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Blasenentleerung bei hoher, kompletter Querschnittslähmung der Frau

<p class="article-intro">Oberste Ziele der Rehabilitation bei Patientinnen und Patienten mit Querschnittslähmung sind die Erhaltung der üblichen Lebenserwartung und die Gewährung einer guten Lebensqualität. Die Tetraplegie stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich anhand von Fallbeispielen mit den urologischen Aspekten der Rehabilitation tetraplegischer Frauen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Versorgungsunterschiede bei tetraplegischen Frauen und M&auml;nnern beachten</li> <li>Oberstes Ziel: Selbstversorgung &ndash; auch in der Blasenentleerung</li> <li>Katheterismus im Rollstuhl erw&uuml;nscht</li> <li>Zugang bei Frauen nur mit (Nabel-)Stoma m&ouml;glich</li> </ul> </div> <p>Die Selbstversorgung bei tetraplegischen Patientinnen ist eine besondere Aufgabe, da bei Frauen geschlechtsspezifische, erschwerende Faktoren zu beachten sind. Vor allem die Frage der Kontinenz ist bei Frauen noch wichtiger, weil die Versorgung deutlich komplexer ist.</p> <h2>Neurologische und urologische Grundlagen</h2> <p>Es sind weltweit mehr als 2,7 Millionen Patientinnen und Patienten von Querschnittsl&auml;hmung betroffen, es kommen jedes Jahr circa 130 000 F&auml;lle dazu. In &Ouml;sterreich sind aktuell 4000 posttraumatische Querschnittsl&auml;hmungen registriert, j&auml;hrlich kommen 200&ndash;250 F&auml;lle mit dieser Diagnose hinzu.<br /> Die h&auml;ufigste Ursache der Querschnittsl&auml;hmung ist das Wirbels&auml;ulen-Trauma, u. a. durch Verkehrsunf&auml;lle, St&uuml;rze bzw. Extremsport. Weitere, seltenere Ursachen sind: neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Durchblutungsst&ouml;rungen bzw. Raumforderungen des Myelons.<br /> Die Nachsorge ist sehr komplex. Die Patienten ben&ouml;tigen regelm&auml;&szlig;ige orthop&auml;dische, neurologische, unfallchirurgische bzw. urologische Kontrollen und Eingriffe.<br /> Nach Angaben der Betroffenen bedeuten die Blasen- und Mastdarmentleerungsst&ouml;rung die gr&ouml;&szlig;ten Einschr&auml;nkungen im Alltag, noch vor der Bewegungsst&ouml;rung. Die vegetativen Beschwerden verursachen oft mehr Komplikationen als der Bewegungsapparat selbst.<br /> Bei der Diagnose wird die L&auml;sionsh&ouml;he als letztes intaktes Segment definiert. Diese kann nach klinischer Untersuchung anhand des Dermatoms, der Kennmuskel bzw. mithilfe der Bildgebung beschrieben werden. Mit der Zeit kann sich die neurologische H&ouml;he, aufsteigend oder sinkend, minimal &auml;ndern.<br /> Eine genaue Definition der hohen Querschnittsl&auml;hmung gibt es nicht. Aus urologischer Sicht wird die anatomische H&ouml;he Th 6 als wichtige Grenze gedeutet, da bei h&ouml;heren L&auml;sionen mit einer autonomen Dysreflexie der distal liegenden vegetativen Bahnen gerechnet werden muss. Eine lebensbedrohliche Verletzung besteht bei C 2/3 wegen des wahrscheinlichen Ausfalls des N. phrenicus. Aus der Sicht der Selbstst&auml;ndigkeit und Funktion der oberen Extremit&auml;ten ist C 5 eine wichtige Grenze. Unsere Fallbeispiele behandeln F&auml;lle von tetraplegischen Frauen mit einem L&auml;hmungsniveau h&ouml;her als C 5.<br /> Bei einer frisch aufgetretenen Querschnittsl&auml;hmung &ndash; unabh&auml;ngig von H&ouml;he und Ursache &ndash; ist aus urologischer Sicht die Sicherstellung der Blasenentleerung entscheidend. Erst nach der Akutphase ist eine weiterf&uuml;hrende Diagnostik notwendig.