
Vorgehen nach EULAR-Algorithmus
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Die europäische Fachgesellschaft EULAR hat ihre Empfehlungen für das Management der rheumatoiden Arthritis 2019 aktualisiert.1 Am SGR-Jahreskongress erläuterte PD Dr. med. Rüdiger Müller, Klinik für Rheumatologie, Kantonsspital Aarau, das praktische Vorgehen nach der Guideline. Er ging dabei auch auf Graubereiche, eigene klinische Erfahrungen und offene Fragen ein.
Das Vorgehen nach dem aktuellen EULAR-Algorithmus zeigte Dr. Müller an folgendem Fallbeispiel auf:
Die präsentierte Patientin ist 41 Jahre alt und kommt mit 12 schmerzhaften und 8 geschwollenen Gelenken in die Sprechstunde. Die Beschwerden haben sich in den letzten 3 Monaten allmählich entwickelt. Radiologisch bestehen keine Erosionen. Die Laboranalyse ergibt: ACPA-positiv, Rheumafaktor-positiv, erhöhte Blutsenkung (48mm/h) und ein CRP von 34mg/l.
Gemäss EULAR soll die Diagnose der rheumatoiden Arthritis (RA) klinisch erfolgen. Als Hilfsinstrument stehen die ACR/EULAR-Klassifikationskriterien zur Verfügung.2 Sie berücksichtigen die Anzahl der betroffenen Gelenke, die Serologie, das Vorhandensein von Akute-Phase-Proteinen sowie die Dauer der Symptome. Ergibt der Test mehr als 6 Punkte, kann die Diagnose RA gestellt werden.
Im Fallbeispiel erfüllt die Patientin die Klassifikationskriterien und erhält die Diagnose RA gestellt.
In einer eigenen Studie untersuchte Dr. Müller, welche Bedeutung es für den Krankheitsverlauf hat, wenn die Klassifikationskriterien erfüllt sind.3 Dazu hat er Daten aus dem SCQM-Register von 592 Patienten mit einer beginnenden und noch unbehandelten RA analysiert. Zwei Drittel der eingeschlossenen Patienten erfüllten die Kriterien, ein Drittel nicht. In beiden Gruppen sank jedoch der DAS-28-Score unter der Therapie ab. Die Reduktion war umso grösser, je mehr Gelenke zu Behandlungsbeginn betroffen waren. Vergleichbar waren in beiden Gruppen zudem die radiografische Progression und der Therapieverlauf. «Unser Schluss war: Auch ohne die Klassifikationskriterien haben Ärzte aufgrund ihrer Erfahrung die Diagnose RA korrekt gestellt. Das reine Festhalten an den Klassifikationskriterien allein reicht nicht aus, um die klinische Diagnose RA zu stellen. Die Kriterien sollten daher immer um die klinische Erfahrung ergänzt werden», erläuterte Müller.
Die EULAR hat denn auch eine Prä-RA definiert. «Noch ungeklärt ist, welche Patienten mit einer sehr frühen RA bereits therapiert werden sollen», so Müller. Die Fachgesellschaft hat das Thema in ihre «Research Agenda» aufgenommen. Geklärt werden sollen auch andere offene Fragen wie zum Beispiel, inwieweit Taxonomie, Lifestyle-Faktoren, Behandlungsgeschichte und Komorbiditäten den Therapieentscheid beeinflussen sowie welche Rolle Biomarker für die Klassifizierung, die Stratifizierung und für die Therapiewahl spielen könnten. In ihrer Guideline empfiehlt die EULAR auch, die Patienten bei Diagnosestellung über die Krankheit aufzuklären. Welche Themen konkret erörtert werden sollen, sagt die Fachgesellschaft aber nicht. Einige Vorschläge hat der britische Rheumatologe Prof. Dr. Peter Taylor in einem Review erarbeitet.4 Demnach sollen klinische Fragen zum Status (kardiovaskuläres Risiko, Leber- und Nierenfunktion, chronische Erkrankungen, Komorbiditäten und Neoplasien) und persönliche Themen (Alkohol- und Nikotinkonsum, Familienplanung, psychische Verfassung, Copingstrategien) mit dem Patienten erörtert werden.
