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Endokrine Disruptoren
Urologik
Autor:
OA Dr. Alexander Dürer
Wiener Gebietskrankenkasse<br> Gesundheitszentrum Wien-Mariahilf<br> Urologische Ambulanz<br> E-Mail: alexander.duerer@wgkk.at
30
Min. Lesezeit
21.03.2019
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<p class="article-intro">„Die Welt wird weiblicher!“ Die Zunahme an Fortpflanzungs- und Entwicklungsstörungen bei Menschen und Wildtieren lässt einen Zusammenhang mit bestimmten Chemikalien erkennen, die unser Hormonsystem beeinflussen. Diese sogenannten „endokrinen Disruptoren“ (ER) stehen auch unter Verdacht, die Entstehung hormonabhängiger Tumoren zu fördern.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Ein Report der Weltgesundheitsorganisation, WHO, von 2012 nennt 800 chemische Substanzen, bei denen nachgewiesen wurde oder vermutet wird, dass sie endokrin aktiv sind. Dies scheint aber nur die Spitze des Eisbergs zu sein, denn viele Stoffe sind noch nicht auf ihre Auswirkung auf den Organismus getestet bzw. es fehlen international standardisierte und validierte Testverfahren.</p> <h2>Wirkung</h2> <p>Endokrine Disruptoren (ER) interagieren mit einem oder mehreren Hormonrezeptoren, können als Agonist oder Antagonist wirken oder Stoffwechselprozesse beeinflussen, die Hormone abbauen. Eine lineare Dosis-Wirkung-Beziehung besteht häufig nicht, d. h., schon geringe Spiegel können eine hohe Aktivität entwickeln. Solche Substanzen können untereinander synergistische und auch potenzierende Effekte haben. Entscheidend ist, in welcher Phase der Organismus diesen Belastungen ausgesetzt ist. Vor allem die präpartale und die frühkindliche Entwicklung gelten als besonders vulnerable Zeiträume. Die Stoffe können über die Luft, Nahrungsmittel bzw. deren Verpackung und durch direkten Hautkontakt in den Körper aufgenommen werden.</p> <h2>Einteilung</h2> <p>Zu den wichtigsten Vertretern der chemischen Substanzen, die als endokrine Disruptoren bezeichnet werden, gehören u. a. Bisphenol A, Dioxine, polychlorierte Biphenyle (PCB), chlorierte Pestizide, Phtalate und Parabene. Ein Teil dieser Stoffe wird auch als „persistent organic pollutants“ (POPs) klassifiziert, d. h., durch ihre chemische Stabilität und lange Halbwertszeit können sie jahrzehntelang in Luft, Boden und Wasser, selbst in Polgebieten, nachgewiesen werden. Sie können sich auch in den Körpern von Menschen, Tieren sowie Pflanzen anreichern. 2004 wurde von 152 Staaten das Stockholmer Übereinkommen unterzeichnet, um in einem ersten Ansatz die Herstellung und den Gebrauch von zwölf Stoffen und Stoffgruppen („dreckiges Dutzend“) einzuschränken oder zu verbieten. Dabei unterscheidet die Stockholmer Konvention auf der einen Seite die gezielt hergestellten Substanzen, wie Pflanzenschutzmittel oder PCB, die auf eine Bannliste kamen und deren Herstellung untersagt wurde. Auf der anderen Seite wurden aber die POPs benannt, die als „Nebenprodukt“ bei „umweltrelevanten Ereignissen“ (Brände, Feuerwerk, Vulkanausbrüche) entstehen und letztlich ebenfalls langfristig in die Umwelt und in die Nahrungskette kommen, wie die Dioxine oder Pentachlorphenol.</p> <h2>Richtlinien</h2> <p>In der EU wird zwar zunehmend auf die Problematik der ER durch Richtlinien und Verordnungen bei chemischen Substanzen und Pflanzenschutzmitteln reagiert, doch wies z. B. die Kritik der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie an einer Verordnung vom Juni 2018 darauf hin, dass es zu viele Schlupflöcher im Bewertungssystem gebe und die Nachweishürden, um solche Stoffe als Hormongifte einzustufen, zu hoch seien.