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Hat die Einführung moderner Systemtherapeutika das Überleben der Patienten wirklich verbessert?
Urologik
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Martin Marszalek
Stellvertreter des Vorstandes<br> Abteilung für Urologie und Andrologie Sozialmedizinisches Zentrum Ost – Donauspital, Wien<br> E-Mail: martin.marszalek@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
14.09.2017
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<p class="article-intro">Die Einführung von Tyrosinkinaseinhibitoren und mTor-Inhibitoren hat die therapeutische Landschaft des metastasierten Nierenzellkarzinoms deutlich verändert. Die vormalige Standardtherapie, eine Kombination von Interleukin 2 und Inferferon alpha, hat heute nur noch historische Bedeutung. Mit den nunmehr verfügbaren Immuntherapeutika steht bereits die nächste Generation medikamentöser Behandlungsoptionen zur Verfügung. Doch hatte die Etablierung eines neuen Therapiestandards tatsächlich einen Einfluss auf das Überleben der Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom in Österreich? Zur Beantwortung dieser Frage wurden knapp 1500 Patienten mit primär metastasiertem Nierenzellkarzinom des österreichischen Krebsregisters retrospektiv analysiert.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Das mittlere Überleben von Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom war seit jeher eher schlecht. Die ehemalige Standardtherapie, bestehend aus einer Kombination aus Interleukin 2 und Interferon alpha, konnte mit einer Ansprechrate von knapp 18 % und einem Gesamtüberleben von rund 17 Monaten daran kaum etwas ändern. Wenig verwunderlich war dementsprechend die große Hoffnung, welche in die neu zugelassene Substanzgruppe der Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) gesetzt wurde. Eine durchgreifende Änderung der Therapielandschaft des metastasierten Nierenzellkarzinoms in Österreich brachte die Zulassung von Sunitinib im Jahr 2006. Von dem daraufhin folgenden breiten Einsatz von TKI und mTor-Inhibitoren wurde fast selbstverständlich ein globaler Überlebensbenefit angenommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Verfügbarkeit von Registerdaten und Langzeitdaten zum Überleben der Gesamtpopulation abseits von Studienkohorten auf sich warten ließ. Umso mehr ist es nun von Interesse, den Einfluss dieser aus gesundheitsökonomischer Sicht nicht unumstrittenen Therapeutika auf die Mortalität des Nierenzellkarzinoms auch aus diesem Blickwinkel zu betrachten.</p> <h2>Datenanalyse aus dem österreichischen Krebsregister</h2> <p><br /> Im österreichischen Krebsregister werden seit 1983 alle Patienten mit der Diagnose „Nierentumor“ erfasst. In einer retrospektiven Datenanalyse des Zeitraumes 1998 bis 2014 wurden durch eine Kooperation mit der Bundesanstalt Statistik Austria aus knapp 18 000 erfassten Nierentumorpatienten 1468 Patienten mit diagnostiziertem, primär metastasiertem Nierenzellkarzinom identifiziert. Ein Mindestalter von 18 Jahren wurde als Einschlusskriterium definiert. In die Studie inkludiert wurden Patienten mit Erstdiagnose der Erkrankung zwischen 1998 und 2009. Diese Patienten wurden anschließend in zwei Gruppen stratifiziert: Patienten mit Erstdiagnose zwischen 1998 und 2003 (Gruppe 1; vor der Zulassung von Sunitinib in Österreich) und Patienten mit Erstdiagnose zwischen 2006 und 2009 (Gruppe 2; nach der Zulassung von Sunitinib in Österreich). In der anschließenden Analyse wurde das Überleben der beiden Kohorten verglichen und mögliche Einflussfaktoren wie Patientenalter, Geschlecht, Tumorstadium und die Rate chirurgischer Interventionen wurden untersucht. <br />Grundsätzliche Parameter wie Alter und Geschlechtsverteilung waren in beiden Gruppen vergleichbar. Interessanterweise zeigte sich im beobachteten Zeitraum eine Abnahme der Tumoren im Stadium T4 (von 15 % auf 6,5 % ) zugunsten einer Zunahme des Tumorstadiums T1 (von 6,6 % auf 10 % ). Dies dürfte eine Folge effektiver Screening- und Früherkennungsmaßnahmen sein, am ehesten des mittlerweile weitverbreiteten Einsatzes der Sonografie sowie der guten Zugänglichkeit von Schnittbildverfahren wie Computertomografie und Magnetresonanztomografie. Die Analyse der Überlebensdaten zeigte eine Verbesserung der Überlebensrate (5 Jahre) bei Patienten mit primär metastasiertem Nierenzellkarzinom nach Operation um knapp 4 % (Abb. 1). Bei Patienten ohne chirurgische Intervention betrug der Überlebensvorteil für Patienten der TKI-Ära nach 5 Jahren knapp 3,5 % . Insgesamt zeigte sich eine Risikoreduktion für Patienten, die in der TKI-Ära behandelt wurden, um knapp 17 % , mit einem zusätzlichen Benefit für Patienten nach tumorchirurgischem Eingriff.