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Antibiotikaresistenzen im ambulanten und stationären Bereich
Urologik
Autor:
Dr. Sebastian Graf
Klinik für Urologie und Andrologie<br> Kepler Universitätsklinikum Linz<br> E-Mail: sebastian.graf@kepleruniklinikum.at
30
Min. Lesezeit
21.08.2019
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<p class="article-intro">In der Urologie gehört die Therapie bakterieller Erkrankungen zum täglichen Brot. Während bei unkomplizierten Harnwegsinfekten eine treffsichere empirische Antibiose vornehmlich die ökonomische Last mindert,<sup>1</sup> kann sie bei komplizierten Infektionen auch die Mortalität senken.<sup>2</sup> Vor dem Hintergrund steigender Antibiotikaresistenzlagen ist eine Kenntnis über die lokale Entwicklung eminent wichtig.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Kenntnis über die lokale Resistenzlage erlaubt genauere empirische Therapie.</li> <li>Die Resistenz oral verfügbarer Antibiotika steigt besonders im stationären Bereich.</li> <li>Das Keimspektrum und das Resistenzmuster unterscheiden sich teils erheblich zwischen ambulanten und stationären Patienten.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund und Methoden</h2> <p>Harnwegsinfekte sind die häufigsten bakteriellen Erkrankungen des menschlichen Körpers<sup>1</sup> und einer der häufigsten Gründe, weswegen Patienten ärztlichen Kontakt suchen. Der teilweise unkritische Einsatz von antimikrobiellen Substanzen in allen Fachgebieten bringt zunehmend multiresistente Erreger hervor. <br />Aus multinationalen Resistenzmonitoring- Programmen wie dem der WHO (Global Antimicrobial Resistance Surveillance System, GLASS), der EU (European Antimicrobial Resistance Surveillance Network, EARSS) sowie dem österreichischen Resistenzbericht AURES wissen wir um Unterschiede im Keim- und Resistenzspektrum, auch bei kleinen geografischen Differenzen. <br />Ebenso ist das Keimspektrum unkomplizierter Harnwegsinfekte aus großen epidemiologischen Studien prinzipiell bekannt, wobei die meisten Arbeiten hier auch Therapieversager nach empirischer Antibiose – und somit komplizierte Infektionen – einschließen und das wahre Spektrum unkomplizierter Harnwegsinfekte verfälschen.<sup>3</sup> In den methodisch saubersten Daten finden sich in etwa 75 % <em>Escherichia coli</em>, gefolgt von weiteren gramnegativen Keimen.<sup>4</sup> Enterokokken finden sich häufig bei Mischinfektionen, jedoch wird deren Pathogenität bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen weiterhin diskutiert.<sup>5</sup> Bei komplizierten Harnwegsinfekten finden sich teils ausgeprägte Unterschiede im Keim- und Resistenzmuster.<sup>6</sup> Im klinischen Alltag kommen wir jedoch mit allen Domänen der Infektion in Kontakt, welche jeweils eine zielgerichtete empirische Therapie verlangen. <br />Die passendste Antibiotikaauswahl kann sich jedoch nicht allein an den Resistenzraten festmachen. Viele Substanzen induzieren über ihren kurzfristigen Effekt hinaus teilweise erhebliche „Flurschäden“, da sie, wie im Falle von Fluorchinolonen, über Veränderungen der Darmflora Resistenzen in fast allen anderen Antibiotikaklassen hervorrufen.<sup>7</sup> Cephalosporine weisen bei oraler Darreichungsform nicht nur eine geringe effektive Bioverfügbarkeit auf, sie begünstigen, über Selektionsdruck gegenüber der Entwicklung von β-Laktamasen, auch spätere Infektionen mit komplizierten Keimen.<sup>7</sup> Schwierigkeiten bereitet auch die eingeschränkte Anwendbarkeit vieler Antibiotika abhängig von der Nierenfunktion, ein Umstand, der bei zunehmenden Zahlen von Patienten fortgeschrittenen Alters weiter an Relevanz gewinnt.