</p> <h2>Bisphenol A</h2> <p>Bisphenol A ist eine der am häufigsten verwendeten Industriechemikalien, es wird u. a. zur Herstellung des Kunststoffes Polycarbonat, des Weiteren für Lacke, Beschichtungen und Kleber verwendet. Polycarbonat ist ein klarer, relativ stabiler und bruchfester Kunststoff, der bis 145°C temperaturbeständig und gegenüber vielen Säuren und Ölen widerstandsfähig ist. Viele (transparente) Haushaltsgeräteteile, Schüsseln für Lebensmittel, hitzebeständige Flaschen und mikrowellengeeignete Kunststoffprodukte sowie CD-Hüllen und Lebensmittelverpackungen bestehen aus Polycarbonat. Bisphenol A ist auch der Ausgangsstoff für Epoxidharze, die unter anderem in Klebern, Oberflächenbeschichtungen, Nagellack sowie Innenbeschichtungen von Getränke- und Konservendosen eingesetzt werden. In einer Studie von 2014 (PloS One 2014; doi: 10.1371/journal. pone.0090332) aus den USA wurden 60 Patienten untersucht, von denen 27 ein Prostatakarzinom hatten. Bei dieser Kohorte wurden erhöhte Bisphenol-A-Spiegel festgestellt. In Babyflaschen und -schnullern ist die Substanz seit 2011 verboten. Ab 2020 darf Bisphenol A in Thermopapier, das z. B. als Kassabon überall in Verwendung ist, nur mehr mit weniger als 0,02 Gewichtsprozent enthalten sein.</p> <h2>Phtalate</h2> <p>Phtalate werden als Weichmacher bei der Herstellung von Polyvinylchlorid (PVC) verwendet, das eigentlich ein harter und spröder Kunststoff ist. Phtalate sind chemisch nicht fest gebunden und können aus der Kunststoffmatrix durch Flüssigkeiten, Fette und Gase herausgelöst werden bzw. ausdünsten oder durch mechanische Belastung aus Bodenbelägen, Teppichen, Tapeten freigesetzt werden. Das deutsche Bundesamt für Risikobewertung hat 2012 Aufnahmepfade bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen abgeschätzt: 37 Lebensmittelgruppen, Spielzeug, Verpackungen, Verbraucherprodukte aus Kunststoff, wie Schuhe, Kosmetika, Parfums, beschichtete Textilien (z. B. Regenjacken, Kunstleder), Farben, Lacke, Benetzungsmittel in Pestiziden, Hausstaub und Innenraumluft von Autos und Kfz-Bauteile. Als Hauptaufnahmequelle gelten Lebensmittel. Bei Erwachsenen wurden sehr geringe Mengen festgestellt, ohne Hinweis auf ein gesundheitliches Risiko. Jedoch sind Kinder, v. a. Kleinkinder, stärker belastet, da sie am Boden krabbeln und Dinge in den Mund stecken.</p> <h2>Parabene</h2> <p>Parabene werden als Konservierungsstoffe für Kosme tika, wie Cremes, Lotionen oder Sonnenschutzmittel, aber auch in Lebensmitteln zur Verhinderung einer Verkeimung eingesetzt. Von Dermatologen werden sie aufgrund ihres geringen allergenen Potenzials geschätzt. Langkettige Parabene, wie z. B. Benzyl-, Phenyl-, Pentyl- und Isopropylparaben, wurden mittlerweile wegen ihrer östrogenen Wirkung verboten. Kurzkettige Substanzen wie Methyl- und Ethylparaben gelten als sicher. Bei Butylparaben wurden bei Ratten ein negativer Einfluss auf die Testosteronsekretion und die Spermienproduktion sowie eine Erhöhung des Uterusgewichts festgestellt. Für diese Substanz wurden die Grenzwerte bei Konsumprodukten deutlich herabgesetzt.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Das Problem bei der Thematik besteht darin, dass viele chemische Substanzen bisher noch gar nicht auf ihre endokrine Wirkung getestet wurden, wie aus dem Bericht der WHO von 2012 hervorgeht. Außerdem stammen die meisten Erkenntnisse aus Tierversuchen, bei denen nur einzelne Stoffe untersucht werden, um gesundheitliche Auswirkungen zu ermitteln und dann Normwerte für Produkte abzuleiten. Dabei wird jedoch nicht auf die Vielzahl der Stoffe eingegangen, denen wir durch Luft, Wasser, Ernährung und Kontakt mit Konsumprodukten ausgesetzt sind. Summierende und potenzierende Effekte können postuliert, aber nicht in prospektiven Studien nachgewiesen werden.</p> </div></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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