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Ruf nach mehr Spezialisten

Eine im vergangenen Jahr publizierte Studie kommt zu dem Schluss, dass in Österreich ein eklatantes Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach Rheumatologinnen und Rheumatologen besteht.1 Um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein und die Bevölkerung rheumatologisch optimal zu versorgen, bedürfte es mehr als 100 zusätzlicher Fachärztinnen und Fachärzte.

Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der damit alternden Bevölkerung nimmt auch die Prävalenz rheumatologischer Erkrankungen und somit der Bedarf an spezialisierten Fachärztinnen und -ärzten zu. Die Entwicklung neuer, hocheffektiver Medikamente zur Behandlung entzündlicher rheumatologischer Erkrankungen erfordert ebenfalls eine ausreichende Zahl an Spezialisten, um die oft komplexen Therapien gemäß einer „Treat to target“-Strategie durchzuführen und zu überwachen.

In Österreich sind derzeit 215 Rheumatologinnen und Rheumatologen tätig, der Großteil intramural. Da die Rheumatologie ein Additivfach der inneren Medizin und in Spitälern auch meist ein Teil der Abteilungen für innere Medizin ist, müssen Fachärzte für Rheumatologie auch Patienten mit nicht rheumatologischen Erkrankungen behandeln. Ein gewisser Prozentsatz dieser Spezialisten betreibt neben der Spitalstätigkeit eine Privatordination, wobei nur wenige davon einen Kassenvertrag haben.

50% rheumatologische Tätigkeit

Um Institutionen, die sich mit der Planung der Gesundheitsversorgung beschäftigen, objektive Daten über den Status quo und den zukünftigen Bedarf an rheumatologischer Versorgung zur Verfügung zu stellen, wurde die vorliegende Studie durchgeführt. Dazu erhielten sämtliche Rheumatologinnen und Rheumatologen Österreichs einen Fragebogen, in dem die wöchentliche Arbeitszeit und wie sich diese auf ärztliche Tätigkeit, Verwaltung und Lehre aufteilt, abgefragt wurde. Darüber hinaus sollte das Verhältnis von rheumatologischen zu nicht rheumatologischen Patienten angegeben werden. Die Rücklaufquote betrug 69%, wobei 25,8% von Rheumatologinnen stammten, 30,7% waren nur im Krankenhaus tätig, 27,1% nur in der niedergelassenen Ordination und 42,1% sowohl intra- als auch extramural. Rheumatologinnen waren im Durchschnitt signifikant jünger als ihre männlichen Kollegen.

<< Wir bräuchten 4,29 Rheumatologen pro 100 000 Einwohner. Die allgemeine Einschätzung davor lag bei 2 pro 100 000.>>
R. Puchner, Wels

Im Median betrug die wöchentliche Arbeitszeit 50 Stunden, wovon rund die Hälfte (24) Patienten mit Erkrankungen des rheumatologischen Formenkreises, 10 Stunden Verwaltungstätigkeiten und 1,5 Stunden der Lehre gewidmet sind. Rund 20% der Arbeitszeit werden für Patienten mit nicht rheumatologischen Erkrankungen aufgewendet. Die durchschnittliche Arbeitszeit von 50 Stunden und eine geschätzte Gesamtzahl von 202 tatsächlich rheumatologisch tätigen Fachärzten ergibt insgesamt 10100 rheumatologische Arbeitsstunden pro Woche, was bei einer Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden 252,5 Vollzeitäquivalente bedeutet.

Die Umfrage hat ergeben, dass Patienten mit einer entzündlichen rheumatologischen Erkrankung im Durchschnitt viermal jährlich eine Kontrollvisite haben, für die jeweils 20 Minuten eingeplant sind. Für neue Patienten stehen im Mittel 30 Minuten zur Verfügung. Bei 7,03 Millionen erwachsenen Österreichern und einer geschätzten Prävalenz von entzündlichen rheumatischen Erkrankungen von 2,1% ergibt sich ein Bedarf an 301,79 Rheumatologen. In einer „perfekten rheumatologischen Welt“, in der Rheumatologen ausschließlich rheumatologische Patienten behandeln, bestünde Bedarf an 224,45 Fachärzten.

