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Medikamentöse Behandlungs- möglichkeiten der Arthritis
Jatros
Autor:
OA Dr. Jeanette Wolf
5. Med. Abteilung mit Rheumatologie, Endokrinologie und Akutgeriatrie Wilhelminenspital, Wien<br> E-Mail: jeanette.wolf@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
07.07.2016
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<p class="article-intro">Die moderne medikamentöse Therapie der entzündlichen rheumatischen Erkrankungen beinhaltet die sogenannte Basistherapie, Kortison und die nichtsteroidalen Antirheumatika. Medikamentenwahl und die genaue Dosierung sind von Grunderkrankung, Begleiterkrankungen und Krankheitsaktivität abhängig. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Behandlung der Arthritis soll im besten Fall zur Remission, das heißt zum kompletten Stillstand der Erkrankung führen.</li> <li>Methotrexat ist derzeit das Mittel der ersten Wahl und kann als Monotherapie oder in Kombination mit anderen cDMARDs oder Biologika gegeben werden.</li> <li>Kortison wird zusätzlich eingesetzt, um – wenn notwendig – die Krankheitsaktivität noch weiter zu reduzieren.</li> </ul> </div> <h2>Historisches</h2> <p>Schon in der Antike litten die Menschen unter Gelenksentzündungen. Damals wie heute wurde versucht, die Ursachen ebenso wie eine Behandlung zu finden. Von den Zeiten von Hippokrates von Kos (460–370 v. Chr.) bis weit in die Neuzeit hinein beherrschte die Vier-Säfte-These die Medizin, wonach ein Ungleichgewicht zwischen den vier Kardinalsäften (Blut, Phlegma, schwarze und gelbe Galle) schuld an Erkrankungen wäre und daher das Gleichgewicht wiederhergestellt werden müsse. Dies erfolgte durch Aderlässe, Schröpfen, Verabreichen von Brechmitteln und Einläufen sowie durch Vermeidung oder Bevorzugung bestimmter Lebensmittel, denen jeweils diverse humorale Qualitäten zugeordnet wurden. Dadurch meinte man, einen etwaigen Überschuss oder Mangel eines der Säfte ausgleichen zu können. <br />Im 17. Jahrhundert wurde die Therapie rheumatischer Erkrankungen noch um Quecksilber, Gold, Blei, Zinn, Silber und Opium erweitert. Im 19. Jahrhundert wurde es auch mit Sand-, Moor- und Salzbädern versucht.</p> <p>Erst Ende des 19. Jahrhunderts kamen die ersten chemisch und industriell hergestellten Medikamente wie Paracetamol und Acetylsalicylsäure auf, die eine messbare antiinflammatorische, antiphlogistische, antipyretische und analgetische Wirkung aufwiesen. Das 20. und vor allem das 21. Jahrhundert brachten schließlich die heute gängigen antirheumatischen Therapien hervor. <br />Den ersten großen Durchbruch stellte die erstmalige Herstellung von synthetischem Kortison 1948 dar. Die Glukokortikoide Cortisol und Corticosteron sind körpereigene Hormone aus der Nebenniere, die entzündungshemmend und immunsupprimierend sowie antiallergisch wirken. Sie beeinflussen den Stoffwechsel, den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt und das Nervensystem und vermindern die Umwandlung von Vitamin D3 von der inaktiven in die aktive Form. Daraus resultieren die Nebenwirkungen einer Kortisontherapie mit Förderung der Entstehung oder Aggravierung eines Diabetes mellitus, Ödembildung durch Wassereinlagerung, Osteoporose, erhöhte Infektanfälligkeit, Katabolismus mit Muskel- und Hautatrophie, zentraler Stimulierung mit psychotroper Wirkung sowie Katarakt und Glaukom.