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1703_Weblinks_urologik_uro_1703_seite_12_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="867" /></p> <h2>Vergleichbare Ergebnisse anderer Datenbankanalysen</h2> <p><br /> Die Auswertung von Registerdaten erlaubt aufgrund der unabhängigen und breit gestreuten Datenerfassung sowie der davon getrennten Datenanalyse einen groben Überblick über die Behandlungsrealität außerhalb von Studienprotokollen oder der Zentrumsmedizin. Trotzdem gibt es natürlich geläufige Kritikpunkte, die bei der Bewertung von Registerdaten zu berücksichtigen sind. Zum einen beschreiben die erfassten Daten eine Erkrankung nur sehr oberflächlich und lassen keine Rückschlüsse auf einen individuellen Erkrankungsverlauf zu. Gründe hierfür liegen vor allem im berechtigten Schutz von Patienteninteressen (Datenschutz) oder auch in der andernfalls überbordenden Datenmenge, die sich letztendlich negativ auf die Qualität der Datenerfassung auswirkt. Zum anderen hängt eben diese Datenqualität auch von der gleichmäßigen Verteilung der teilnehmenden Kliniken und Zentren ab und ganz maßgeblich von der Motivation derjenigen, die mit der Datenerfassung betraut werden.<br /> Die Ergebnisse unserer Analyse der österreichischen Krebsregisterdaten decken sich durchaus mit Vergleichsuntersuchungen anderer großer Datenbanken, etwa der SEER Database (Surveillance, Epidemiology and End Results, National Cancer Institute, U.S. Department of Health and Human Services). Eine schon etwas länger zurückliegende Analyse von immerhin knapp 23 000 Patienten der SEER Database zeigte eine deutliche Verbesserung des medianen Überlebens (20 Monate vs. 15 Monate) von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom und Behandlung in der TKI-Ära (2005–2008) verglichen mit der Behandlung davor (2000–2003). Neben der Behandlungsperiode waren auch das Alter der Patienten und der Nephrektomiestatus wesentliche Einflussfaktoren für das Überleben. Eine aktualisierte Analyse derselben Datenbank zu diesem Thema zeichnet ein ähnliches Bild mit einem Überlebensvorteil nach 3 Jahren von fast 10 Monaten für nephrektomierte Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom.<br /> Ähnliche Ergebnisse liegen auch für das nicht klarzellige Nierenzellkarzinom vor. Eine weitere Analyse des kalifornischen Krebsregisters untersuchte 4483 Patienten mit papillärem, chromophobem und nicht klassifiziertem Nierenzellkarzinom. Die Vergleichsanalyse wurde wiederum in zwei Gruppen durchgeführt, einer Gruppe der Zytokin-Ära (1998– 2003) und einer Gruppe der TKI-Ära (2004–2009). Auch hier zeigte sich in der univariaten Analyse ein signifikant besseres Gesamtüberleben nach 3 Jahren für die in der TKI-Ära behandelten Patienten (83,7 % vs. 79,6 % ). <br />Abseits gesundheitsökonomischer Überlegungen scheinen die Ergebnisse aus Registeranalysen also die vorliegenden Daten aus Zulassungsstudien oder Analysen großer Zentrumskohorten zu bestätigen. Das Überleben von Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom konnte durch die Einführung von Tyrosinkinaseinhibitoren, die auch binnen kürzester Zeit zu einem neuen Therapiestandard avancierten, deutlich verbessert werden. Dies gilt für die große Gruppe der Patienten mit klarzelligem Nierenzellkarzinom, dürfte aber ebenso auf die Minderheit der Patienten mit papillärem, chromophobem und nicht klassifiziertem Nierenzellkarzinom zutreffen. Mit der Renaissance der Immuntherapie steht nun eine weitere Bereicherung des systemtherapeutischen Armamentariums zur Verfügung. Ob sich daraus der nächste Therapiestandard entwickelt – wir werden es sehen.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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