.
Abakterielle Zystitiden
Eine neue Option zur Behandlung der interstitiellen Zystitis/des Blasenschmerzsyndroms (IC/BPS) ist die Anwendung von Platelet-Rich Plasma (PRP). In einer japanischen prospektiven, randomisierten Kontrollstudie wurde PRP mit Hydrodistension der Blase verglichen. Die Patienten erhielten jeweils 5 Behandlungen in 2-wöchigen Intervallen. Nach drei Monaten zeigte sich in beiden Gruppen eine Verbesserung von 7 auf 3,5 Punkte in der visuellen Analogskala (VAS). Während der VAS-Score in der Gruppe mit Hydrodistension nach 12 Monaten wieder angestiegen war, blieb er in der Gruppe mit PRP unverändert. Darüber hinaus sind Hunner-Läsionen bei 74% der PRP-Patienten und bei 28% der Hydrodistension-Patienten verschwunden. Beide Therapien dürften denselben Kurzzeiteffekt haben, PRP dürfte jedoch eine längere Symptomfreiheit gewähren.

Quelle:
C. Riedl: Infektionen und unterer Harntrakt der Frau. Vortrag im Rahmen des 1. Post-EAU: Was bleibt für Klinik und Praxis, 22.3.2023, Wien
Literatur:
bei Prim. Univ.-Doz. Dr. Claus Riedl
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