</p> <p>In den 1950er-Jahren wurden die ersten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) entwickelt. Diese hemmen die Cyclooxygenase (Isoenzyme COX-1 und COX-2) und sind dadurch antiinflammatorisch, antiphlogistisch und analgetisch wirksam. Als Nebenwirkungen kommt es zu Thrombozytenaggregationshemmung, verminderter Schleimbildung im Magen, Nieren- und Leberschädigung, Blutdruckerhöhung und – abhängig von der Substanz – zu unterschiedlicher Erhöhung des kardiovaskulären Risikos. Ihre entzündungshemmende Wirkung ist geringer als die der unter Basistherapie angeführten Medikamente, sie sind daher nur als begleitende, nicht aber als alleinige Therapie der rheumatischen Erkrankungen geeignet. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite83_1.jpg" alt="" width="" height="" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite83_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Basistherapie</h2> <p>Die Basistherapie der entzündlichen rheumatischen Erkrankungen stellen die sogenannten DMARDs („disease modifying anti-rheumatic drugs“) dar. Diese werden mittlerweile noch in konventionelle (cDMARDs) (Tab. 1) und biologische (bDMARDs) (Tab. 2 und 3) unterteilt. Die Wirkung von DMARDs ist charakterisiert durch:</p> <ul> <li>entzündungshemmende Wirkung</li> <li>Reduktion der Krankheitsaktivität</li> <li>Verbesserung der Funktionalität der Gelenke</li> <li>Aufhalten oder zumindest Verminderung der radiologischen Progression</li> </ul> <p>Typischerweise setzt die Wirkung nicht sofort ein („slow onset“), je nach Medikament dauert es Tage bis Monate, bis eine merkbare und messbare Veränderung erreicht wird. Dies macht eine überlappende Therapie der DMARDs mit Kortison und/oder NSAR notwendig. Je nach Ansprechen und Schweregrad der Krankheitsaktivität ist auch im weiteren Behandlungsverlauf eine Kombination von Kortison und DMARDs beziehungsweise zweier oder mehrerer DMARDs vonnöten. Dies muss vom Rheumatologen individuell, dem Patienten angepasst entschieden werden. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite83_3.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Konventionelle DMARDs</h2> <p><em>Chloroquin, Hydrochloroquin:</em><br /> Wird oral einmal täglich eingenommen, kann auch während der Schwangerschaft gegeben werden. Zu beachten sind mögliche Einlagerungen in die Hornhaut und Retina, Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen, Pigmentstörungen und Rash. Die immunmodulierende Wirkung dürfte über eine verminderte Ausschüttung von Interleukin 1β (IL-1β) mediiert sein.</p> <p><em>Sulfasalazin:</em><br /> Besteht aus einer Kombination von Sulfapyridin und 5-Aminosalicylsäure, verändert die Funktion der neutrophilen Granulozyten und inhibiert Interleukin-2(IL-2)-induzierte T-Zell-Proliferation. Die Einnahme erfolgt 2–3x täglich oral. Nebenwirkungen sind Magen-Darm-Beschwerden (Übelkeit, Diarrhö), Rash, Urtikaria, Photosensibilität, Blutbildveränderungen, Anstieg der Leberwerte, Verminderung der Spermienanzahl und selten auch das Stevens-Johnson-Syndrom. Es kann während der Schwangerschaft eingesetzt werden.</p> <p><em>Methotrexat:</em><br /> Ist ein Folsäureantagonist, führt zu vermehrter Freisetzung von Adenosin, dadurch kommt es zu einer Hemmung von TNF-α (Tumornekrosefaktor alpha), IL-6, IL-8 und zu verstärkter Sekretion von IL-10. Es wird oral oder subkutan 1x pro Woche verabreicht. 50–80 % werden innerhalb von 12 Stunden unverändert renal eliminiert. Es ist nicht dialysierbar, darf daher bei Niereninsuffizienz und Dialysepatienten nicht angewendet werden. Aufgrund des Folsäureantagonismus ist es teratogen und darf nicht während der Schwangerschaft eingenommen werden. Sowohl Frauen als auch Männer müssen Methotrexat mindestens 3 Monate vor einer geplanten Schwangerschaft absetzen. Es kann zu Anämie, Leukopenie, Thrombopenie, Erhöhung der Leberparameter, Gastrointestinaltraktsymptomen, Stomatitis, Mundulzera, reversiblem Haarausfall, Knotenbildung, erhöhter Infektanfälligkeit, Allergie und Pneumonitis kommen. In der Psoriasisarthritis ist es seit den 1950er-Jahren, in der rheumatoiden Arthritis seit den 1980er-Jahren im Einsatz. Es ist der derzeitige Goldstandard und kann als Monotherapie oder in Kombination mit anderen cDMARDs und bDMARDs gegeben werden.