<br /> Bei der hohen, kompletten Querschnittsl&auml;hmung sowie auch bei allen tieferen suprasakralen spinalen L&auml;sionen besteht eine neurogene Detrusor&uuml;beraktivit&auml;t zusammen mit einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie, bei gleichzeitiger Asensitivit&auml;t der Harnblase. Fr&uuml;her wurde diese Funktionsst&ouml;rung zutreffend spastische Blase oder Reflexblase genannt, laut aktueller Definition ist die Bezeichnung &bdquo;suprasakrale, neurogene Blase&ldquo; richtig.<br /> Bei einer &bdquo;spastischen&ldquo; Blase sind mehrere Ma&szlig;nahmen zur Blasentleerung m&ouml;glich. Zwei Untergruppen sollten differenziert werden: gut erhaltene Handfunktion (Paraplegie) und keine ausreichende Handfunktion (Tetraplegie).</p> <h2>Gut erhaltene Handfunktion, Paraplegie</h2> <p>In dieser Untergruppe sind beinahe die gleichen Optionen bei Frauen und M&auml;nnern m&ouml;glich. H&auml;ufigste Methode ist der intermittierende Selbstkatheterismus in Kombination mit antimuskarinerger Therapie. In Einzelf&auml;llen bei schlechter Handfunktion ist auch eine getriggerte Entleerung mit oder ohne Sphinkterotomie m&ouml;glich, diese ist aber bei Frauen wegen des erschwerten Auffangens des Harnes nicht praktikabel. Bei M&auml;nnern jedoch mit Kondom- Urinal &ndash; nach Evaluierung des Status und Aufkl&auml;rung des Patienten &ndash; auf Wunsch m&ouml;glich. Eine Blasenaugmentation ist bei geringer Blasenkapazit&auml;t bzw. bei nicht therapierbaren, hohen intravesikalen Dr&uuml;cken zu erw&auml;gen. Auch ein katheterisierbares Stoma ist eine Option. Ein suprapubischer bzw. transurethraler Dauerkatheter sollte wegen Langzeitkomplikationen vermieden oder nur als Ultima Ratio in Betracht gezogen werden.</p> <h2>Keine ausreichende Handfunktion, Tetraplegie</h2> <p>Die Evaluierung muss geschlechtsspezifisch erfolgen. Der intermittierende Selbstkatheterismus ist bei M&auml;nnern in einigen F&auml;llen m&ouml;glich, auch der Fremdkatheterismus kann unter Umst&auml;nden im Rollstuhl, ohne Transfer durchgef&uuml;hrt werden. Eine Sphinkterotomie mit der Verwendung eines Kondom-Urinals ist ebenso eine m&ouml;gliche L&ouml;sung.<br />Bei Frauen bestehen erschwerende Faktoren. Der Selbstkatheterismus kann ohne guter Handfunktion weder im Rollstuhl noch im Bett durchgef&uuml;hrt werden. Selbst der Fremdkatheterismus st&ouml;&szlig;t meistens auf erhebliche Hindernisse wegen der notwendigen Lagerung und/oder Transfer und wegen m&ouml;glicher Spasmen. Das bedeutet, dass die Patientin f&uuml;r Umlagerungen und f&uuml;r die Katheterisierung auf Hilfe weiterer Personen angewiesen ist. Dabei sollte der Katheterismus t&auml;glich 4&ndash;5-mal durchgef&uuml;hrt werden, ein extrem hoher Pflegeaufwand bzw. eine hochgradige Einschr&auml;nkung des selbstst&auml;ndigen Lebens. Des Weiteren ist die Inkontinenz bei Frauen schwer versorgbar, trotz modernster Einlagen muss mit dermatologischen Komplikationen gerechnet werden.<br /> Die suprasakrale, neurogene Blase kann auch mit einem sakralen Vorderwurzelstimulator (SARS) nach Brindley versorgt werden, diese Methode ist jedoch nur mehr in wenigen Zentren weltweit im Einsatz.