Im Fallbeispiel ergibt die persönliche Anamnese: Die Patientin ist verheiratet, hat zwei Kinder und die Familienplanung abgeschlossen. Sie ist Biologin, Nichtraucherin und trinkt gelegentlich, jedoch nicht täglich, ein Glas Wein.
Übergeordnete Therapieprinzipien
Die Guidelines der EULAR enthalten neben dem Behandlungsalgorithmus für die RA auch einige übergeordnete Therapieprinzipien. Dazu gehören folgende Erklärungen der Fachgesellschaft:
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Ziel der Behandlung ist die beste Therapie, die für einen Patienten möglich ist.
Die Therapieentscheidung soll zusammen mit dem Patienten fallen und sollte abhängig sein von der Krankheitsaktivität, von Sicherheitsüberlegungen, Komorbiditäten und der radiografischen Progression.
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Der behandelnde Arzt für rheumatologische Erkrankungen ist primär der Rheumatologe.
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Die Patienten brauchen Zugang zu verschiedenen Therapeutika und verschiedenen Wirkmechanismen.
Bei der Therapiewahl müssen die Kosten berücksichtigt werden – auch mit Blick auf die zum Teil hohen Auslagen, die zum Beispiel aufgrund von Krankenkassen-Selbstbehalt und/oder der Reduktion des Arbeitspensums auf die Patienten fallen.
Der Kampf gegen die RA ist noch nicht gewonnen
Steht die Diagnose RA, stellt sich die Frage nach der Therapie. «Komplett kaputte Gelenke sehen wir heute kaum mehr. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die RA auch immer unter Kontrolle ist», erklärte Dr. Müller. Eine St. Galler Studie mit Daten von 7855 RA-Patienten aus dem SCQM-Register zeigte: Je länger die Erkrankung andauert, desto mehr radiografische Progression und Destruktionen bestehen.5 «Auch im Zeitalter der Biologika nimmt die radiografische Progression mit der Krankheitsdauer kontinuierlich zu. Der Kampf gegen die RA ist also noch nicht gewonnen», so der Experte.
Patienten profitieren von früher Behandlung
Um die Krankheit zu kontrollieren, ist es wichtig, früh im Verlauf mit einer Therapie zu beginnen. Wie eine Arbeit aus Wien zeigte, schreitet die radiografische Progression bei Patienten, die innerhalb der ersten 3 Monate nach Beginn der Symptome therapiert werden, deutlich langsamer voran als bei Patienten, die erst später eine Behandlung bekommen.6 Die EULAR empfiehlt denn auch, sich nicht lange von der Diagnose aufhalten zu lassen, um eine Therapie zu beginnen. «Das ist gut so», kommentierte Dr. Müller. Denn innerhalb der grossen Gruppe der rheumatologischen Erkrankungen sprechen die meisten Krankheiten wie die RA auf Methotrexat und Glukokortikoide an. «Das heisst, selbst bei einer Fehldiagnose profitieren die meisten Patienten mit schmerzenden und geschwollenen Gelenken von einer antientzündlichen Basistherapie», erklärte Müller.
Subkutanes MTX bringt hohe Remissionsraten
Die EULAR empfiehlt weiter, die RA mit einem Score zu monitorieren. DAS-28, CDAI und auch SDAI unterscheiden zwischen hoher, mässiger, niedriger Aktivität und Remission. «Welcher dieser Scores verwendet wird, ist gleichgültig. Wichtig ist aber, dass der einmal gewählte Score fürs Monitoring kontinuierlich – alle 3 Monate – angewandt wird», betonte Müller. Er selbst geht in der Praxis so vor, dass er nach Therapiestart die nächsten Eskalationsschritte nach 3 und nach 6 Monaten einplant. Eine frühere Therapieanpassung nimmt er im Normalfall nur vor, wenn Nebenwirkungen einen solchen Schritt erforderlich machen. Die Patienten kommen aber dennoch zwischen den Eskalationsschritten immer einmal zur Kontrolle und zu Gelenksinfiltrationen zu ihm in die Klinik.