</p> <p><em>Leflunomid:</em><br /> Wird einmal täglich oral eingenommen. Es verfügt über eine sehr hohe Plasmaproteinbindung und wird auch in den Fettzellen gespeichert, dadurch hat es eine lange Halbwertszeit und ist nur langsam aus dem Körper zu eliminieren. An Nebenwirkungen können Gastrointestinaltraktsymptome, Hepatotoxizität, Kopfschmerzen, Haarausfall, Hypertonie, Rash, Schleimhautulzera und Pruritus auftreten. Es kann teratogen wirken und darf deshalb während der Schwangerschaft nicht eingenommen werden. Bereits vor Eintreten einer Schwangerschaft muss mittels Spiegelbestimmung sichergestellt werden, dass das Medikament aus dem Organismus eliminiert worden ist. Auch bei Leberschäden und schweren Immundefekten darf es nicht angewendet werden.</p> <p><em>Azathioprin:</em><br /> Wird bei Organtransplantierten, Autoimmunerkrankungen und chronischen entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Es hemmt die Differenzierung von Lymphozyten und wirkt antiproliferativ auf CD8-positive T-Zellen, B-Zellen und natürliche Killerzellen, außerdem wird die TNF-α-Sekretion vermindert. Es wird 2–3x täglich oral eingenommen. Die Wirkung tritt erst nach ca. 2–5 Monaten ein. Die Nebenwirkungen betreffen vor allem das Blutbild, den Magen-Darm-Trakt, Pankreatitis, Cholestase. Bei Männern kann es zu einer reversiblen Störung der Spermiogenese kommen.</p> <p><em>Cyclosporin:</em><br /> Wird aus norwegischen Schlauchpilzen gewonnen, bei Organtransplantierten und Autoimmunerkrankungen eingesetzt und meist 2x täglich oral eingenommen. Es kann zu Nierenschädigung, Magen-Darm-Trakt-Problemen, Leberfunktionsstörungen, Hypertonie, Zahnfleischschwund, Hirsutismus und Ödemen führen. Wie bei allen immunsupprimierenden Medikamenten besteht eine erhöhte Infektanfälligkeit.</p> <p><em>Gold:</em><br /> Goldpräparate wurden in der Präbiologika-Ära als Second-Line-Medikamente in der RA eingesetzt, sind aber in dieser Indikation heutzutage wegen des geringen therapeutischen Ansprechens und der im Vergleich dazu relativ hohen Nebenwirkungsrate in Österreich praktisch nicht mehr im Einsatz.</p> <h2>Biologika</h2> <p>Diese werden „maßgeschneidert“ gentechnisch hergestellt, sind aber genauso wie die cDMARDs keine kurative Therapie. Es handelt sich um spezifische Antikörper oder einen löslichen Rezeptor gegen Zytokine oder ihre Zellmembranrezeptoren, wodurch die Entzündungskaskade unterbrochen wird und im besten Fall die Erkrankung zum Stillstand kommt. Sie können in Kombination mit Kortison und/oder einem DMARD (in erster Linie Methotrexat), aber auch als Monotherapie gegeben werden. Bei allen Biologika sollte vor Beginn auf Tuberkulose untersucht, eine Hepatitisserologie abgenommen und der Impfstatus kontrolliert werden, da es vor allem unter TNF-Blockern zu einer Neuinfektion oder einer Exazerbation einer latenten Tbc kommen kann. Eine entsprechende Therapie ist vor und parallel zum bDMARD notwendig. Ebenso können Biologika zu einer Reaktivierung von Hepatitis-B-Viren führen. Lebendimpfungen dürfen unter laufender Therapie nicht verabreicht werden. Totimpfstoffe stellen kein Problem dar, es kann jedoch zu einer verminderten oder sogar insuffizienten Impfantwort kommen. <br />Es ist auf die erhöhte Infektanfälligkeit und mögliche Blutbildveränderungen zu achten. Bei Malignomen in der Anamnese ist eine sorgfältige individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung vorzunehmen.