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Diabetes und Nebenschilddrüse als Risiko für den Knochen

Aufgrund seiner Pathophysiologie ist Diabetes ein Risiko für Frakturen. Die zahlreichen in der (Kombinations-)Therapie eingesetzten Medikamente decken unterschiedliche Aspekte ab und haben auch unterschiedliche Auswirkungen auf Knochen bzw. Frakturraten. Beim Hyperparathyreoidismus ist die Parathyreoidektomie im Wesentlichen die einzige Maßnahme, mit der das Frakturrisiko substanziell gesenkt werden kann.

Neben Insulinresistenz und Betazelldysfunktion treten bei der Hyperglykämie auch ein reduzierter Inkretineffekt, die gesteigerte Freisetzung von Fettsäuren, erhöhte bzw. reduzierte Glukoseaufnahme, eine Neurotransmitterdysfunktion, eine erhöhte Glukoseproduktion in der Leber und eine erhöhte Glukagonsekretion auf.1 Ursachen für einen geringen Knochenumsatz können neben der Hyperglykämie und Hyperinsulinämie die Akkumulation von AGEs („advanced glycation endproducts“), die Behandlung mit Thiazolidindion oder ein Vitamin D-Mangel sein. Katarakte, periphere Neuropathien, Retinopathien, PVD („peripheral vascular diseases“) und Fußgeschwüre, Insulinbedarf, Hypoglykämie oder Nykturie erhöhen das Sturzrisiko.2

Basis jeder Diabetestherapie sollte vorrangig die Modifikation des Lebensstils sein, d.h.: Moderate Gewichtsreduktion, mediterrane Diät, Vitamin D und Kalzium, Reduktion bzw. Beendigung von Rauchen und Alkoholkonsum, körperliche Aktivität >150min/Woche, Widerstandstraining. Antihyperglykämische Therapien mit Metformin, GLP-1-Rezeptoragonisten, Gliflozinen (SGLT2-Hemmern) und DPP-4-Inhibitoren werden aufgrund neutraler Effekte auf den Knochen empfohlen. Unklare bzw. negative Effekte werden für Glitazone, Canagliflozin, Sulfonylharnstoffe und Insulin beschrieben.

Substanzen mit unterschiedlicher Wirkung auf den Knochen

„Sulfonylharnstoffe können eine Hypoglykämie verursachen und somit für Stürze mitverantwortlich sein“, erklärte Ass.Prof. Dr. Harald Sourij, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universität Graz. Ein erhöhtes Frakturrisiko konnte in einer Metastudie auch bei den Glitazonen gezeigt werden.3 Aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils spielen Glitazone aber in der Diabetologie generell keine große Rolle mehr. In Österreich wird, wenn überhaupt, Pioglitazon verschrieben. In der IRIS-Studie konnte gezeigt werden, dass Pioglitazon das kardiovaskuläre Risiko bei nichtdiabetischen Patienten nach einem ischämischen Schlaganfall oder einem transitorischen ischämischen Anfall (TIA) reduziert, jedoch mit einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche verbunden ist.4 Innerhalb von 5 Jahren nach einem ischämischen Schlaganfall oder einer TIA waren 8,8% der mit Placebo behandelten Patienten von Frakturen betroffen. Pioglitazon erhöhte das absolute Frakturrisiko je nach Frakturklassifikation um 1,6–4,9% und das relative Risiko um 47–60%. „Ein möglicher Mechanismus, der bei den Glitazonen zu erhöhten Frakturraten führt, könnte die vermehrte Umwandlung von mesenchymalen Stammzellen in Fettzellen im Knochen sein, womit es zur verminderten Knochenformation und zur erhöhten Knochenreabsorption kommt“, erläuterte Sourij.

Daten aus prospektiven Kohortenstudien zur Insulintherapie weisen ebenfalls auf ein erhöhtes Risiko für Frakturen hin. In einer Untersuchung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes war die Insulintherapie mit einem Anstieg des Risikos für eine schwere Fraktur um etwa 40% verbunden, und das selbst in frühen Stadien von Diabetes mellitus Typ 2.5

SGLT2-Antagonisten und GLP-1-Rezeptoragonisten

SGLT2-Inhibitoren (in der EU zugelassen sind Dapaglilfozin, Empagliflozin, Canagliflozin und Ertugliflozin) haben sehr gute kardiale (besonders bei Herzinsuffizienz) und renale Daten. „Wie auf den letzten Kongressen eindrucksvoll gezeigt wurde, konnte bei jenen, die keine Zuckerstoffwechselstörung haben, die Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz gesenkt werden und auch renale Endpunkte konnten deutlich reduziert werden“, berichtete Sourij. Daten aus dem CANVAS-Programm (CANVAS und CANVAS R) lassen darauf schließen, dass vor allem in der initialen Phase (speziell bei CANVAS) ein erhöhtes Risiko für Frakturen mit SGLT2-Inhibitoren bestehen könnte. In Summe war das Frakturrisiko beim CANVAS-Programm aber nur grenzwertig erhöht.6

