© Getty Images

Endokrine Disruptoren

<p class="article-intro">„Die Welt wird weiblicher!“ Die Zunahme an Fortpflanzungs- und Entwicklungsstörungen bei Menschen und Wildtieren lässt einen Zusammenhang mit bestimmten Chemikalien erkennen, die unser Hormonsystem beeinflussen. Diese sogenannten „endokrinen Disruptoren“ (ER) stehen auch unter Verdacht, die Entstehung hormonabhängiger Tumoren zu fördern.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Ein Report der Weltgesundheitsorganisation, WHO, von 2012 nennt 800 chemische Substanzen, bei denen nachgewiesen wurde oder vermutet wird, dass sie endokrin aktiv sind. Dies scheint aber nur die Spitze des Eisbergs zu sein, denn viele Stoffe sind noch nicht auf ihre Auswirkung auf den Organismus getestet bzw. es fehlen international standardisierte und validierte Testverfahren.</p> <h2>Wirkung</h2> <p>Endokrine Disruptoren (ER) interagieren mit einem oder mehreren Hormonrezeptoren, k&ouml;nnen als Agonist oder Antagonist wirken oder Stoffwechselprozesse beeinflussen, die Hormone abbauen. Eine lineare Dosis-Wirkung-Beziehung besteht h&auml;ufig nicht, d. h., schon geringe Spiegel k&ouml;nnen eine hohe Aktivit&auml;t entwickeln. Solche Substanzen k&ouml;nnen untereinander synergistische und auch potenzierende Effekte haben. Entscheidend ist, in welcher Phase der Organismus diesen Belastungen ausgesetzt ist. Vor allem die pr&auml;partale und die fr&uuml;hkindliche Entwicklung gelten als besonders vulnerable Zeitr&auml;ume. Die Stoffe k&ouml;nnen &uuml;ber die Luft, Nahrungsmittel bzw. deren Verpackung und durch direkten Hautkontakt in den K&ouml;rper aufgenommen werden.</p> <h2>Einteilung</h2> <p>Zu den wichtigsten Vertretern der chemischen Substanzen, die als endokrine Disruptoren bezeichnet werden, geh&ouml;ren u. a. Bisphenol A, Dioxine, polychlorierte Biphenyle (PCB), chlorierte Pestizide, Phtalate und Parabene. Ein Teil dieser Stoffe wird auch als &bdquo;persistent organic pollutants&ldquo; (POPs) klassifiziert, d. h., durch ihre chemische Stabilit&auml;t und lange Halbwertszeit k&ouml;nnen sie jahrzehntelang in Luft, Boden und Wasser, selbst in Polgebieten, nachgewiesen werden. Sie k&ouml;nnen sich auch in den K&ouml;rpern von Menschen, Tieren sowie Pflanzen anreichern. 2004 wurde von 152 Staaten das Stockholmer &Uuml;bereinkommen unterzeichnet, um in einem ersten Ansatz die Herstellung und den Gebrauch von zw&ouml;lf Stoffen und Stoffgruppen (&bdquo;dreckiges Dutzend&ldquo;) einzuschr&auml;nken oder zu verbieten. Dabei unterscheidet die Stockholmer Konvention auf der einen Seite die gezielt hergestellten Substanzen, wie Pflanzenschutzmittel oder PCB, die auf eine Bannliste kamen und deren Herstellung untersagt wurde. Auf der anderen Seite wurden aber die POPs benannt, die als &bdquo;Nebenprodukt&ldquo; bei &bdquo;umweltrelevanten Ereignissen&ldquo; (Br&auml;nde, Feuerwerk, Vulkanausbr&uuml;che) entstehen und letztlich ebenfalls langfristig in die Umwelt und in die Nahrungskette kommen, wie die Dioxine oder Pentachlorphenol.</p> <h2>Richtlinien</h2> <p>In der EU wird zwar zunehmend auf die Problematik der ER durch Richtlinien und Verordnungen bei chemischen Substanzen und Pflanzenschutzmitteln reagiert, doch wies z. B. die Kritik der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Endokrinologie an einer Verordnung vom Juni 2018 darauf hin, dass es zu viele Schlupfl&ouml;cher im Bewertungssystem gebe und die Nachweish&uuml;rden, um solche Stoffe als Hormongifte einzustufen, zu hoch seien.