</p> <h2>M&ouml;gliche Therapieans&auml;tze f&uuml;r junge tetraplegische Frauen mit Kinderwunsch &ndash; Fallbeispiele</h2> <p>In den letzten 5 Jahren haben wir in unserer Klinik 2 junge Frauen mit frisch erlittener Tetraplegie betreut. Ursache war in beiden F&auml;llen ein Trauma beim Sport. Betroffene sehen es heutzutage als selbstverst&auml;ndlich an, dass nach Abschluss der Rehabilitation die R&uuml;ckkehr ins Berufsleben m&ouml;glich ist. So muss auch das urologische Ziel die maximale Selbstst&auml;ndigkeit im Blasenmanagement sein. Das hei&szlig;t selbstst&auml;ndige Blasenentleerung und Sicherheit vor Harninkontinenz. Dementsprechend w&auml;hlten wir eine Therapieoption mit katheterisierbarem Stoma, da im Vorfeld in beiden F&auml;llen mit entsprechender medikament&ouml;ser Therapie eine ausreichende Blasenkapazit&auml;t und die manuelle F&auml;higkeit f&uuml;r die Handhabe des Selbstkatheterismus &uuml;ber ein Nabelstoma gesichert werden konnte.<br /> Bei der pr&auml;operativen Abkl&auml;rung spielte die Urodynamik eine Schl&uuml;sselrolle (Abb. 1). Bei den Patientinnen wurde unter antimuskarinerger Therapie eine Blasenkapazit&auml;t von 400&ndash;600 ml erreicht. Unter Fremdkatheterismus 4&ndash;6-mal am Tag waren sie kontinent. Wegen der ausreichenden Kapazit&auml;t war keine gleichzeitige Blasenaugmentation notwendig. Bei der Operation wurde zuerst eine diagnostische Laparoskopie durchgef&uuml;hrt, um den Appendix zu beurteilen. In beiden F&auml;llen war er intakt, somit konnte die Operation durchgef&uuml;hrt werden. Das neu geschaffene Nabelstoma ist selbst mit eingeschr&auml;nkter Handfunktion gut erreichbar und ist kontinent (Abb. 2). Bei dem Mitrofanoff-Stoma ist jedoch eine der h&auml;ufigsten Komplikation die Verengung, Vernarbung des Stomas. Um diese als Fr&uuml;hkomplikation zu vermeiden, wurde ein Dauerkatheter zur Schienung f&uuml;r ca. 6&ndash;8 Wochen belassen, um erst dann mit dem Selbstkatheterismus anzufangen. Die postoperativen Kontrollen zeigten zufriedenstellende urodynamische Befunde, das hei&szlig;t, die Blasenkapazit&auml;t hat sich kaum ge&auml;ndert und die Patientinnen blieben mit Antimuskarinergika weiterhin kontinent. In beiden F&auml;llen ist der Katheterismus ohne Hilfe m&ouml;glich bzw. sind keine Komplikationen aufgetreten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Urologik_Uro_1903_Weblinks_uro_1903_s16_abb1_gulacsi.jpg" alt="" width="1455" height="1093" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Urologik_Uro_1903_Weblinks_uro_1903_s16_abb2_gulacsi.jpg" alt="" width="723" height="518" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Burgd&ouml;rfer H et al.: Manual &ndash; Neuro-Urologie und Querschnittl&auml;hmung, Leitlinien zur urologischen Betreuung Querschnittgel&auml;hmter. 3. &uuml;berarbeitete Auflage (2002); aus dem Arbeitskreis Urologische Rehabilitation Querschnittgel&auml;hmter &bull; S2k-Leitlinie der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft f&uuml;r Paraplegie (DMGP). Neurourologische Versorgung querschnittgel&auml;hmter Patienten. Erarbeitet durch den Arbeitskreis Neuro-Urologie der Deutschsprachigen, Medizinischen Gesellschaft f&uuml;r Paraplegie (DMGP) &bull; Blok B et al.: Neuro-urology, Guidelines, European Association of Urology &bull; Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA): Auszug aus der Statistik 2017; Ausgabe 2018 &bull; Adriaansen JJ et al.: Bladder-emptying methods, neurogenic lower urinary tract dysfunction and impact on quality of life in people with long-term spinal cord injury. J Spinal Cord Med 2016; 8: 1-11 &bull; Hakenberg OW et al.: Application of the Mitrofanoff Principle for intermittent selfcatheterisation in quadriplegic patients. Urology 2001; 58: 38-42 &bull; Pannek J, Bertschy S.: Mission impossible? Urological management of patients with spinal cord injury during pregnancy: a systematic review. Spinal Cord 2011; 49: 1028-32</p> </div> </p>
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