</p> <h2>Beobachtungsstudie mit knapp 6000 Bakterienisolaten</h2> <p>Vor diesem Hintergrund drängt sich nun die Frage auf, mit welchem Keim- und Resistenzmuster wir auf der Station und in den Ambulanzen zu rechnen haben. Da Harnkulturen (Uricult<sup>®</sup>) bei klinischem Verdacht auf Infektion hier routinemäßig angelegt werden, lässt sich dieses Muster auch einfach zeichnen. Jeder Querschnitt zu einem bestimmten Zeitpunkt ist aber nur ein Ausriss, die antibiotische Resistenzentwicklung als dynamischer Prozess muss also entlang einer Zeitachse beurteilt werden. In dieser Beobachtungsstudie wurden 5859 Bakterienisolate aus Harnkulturen im Zeitraum von 2015 bis 2018 erhoben, davon 3980 von ambulanten Patienten und 1879 von stationären Patienten. Insgesamt konnten 34 verschiedene Bakterienstämme identifiziert werden. Die fünf häufigsten Keime waren (in absteigender Reihenfolge) <em>Escherichia coli</em>, <em>Enterococcus faecalis</em>, <em>Pseudomonas aeruginosa</em>, <em>Klebsiella pneumoniae</em> und <em>Proteus mirabilis</em>. Diese fünf Keime bilden 82,12 % des Keimspektrums im gesamten erhobenen Material ab. <br />Patienten, welche an einer urologischen Klinik vorstellig werden, weisen natürlich ein komplizierteres Keim- und Resistenzmuster auf als solche im extramuralen Bereich. Auch die vorliegenden Daten sind im Kontext dieses Selektionseffekts zu betrachten.</p> <h2>Zahl der Resistenzen steigt</h2> <p>Im beobachteten Zeitraum stiegen die Resistenzraten quasi aller oral verfügbaren Antibiotika an, mit Ausnahme von Fosfomycin (<em>E. coli</em> 2018: Ambulanz 2,3 %; Station 4,5 %). Die markanteste Steigerung findet sich bei Fluorchinolonen (Ciprofloxacin – E<em>. coli</em> 2018: Ambulanz 19,4 %; Station 29 %), welche nur bei P. mirabilis rückläufige Raten aufweisen (<em>E. coli</em> 2018: Ambulanz 24,2 %; Station 19 %). Die Verwunderung über diese Entwicklung (diese Substanzgruppe zählt seit mehr als zehn Jahren nicht mehr zur ersten Wahl bei der Therapie unkomplizierter Harnwegsinfekte) lässt sich aufwiegen mit der relativen Alternativlosigkeit bei gramnegativen Erregern, welche sich in der nahen Zukunft nicht maßgeblich verbessern wird. <br />Bei Aminopenicillinen lässt sich eine stabile Entwicklung beobachten. Wenngleich auf hohem Niveau, sind die Resistenzraten hier etwas geringer als im europäischen und nationalen Vergleich (<em>E. coli</em>: 45 % vs. 55,1 %). Besonders Mischinfektionen durch Enterokokken resultieren oft in der Verlegenheit, auf diese Substanzgruppe trotz hoher Resistenzen zurückzugreifen. <br />Die Resistenzen von <em>E. coli</em>, <em>P. aeruginosa</em> und <em>P. mirabilis</em> gegenüber Cephalosporinen verhielten sich im Beobachtungszeitraum stabil und lagen unter den nationalen und europäischen Vergleichsdaten (Ceftazidim: Ambulanz 7,5 %/ 7,3 % /0,7 %; Station 8,8 %/ 12,8 % /0,7 %). Eine Ausnahme bildet hier Cefuroxim, bei dem im stationären Setting bei E. coli steigende Resistenzraten zu beobachten sind (2018: 16 %). Vorsicht ist hier aufgrund der Prävalenz von „Extended-spectrum“-<em>β</em>-Laktamasen (ESBL) und des erhöhten Risikos von <em>Clostridiumdifficile</em>-Infektionen geboten.<sup>8</sup> <br />Glücklicherweise konnte in allen vier beobachteten Jahren keine Resistenz gegenüber Carbapenemen in E. coli, P. mirabilis und K. pneumoniae nachgewiesen werden. In der einzigen Keimklasse mit relevanten Resistenzen (P. aeruginosa) sind diese rückläufig und ähneln nun jenen von Blutkulturen im lokalen Vergleich (13,5 % vs. 13,9 %).<sup>9</sup> Diese Entwicklung ist insofern vorteilhaft, da diese Substanzgruppe die höchste errechnete „Trefferwahrscheinlichkeit“ bezogen auf die Erregerinzidenz aufweist (3,8 %). Abgesehen von der Behandlung von kritisch kranken Patienten dürfen Carbapeneme jedoch keinen Stellenwert in der empirischen Therapie haben.