</p> <h2>Bisphenol A</h2> <p>Bisphenol A ist eine der am h&auml;ufigsten verwendeten Industriechemikalien, es wird u. a. zur Herstellung des Kunststoffes Polycarbonat, des Weiteren f&uuml;r Lacke, Beschichtungen und Kleber verwendet. Polycarbonat ist ein klarer, relativ stabiler und bruchfester Kunststoff, der bis 145&deg;C temperaturbest&auml;ndig und gegen&uuml;ber vielen S&auml;uren und &Ouml;len widerstandsf&auml;hig ist. Viele (transparente) Haushaltsger&auml;teteile, Sch&uuml;sseln f&uuml;r Lebensmittel, hitzebest&auml;ndige Flaschen und mikrowellengeeignete Kunststoffprodukte sowie CD-H&uuml;llen und Lebensmittelverpackungen bestehen aus Polycarbonat. Bisphenol A ist auch der Ausgangsstoff f&uuml;r Epoxidharze, die unter anderem in Klebern, Oberfl&auml;chenbeschichtungen, Nagellack sowie Innenbeschichtungen von Getr&auml;nke- und Konservendosen eingesetzt werden. In einer Studie von 2014 (PloS One 2014; doi: 10.1371/journal. pone.0090332) aus den USA wurden 60 Patienten untersucht, von denen 27 ein Prostatakarzinom hatten. Bei dieser Kohorte wurden erh&ouml;hte Bisphenol-A-Spiegel festgestellt. In Babyflaschen und -schnullern ist die Substanz seit 2011 verboten. Ab 2020 darf Bisphenol A in Thermopapier, das z. B. als Kassabon &uuml;berall in Verwendung ist, nur mehr mit weniger als 0,02 Gewichtsprozent enthalten sein.</p> <h2>Phtalate</h2> <p>Phtalate werden als Weichmacher bei der Herstellung von Polyvinylchlorid (PVC) verwendet, das eigentlich ein harter und spr&ouml;der Kunststoff ist. Phtalate sind chemisch nicht fest gebunden und k&ouml;nnen aus der Kunststoffmatrix durch Fl&uuml;ssigkeiten, Fette und Gase herausgel&ouml;st werden bzw. ausd&uuml;nsten oder durch mechanische Belastung aus Bodenbel&auml;gen, Teppichen, Tapeten freigesetzt werden. Das deutsche Bundesamt f&uuml;r Risikobewertung hat 2012 Aufnahmepfade bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen abgesch&auml;tzt: 37 Lebensmittelgruppen, Spielzeug, Verpackungen, Verbraucherprodukte aus Kunststoff, wie Schuhe, Kosmetika, Parfums, beschichtete Textilien (z. B. Regenjacken, Kunstleder), Farben, Lacke, Benetzungsmittel in Pestiziden, Hausstaub und Innenraumluft von Autos und Kfz-Bauteile. Als Hauptaufnahmequelle gelten Lebensmittel. Bei Erwachsenen wurden sehr geringe Mengen festgestellt, ohne Hinweis auf ein gesundheitliches Risiko. Jedoch sind Kinder, v. a. Kleinkinder, st&auml;rker belastet, da sie am Boden krabbeln und Dinge in den Mund stecken.</p> <h2>Parabene</h2> <p>Parabene werden als Konservierungsstoffe f&uuml;r Kosme tika, wie Cremes, Lotionen oder Sonnenschutzmittel, aber auch in Lebensmitteln zur Verhinderung einer Verkeimung eingesetzt. Von Dermatologen werden sie aufgrund ihres geringen allergenen Potenzials gesch&auml;tzt. Langkettige Parabene, wie z. B. Benzyl-, Phenyl-, Pentyl- und Isopropylparaben, wurden mittlerweile wegen ihrer &ouml;strogenen Wirkung verboten. Kurzkettige Substanzen wie Methyl- und Ethylparaben gelten als sicher. Bei Butylparaben wurden bei Ratten ein negativer Einfluss auf die Testosteronsekretion und die Spermienproduktion sowie eine Erh&ouml;hung des Uterusgewichts festgestellt. F&uuml;r diese Substanz wurden die Grenzwerte bei Konsumprodukten deutlich herabgesetzt.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Das Problem bei der Thematik besteht darin, dass viele chemische Substanzen bisher noch gar nicht auf ihre endokrine Wirkung getestet wurden, wie aus dem Bericht der WHO von 2012 hervorgeht. Au&szlig;erdem stammen die meisten Erkenntnisse aus Tierversuchen, bei denen nur einzelne Stoffe untersucht werden, um gesundheitliche Auswirkungen zu ermitteln und dann Normwerte f&uuml;r Produkte abzuleiten. Dabei wird jedoch nicht auf die Vielzahl der Stoffe eingegangen, denen wir durch Luft, Wasser, Ern&auml;hrung und Kontakt mit Konsumprodukten ausgesetzt sind. Summierende und potenzierende Effekte k&ouml;nnen postuliert, aber nicht in prospektiven Studien nachgewiesen werden.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
Back to top