In der ersten Therapiephase sieht der EULAR-Algorithmus primär eine Basisbehandlung mit Methotrexat (MTX) vor. Die empfohlene Startdosis beträgt 0,3mg/kgKG. Dies entspricht bei einem 70kg schweren Patienten einer Dosis von 20–25mg. Dr. Müller bevorzugt die subkutane Applikation. Denn wie eigene Daten von ihm zeigen, geht ein konsequenter Einsatz von subkutanem MTX mit einer hohen Rate an Remissionen und mit niedriger Krankheitsaktivität einher.7
«Vor Behandlungsbeginn müssen die Patienten über die Therapie mit MTX aufgeklärt werden», betonte Müller. Welche Themen dabei besprochen werden sollen, sagt die EULAR wiederum nicht. Auch hierfür enthält aber der Review von Prof. Taylor einige Vorschläge.4 Der Experte rät zum Beispiel dazu, mit den Patienten über den Applikationsweg von MTX und die eigenen klinischen Erfahrungen mit dem Medikament zu sprechen. Thematisiert werden sollen die Toxizität der Therapie, welche Bluttests durchgeführt werden müssen und welche Nebenwirkungen auftreten können. «Angesprochen werden müssen auch die Nausea unter der Therapie, dass eine Folsäure-Supplementation hilft, diese zu kontrollieren, und dass die Patienten in die Sprechstunde kommen sollten, wenn sie an Übelkeit leiden, weil es Strategien dagegen gibt», erklärte Dr. Müller. Mit erörtert werden müssen ausserdem die Familienplanung, der Impfstatus und der Alkoholkonsum. «Die Patienten müssen wissen, dass sie nicht mehr jeden Tag ein Glas Wein oder ein Bier trinken dürfen und es zwischen MTX und NSAR zu Interaktionen kommen kann», betonte Müller.
Als Alternativen zu MTX empfiehlt die EULAR in ihrer Guideline Leflunomid oder Sulfasalazin. «Es ist aber offen, ob MTX und Leflunomid in der frühen Therapie der RA gleichwertig sind oder nicht», sagte Müller. Ungeklärt sei auch, wie die Therapie fortgeführt werden solle, wenn Patienten lang andauernd in Remission gerieten, und wie lange die Remission überhaupt andauern müsse, damit sie als nachhaltig bezeichnet werden könne.
MTX plus kurzfristig Glukokortikosteroide
Laut EULAR soll bei Therapiestart zusätzlich zu MTX auch kurzfristig ein Glukokortikosteroid verordnet werden. «Die Empfehlungen enthalten keine Informationen darüber, wie lange diese Medikamente eingesetzt und wie schnell sie wieder ausgeschlichen werden sollen», so Müller. In einer eigenen Studie mit Daten aus dem SCQM-Register von 592 Patienten mit früher RA habe er jedoch selbst das Outcome einer Behandlung mit MTX mit und ohne Steroid untersucht.8 «Ich konnte zwischen den beiden Gruppen keinen Unterschied feststellen», berichtete Müller. Die Patienten, die kein Glukokortikoid bekommen haben, hatten allerdings weniger negative Prädiktoren gehabt: weniger ACPA, weniger Erosionen und auch eine niedrigere Krankheitsaktivität. «Ich denke deshalb, wir können nicht wirklich etwas falsch machen, wenn wir aus guten Gründen auf ein Steroid verzichten», folgerte der Referent. Er selbst setzt im Alltag fast immer ein Glukokortikoid ein, insbesondere um die Beschwerden der Patienten rasch zu reduzieren.
Für die Therapie bekommt die vorgestellte Patientin MTX. Die Startdosis beträgt 15mg/Woche. Sie wird wöchentlich um 5mg bis auf 25mg/Woche erhöht. Zusätzlich erhält sie 20mg Prednison/Tag. Das Steroid wird über 6 Wochen ausgeschlichen. Ausserdem werden 4 Gelenke mit Glukokortikoiden infiltriert. Es sind die Gelenke, die der Patientin am meisten Probleme im Alltag verursachen.
«Das Glukokortikosteroid lässt sich nicht bei allen Patienten komplett ausschleichen», erklärte Müller. Einige brauchten dauerhaft Prednison in einer geringen Dosis. Ein Schwellenwert, der bei einzelnen Patienten nicht unterschritten werden kann, ohne dass die Beschwerden wieder aufflammen, scheint laut einer Studie bei einer Dosis zwischen 2mg und 3mg zu bestehen.9 «Noch offen ist, ob anstelle einer dauerhaften Einnahme eines niedrig dosierten Glukokortikoids besser die Dosis von MTX erhöht werden sollte», so Müller.