<br /> Mecillinam und Nitrofurantoin sind aufgrund ihres niedrigen Risikos für mikrobiologische Kollateralschäden in der empirischen Therapie unkomplizierter Harnwegsinfekte sehr attraktiv. Daten sind nur vom letzten Beobachtungsjahr verfügbar, sie zeigten aber sehr niedrige Resistenzraten (Mecillinam: 4 %; Nitrofurantoin: 1 %). Die aktuellen First-Line-Empfehlungen der Leitlinien der European Association of Urology (EAU) und der S3-Leitlinien bei unkomplizierten Infekten (Mecillinam, Fosfomycin und Nitrofurantoin) können also auch bei den derzeitigen Patientenkollektiven empfohlen werden.</p> <h2>Hochproblematische Resistenzen gegenüber Fluorchinolonen</h2> <p>Im stationären Setting bereiten steigende Resistenzraten bei Fluorchinolonen Anlass zur Sorge (Ciprofloxacin – E. coli 2018: 29 %), da diese Substanzgruppe aufgrund ihres Wirkspektrums und der relativ problemlosen Dosierung noch einen hohen Stellenwert in der empirischen Antibiose vieler komplizierter urologischer Krankheitsbilder hat. Angesichts der erweiterten FDA-Warnung vom Ende des vergangenen Jahres rückt dies noch weiter in den Fokus.<sup>10</sup> Nun nähert sich die Resistenzlage jener von Blutkulturen anderer urologischer Kliniken an (29,7 %). Diese Entwicklung ist prinzipiell bekannt, hier ist das urologische Fachgebiet auch nicht der alleinige Verursacher – aber es wird eine koordinierte Gegenentwicklung in der gesamten Medizin brauchen, um diesen Trend zu revidieren und die Substanzgruppe auch in Zukunft verfügbar zu halten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Urologik_Uro_1903_Weblinks_uro_1903_s11_abb1_graf.jpg" alt="" width="1456" height="1144" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Urologik_Uro_1903_Weblinks_uro_1903_s12_abb2_graf.jpg" alt="" width="450" height="645" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Foxman B: Epidemiology of urinary tract infections: incidence, morbidity, and economic costs. Am J Med 2002; 113 Suppl 1A: 5-13S <strong>2</strong> Dellinger RP et al.: Surviving sepsis campaign: international guidelines for management of severe sepsis and septic shock: 2012. Critical care med 2013; 41(2): 580-637 <strong>3</strong> Leitlinienprogramm DGU. Interdisziplinäre S3-Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. Langversion 1.1–2. [Online] 2017; Zugriff am 17.05.2019 <strong>4</strong> Kahlmeter G: An international survey of the antimicrobial susceptibility of pathogens from uncomplicated urinary tract infections: the ECOmiddle dotSENS Project. J Antimicrob Chemother 2003; 51(1): 69-76 <strong>5</strong> Hooton TM et al.: Voided midstream urine culture and acute cystitis in premenopausal women. N Engl J Med 2013; 369(20): 1883- 916 <strong>6</strong> Peterson J et al.: Identification and pretherapy susceptibility of pathogens in patients with complicated urinary tract infection or acute pyelonephritis enrolled in a clinical study in the United States from november 2004 through april 2006. Clin Ther 2007; 29(10): 2215-21 <strong>7</strong> Paterson DL.: “Collateral Damage” from cephalosporin or quinolone antibiotic therapy. Clin Infect Dis 2004; 38 (Suppl 4): S341-5 <strong>8</strong> Owens, Jr. RC et al.: Antimicrobialassociated risk factors for clostridium difficile infection. Clin Infect Dis 2008; 46(s1): S19-31 <strong>9</strong> BMGF: Resistenzbericht Österreich AURES 2017 (Resistance Report Austria 2017). 2017; 1-442 <strong>10</strong> FDA: FDA updates warnings for fluoroquinolone antibiotics on risks of mental health and low blood sugar adverse reactions. [Online] 2018; https:// www.fda.gov/news-events/press-announcements/fdaupdates- warnings-fluoroquinolone-antibiotics-risks-mental- health-and-low-blood-sugar-adverse; Zugriff am 12.06.2019</p>
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