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Nicht gleich, aber ähnlich
Leading Opinions
30
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02.03.2017
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<p class="article-intro">Acetylsalicylsäure oder Penicillin vom Generikahersteller enthalten die gleiche Substanz wie das Originalpräparat und können ebenso gut verschrieben werden. Doch wie ist das bei Biosimilars? Viele Ärzte sind skeptisch, doch Biosimilars wirken genauso gut – zumindest bei rheumatoider Arthritis und Morbus Bechterew, wie eine Metaanalyse zeigte. Der klinische Pharmakologe Prof. Gerd Kullak-Ublick erklärt, warum man Biosimilars nicht mit herkömmlichen Generika vergleichen und warum man sie trotzdem in diesen Fällen problemlos verschreiben kann.</p>
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<p class="article-content"><p>Eine Suche im Vergleichsportal der santésuisse zeigt mit wenigen Klicks: Die neuen Nachahmer-Medikamente Inflectra<sup>®</sup> und Remsima<sup>®</sup> sind um 25 % preiswerter als das herkömmliche Rheumamedikament Remicade<sup>®</sup>.<sup>1</sup> Alle drei unterbrechen den gleichen biochemischen Signalweg. Warum nicht umsteigen auf eines der neuen Medikamente, das würde doch enorm Geld sparen? Doch so einfach ist es nicht. Moderne Rheumamedikamente sind grosse, kompliziert aufgebaute Proteine aus Hunderten von Aminosäuren. Im Gegensatz dazu sind synthetische Arzneien wie Acetylsalicylsäure oder Antibiotika kleiner und lassen sich aus Molekülen relativ einfach zusammensetzen. «Bei Biologika kann man nicht mal eben so auf ein Nachahmerprodukt umsteigen wie bei Aspirin», sagt Prof. Dr. med. Gerd Kullak-Ublick, Direktor der Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Zürich. «Sie sind schwieriger herzustellen, und man muss spezielle Studien machen, die zeigen, dass sie genauso gut wirken wie das Original.» Biologikanachahmerprodukte heissen deshalb auch nicht Generika wie bei synthetischen Arzneien, sondern Biosimilars.<<br /> Als 2013 Inflectra<sup>®</sup> und Remsima<sup>®</sup> in der Europäischen Union zugelassen wurden, waren viele Ärzte skeptisch. In einer Umfrage unter 307 Ärzten der Europäischen Crohn- und Kolitisvereinigung ECCO gaben 63 % an, sie würden sich wenig oder nicht sicher bei der Verschreibung von Biosimilars fühlen, und nur 6 % würden auf ein Biosimilar umsteigen.<sup>2</sup> Doch das Misstrauen scheint unbegründet: Wissenschafter aus Baltimore und Boston zeigen, dass Inflectra<sup>®</sup> und Remsima<sup>®</sup> genauso gut wirken und dass man sie problemlos statt Remicade<sup>®</sup> verschreiben kann – zumindest bei rheumatoider Arthritis und Morbus Bechterew.<sup>3</sup> Beide enthalten den gleichen Biosimilarwirkstoff, werden aber von zwei verschiedenen Firmen hergestellt. Die US-amerikanischen Forscher hatten Daten von 19 Studien analysiert, in 7 davon wurden Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Bechterew mit Remicade<sup>®</sup> behandelt oder mit einem der beiden Biosimilars. Wie gut die Medikamente wirkten, wurde daran gemessen, ob sich bestimmte Symptome um mindestens 20 % bzw. 40 % besserten (ASAS20 bzw. ASAS40). In beiden Behandlungsgruppen sprachen vergleichbar viele Patienten auf die Therapie an. Bei den Patienten verlief die Krankheit gleich, egal ob sie mit Remicade<sup>®</sup> oder mit einem Biosimilar behandelt wurden. Aufgrund des Preisunterschiedes gäbe es keinen Grund, das Biosimilar nicht zu verschreiben.<br /> Ähnliches bestätigte die NOR-SWITCHStudie, deren Ergebnisse Prof. Dr. med. Tore Kvien, Leiter der Rheumatologie am Diakonhjemmet-Hospital in Oslo, in einer Late-Breaking Session bei der United European Gastroenterology Week im Oktober in Wien vorstellte.<sup>4</sup> 240 Patienten mit entzündlicher Darm- oder Gelenkerkrankung oder mit Plaque-Psoriasis wurden vom Infliximab-Originalpräparat auf das Biosimilar umgestellt. 241 dienten als Vergleichsgruppe und bekamen das Original weiter. Primärer Endpunkt war das Ausmass der Krankheitsverschlechterung, die für die verschiedenen Krankheiten jeweils anhand spezifischer Scores definiert war. 53 Patienten (26,2 % ) der Originalgruppe und 61 Patienten (29,6 % ) der Biosimilargruppe erreichten den primären Endpunkt, was einer Nichtunterlegenheit entspricht. Auch andere Krankheitsparameter waren in beiden Gruppen vergleichbar, etwa die Zeit bis zur Krankheitsverschlechterung oder bis zum Therapieabbruch, die Entwicklung der Krankheitsaktivität, die Talspiegel der Infliximab-Serumkonzentration sowie CRP und Calprotectin. Gegen das Medikament gerichtete Antikörper wurden ebenfalls in beiden Gruppen vergleichbar häufig beobachtet und schwere unerwünschte Nebenwirkungen traten ähnlich häufig auf.