Die Zukunft

Entwicklungen wie die Beschränkung der maximalen Arbeitszeit auf 48 Wochenstunden (inklusive Nachtdiensten), ein verändertes Verständnis der „work-life balance“ junger Ärztinnen und Ärzte, aber insbesondere die Tatsache, dass rund die Hälfte der Rheumatologen in Österreich innerhalb der kommenden 15 Jahre das Pensionsalter erreichen, machen es erforderlich, neue Zugänge zu erschließen, um die rheumatologische Versorgung sicherzustellen. Einerseits besteht Bedarf an mehr Ausbildungsplätzen. Derzeit stehen in Österreich rund 50 Ausbildungsplätze zur Verfügung, was bedeutet, dass pro Jahr nur rund 8 Rheumatologen ihre Ausbildung abschließen. Andererseits können speziell ausgebildete Pflegekräfte Teile der Betreuung übernehmen und so die Fachärzte entlasten.

Fazit und Kommentar

Die Studie zeigt ein substanzielles Missverhältnis zwischen rheumatologischem Bedarf und Angebot in Österreich auf. Das Land braucht deutlich mehr Rheumatologen, um den gegenwärtigen und vor allem zukünftig zu erwartenden Bedarf zu decken – Erstautor Doz. Rudolf Puchner im Gespräch:

Was hat Sie bewogen, diese Studie durchzuführen?

R. Puchner: Es ist eine Studie zur Versorgungsforschung. Wir wollten, ganz vereinfacht gesagt, wissen: Wie viele Rheumatologen braucht ein Land?

Wie sind Sie vorgegangen?

R. Puchner: Die Evaluation war sehr umfangreich. Wir haben alle unsere Rheumatologen befragt, die Rücklaufquote war sehr gut. Wir haben unter anderem erhoben, wie viel Zeit ein Rheumatologe für eine Erstkonsultation braucht. Das sind durchschnittlich 30 Minuten. Für eine Kontrolle sind es ca. 20 Minuten. Ein RA-Patient wird durchschnittlich 4-mal im Jahr zur Kontrolle bestellt. Diese Ergebnisse wurden auf die Prävalenz aller entzündlich-rheumatischen Erkrankungen hochgerechnet. Wir haben auch abgefragt, wie viele Nicht-Rheumapatienten von Rheumatologen betreut werden und wie viele entzündliche und degenerative rheumatologische Erkrankungen behandelt werden.

Aus all dem wurde berechnet, wie viele Rheumatologen wir wirklich brauchen. Die Hochrechnung war äußerst komplex, aber wir hatten kompetente Gutachter. Das Ergebnis ist: Wir bräuchten 4,29 Rheumatologen pro 100000 Einwohner. Die allgemeine Einschätzung davor lag bei 2 pro 100000. Das ist zu wenig, wie wir eruiert haben.

Wie war das Echo auf die Ergebnisse dieser Arbeit?

R. Puchner: Die Arbeit ist im Jänner 2020 in Frontiers in Medicine publiziert worden, einem „general health paper“. Kollegen aus Deutschland haben mich daraufhin angesprochen, ob wir eine ähnliche Studie nicht auch auf europäischer Basis machen könnten. Diese Studie ist gerade in Vorbereitung. Die Methodik ist ein bisschen vereinfacht, denn es können nicht alle Rheumatologen Europas befragt werden. Es werden daher aus jedem Land Delegierte befragt. Es wird sehr interessant werden, hier Ländervergleiche zu sehen.

1 Puchner R et al.: The supply of rheumatology specialist care in real life. Results of a nationwide survey and analysis of supply and needs. Front Med (Lausanne) 2020; 7: 16

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