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„Interdisziplinärer Austausch wird immer wichtiger“
Jatros
30
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13.02.2020
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<p class="article-intro">Wie kann man eine Arthritis von anderen rheumatologischen/orthopädischen Erkrankungen abgrenzen? Schwierig ist die klinische Differenzierung bei Schulter- und Hüftgelenksbeschwerden, sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Ludwig Erlacher.</p>
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<p class="article-content"><p><em><strong>Welche Beschwerden weisen auf eine Arthritis hin? </strong></em><br /><em><strong>L. Erlacher:</strong></em> Wenn Patienten mit Gelenksschmerzen/-schwellungen zum Arzt kommen, stellt sich die Frage: Handelt sich um eine entzündlich-rheumatische Gelenkserkrankung oder um ein anderes rheumatologisches oder orthopädisches Problem? Die Diagnose einer Arthritis mittels Erhebung des Rheumastatus gelingt dann gut, wenn Gelenke im Berich der Händen oder Vorfüße, das Knie oder das Sprunggelenk betroffen sind, weil hier Schwellungen gut tastbar sind. Schwierig ist die Beurteilung von tiefsitzenden Gelenken, z. B. Schulteroder Hüftgelenk. Hier sind Schwellungen oder Druckschmerzen schwer zu erfassen, diese Gelenke können aber ebenso von einer Arthritis befallen sein.</p> <p><em><strong>Welche diagnostische Vorgehensweise empfehlen Sie in diesen Fällen? </strong></em><br /><em><strong>L. Erlacher:</strong></em> Die Diagnose der Arthritis beruht unverändert auf dem rheumatologischen Gelenksstatus. Es gibt aber zusätzliche hilfreiche diagnostische Parameter. Dazu zählt das Labor. Erhöhte Entzündungsparameter müssen aber nicht vorhanden sein. Ein normales CRP schließt eine rheumatoide Arthritis nicht aus. Das Gleiche gilt für die Rheumafaktoren und CCP-Antikörper. Diese können bei rheumatoider Arthritis positiv sein, müssen aber nicht. Umgekehrt kann ein Patient Rheumafaktorpositiv sein, ohne Arthritis zu haben. Das heißt: Das Labor unterstützt mich, kann mich aber auch in die falsche Richtung lenken: Ein älterer Patient mit Gelenksbeschwerden und positivem Rheumafaktor, aber ohne Gelenksschwellungen, kann ebenso eine Polyarthrose haben.</p> <p><em><strong>Bei Gelenksschmerzen wird meist ein Röntgenbefund gemacht. Wann ist weitere Bildgebung zielführend? </strong></em><br /><em><strong>L. Erlacher:</strong> </em>Die Bildgebung ist neben dem Labor ein zweiter wichtiger Hilfsparameter. Im Röntgen sichtbare Gelenksdestruktionen treten erst im Spätstadium der rheumatoiden Arthritis auf und sind heute dank erfolgreicher Behandlungsmethoden sehr selten geworden. Für die Frühdiagnostik ist das Röntgen nicht geeignet. Hochauflösender Gelenkultraschall und Kontrastmittel-MRT werden zunehmend populär. Sie sind aber zum definitiven Nachweis einer rheumatoiden Arthritis auch nicht geeignet. Denn es gibt viele gesunde Patienten, die ein Knochenmarksödem und/oder eine milde Synovitis, aber trotzdem keine Arthritis haben. Man darf also niemals einen Patienten nur aufgrund eines positiven MRT-Befunds behandeln. Man muss sich mit den Befunden aus klinischer Untersuchung, Bildgebung und Labor ein Bild machen. Dafür braucht man sehr viel Erfahrung, es ist kein einfaches Abarbeiten einer Checkliste – da kann man vieles falsch machen.</p> <p><em><strong>Wenn bei einem Patienten der Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung besteht und der Arzt an den Rheumatologen überweist, was kann/darf er inzwischen verschreiben? </strong></em><br /><em><strong>L. Erlacher:</strong></em> Ein häufiger Fehler, der in der Praxis passiert, ist die Behandlung von Patienten mit NSAR oder Kortison, bevor die Diagnostik abgeschlossen ist. Das kann sowohl den klinischen Rheumastatus verfälschen als auch die Labor- und Bildgebungsbefunde verändern. Insofern ist eine solche „Anbehandlung“ nicht zielführend, weil sie keine Lösung bringt und die Diagnostik nur verzögert. Patienten mit Verdacht auf Arthritis gehören sofort zum Rheumatologen überwiesen. Dieser sollte einmalig die Diagnose erstellen können. Wenn es sich nicht um eine rheumatologische Erkrankung handelt, muss selbstverständlich wieder an den Zuweiser zurücküberwiesen werden. Eine rasche Vorstellung beim Facharzt für Rheumatologie ist wichtig: Wir wissen, dass bei Vorliegen einer rheumatoiden Arthritis der entscheidendste Parameter für eine erfolgreiche Therapie der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns ist. Das bedeutet, dass eine schmerzstillende Vorbehandlung ohne Diagnosestellung den Patienten letztlich schaden kann.</p> <p><em><strong>Wie wichtig ist interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Orthopäden und Rheumatologen? </strong></em><br /><em><strong>L. Erlacher:</strong></em> Die Zusammenarbeit mit den Orthopäden ist sowohl in der Frühdiagnostik wichtig als auch in Spätstadien, wenn Rheumapatienten eine operative Versorgung benötigen. Die Rheumaorthopädie ist zwar dank moderner pharmakologischer Therapiemöglichkeiten nur mehr selten notwendig. Destruktive Gelenksveränderungen sind bei Rheumapatienten stark zurückgegangen, im Einzelfall ist eine rheumaorthopädische Versorgung jedoch unverändert nötig. Umso mehr begrüße ich die Spezialisierung der orthopädischen Chirurgie auf bestimmte Gelenke bzw. Gelenksregionen wie Schultergelenke, Vorfüße etc. Denn wenn doch eine operative Therapie nötig wird, ist das Niveau der Versorgung durch die Spezialisierung deutlich gestiegen. Das zeigt sich ja in allen Fachdisziplinen: Wer etwas öfter macht, hat bessere Ergebnisse. Ein zweiter Aspekt: Wir haben eine Vielzahl an medikamentösen Therapieoptionen und es werden jedes Jahr mehr. Das ist zwar eine sehr gute Entwicklung, führt aber auch dazu, dass sich Ärzte – auch Orthopäden – zunehmend mit den unterschiedlichen Wirkweisen und Nebenwirkungen dieser Medikamente auseinandersetzen müssen. Der interdisziplinäre Austausch wird immer wichtiger, insbesondere wenn Patienten mehrere Erkrankungen haben und von verschiedenen Ärzten behandelt werden. Grundkenntnisse über die Wirkung der Rheumamedikamente werden in Zukunft auch von Nichtrheumatologen gefordert sein.</p></p>