</p> <h2>Eine ziemlich teure Revolution</h2> <p>Biologika werden vor allem gegen Karzinome eingesetzt, aber auch gegen rheumatische Krankheiten, HIV, Psoriasis oder chronisch-entzündliche Darmkrankheiten. Als vor mehr als zehn Jahren die ersten Biologika auf den Markt kamen, bezeichneten Rheumatologen das als Revolution. Endlich konnten sie damit auch den Patienten helfen, bei denen herkömmliche Medikamente nicht wirkten oder zu viele unerwünschte Wirkungen verursachten. Biologika blockieren Interleukine und andere Botenstoffe, die die Entzündungsreaktion anfachen und aufrechterhalten. Die Therapie hat aber einen grossen Nachteil: Sie ist ziemlich teuer. So muss man für eine Jahrestherapie mit Remicade<sup>®</sup> bei einem 70kg schweren Patienten mit rheumatoider Arthritis mit 13.300 Franken rechnen, während die Therapie mit den Biosimilars Remsima<sup>®</sup> oder Inflectra<sup>®</sup> «nur» 10.000 Franken kostet.<br /> Der Anteil von Biologika am Gesamtmarkt rezeptpflichtiger Medikamente betrug gemäss IMS Health im Jahr 2015 24 % , mit dem Verkauf von Biologika erwirtschafteten die Hersteller 208 Milliarden US-Dollar. Nur 0,6 % davon sind Biosimilars.<sup>5</sup> IMS Health rechnet 2017 mit einer Grösse des Biologikamarktes zwischen 231 und 245 Milliarden US-Dollar (Abb. 1). Biologika seien in den letzten Jahren unter den zehn führenden Präparaten dauerhaft vertreten, berichtet IMS Health.<sup>6</sup> Infolge von Patentabläufen in den nächsten Jahren werde sich der Anteil des Segments noch erhöhen, ausserdem kommen auch neue Produkte auf den Markt. Onkologie und Immunologie bildeten bei den Therapiebereichen die Schwerpunkte. Würde man Originalbiologika nach Aufheben des Patentschutzes durch Biosimilars ersetzen, könnte das Milliarden von Franken einsparen.<br /> Bei Patienten, die seit Längerem auf Remicade<sup>®</sup> eingestellt sind, könnte man argumentieren, sie sollten einen Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten leisten. Verständlich ist jedoch, dass manche Patienten zurückhaltend sind, denn auch wenn die Studien eine vergleichbare Wirkung gezeigt haben, besteht immer noch ein sehr geringes Risiko, dass es ihnen mit dem Biosimilar schlechter geht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s62_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1072" /></p> <h2>Mehr Daten als bei Generika</h2> <p>Ob Biosimilars genauso wirken wie die Originale, hängt sehr vom Herstellungsprozess ab. «Kleine Veränderungen in der Produktion können die Struktur des Proteins ändern», erklärt Kullak-Ublick. «Man muss deshalb genau untersuchen, ob sich dadurch die Wirkung verändert.» Zwar ist die Aminosäuresequenz von Original und Biosimilar gleich, aber es ist nicht so einfach, das Protein korrekt zu falten oder die richtigen Glukosereste anzuhängen. Will eine Firma ein Biologikanachahmerprodukt auf den Markt bringen, muss sie deshalb auch mehr Daten liefern als bei einem synthetischen Generikum. «Der Entwicklungs- und Zulassungsprozess bei Biosimilars ist fast so aufwendig wie bei einem ganz neuen Medikament», erklärt Danièle Bersier, Leiterin Kommunikation bei der Swissmedic. Zunächst liefert der Hersteller Vergleichsstudien mit dem Original und zeigt, dass sein Biosimilar ähnliche biologische, chemische und physikalische Eigenschaften hat. Dann zeigt er – genauso wie bei ganz neuen Medikamenten – mit Studien an Tieren, gesunden Probanden und Patienten, dass sein Präparat wirkt und sicher ist. Bei einem Biosimilar reichen zur Zulassung aber oft weniger Studien.<br /> Immerhin scheinen Ärzte ihre Skepsis langsam zu verlieren: Zwei Jahre nach der Umfrage der ECCO würden jetzt 44,4 % ein Biologikum durch ein Biosimilar ersetzen statt 6 % . «Wir brauchen Biosimilars », sagt Kullak-Ublick. «Das hebt die Monopolstellung der Biologikahersteller auf und fördert die Innovation, etwa mit noch neueren Präparaten oder einfacheren Darreichungsformen. So profitiert nicht nur das Gesundheitssystem, sondern auch der Patient.»</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s61_zitat+bild.jpg" alt="" width="687" height="935" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> www.santesuisse.oddb.org/de (letzter Aufruf 14. 12. 2016) <strong>2</strong> Danese S et al: J Crohns Colitis 2014; 8(11): 1548- 50 <strong>3</strong> Chingcuanco F et al: Ann Intern Med 2016; 165(8): 565-74 <strong>4</strong> Jørgensen KK et al: UEG Journal 2016; 2(Suppl 1): LB15 <strong>5</strong> Wartenberg F: Handelsblatt Pharma Februar 2016; www.slideshare.net/IMSHealthDE/herausforderungenim- biosimilarmarkt <strong>6</strong> Medieninformation von IMS Health vom 3. 3. 2016; www.imshealth.com/de</p>
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