In der zweiten Phase Prädiktoren berücksichtigen
Sprechen Patienten nicht auf die Basistherapie an, empfiehlt die Fachgesellschaft für die zweite Behandlungsphase zusätzlich zu MTX ein Biologikum oder einen JAK-Inhibitor, wenn Patienten negative Prädiktoren (hohe RF- und/oder ACPA-Faktoren, hohe Entzündungsaktivität, frühe Erosionen, Nichtansprechen auf mehrere Basistherapeutika) haben. Bestehen keine negativen Prädiktoren, empfiehlt die Fachgesellschaft, entweder auf ein anderes konventionelles synthetisches DMARD zu wechseln oder zusätzlich ein csDMARD zu geben. «Unklar ist, ob das Switchen und das Kombinieren von zwei csDMARD den gleichen Effekt haben», so Dr. Müller. Er selbst kombiniert bei persistierenden Beschwerden unter MTX so gut wie nie zwei csDMARD miteinander. «In einem ersten Schritt versuche ich, persistierende Gelenksbeschwerden mit einer Infiltration doch noch wegzubekommen. Wenn dies nicht möglich ist, eskaliere ich die Therapie.»
Die Patientin im Fallbeispiel spricht auf MTX nicht genügend an. Sie bekommt deshalb zusätzlich einen JAK-Inhibitor. Zudem werden nochmals mehrere Gelenke infiltriert, um sie so zügig in die Remission zu bringen.
Bringen auch die Massnahmen der zweiten Phase keinen Therapieerfolg, empfiehlt die EULAR, zu einer Substanz mit einem anderen Wirkmechanismus zu wechseln. Werden Medikamente gestoppt, sollen zunächst die Glukokortikosteroide ausgeschlichen, danach die Biologika, die csDMARD und zuletzt das MTX abgesetzt werden. Ein Stoppen dieser Medikamente ist allerdings mit 80% mit einem sehr hohen Risiko für ein Wiederaufflammen der Symptome verbunden. «Zudem bleiben 20–30% der Patienten trotz aller zur Verfügung stehenden Massnahmen therapierefraktär», sagte Müller.
Im präsentierten Fall spricht die Frau nicht auf den JAK-Inhibitor an. Sie bekommt deshalb ein Biologikum und nochmals Gelenksinfiltrationen. Mit diesen Massnahmen ist die Krankheitsaktivität schliesslich gut kontrolliert.
Quelle:
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR), Interlaken, 10.–11. September 2020
Literatur:
1 Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2019 update. Ann Rheum Dis 2020; 79(6): 685-99 2 Aletaha D et al.: Rheumatoid arthritis classification criteria. An American College of Rheumatology/European League Against Rheumatism collaborative initiative. Arthritis Rheum 2010; 62: 2569-81 3 Mueller RB et al.: The new 2010 ACR/EULAR criteria as predictor of clinical and radiographic response in patients with early arthritis. Clin Rheumatol 2015; 34(1): 51-9 4 Taylor P et al.: How to get the most from methotrexate (MTX) treatment for your rheumatoid arthritis patient? - MTX in the treat-to-target strategy. J Clin Med 2019; 8(4): 515 5 Heinimann K et al.: Long-term increase of radiographic damage and disability in patients with RA in relation to disease duration in the era of biologics. Results from the SCQM cohort. J Clin Med 2018; 7(3): 57 6 Machold KP et al.: Very recent onset arthritis - clinical, laboratory, and radiological findings during the first year of disease. J Rheumatol 2002; 29(11): 2278-87 7 Mueller RB et al.: Effectiveness, tolerability, and safety of subcutaneous methotrexate in early rheumatoid arthritis: a retrospective analysis of real-world data from the St. Gallen cohort. Semin Arthritis Rheum 2015; 45(1): 28-34 8 Mueller RB et al.: The new 2010 ACR/EULAR criteria as predictor of clinical and radiographic response in patients with early arthritis. Clin Rheumatol 2015; 34: 51-9 9 Pincus T et al.: Clinical trials documenting the efficacy of low-dose glucocorticoids in rheumatoid arthritis. Neuroimmunomodulation 2015; 22(1-2): 46-50
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