In einer weiteren Untersuchung mit dem SGLT-Schema konnten ein Anstieg des Phosphats, des FGF23 und des Parathormons (PTH) sowie ein Abfall von 1,25(OH)-Vitamin D beobachtet werden.7 „Die Werte scheinen nach dem fünftägigen Beobachtungszeitraum wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren, weshalb man aus diesen Daten kaum Konsequenzen für eine längere Therapie ableiten kann“, so Sourij. In einer Metaanalyse aus 2019 zu SGLT2-Hemmern und Frakturen war das Frakturrisiko für Typ-2-Diabetiker nicht erhöht.8

Bei den GLP-1-Rezeptoragonisten wurden zahlreiche Effekte beschrieben, die einen positiven Einfluss auf den Knochen haben könnten.9 Eine Metaanalyse von klinischen Daten zu GLP-1-Rezeptoragonisten und Knochen konnte jedoch keine klaren Ergebnisse in die eine oder andere Richtung liefern.10

Ähnlich wie bei den GLP-1-Rezeptoragonisten sind die Wirkmechanismen bei den DPP-4-Inhibitoren.11 In einer frühen Metaanalyse gab es Hinweise darauf, dass es weniger Frakturen geben könnte.12 In einer Studie zu Sitagliptin und Frakturen konnte jedoch kein Benefit durch die Einnahme des DPP-4-Hemmers erzielt werden.13 Auch in den rezent publizierten Real-World-Daten zu DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2- Hemmern zeichneten sich bottom-line keine eindeutigen Vor- oder Nachteile bezüglich der Frakturdaten ab.14

Hyperparathyreoidismus und Osteoporose

„Ein primärer Hyperparathyreoidismus führt zu einem beschleunigten Knochenturnover, einer erniedrigten Knochendichte und einer erhöhten Frakturrate“, erklärte Priv.-Doz. Dr. Karin Amrein, MSc, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Stoffwechsel, Medizinische Universität Graz. Eine Kalziumdefizienz verstärkt die Probleme, weshalb man ausreichend Kalzium (etwa in Form von Milchprodukten) zu sich nehmen sollte. Auch ein Vitamin-D-Mangel verschlechtert den primären Hyperparathyreoidismus und erhöht den Parathormonspiegel. „Die Gabe von ‚Megadosen‘ Vitamin D ist aber nicht sinnvoll. Eine tägliche oder wöchentliche Dosierung ist zu bevorzugen“, so Amrein.

Ironischerweise kann ein Hyperparathyreoidismus einerseits eine Osteoporose verursachen, andererseits kann eine Osteoporose anabol mit Parathormon behandelt werden. In der klinischen Praxis kommt hauptsächlich das rekombinante Parathormon PTH 1-34 (Teriparatid) zum Einsatz. Als Hormonersatz bei einer Nebenschilddrüsenunterfunktion (Hypoparathyreoidismus) ist auch Parathormon PTH 1-84 zugelassen.

Der Wegfall von Parathormon ist substanziell, wie auch eine 2011 publizierte österreichische Fallstudie zeigen konnte.15 Eine 36-jährige Frau, die nach einer Thyreoidektomie wegen eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms einen permanenten Hypoparathyreoidismus entwickelte, zeigte in einem 6-Jahres-Follow-up einen Anstieg der absoluten Knochenmineraldichte an der Wirbelsäule um 11%, an der Hüfte um 6%, begleitet von einem geringen Knochenumsatz und trotz einer suppressiven Thyroxintherapie.