</p> <p><em>Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α):</em><br /> TNF-α ist ein proinflammatorisches Zytokin, es stimuliert Makrophagen, T- und B-Zellen und fördert die Synthese von anderen Zytokinen und Chemokinen, die Osteoklastenreifung und -aktivierung und ist antiviral sowie antitumoral wirksam. Der erste TNF-α-Antikörper ist ein Chimär, eine Mischung aus humanem und Mausprotein. Alle danach folgenden enthalten nur humanes Protein. Tabelle 2 führt die derzeit verfügbaren Präparate mit Dosierung und Applikationsform auf.</p> <p><em>Interleukine (IL):</em><br /> Ein weiterer Ansatz betrifft die Interleukine. Derzeit gibt es Medikamente gegen IL-1, IL-6, IL-12/23 und IL-17. IL-1 vermittelt die Kommunikation zwischen Leukozyten. IL-6 wird B-Zell-stimulierender und Leberzell-stimulierender Faktor genannt. Es stimuliert unter anderem die Produktion des C-reaktiven Proteins (CRP) in der Leber. IL-12 und IL-23 haben einen gemeinsamen Proteinanteil. IL-12 wird von dendritischen Zellen, Makrophagen und Neutrophilen produziert und führt zur Differenzierung nativer T-Zellen in Th1-Zellen, zu Aktivierung von T-Zellen und Killerzellen sowie vermehrter Ausschüttung von Interferon gamma (IFN-γ) und TNF-α. IL-23 fördert die Differenzierung der Th17-Zellen und die Produktion von IL-17, IL-6 und TNF-α (Tab. 3). Secukinumab ist ein Antikörper gegen IL-17 und für die PsA und die ankylosierende Spondylitis zugelassen.</p> <p><em>B-Zellen, T-Zellen:</em><br /> Die Entzündungskaskade kann auch direkt an den B-Zellen oder T-Zellen angegriffen werden. Durch selektive Depletion der CD-20-positiven B-Zellen kommt es zu Apoptose, komplementabhängiger B-Zell-Lyse sowie AK-bedingter zellulärer Zytotoxizität via Makrophagen und natürliche Killerzellen. Bei den T-Zellen kann durch Blockade des CD-80/CD-86-Rezeptors eine Aktivierung der T-Zellen durch Antigen-präsentierende Zellen verhindert werden (Tab. 3).</p> <p><em>Biosimilars:</em><br /> Eine derzeit noch nicht genau abschätzbare Rolle werden in Zukunft die Biosimilars spielen. Nach Ablauf der Patente wird es auch Nachbauten der Original-Antikörper geben, im Falle von Infliximab sind bereits 2 (Remsima® und Inflectra®) auf dem Markt. Da es jedoch nicht möglich ist, ein so komplexes Molekül exakt nachzubauen, kann hier nicht von Generika, sondern nur von ähnlichen („similar“) Medikamenten gesprochen werden. Daher benötigen auch die Biosimilars Studien, die ihre Wirksamkeit und Sicherheit belegen, sowie ein Zulassungsverfahren.</p> <h2>„Small molecules“</h2> <p>Dies sind im Vergleich zu Proteinen kleine Moleküle, die direkt im Zell-inneren entzündungshemmend wirken. Apremilast ist ein für die PsA und die Psoriasis vulgaris zugelassener Phosphodiesterasehemmer, der den Abbau des zyklischen Adenosin-Monophosphats (cAMP) hemmt. Dadurch kommt es zu einer verminderten TNF-α- und IL-17-Ausschüttung. Es ist 2x täglich oral einzunehmen. Es kann zu Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt, Kopfschmerzen und erhöhter Infektanfälligkeit führen. <br />In Österreich noch nicht zugelassen sind die Januskinase(JAK)-Inhibitoren. Über den JAK-Signalweg wird in der Zelle die Bildung unter anderem von Zytokinen, Interferonen, Interleukinen, Wachstumshormonen und Erythropoetin gesteuert. In den USA und der Schweiz bereits in Verwendung ist Tofacitinib bei der RA, Phase-III-Studien für die Psoriasis laufen.</p></p>
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