Die anabolen oder katabolen Wirkungen von Parathormon auf den Knochen hängen von der Anwendungsmodalität ab. Im Gegensatz zu dem bei kontinuierlicher Verwendung von Parathormon beobachteten Knochenverlust kann die intermittierende Anwendung von exogenem Parathormon – beispielsweise die Anwendung von Teriparatid bei der Behandlung von Osteoporose – eine anabole Wirkung auf den Knochen haben, indem die Bildung sowohl in spongiösen als auch in kortikalen Regionen erhöht wird. Der Grund ist, dass die intermittierende Verabreichung die Knochenbildung stimuliert, indem sie die Aktivierung der Knochenauskleidungszellen und die Differenzierung mesenchymaler Stammzellen des Knochenmarks zu Osteoblasten fördert, Sklerostin in Osteozyten hemmt und die Lebensdauer der Osteoblasten durch Hemmung der Apoptose verlängert.16

Asymptomatischen Hyperparathyreoidismus aufspüren

„Ist ein Hyperparathyreoidismus bereits bekannt, sollte aktiv nach Frakturen bzw. einer Osteoporose gesucht werden“, betonte Amrein. Die Guidelines zum Management von asymptomatischem Hyperparathyreoidismus empfehlen folgende Untersuchungen: Serum-Parathormon, Kalzium, Phosphat, Aktivität der alkalischen Phosphatase, Nierenfunktionstests, 25-Hydroxy-Vitamin D, 24-h-Harn für Kalzium- und Kreatininbestimmung, BMD durch DXA (Lendenwirbelsäule, Hüfte, distaler Drittelradius), Beurteilung der Wirbelsäule (Radiografie, CT oder vertebrale Frakturanalyse mittels DXA), Steinrisikoprofil (wenn Kalzium im Urin >400mg/Tag), Bildgebung des Abdomens mittels Radiografie, Sonografie oder CT-Scan, optional auch HR-pQCT, TBS (Trabecular Bone Score) und Knochenumsatzmarker.17

Der primäre Hyperparathyreoidismus ist eine häufige endokrine Störung des Kalziumstoffwechsels. Der früher als „Stein-, Bein- und Magenpein“ bezeichnete Hyperparathyreoidismus hat sich in den letzten Jahrzehnten in einen vorwiegend „asymptomatischen HPT“ gewandelt, der meist als ein Zufallsbefund durch hohes Kalzium im Blut entdeckt wird. „Bei vorliegender Osteoporose sollte man unbedingt auch aktiv einen Hyperparathyreoidismus ausschließen“, so Amrein.

Dass Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus ein erhöhtes Frakturrisiko haben, konnte bereits in einer über 20 Jahre alten, aber noch immer aussagekräftigen Untersuchung gezeigt werden.18 674 konsekutive Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus (Durchschnittsalter 61 Jahre) wurden im Zeitraum vom 1. Jänner 1979 bis 31. Dezember 1997 operiert. Bei den erfolgten alters- und geschlechtsangepassten Kontrollen aus dem nationalen Patientenregister zeigte sich langfristig ein 4-fach erhöhtes Risiko für Wirbelkörperfrakturen. Das Frakturrisiko war unabhängig von den Serumkalziumkonzentrationen und kehrte innerhalb eines Jahres nach der Operation auf das Kontrollniveau zurück. Im Gegensatz zu einer Therapie mit Bisphosphonaten ist eine Parathyreoidektomie mit einer essenziellen Verringerung des Frakturrisikos verbunden, weshalb nach Möglichkeit eine operative Therapie beim HPT dem konservativen Management vorgezogen werden sollte.19

28. Osteoporoseforum, 15.–17. Oktober 2020, St. Wolfgang

1 DeFronzo RA: Diabetes 2009; 58(4): 773-95 2 Gilbert MP, Pratley RE: Endocrine Reviews 2015; 36(2): 194-213 3 Zhu ZN et al: Bone 2014; 68: 115-23 4 Viscoli CM et al: J Clin Endocrinol Metab 2017; 102(3): 914-22 5 Losada-Grande E et al: Scientific Reports 2017; 7: 3781 6 Neal B et al: New Engl J Med 2017; 377(7): 644-57 7 Blau JE et al: Nature Rev Nephrol 2018; 14(8): 473-74 8 Li X et al: Diabetes Metab Res Rev 2019; 35(7): e3170 9 Mabilleau G et al: J Endocrinol 2018; 236(1): R29-42 10 Su B et al: Endocrine 2015; 48(1): 107-15 11 Yang Y et al: Front Pharmacol 2017; 8: 487 12 Monami M et al: Diabetes Care 2011; 34(11): 2474-6 13 Josse RG et al: DOM 2017; 19(1): 78-86 14 Hidayat K et al: Osteoporosis Int 2019; 30(10): 1923-40 15 Amrein K et al: Osteoporos Int 2011: 22: 2903-5 16 Owen R, Reilly GC: Front Bioeng Biotechnol 2018; 6: 134 17 Bilezikian JP et al: J Clin Endocrinol Metab 2014; 99(10): 3561-9 18 Vestergaard P et al. BMJ 2000; 321(7261): 598-602 19 Yeh MW et al: Ann Intern Med 2016; 164(11): 715-23

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